5. Geschwisterliebe

Mit tränenden Augen und einem Kloß im Hals stürmte Cecilia aus dem Wachhaus in Teak. Der Nebel stieg in die Höhe und die Schwaden legten sich um die Häuser der Stadt. So düster wie es in dieser Stadt plötzlich wirkte, so fühlte sie sich auch.
Sie hatte keine Ahnung, wer sie war und wohin sie sollte. Ohne weiteren Plan und ohne irgendjemanden zu kennen rannte die junge Frau einfach los. Wäre sie doch nur bei Barbara in Anemonia geblieben. Vielleicht sollte sie dorthin zurückkehren? Bei den Anemossen fühlte sich Cecilia zu Hause.
Auch wenn Julius nichts für die Tat seines Vaters konnte, so musste Cecilia diese Neuigkeit doch erstmal verarbeiten und sich ihrer Gefühle bewusst werden.

Doch wenigstens wusste die junge Lady, wo sie nach der Gischtglocke zu suchen hatte. Das war die greifbarste Möglichkeit, wieder zu ihrem Gedächtnis zu gelangen. Ob Lugia sie erhören würde? Würde der silberne Vogel in diese Stadt, die für ihn mit negativen Erlebnissen verbunden war, zurückkehren?
Würde Lugia das wirklich für seine Auserwählte auf sich nehmen? Schließlich erklang die Gischtglocke nur in den seltensten Fällen und nur dann tauchte der Silberdrache auf. Dennoch war das der Strohhalm, an den sie sich klammerte.
So lief die junge Lady quer durch die Stadt, immer auf der Suche nach dem Tanztheater. Teak war wie ausgestorben. Wo waren nur alle Einwohner?

Das Theatergebäude war ausgeschildert, sodass sie einfach den Wegweisern folgte und schnell dorthin fand. So wie Cecilia die Tür des Wachhauses zugeschlagen hatte, so öffnete sie mit einem Knall die Tür des Tanztheaters.
Mit geballter Faust trat die Lady in das Theater ein: "Ich bin Lugias Auserwählte. Und ich bin hier,  um die Gischtglocke zu holen!"
Die Kimonotänzerinnen verharrten in ihrer letzten Tanzposition und warfen fragende Blicke auf ihre Besucherin.
Eine der Damen meinte: "Greta, weißt du, was es damit auf sich hat?"
Für Cecilia sahen alle von ihnen gleich aus; grüner Kimono, weiße Schminke, rote Lippen, hochgesteckte schwarze Haare und Fächer.
Diejenige, die als Greta angesprochen wurde, ergriff das Wort: "Ihr wollt also die Auserwählte sein? Wie kommt Ihr darauf?"
Cecilias Auge zuckte: "Wenn Ihr mir sie nicht geben wollt, dann hol ich sie mir. Ich will endlich mein Gedächtnis zurück!"

"Wie war das?", fragte die Kimonotänzerin.
Sie steckte ihren Kopf mit den ihrer Kolleginnen zusammen und die fünf Damen beratschlagten sich.
Erst dann schnellte Gretas Kopf wieder in die Höhe: "Also schön. Wir nehmen Eure Herausforderung an. Ihr müsst jeden von uns schlagen, der Reihe nach, keine Pause."
Cecilia griff zu ihrem Pokéball: "Na schön, wie Ihr wollt. Dann geht's wenigstens schneller!"

Blitza war zuerst an der Reihe. Das gelbe Pokémon in Form eines Fuchses mit weißem Kragen hatte aufgrund seiner Schnelligkeit den Erstschlag. Die auf Rizeros einprasselnden Donnerblitze ließen schöne bunte Funken in alle Richtungen fliegen, was auf dem Holzboden vereinzelte Rußflecken hinterließ.
Cecilia machte sich erst Sorgen um ihren Freund, aber nach der elektrisierenden Ladung schüttelte es sich nur kurz und war für seinen Angriff bereit.
Kritisch begutachtete die junge Lady die Holzbalken und schätzte die Stabilität des gesamten Gebäudes ab. Aber war es wirklich ihr Problem, wenn es einstürzen würde? Sie könnte ja beim Wiederaufbau helfen...
Mit geballter Faust entschloss sie sich: "Erdbeben auf Blitza!"

