43. Der Kampf der Legenden
"Ho-Oh, Läuterfeuer!"
Der Phönix stieß eine farbenfrohe Flamme aus, aber Lugia war zu schnell und wich nach oben aus. Es flog eine Kurve und steuerte direkt auf Ho-Oh zu. Aus seinem Maul schoss es eine Hydropumpe auf den roten Vogel. Das Wasser gefror in derselben Sekunde, in der es Lugias Maul verlassen hatte.
Ho-Oh erhob sich wenige Meter in die Höhe und wich dem Direktangriff aus. Ein heftiger Wind bließ Tristan um das Gesicht, als der schwarze Drache wenige Meter unter ihm vorbei schoss. Er hatte immer noch Herzrasen. Ob er hier lebend rauskommen würde? Hier; beim Endkampf der Legenden? Der Kampf zwischen Himmel und Meer.
Ho-Oh setzte Sondersensor ein und so gelang es, dass Lugia wenigstens für den Bruchteil einer Sekunde zurückschreckte. Das verschaffte den beiden Zeit zum Durchatmen.
"Jetzt Ho-Oh", riet Tristan.
Der Phönix verstand und bereitete sein Läuterfeuer vor. Doch die Macht des schwarzen Drachens war zu groß und er überwand den Sondersensor. Sofort ging Lugia wieder zum Angriff über und pumpte sich mit Luftstoß auf.
Nur in letzter Sekunde konnte Ho-Oh ausweichen und erwiderte mit Feuersturm, streifte Lugia aber nur leicht. Es stieg über den roten Phönix in den Himmel und schoss von dort aus eine Hydropumpe ab. Die gefrorenen Eisklumpen trafen Ho-Oh an mehreren Stellen. Vor allem aber wurden seine Flügel verletzt, sodass es auf dem Gipfel notlanden musste.
Tristan stieg ab und versank beinahe komplett im Schnee.
Er wandte sich zu Ho-Ohs Flügel und fragte: "Wo genau tut es denn weh? Ich hab Pokémonmedizin dabei."
Bevor er jedoch Hand anlegen und seinen Patron versorgen konnte, wurde er unterbrochen. Der Meereswächter schwebte wenige Meter vor ihm in der Luft.
Ethans Gelächter hallte am Berg: "Das ging ja einfach! Und jetzt, Lugia, bring den Kerl um!"
Der Drache pumpte sich auf und schoss einen Luftstoß direkt auf Tristan ab. Er sah das Unheil auf sich zukommen. Der junge Mann wollte zur Seite wegspringen, steckte aber zu tief im Schnee fest.
Keinen Zentimeter konnte er ausweichen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die anrollende Gewalt auf sich zukommen zu lassen und zu sterben. Er schloss seine Augen im Bewusstsein, dass es gleich enden würde.
Aber es geschah nichts. Kein Schmerz, keine Veränderung. Der junge Mann war immer noch am Leben. Als Tristan seine Augen wieder öffnete, sah er Ho-Oh mit ausgebreiteten Flügeln vor sich stehen.
Der Phönix nahm den Angriff auf sich und rettete seinem Auserwählten das Leben.
Diesen Moment hatte der schwarzhaarige Kerl schon einmal erlebt. Gestern war es Elena. Heute war es Ho-Oh.
Er war gerührt von der Selbstaufopferung des Himmelswächters. Bei all den Schmerzen, die der rote Vogel erleiden musste, fühlte Tristan selbst den brennenden Schmerz seiner Narbe am Hals. Jene Narbe, die ihn schon einmal tot sein ließ; es war jener Tod, den Ho-Oh überwunden und seinen Auserwählten zurück ins Leben geholt hatte.
Endlich versiegte Lugias Energie und Stille kehrte ein. Rauch stieg von Ho-Ohs Gefieder empor und sein linker Flügel hing unnatürlich zu Boden.
Tristans Zunge klebte ihm am Gaumen und er brachte kaum ein Wort heraus: "Ho-Oh... Wie kann ich dir helfen? Ich bin dir so dankbar. Aber du hast Schmerzen. Lass mich dir helfen."
