14. Zurück in die Vergangenheit

Gezwungenermaßen stimmte Cecilia dem Flugabentuer zu. Ob sie wollte oder nicht; die schwarzhaarige Lady klammerte sich während des Fluges an Julius.
Wie sich Leute nur freiwillig auf Flugpokémon setzen konnten?
Auf seinem Aerodactyl, ein vermeintlich ausgestorbenes graues Fossilpokémon, war die Reise nach Teak schnell beendet.
Cecilia liebte den festen Boden unter ihren Füßen. Ein Rundumblick ließ Kindheitserinnerungen wach werden. Häuser aus Holz, geschwungene Dächer, Schiebetüren; diese Stadt war voller Tradition.
Die Türme im Norden waren nicht zu übersehen. Mit ihrer Mutter hatte sie diese öfter besucht und den beiden legendären Vogelpokémon ihren Respekt gezollt.
Ihr Vater arbeitete noch in seiner Schmiede in Teak, baute aber gleichzeitig einen Standort seiner Firma neben der Kaserne auf. Damals tat er das wohl aus idealistischen Gründen; wollte er mit seinen Waffen den Krieg doch für Johto entscheiden.
In Cecilias Erinnerung war Isaak ein freundlicher Ehemann und ein guter Vater. Mit der Ermordung der Mutter vor 20 Jahren änderte sich alles. Die Familie zog nach Dukatia und Isaak interessierte sich seitdem nur noch für seine Firma.

Unweit des Wachhauses vorm Zinnturm wohnte Julius.
Er öffnete die Tür und gewährte Cecilia den Vortritt: "Wundere dich nicht; es kann sein, dass mein Opa grade da ist. Der schaut manchmal einfach so vorbei."
Die Lady betrat das Haus, welches für Julius alleine zu groß zu sein schien. Für die Zeit war es modern mit weiß angestrichenen Wänden. Decke und Boden waren aus dunklem Holz. Der Tisch war traditionell nur so hoch, dass man sich auf den Boden knien musste.
Ein riesiges Haus haben, aber sich keine Stühle leisten können, dachte Cecilia mit einem Schmunzeln, aber würde sie diese Kritik niemals äußern.
"Setz dich doch! Möchtest du Tee oder sowas?"
Die schwarzhaarige Lady setzte sich auf eines der Kissen am Boden und schüttelte den Kopf. Sie wollte nur schnellstmöglich zur Sache kommen. Julius beendete alle ablenkenden Tätigkeiten und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
Noch einmal musterte sie ihn. Ob der Bürgermeister von Teak wirklich vertrauenswürdig war? Sie entschied sich für ihn.

Sie erhob den Zeigefinger und ihre Worte klangen mehr wie eine Drohung: "Was ich dir sagen will, muss unbedingt unter uns bleiben, damit das klar ist."
Julius nickte mit einem verlegenen Lächeln.
"Gestern früh gegen sieben Uhr hat mich Tristan aus seinem Büro in Ebenholz angerufen."
Cecilia atmete tief durch, um die Fassung zu wahren: "Er hatte einen Befehl von Hermann vor sich liegen, dass das Militär in der Stadt sofort abgezogen wird."
Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf, als konnte er dem Geschilderten nicht ganz folgen.
Dann erklärte die schwarzhaarige Lady ihre Schlussfolgerung: "Die Stadt wurde erst zwei Stunden später angegriffen und die Post nach Ebenholz braucht auch ein paar Tage... Hermann wusste im Vorfeld schon Bescheid, dass Kanto angreifen würde!"
Gerade, dass Julius nicht die Kinnlade herunterfiel, verzog er das Gesicht: "Hermann hat es heute aber so dargestellt, dass er seine Soldaten erst während der Angriffe zurückbeordert hat."
Cecilia nickte: "Und weißt du, was das Schlimmste ist? Sogar mein Vater lügt mich an. Er hat mir dasselbe erzählt wie Hermann im Kriegsrat."
Er hingegen blieb besonnen: "Und wenn dein Vater Hermanns Lügen selbst glaubt?"
Die schwarzhaarige Lady schüttelte den Kopf: "Nein, Tristan hat mir gesagt, dass er nach mir noch Vater anrufen würde und ich bin sicher, er hat es auch getan. Somit weiß auch Isaak, dass der Befehl zum Abzug der Truppen schon weit vorher erlassen wurde. Aber dass mein Bruder angerufen und von dem Befehl erzählt hatte, davon hat mein Vater kein Wort gesagt. Er muss denken, ich wüsste nichts davon. Und deshalb hab ich sein Spiel mitgespielt und die Ahnungslose gemimt. Ich erzähl es jetzt nur dir, weil... ich sonst keinen weiß, dem ich noch vertrauen könnte."
Ausgerechnet er...