Erst hatte Cecilia nicht daran geglaubt, aber so etwas wie Typenvor- und nachteile gab es tatsächlich. Ob sie darüber schon vor ihrer Amnesie Bescheid wusste? Zum Glück hatte sie in einem Buch in der Bibliothek von Oliviana nachgelesen, wogegen ihr Pokémon besonders stark war. Vermutlich war es auch kein Zufall, dass die Kimonotänzerinnen mit dem leichtesten Gegner begannen und am Ende der schwerste übrig blieb.

Nach Krach und Gerumpel, ausgelöst durch den Erdbeben, herrschte allmählich wieder Stille. Das Haus war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, genau wie Blitza, das kampfunfähig am Boden lag.

Tatsächlich hatten Cecilia und Rizeros keine Zeit zum Durchatmen und noch im selben Zug, in dem Blitza zurückgeholt wurde, kam Flamara, ein oranges Pokémon mit hellgelbem Kragen und Schweif, auf das Kampffeld.
"Ein Feuerpokémon also, da weiß ich doch auch schon was", überlegte die junge Trainerin kurz und befahl: "Steinkante."
Aus dem Holzboden schoss plötzlich eine steinerne Säule und traf Flamara am Bauch.
Die Kimonotänzerin beschwerte sich: "Rizeros beschwört das Gestein quer durch unseren Keller? Na bravo!"
Gestein brachte jedes Feuer zum Erlöschen und so war es wenig verwunderlich, dass Flamara nach dem Treffer schwer keuchend auf dem Feld stand. Auf Flehen seiner Trainerin stellte es sich mit zittrigen Beinen auf und benutzte einen Flammenwurf. Doch Gestein konnte nicht entflammt werden und für Rizeros schien es lediglich eine angenehme Wärmebehandlung sein. Mit einem Megahieb setzte der Koloss nach und schleuderte den Flammenfuchs aus gegen die Wand.

"Psiana!", schrie das nächste Pokémon; ein fliederfarbenes mit großen Ohren und elegantem schlanken Körper. Es hatte den Erstzug und war für Rizeros weitaus gefährlicher als die beiden Gegner zuvor.
Die Psychokinese dieses Pokémons ließ den Koloss durch die Luft schweben, doch war die Absicht dahinter klar; Psiana schleuderte Rizeros gegen die Wand, denn bei einem Aufprall fügte das Eigengewicht des Gesteinspokémons ihm am meisten Schaden zu.
Auf seinem Bauch kam Rizeros zum Liegen und blickte mit einem strengen Blick auf das flinke Psychopokémon.
"Ein Psychopokémon", kaute Cecilia auf ihren Lippen und überlegte, welche Attacke ihr Kumpel in petto hatte. Sie riss die Augen auf und warnte: "Vorsicht!"
Schon konzentrierte sich Psiana auf seine nächste Attacke. Doch geschah nichts.
"Was war das?", rümpfte die schwarzhaarige Lady die Nase: "Sei es drum; Rizeros Vielender!"
Auf allen Vieren schoss der Koloss von der Wand weg, direkt auf das fliederfarbene Pokémon zu. Mit so einer Initiative hatte keine ihrer Gegner gerechnet und eigentlich wollte Cecilia diesen flinken Joker noch eine Weile in der Hinterhand behalten. Doch erforderte dieses verfluchte Psiana schnelles Handeln.
Es war nicht mehr in der Lage, auszuweichen, sodass es mit voller Wucht getroffen wurde. Das Psychopokémon rappelte sich sofort wieder auf und die nächste Nahkampfattacke, die seiner Trainerin einfiel, führte es aus: "Biss!"
So biss es sich am Unterarm von Rizeros fest, wo es wie ein Pendel einer Uhr hin und her baumelte. Dass dies Cecilia und ihrem Koloss nur entgegenkam, wurde der Psychotrainerin erst im nächsten Zug bewusst.
"Perfekt! Megahieb und wenn du es los bist, noch einmal Vielender!"
Mit aller Gewalt schlug Rizeros das Pokémon gegen die Wand und versetzte ihm mit Vielender den Gnadenstoß.