Er blickte in die Augen des verletzten Phönix und legte eine Hand auf dessen Gesicht. Dann aber leuchtete Ho-Oh und war wenige Sekunden später wieder geheilt. Der Vogel beherrschte Genesung; eine Fähigkeit, von der Tristan nicht wusste, dass Ho-Oh sie hatte.
Der junge Mann traute sich kaum zu fragen: "Kannst du kämpfen? Wir müssen Lugia immer noch erlösen."
Seine Antwort erhielt er, als sich der Phönix in die Luft erhob und Lugia unermüdlich attackierte. Durch die Einkehr der Nacht war es schwer, Lugia zu treffen, denn in der Dunkelheit tarnte sich der schwarze Drache nahezu perfekt. Einzig die aufprallenden Luftoß- und Hydropumpenangriffe verrieten Lugias Position.
Der Auserwählte schrie: "Lass dich nicht beirren. Nutze deinen Sondersensor, um Lugia zu lokalisieren. Du musst es nur einmal mit Läuterfeuer treffen!"
Auf seine ermutigenden Worte hin schloss Ho-Oh seine Augen und erfühlte, wo sich der schwarze Drache befand. Der Phönix riss seine Augen auf und speite sein Läuterfeuer aus, direkt auf Lugia. Bunte Flammen, die Lugia umhüllten, erhellten die Finsternis. Voller Schmerzen schrie der schwarze Drache aus.
Tristans Gesicht wurde durch das Feuer erwärmt. Geblendet von den Flammen kniff er die Augen zusammen, konnte seinen Blick aber nicht abwenden.
"Es tut mir leid, Lugia", flüsterte der junge Mann und meinte: "Aber es gibt keinen anderen Weg."
Der Meereswächter konnte sich nicht mehr in der Luft halten. Das tänzelnde Feuer um es herum erlosch und die Dunkelheit kehrte zurück. Lugia stürzte ab. Während des Falls wandelte sich seine schwarze Farbe in eine silberne Farbe; das Zeichen dafür, dass Lugia erlöst worden war.
Vor Erschöpfung blieb es im Schnee liegen und bewegte sich nicht mehr.
Ethan kroch vom Silberdrachen und schrie: "Steh auf! Los! Kämpfe! Hier geht's um mehr als um deinen Zwist mit Ho-Oh!"
Tristan schlug sich eine Hand auf die Stirn und sagte: "Du verblödeter Vollidiot! Hast du immer noch nicht kapiert, dass die beiden gar keinen Zwist haben?" Der junge Leutnant stapfte hüfthoch durch den Schnee und bahnte sich seinen Weg zu seinem ehemaligen Offizier.
"Natürlich haben sie einen Zwist. Oder warum sonst kämpft Ho-Oh gegen mein Lugia?", fragte der Spion.
Der junge Mann zischte: "Es ist nicht dein Lugia! Und Ho-Oh hat nur gekämpft, weil es deine Macht über Lugia brechen wollte." Er ging immer näher auf Ethan zu.
"Was hast du vor, du Witzfigur?"
Tristan erhob den Zeigefinger: "Nur noch eine Sache."
Ob der näherrückenden Gefahr durch den jungen Leutnant fühlte Ethan sich unwohl und in die Enge getrieben. Er überkreuzte seine Arme schützend vor seinem Körper und ging rückwärts, blieb dabei beinahe im Schnee stecken.
"Was soll das werden?"
Der schwarzhaarige Kerl hatte weniger Mühe, durch den Schnee zu gelangen; hatte sein ehemaliger Vorgesetzter schon eine saubere Spur in den Schneemassen hinterlassen.
Mit einem letzten Satz sprang Tristan auf den Feind und verprügelte ihn, bis er zu Boden ging. Der junge Mann drohte: "Lugias Spezialball, gib ihn her!"
"Soll das ein Witz sein?", fauchte der Kantonese.