Julius fasste sich ans Kinn und murmelte: "So wie es dann wohl aussieht, wussten beide vorab, dass Ebenholz angegriffen wird. Die Frage ist nur, woher wussten sie das und die andere Frage ist; weshalb haben sie die Stadt weder verteidigt noch evakuiert, sondern sie einfach vor die Hunde gehen lassen?"
Cecilia schüttelte ahnungslos den Kopf: "Ich weiß es nicht."
"Jetzt, wo du das weißt, mit deinem Vater und Hermann; was wollen sie erreichen?"
Sie verdrehte die Augen und spottete: "Was sie erreichen wollten? Einen Putsch. Macht. Keine Ahnung."

"Das ist grausam."
Wieder hauchte die schwarzhaarige Lady ein Lachen aus: "Nein, das ist typisch mein Vater. Ich gehe morgen in sein Büro und suche nach Beweisen, ob er irgendwas mit Hermann zu tun hat."
Mit erhobenem Zeigefinger und das Gesicht zur Fratze verformt wandte sich Cecilia zu Julius und fügte an: "Und du sagst kein Wort. Zu niemandem!"
Außer einem sanftmütigen Lächeln gab er auf ihre Drohung keine Reaktion: "Niemals! Ehrlich. Ich bin froh, dass du mir das anvertraut hast und wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sag es ruhig."

"Danke Julius, aber das ist eine Sache zwischen mir und meinem Vater... Ach ja, heimfliegen könntest du mich noch."
"Ach, hast du Gefallen am Fliegen gefunden?", fragte er mit leuchtenden Augen.
Cecilia prustete aus: "Was? Nein! Zu Fuß ist der Weg nur lächerlich weit..."
Der Teaker Bürgermeister weigerte sich und schlug stattdessen vor: "Wie wärs, wenn du heute bei mir bleibst? Ich koch was und wir reden. Wegen deinem Bruder, meine ich. Vielleicht schadet es nicht, wenn du in Gesellschaft bist."
Cecilia willigte ein. Sie hatte nie viel mit Julius geredet und mied bewusst seine Gesellschaft. Doch die Zeiten änderten sich. Die Lady musste sich eingestehen, dass sie, abgesehen von Tristan und Rizeros, niemanden hatte, mit den sie sich so gut verstand.
Ausgerechnet er...

Im Laufe des Abends klopfte es schließlich an der Tür. Julius erhob sich vom Tisch und meinte, dass es um die Zeit nur sein Großvater sein konnte. Der Blonde öffnete die Tür und sah seinen Opa vor sich, welcher einen Kopf kleiner war als er.
"Salve mein Lieblingsenkel, na wie geht's dir?"
Julius lächelte und meinte: "Gut und dir Opa?"
Der Alte zog seine Sandalen im Eingangsbereich aus und er sah zu Boden: "Mir geht's gut, Danke."

Dann fiel sein Blick ins Esszimmer auf Cecilia.
Der Opa wich zurück: "Oh, du hast Besuch? Ich will euch nicht stören!"
Sofort erkannte Cecilia den Alten. Er war öfter in der Zeitung abgebildet.
Mit den beiden Türmen, welche zu Ehren Ho-Ohs und Lugias vor gut 450 Jahren erbaut wurden, war Teak die Hauptstadt der Philosophie. In den alten Geschichtsbüchern stand geschrieben, dass seit einem Angriff auf Ho-Oh vor rund 250 Jahren die sogenannten Weisen stets Wache hielten. Nur jene mit reinem Herzen durften an die Spitze des Turmes.
Und einer der Weisen war Franz, Julius Großvater.
Früher war er Bürgermeister. Als er zum obersten Weisen ernannt wurde, übernahm sein Sohn Zecharius das Amt. Dieser war aber nur für wenige Jahre Bürgermeister. Vor 20 Jahren gab Zecharius seinen Posten wieder an Franz ab. Er ging zum Militär, wo er später im Krieg fiel.
Übergangsweise hielt Franz das Bürgermeisteramt inne, bis sein Enkel so weit war.
In ganz Johto wurden Wahlen für das Amt des Bürgermeisters abgehalten. Nicht so in Teak; hier waren die Einwohner äußerst zufrieden mit der Familie Mondero, sodass das Amt einfach vererbt wurde.