Ein schwarzes Pokémon mit goldenen Kringeln auf seinem Körper löste seinen fliederfarbenen Freund ab. "Nachtara!", keifte es giftig.
Cecilia überlegte nicht lange und schickte ihrem Pokémon unerbittlich Befehle: "Megahieb, los!"
Nachtaras Sprung in die Höhe führte zum Verfehlen des Erstschlages. Es trat ihm mit Finte ins Genick und brachte ihn zum Fall. Rizeros fing sich ab und kniete am Boden. Das Unlichtpokémon landete direkt vor seinem Gesicht und starrte ihm in die Augen.
"Konfustrahl!", befahl die Kimonotrainerin.
Cecilia zuckte zusammen: "Verdammt! Mach die Augen zu Rizeros!"
Doch ihr Koloss war unlängst verwirrt und taumelte durch das Tanztheater, während er von Nachtara eine Finte nach der anderen einzustecken hatte. Die Attacken schienen ihm nicht so viel anzuhaben; vielmehr schadete Rizeros sich mit seinen unkoordinierten Bewegungen selbst. Seine schweren Arme wirbelten durch die Luft und es schlug um sich, immer auf der Suche nach seinem Gegner.
"Beruhige und konzentriere dich!", flehte die Auserwählte.
Nachtara setzte zum hinterhältigen Angriff auf den Rücken des Gesteinspokémon an, doch wirbelte Rizeros umher und traf ihn mit einem Hammerarm direkt ins Gesicht. Entschlossen trampelte der Koloss seinem Gegner hinterher und setzte zum erneuten Schlag an, um Nachtara endgültig zu besiegen.
"Nicht im Zorn angreifen, Rizeros! Du bist verwirrt, lass es. Es ist schon besiegt."
Rizeros hielt inne und blickte auf das geschlagene Pokémon. Es schien, als würde es seinen Kopf verneigen und sich für den Kampf bedanken.

"Es ist sehr edel von Euch, dass Ihr Euer Pokémon zurückgehalten habt", bemerkte die Trainerin des Nachtaras und nahm ihr Pokémon in den Arm.
"Warum auf einen Gegner einprügeln, der schon geschlagen ist?", meinte Cecilia schulterzuckend.

Doch die letzte Trainerin krempelte die Ärmel ihres Kimonos hoch und meinte: "Euer Edelmut ist unverkennbar. Aber denkt nicht, dass ich mich deshalb nicht umso mehr anstrenge, nur weil ich Euch gern als Auserwählte anerkennen würde. Los Aquana!"
Da war es! Das Wasserpokémon, das Cecilia gefürchtet hatte. Wenigstens waren die Sekunden während des Wechsels von Nachtara auf Aquana eine kleine Verschnaufpause für Rizeros und es konnte sich von der Verwirrung erholen.
Die Kampfkraft hatte bei Rizeros jedoch schon nachgelassen, sodass es gebeugt vor dem blauen Pokémon stand und schwer keuchte.
"Es wird schwer Rizeros, aber ich brauche wirklich deine Hilfe."
Der Koloss stampfte auf den Boden und war entschlossen, seiner Trainerin zu helfen.
"Na dann los, Erdbeben!"
Zwar war Erdbeben keine effektive Attacke gegen ein Wasserpokémon, aber ineffizient war sie auch nicht. Außerdem vereinte Erdbeben Stärke und Präzision miteinander, sodass die Attacke Cecilias Lieblingsattacke war - wenngleich sie dadurch das Tanztheater beinahe zum Einsturz brachte.
Aquana hielt sich wacker und um nicht zu heftig getroffen zu werden, sprang es in die Höhe und spritzte von dort aus eine Aquaknarre auf den Gesteinskoloss. Rizeros beendete seine Attacke unmittelbar, als es versuchte, sich abzutrocknen, sodass das Wasserpokémon gefahrlos zu Boden zurückkehren konnte.
Mit dem Dreck der Steinkanten und seinem Wasser erzeugte Aquana eine Lehmbrühe, die punktgenau auf Rizeros gerichtet war und ihn am Bauch traf. Kreischend ging es in die Knie. Das Wasser weichte die steinharte Haut von Rizeros auf und machte ihn für Attacken jeglicher Art empfindlicher.
Die kurze Pause, die sich Rizeros gönnen musste, nutzte das blaue Pokémon erneut für eine direkte Aquaknarre. Wieder ein markdurchdringender Schrei. Cecilia konnte ihren Freund nicht leiden sehen. Wenn es doch nur nicht um so viel gehen würde! Am liebsten hätte sie den Kampf längst abgebrochen, aber sie musste doch weiterkämpfen... Ob es das wert war?
Ihre Augen wurden glasig, als sie ihrem Kumpel ihre Entscheidung mitteilte: "Rizeros, lass es gut sein, komm zurück."
Sie richtete ihren Pokéball auf den Koloss, doch wich der urplötzlich aus und mit neu gewonnener Entschlossenheit ballte es die Fäuste und raste auf Aquana zu.
"Was ist denn jetzt los?", fragte die junge Trainerin mit großen Augen.
Ihrerseits war noch nicht einmal mehr ein Befehl notwendig. Rizeros führte den Megahieb auf seinen Gegner von alleine aus. Das Wasserpokémon wehrte sich mit aller Macht gegen die Schläge, und als der Koloss nur einen halben Meter von ihm weg war, spritzte es die Aquaknarre mit das Gesicht seines Gegners.
Rizeros kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und knirschte die Zähne unbegeistert zusammen. Die Kraft, die es plötzlich ausstrahlte, war unübersehbar und so schlug es mit einem Hammerarm auf Aquana ein.
In diesem Augenblick war Rizeros nicht mehr klein zu kriegen und so musste auch die letzte der Kimonotrainerinnen ihre Niederlage gegen das Gesteinspokémon und der Auserwählten eingestehen.

