13. Unheilvolle Nachricht
Das Klingeln des Telefons verbreitete Unheil. Mit schwitziger Hand nahm Cecilia den Hörer ab. Die Stimme ihres Vaters ertönte am anderen Ende der Leitung.
"Salve Cecilia, General Hermann hat mich gerade angerufen. Es ist was Schlimmes passiert."
Ohne eine Reaktion von sich zu geben ließ sie ihren Vater erzählen: "Kanto hat Ebenholz mit einem gigantischen Schlag angegriffen."
Ebenholz; Tristan war dort.
Isaak schluckte: "Das Militär sollte abgezogen werden, aber dein Bruder..."
Erneut stockte der alte Herr. Jetzt konnte sich Cecilia selbst zusammenreimen, was er ihr mitzuteilen versuchte. Ihre Finger krallten sich immer tiefer in den Telefonhörer.
Der Vater nahm all seine Beherrschung zusammen und vollendete: "... er ist geblieben, um in der Stadt gegen die Truppen zu kämpfen. Er war nicht bei den Soldaten dabei, die evakutiert wurden."
Kraftlos stützte sie den Kopf auf ihrer Hand ab. Ihre Sicht verschwamm wegen aufkommender Tränen. Nur mit Mühe konnte die junge Frau noch den Hörer in der Hand halten.
Eine verständnisvolle Stimme ertönte: "Cecilia, bist du noch dran?"
Als Antwort gab sie ein leises Schluchzen von sich. Es dauerte eine Weile, diese Nachricht überhaupt zu begreifen. Tristan war mit Ebenholz in den Abgrund gegangen. Jetzt hatte die junge Lady wahrhaft niemanden mehr, dem sie vertrauen konnte.
In ihrer Fassungslosigkeit ging sie zum Angriff über: "Warum ist das Militär überhaupt abgezogen worden, wo Ebenholz doch die wichtige Grenzstadt ist?"
Er seufzte aus: "Hermann meinte, dass Ebenholz nicht mehr zu retten war. Er hat deshalb verfügt, die Stadt aufzugeben und die Soldaten abzuziehen, bevor alle sterben würden. Zumindest hat er mir das so erzählt."
Wie war das?
Cecilia wurde hellhörig. Zu Trauer kam auch noch Wut dazu.
"Verstehe ich das richtig, dass der General erst während des Angriffs den Befehl zum Truppenabzug gegeben hat?"
Ihr Vater zuckte mit den Schultern: "Ja, so wie er mir das erzählt hat schon."
Die junge Frau biss sich auf die Zunge; jetzt nur nichts Falsches sagen! Immerhin lag ihrem Bruder schon weit vor dem kantonesischen Angriff der Befehl zum Abzug vor.
Sie mimte die unwissende Tochter: "Wie ist es genau passiert? Warum wurde er nicht rausgebracht?"
"Der Angriff kam schnell und die Evakuierung der Soldaten lief chaotisch ab. Er und zwei seiner Männer kamen nicht mehr raus. Sie bestiegen nie den Heißluftballon. Nur mit Not konnten die anderen gerettet werden."
Als würden die Kantonesen die Ballone nicht einfach abschießen, wenn die Johtolesen kurz vorher knapp abgehoben wären, dachte Cecilia und klatschte sich die flache Hand auf ihre Stirn.
Für wie dumm hielt sie ihr Vater eigentlich?
Dennoch hielt sie den Schein aufrecht: "Und was ist mit Arkani? Hat man ihn schon gefunden?"
"Nein, tut mir Leid. Ebenholz ist besetzt. Wir haben nicht mal Tristans Leiche."
Hoffnung, dass er überlebt haben könnte, stieg in ihr hoch. Die junge Lady fragte Isaak direkt, was dagegen sprechen würde.
Ihr Vater schüttelte am Hörer den Kopf: "Nein. Du verstehst nicht. Die Angriffe müssen verheerend gewesen sein. Die Rauchschwaden waren laut der Berichte von Borkia aus zu sehen. Kanto muss mit einem gigantischen kompromisslosen Schlag angegriffen haben. Nach aktuellem Stand hat niemand den Angriff überlebt."