Der Alte wollte direkt wieder zur Haustür hinaus.
Die schwarzhaarige Lady erhob sich und antwortete dem Großvater, bevor Julius es tun konnte: "Salve, ich bin Cecilia. Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr noch bleiben würdet."
Der Alte verneigte sich und meinte mit einem Lächeln: "Salve. Ich bin Franz Mondero."
"Das wusste ich bereits, da könnt Ihr sicher sein."
Sie reichten einander die Hand. Franz blickte der jungen Lady noch einmal ins Gesicht. Für einige Sekunden hielt er inne und ließ seinen Blick nicht von Cecilia ab.
Schließlich beendete Franz die unangenehme Situation indem er sagte: "Eine schöne Kette habt Ihr da."
Sie blickte nach unten und erzählte: "Dankesehr! Die hab ich aus dem Besitz meiner Mutter bekommen, nachdem sie gestorben ist."
Franz gab den Rat: "Ein altes, ehrwürdiges Zeichen, bewahrt sie gut auf."
Die drei nahmen am Tisch Platz und die beiden Männer, Opa und Enkel, versuchten die schwarzhaarige Lady von ihrem Kummer abzulenken.

Franz bemerkte, dass er mit zwei Bürgermeistern am Tisch saß. Beide waren im Kriegsrat und damit mit König Raul bekannt. Er scheute sich nicht und erzählte von all den Verfehlungen, die sich Raul zu seiner Jugendzeit als Prinz leistete.
So wollte er unbedingt in den Zinnturm, um Ho-Oh zu rufen. Aber Franz konnte ihn mit seinem eigenen Pokémon, einem Gengar, schlagen. So blieb dem jungen Prinzen der Zutritt verwehrt.
"Aber das ist jetzt 25 Jahre her und kurz darauf wurde Raul zum König gekrönt. Er ist nicht noch einmal gegen mich angetreten. Scheinbar hatte er keine Zeit mehr, um sein Pokémon ordentlich zu trainieren. Und das ist das Problem; das ungefestigte Band - die mangelnde Freundschaft zu seinem Pokémon. Wenn er es nicht einmal beim eigenen Pokémon schafft, wie will er dann Ho-Oh davon überzeugen, der Auserwählte zu sein?"

Wer der Auserwählte ist, war ohnehin immer eine spannende Frage. Manchmal wurde Franz geschlagen und er musste seinem Kontrahenten den Weg zur Spitze des Turms freigeben. Aber Ho-Oh ist deswegen noch lange nicht erschienen.
Überhaupt hat man Ho-Oh nur ein einziges Mal in den letzten 50 Jahren gesehen. Das war noch zu Zeiten vor dem großen Krieg gegen Kanto.
Selbst Franz hatte seine Zweifel daran, dass es jemals wieder nach Teak zurückkehren würde.

Das andere Pokémon - Lugia - hauste im Bronzeturm und wachte bis vor 40 Jahren stolz über die Stadt. Doch dann wurde es von einem der Ho-Oh-Weisen angegriffen und so floh es. Der kantonesische Kaiser wollte seinen Glaubensbrüdern in Johto zu Hilfe eilen und so erklärte er Johto den Krieg.
Dies war der Auslöser eines bisher 40 Jahre währenden Krieges, den niemand beenden konnte.
Die lugianischen Städte Anemonia und Oliviana hielten sich aus dem Krieg raus und verweigerten Johto ihre Unterstützung. Immerhin aber waren die Olivianer so ehrhaft, dass sie den Kantonesen keinen Zutritt über ihr Land gewährten.
Der einzige Kriegsschauplatz kristallisierte sich somit rund um das umkämpfte Gebiet des Silberberges heraus, sodass es für Johto leichter war, den Überblick zu behalten.

Frohe Ostern zusammen und ich hoffe, ihr habt Spass beim Lesen!

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