Die letzte der geschlagenen Tänzerinnen verschwand in den Keller.
Die anderen vier verneigten sich anerkennend vor der Lady: "Es scheint wohl so, als wärt Ihr wirklich Lugias Auserwählte. Das Band zwischen Euch und Rizeros ist unbeschreiblich stark. Ein Pokémon, dass seine Besitzerin so sehr liebt, habe ich noch nie gesehen."
Gerührt blickte die junge Lady auf ihr Pokémon. Obwohl sie keine Erinnerung an früher hatte, spürte sie eine tiefe Verbundenheit zu Rizeros. Sie fütterte es erstmal mit Beeren, damit es wieder zu Kräften kam.

Die fünfte im Bunde kam keuchend aus dem Keller. Sie trug etwas Schweres vor sich her.
"Danke für die Nichthilfe, liebe Schwestern", meckerte sie und ging schnurstracks zu Cecilia: "Bittesehr, jetzt ist sie Euer Problem; die Gischtglocke. Aber Ihr wolltet es ja nicht anders."
Greta, oder wer auch immer, ergriff wieder das Wort: "Ihr wisst ja sicher, wo sie hängen muss."
Skeptisch verzog Cecilia ihr Gesicht: "Ja, sicher. In den Zinnturm werde ich sie wohl kaum bringen."

Mit Rizeros Hilfe transportierte sie die schwere Eisenglocke zum Bronzeturm. Die beiden gelangten an den Glockenstuhl, wo sie mit Müh und Not die Gischtglocke befestigen konnten.
"Danke Rizeros", keuchte Cecilia aus.
Was hätte sie nur ohne ihr Pokémon getan? Niemals hätte sie es geschafft, diese Glocke all die Etagen hinaufzuschleppen.
Doch jetzt kam die Stunde der Wahrheit; die junge Lady schwang die Glocke hin und her, aber diese blieb stumm. Kein Ton entwich. Lugia würde nicht kommen. Und so würde auch ihr Gedächtnis nicht kommen.

Es fehlte Lugias Feder, der Silberflügel. Doch wo sollte Cecilia diesen auftreiben? Und wie sollte sie jetzt weiter machen? Vielleicht sollte sie wirklich einfach wieder nach Anemonia zurückkehren und dort bei Barbara in der Apotheke helfen. Zu jener Zeit empfand sie ein Gefühl von Zufriedenheit; ein Gefühl, welches sie jetzt nicht mehr hatte.
Im Moment war sie ohnehin eine Gesuchte, die aus der Sicht des Generals unbedingt gefasst werden musste. Es war für Cecilia also tatsächlich gefährlich, sich in Johto aufzuhalten. Mit jeder Minute, die sie ergebnislos verstreichen ließ, riskierte sie ihre Verhaftung.
So stakste sie die Treppen wieder hinunter und verließ den Bronzeturm.