Cecilia nickte und wurde trotzig: "Aber Hauptsache, man hat den Ebenholzenern vor einem halben Jahr noch ihre Pokémon weggenommen und wollte sie mit Soldaten besser schützen... Was passiert jetzt?
"Meinst du, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist?", fragte Isaak erstaunt.
"Ja, Konsequenzen! Passiert was?", schnauzte die junge Lady und haute auf den Tisch.
Ihr Vater stotterte: "Naja, so gesehen war es ja nie die Entscheidung des Generals oder sonst wem. Den Erlass, die Pokémon einzuziehen, hat strenggenommen ja unser werter König Raul erlassen. Aber du bist ja im Kriegsrat mit dabei, also wirst du von den Konsequenzen ohnehin als erste erfahren."
Ihr hysterisches Lachen schallte durch die Leitung: "König Raul hat Schuld? Der General hat ihn so lange beeinflusst, bis er keine andere Möglichkeit mehr sah. Und jetzt soll er zurücktreten?"
Isaak wies alle Schuld von sich: "Das werde ich nicht bestimmen! Soweit ich weiß, hat Hermann die auswärtigen Bürgermeister und seine Offiziere bereits zum Kriegsrat einberufen, wegen des Angriffs. Ich bin sicher, es wird dann auch über alles Weitere geredet."
Ihr Vater wollte sie nur abwürgen. Natürlich, denn die Geschäfte gingen vor. Wie grausam jemand sein musste, der offenbar noch nicht einmal über den Tod seines eigenen Sohnes richtig traurig war.
Doch dann wandelte Isaak sich: "Cecilia, wenn du willst, dann komm doch bitte in mein Büro. Heute, morgen oder wann immer es dir passt. Ich bin ungern allein gerade."
Sie nickte: "Ist gut."
Kurz nach der Mitteilung über den Tod ihres Bruders erhielt Cecilia schon den nächsten Anruf. Der General hatte den Kriegsrat für zwei Uhr Nachmittag einberufen. Das Klingeln des Telefons, das gesprochene Wort; es klang alles dumpf.
Die schwarzhaarige Lady nahm nicht mehr richtig wahr, was sie tat. Sie reagierte nur auf die Reize ihrer Umwelt. Der Anweisung, zur Sitzung des Kriegsrats zu erscheinen, stimmte sie gleichgültig zu.
Wie im Tunnel taumelte Cecilia die verbleibende Zeit durch die Straßen von Dukatia. Ihre Finger ließ sie über die rauen Steinmauern gleiten, so wie sie es früher schon immer getan hatte. Hier hatten sie und ihr Bruder ihre Kindheit verbracht. Und jetzt gab es ihn nicht mehr.
Es stand Tristan aber gut zu Gesicht, entgegen jeder Vernunft immer das Richtige tun zu wollen, ob es nun Sinn machte oder nicht. Er musste sich gegenüber den Ebenholzenern, obwohl er die kalte Stadt nicht leiden konnte, so verpflichtet gefühlt haben, dass er lieber mit ihnen starb, als vor dem Angriff zu fliehen.
"Wärst du doch nur einmal im Leben egoistisch gewesen, mein Bruder."
Die Halskette, die sie immer umhängen hatte, war ein Schmuckstück und eine Uhr zugleich. Es war ein Dreieck in Form eines Blatts. Im oberen Eck befand sich das Ziffernblatt. Links und rechts hingegen fanden sich zwei fein gearbeitete Federn.
Der Blick auf die Uhr überraschte die schwarzhaarige Lady. War es wirklich schon so spät? Die wenigen Stunden, die sie hatte, vergingen für Cecilia wie im Flug. Sofort machte sie sich auf den Weg zum Regierungsgebäude.
Sie erreichte das prunkvollste Gebäude der Stadt, welches vor der Eingangstür mit zahlreichen Säulen versehen war. Zum Ende des Sommers blühten vor den Fenstern die Blumen in herrlichen Farben. Einen Moment lang verharrte Cecilia vor dem Eisentor des Regierungssitzes.
Eine ihr bekannte Stimme ertönte: "Cecilia, grüß dich!"
Wie immer gut gelaunt, der dunkelblonde Kerl.
Sie erblickte Julius, dem Bürgermeister von Teak. Seine Augen waren grau, ähnlich wie die Steine, aus denen die Häuser der Stadt gebaut waren.
Fragend verzog er sein Gesicht und kam eilig auf sie zu: "Ceci, was ist los?"
Still wandte sich die schwarzhaarige Lady von Julius ab und öffnete das Eisentor. Den Weg zum Sitzungssaal legte sie schweigend und mit hängendem Kopf zurück. Ihren Begleiter nahm Cecilia kaum wahr.
Vor Beginn der Sitzung musste sie ihre Fassung zurückerlangen. Niemand durfte Cecilias verweintes Gesicht sehen. Immer musste sie ihre Fassade der starken Trainerin wahren, die alles unter Kontrolle hatte. Nur vor Julius war es ihr tatsächlich egal, dass er sie so sah; so am Ende.
Der junge Kerl drückte ihr ein Taschentuch in die Hand: "Hey Ceci, ich weiß nicht was los ist, aber die Sitzung beginnt gleich."
Die Lady trocknete ihre Tränen und holte tief Luft. Für den Moment konnte sie sich beherrschen. Cecilia knüllte das Taschentuch zusammen und betrat erhobenen Hauptes den Sitzungssaal. An der ihr stets zugewiesenen Position neben Julius nahm sie Platz. In wenigen Minuten war der Saal voll und alle Mitglieder des Kriegrats waren anwesend.
Der General erhob sich neben Raul aus seinem Stuhl und teilte den Grund für die neuerliche Sitzung mit: "Werte Kollegen des Kriegsrates. Der Grund, warum wir euch heute herbestellt haben, ist einfacher wie grausamer Natur: Kanto hat Ebenholz mit einem grauenhaften Angriff zerstört und es hat niemand unserer Landsleute überlebt.
An der Stelle möchte ich mein Beileid vor allem an Cecilia ausdrücken, deren Bruder, Leutnant Tristan, bei der Evakuierung nicht mehr an Board und bei dem Angriff ums Leben gekommen ist. Genauso erging es Jonas, unserem Bürgermeister von Ebenholz, weshalb er heute nicht unter uns sein kann.
Unsere Aufklärungsflüge haben deutlich gemacht, dass die gesamte Stadt gebrannt hat und niemand leben gelassen wurde. Und jetzt liegt es an uns, angemessen zu reagieren. Und wie unsere Reaktion ausfallen wird, sollten wir schnell entscheiden."
Die schwarzhaarige Lady prustete aus: "Weil wir ja in der Lage sind zu reagieren, soll das ein Witz sein? Darf ich Euch daran erinnern, dass Ihr vor nicht mal einem halben Jahr unser Volk praktisch wehrlos gemacht habt, indem Ihr ihnen ihre Pokémon weggenommen habt? Und jetzt steht Ihr hier und sprecht von Reaktionen!"
General Hermanns entgleißter Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass er keine Widerworte duldete. Die anwesenden Kollegen blickten nervös in alle Richtungen und vermieden eine Äußerung.
Offizier Ethan kratzte sich an der Wange: "Wollt Ihr damit sagen, dass wir diesen Schlag unkommentiert und Kanto einfach so davon kommen lassen?"
Da erhob die schwarzhaarige Dukatierin ihre Stimme umso lauter: "Vor einem halben Jahr ist Raul hier gestanden und hat gesagt, dass das Militär restlos ausgeblutet ist. Wir haben keine Männer mehr, schon gar nicht für ein Himmelfahrtskommando. Und Ihr redet von Vergeltung. Ebenholz hat schon gebrannt. Besser ist es, Ihr kümmert Euch um die Verteidigung der restlichen Städte!"
Zum ersten Mal erntete Cecilia für ihren Beitrag im Kriegsrat den Applaus Ihrer Kollegen. Verdutzt blickten Ethan und Hermann um sich. Dass ihnen doch mal Paroli geboten wurde?