Die Abenddämmerung hielt Einzug über dem Land und der Nebel verdichtete sich zusehends. Heute würde sie nicht mehr ihre Reise nach Anemonia antreten können. Ziellos, hoffnungslos; so streifte die junge Lady durch die Gassen der Stadt auf der Suche nach einer billigen Unterkunft.
Sie ließ ihr Rizeros als Begleiter aus dem Pokéball. Als Beschützer lief es neben der jungen Frau her. Der Nebeltau schlug sich auf dem Gesteinskoloss nieder und Wassertropfen rannen an seinem Körper hinunter. Obwohl Rizeros kein Wasser mochte, schien es hierbei Spaß zu haben.
Immer weiter entfernten sich die beiden vom Stadtzentrum und folgten einem Weg in das südliche Teak, das von Bäumen überwuchert war. Cecilia erinnerte sich natürlich nicht daran, schon einmal hier gewesen zu sein, aber die Umgebung weckte ein vertrautes Gefühl.
Sie begann ein Gespräch mit ihrem Pokémon: "Ich bin froh, dass du hier bist."
Ihr Rizeros war gerührt und Cecilia hoffte, dass es nicht direkt in Tränen ausbrechen würde.
"Bist du immer so emotional?", fragte sie, denn sie konnte sich an den Charakter ihres Pokemons natürlich auch nicht erinnern.

Auf einer Lichtung fand sie ein abgelegenes Haus mit einer angeschlossenen Werkstatt. Hier erlebte Cecilia ein Dejavu. Jetzt hatte sie wirklich das Gefühl, diesen Ort zu kennen. Wie gebannt ging sie zum Haus, ihren Blick ließ sie nicht davon ab. Allem Anschein nach stand es leer.
Die Lady wandte sich zu ihrem Pokémon: "Na, was denkst du; sollten wir hier mal reinschauen?"
"Ros", antwortete Rizeros und nickte.
"Na, wenn du dafür bist...", begann sie und rieb sich den Hinterkopf: "Außerdem macht es wohl mehr Sinn, hier zu übernachten, als in eine Pension zu gehen, die ich mir nicht leisten kann."

Ein lautes Knarzen dröhnte, als Cecilia die Tür mit Gewalt öffnete. Als wäre sie hier zu Hause griff sie zu einer Petroleumlampe, die auf einer Kommode im Eingangsbereich stand und drehte diese auf. Das schummrige Licht erhellte die Räume genug.
Die Lady ging geradewegs durch in die Küche, wo sie hoffte, etwas Essbares zu finden. Ihr Rizeros folgte ihr mit vorsichtigen Schritten, denn unter seinem Gewicht ächzten die Dielen auf.
"Scheu dich nicht, Rizeros. So schnell brechen die nicht zusammen", sagte die Trainerin mit einem Lächeln.
Da das Haus schon seit einer halben Ewigkeit leer stand, fand Cecilia kein Futter.
Verzweifelt gähnte sie auf und kommentierte: "Dann gibt's wohl erst morgen wieder was zum Essen." Sie wandte sich zu ihrem Pokémon: "Willst du in den Pokéball? Dann hast du nicht wieder so schnell Hunger."
Rizeros stimmte zu und dematerialisierte sich.

Cecilia ging in das erste Stockwerk, wo sie Betten vorfand: "Wenigstens muss ich nicht in der Wildnis schlafen."
Auch, wenn es ihr widerstrebte, sich in ein fremdes Bett zu legen, in welches sie sich eigentlich nicht legen durfte, genoss sie die weiche Matratze und die flauschige Voltilammwolldecke.
Trotz merkwürdiger Träume in jener Nacht erwachte Cecilia völlig erholt. Sonnenstrahlen drangen ins Schlafzimmer ein und es war bereits helllichter Tag.
Verwirrt hielt sie sich den Kopf: "Wie lange hab ich denn geschlafen?"
Eigentlich wollte sie so früh wie möglich nach Anemonia aufbrechen, am besten noch vor Sonnenaufgang: "Aber was soll´s. Dann ist es draußen vielleicht nicht mehr so kalt."
Die junge Lady taumelte die Treppen hinunter in den Eingangsbereich. Sie griff nach ihrem Umhang und legte sich ihre Stiefel an. Erst als sie sich zur Tür wandte, bemerkte sie die Besonderheit; ein zweites Paar Stiefel war neben den ihren gestanden und ein weiterer Umhang hing an der Garderobe.