Als König und Vorsitzender des Kriegsrats hatte Raul das letzte Wort: "Wir werden nicht angreifen. Miss Avila hat Recht, wenn sie sagt, dass wir nicht die nötigen Ressourcen haben. Wir müssen uns verbarrikardieren. Das Vermächtnis von Tristan soll aufleben. Sein Ansatz war doch gut, nur Pokémon mit gewisser Stärke im Krieg einzusetzen und davor zu trainieren.
Warum wurde das eigentlich nie weiter verfolgt? Nehmt dieses Programm wieder auf! Soweit ich weiß ist mit den Pokémon unseres Volkes ja auch nie richtig trainiert worden. So kann es nicht weitergehen! Wir können keine unterentwickelten Pokémon einsetzen. Es ist völlig logisch, dass wir so nicht gewinnen können."
Cecilia war überrascht über Rauls Sinneswandel. Tristan war mit seinem Anliegen, die Pokémon nur nach ausreichendem Training einzusetzen, immer auf taube Ohren gestoßen. Was sich alles ändert, wenn man tot ist, dachte sich seine Schwester.
Doch eine Sache gab es noch, die ihr in den Sinn schoss: "Die Eisenbahnlinie zum Silberberg führt südlich an Ebenholz vorbei und ist ungeschützt. Wenn sich Kanto geschickt anstellt, dann nutzen sie unsere Infrastruktur und landen direkt in unserer Hauptstadt."
Raul bekam große Augen, als hätte er selbst noch nicht daran gedacht: "Dann reißen wir den Tunnel vor Rosalia ein und versiegeln ihn. Damit sollte einer Invasion vorgebeugt sein."
Die junge Lady nickte ihm zu.
Der König sprach das Schlusswort: "Dann fasse ich hiermit zusammen, dass wir keinen Schlag gegen Kanto führen und stattdessen unsere Verteidigung ausbauen. Und das Pokémontrainingsprogramm wird wieder aufgenommen, aber dieses Mal nicht nur in Borkia, sondern in jeder Stadt."
Ein Raunen ging durch die Reihe der Anwesenden. Das hatte es noch nie gegeben.
Die Anwesenden erhoben sich und strömten nach draußen. Julius heftete sich erneut an Cecilias Fersen und sie verließen das Gebäude gemeinsam. Erst, als die beiden hinter Bäumen versteckt waren und unter vier Augen reden konnten, brach er das Schweigen.
"Ceci", sagte Julius mitleidig und legte eine Hand auf ihre Schulter: "Es tut mir Leid, was mit Tristan passiert ist. Ich wusste nichts davon."
Sie wandte sich zu ihm.
Zugleich stiegen Cecilia erneut die Tränen in die Augen: "Du konntest es auch nicht wissen. Ich habe es ja selber erst vor ein paar Stunden von meinem Vater erfahren."
Der Teaker nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. Bei der jungen Frau brachen alle Staudämme. Sie weinte minutenlang in Julius Schulter, bis sein Hemd komplett mit ihren Tränen durchnässt war.
Seine Gefährtin erlangte die Fassung zurück und sah ihm in die Augen: "Danke, das hat gut getan."
Er lächelte sie sanftmütig an und zuckte mit den Schultern: "Wenn du irgendwann noch irgendwas brauchst... ich bin für dich da."
Auf seine Worte hin starrte Cecilia erst auf den Boden, suchte dann immer wieder Blickkontakt und biss sich auf ihre Lippen.
Sie hielt sich den Kopf und überlegte zögerlich: "Ja, da gibt es etwas, was ich dir erzählen muss. Aber nicht hier und nicht in meinem Büro..."
Julius wich mit großen Augen zurück: "Ähm okay, um was geht's denn?"
Die Lady flüsterte ihm ins Ohr: "Das ist wirklich nichts, was wir ausgerechnet in Dukatia besprechen sollten."
Er blickte sie mit einer hochgezogenen Augenbrauen erneut an und holte seinen Pokéball hervor: "Dann komm, fliegen wir zu mir nach Teak!"
Die Lady rümpfte die Nase: "Fliegen?"
Julius nickte mit einem Lächeln und streckte ihr eine Hand entgegen.
"Ich habe Höhenangst...", gestand sie.
"Hey", er griff sie am Arm und zog Cecilia zu seinem Pokémon: "Ich lass dich nicht runter fallen."
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