Mit großen Augen blickte Cecilia auf diese beiden neuen Gegenstände, die gestern noch nicht hier waren. Schweigend blickte sie sich um; es war totenstill!
Der Eindringling hielt sich also bewusst hier versteckt. Das Blut rauschte in ihren Ohren und die junge Frau wusste, dass sie so schnell wie möglich von hier weg musste!
Sie kehrte um und griff nach der Türklinke, als sie plötzlich von jemandem zu Boden gestoßen wurde. Derjenige stand mit seinem gesamten Gewicht auf Cecilias Rücken und sie konnte sich keinen Millimeter mehr bewegen.
"Was zum Giratina! Was wollt Ihr?", schrie sie in Panik aus.

"Arkani, lass das! Geh runter von ihr", befahl eine tiefe angenehme Stimme.
Das Gewicht wurde leichter und endlich konnte sich die junge Lady umdrehen. Sie blickte direkt in die treuherzigen grauen Augen eines Arkanis, welches mit seiner Schlabberzunge quer durch ihr Gesicht leckte und freudig mit dem Schweif wedelte.
"Wah, pfui Giratina, hör auf!", bettelte sie.
Arkanis Besitzer gab einen Pfiff von sich, sodass es von ihr abließ und zu seinem Trainer lief. Mit ihren Händen stützte sich Cecilia am Boden ab und blickte auf den jungen Mann, der in der Küchentür stand. Er trug die Uniform der johtolesischen Armee. General Hermann hatte wohl nach ihr suchen lassen.

"Verflucht! Ihr verdammten Soldaten. Der General kriegt mich nie", drohte sie und entstandte Rizeros in den Kampf.
Der schwarzhaarige Kerl auf der anderen Seite des Flures atmete scharf ein: "Verdammt Cecilia. Ich bin doch nicht hier, um dich zu fangen. Ich bin dein Bruder!"
Sie deutete auf seine Kleidung: "Ach, und was soll dann die Uniform?"
"Erstens; ich hab nichts anderes und zweitens; die steht mir am besten", erwiderte der Kerl mit einem Schulterzucken.
Skeptisch verzog die junge Lady das Gesicht: "Julius hat mir gesagt, ich hätte einen Bruder gehabt, der bei einem Angriff auf Ebenholz ums Leben gekommen ist."
"Ja", bestätigte der Soldat und winkte dann wieder ab: "Also nein; ich bin nicht gestorben. Ich weiß auch, dass du kein Gedächtnis mehr hast und Lugias Hilfe dazu brauchst. Ich wollte dich finden, um dir zu helfen."
Cecilia zog eine Augenbraue in die Höhe: "Und weswegen sollte ich dir glauben?"
"Ich weiß nicht. Alles, was ich dir erzählen würde, würdest du ohnehin nicht wissen", bedauerte der junge Mann und starrte auf seine Füße.
Dann knarzte der Boden. Er blickte auf - Rizeros kam auf ihn zu.
"Wenn du mir nicht glauben kannst, dann glaube deinem Pokémon", schlug der Kerl vor, während er von dem Gesteinspokémon in eine Umarmung gezwängt wurde.

"Rizeros?", fragte Cecilia leise wie erstaunt und starrte ungläubig auf ihr Partnerpokémon: "Dann ist es also wahr? Wir kennen ihn? Und er ist mein Bruder?"
Freudig nickte Rizeros und zerquetschte dabei immer noch beinahe den jungen Kerl.
"Tristan heiß ich übrigens, falls du das auch vergessen hast", keuchte er aus: "Und ich bin so froh, dass dich Rizeros lebend aus dem Schlamassel rausgeholt hat!"
Cecilia ging auf ihren Bruder zu und quetschte ihn zusammen mit Rizeros: "Ich erkenne dich zwar nicht, aber ich bin auch froh, dass du noch lebst."

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