Sein Gegner zog eine Augenbraue in die Höhe: "Dir ist hoffentlich bewusst, dass Lugia gerade erlöst wurde?"
Ethan prustete selbstsicher aus: "Und doch ist es durch den Spezialball an mich gebunden. Und der kann niemals zerstört werden."
Der junge Leutnant erklärte: "Die Schmiede meines Vaters wurde seit jeher mit Ho-Ohs Flamme betrieben. Isaak ließ die Flamme nie ausgehen, sodass jedes Stück, welches in der Fabrik gefertigt wurde, durch Ho-Ohs Feuer entstand; einschließlich des Spezialballs. Nichts könnte den Ball zerstören, außer Ho-Ohs frische Flamme selbst."
Der Gesichtsausdruck des kantonesischen Generals entgleißte: "Was? Na dann kriegst du den Ball sowieso nicht."
"Deine Entscheidung", sprach Tristan unterkühlt, erhob sich und wich zurück: "Dann soll Ho-Oh dich mitsamt des Spezialballs verbrennen."
Schwach erhob Ethan seinen Kopf und blickte in den Himmel auf den roten Phönix: "Was? Ho-Oh macht das doch sowieso nicht! Es tötet niemanden."
"Ohne Grund nicht, nein", bestätigte der ehemalige Untergebene: "Aber du hältst seinen Wächterpartner als Geisel, also was soll es tun?"
"Okay, Stopp!", flehte der Kantonese und erhob abwehrend seine Hände: "Du kriegst den Spezialball ja schon." Er griff in seine Hosentasche und kramte einen Pokéball hervor. Ein leises "Tss" entwich seinen Lippen.
Tristan kniff auf diesen Laut hin seine Augen zusammen und verstand schnell.
Der Feind rief: "Los Sarzenia, Blättertanz auf ihn; zerfleisch ihm sein dämliches Gesicht."
Sofort ging der junge Kerl in den Schneekuhlen in Deckung und er robbte vorm Feind davon. Aber auch Sarzenia war unerbittlich und folgte ihm auf zertretenem Schnee.
"Ho-Oh!", rief der Auserwählte: "Hilf mir bitte."
Das Pflanzenpokémon schoss mehr und mehr Blätter auf ihn, bis er schließlich an der Wade getroffen und aufgeschnitten wurde. Mit pochendem Schmerz konnte sich Tristan hinter einen Felsen retten, gegen den er sich mit dem Rücken lehnte und tief schnaufte.
Warum griff Ho-Oh nicht ein? Vorsichtig warf er einen Blick über das Gestein. Am Himmel kämpfte nun das silberne Lugia gegen Ho-Oh; Ethan gab vom Boden aus Befehle. Mit der Macht des Spezialballs war Lugia immer noch diesem Halunken unterworfen. Aber was sollte Tristan nun tun? Ho-Oh war mit dem Silberdrachen beschäftigt.
Doch Sarzenia kam ihm näher. Bei seinem Blick über den Felsen hätte es beinahe Tristans Schädel zerschnitten. Nur knapp konnte er noch in Deckung gehen und wieder hinter dem Gestein abtauchen. Was jetzt?
Ohne sein Arkani war er völlig aufgeschmissen. Der junge Mann kroch weiter. Aber Sarzenia folgte ihm, egal wie weit. An der Klippe des Gipfels stoppte er. In schwindelerregender Höhe blickte Tristan eine senkrechte Felswand nach unten.
Wie weit es wohl in die Tiefe ging? In der Finsternis konnte er keine Höhe einschätzen. Beim Hinauffliegen waren es gewiss 100 Meter, die den Gipfel vom Rest des Berges trennten. Ob ein Mensch einen Absturz überleben könnte? Mitnichten. Selbst bei einer Landung im Tiefschnee gab es keine Überlebenschance.
Nach unten ging es für den schwarzhaarigen Kerl also nicht weiter. Er drehte sich auf den Rücken und blickte auf seine Blutspur, die er hinterlassen hatte. Sarzenia sprang Meter um Meter näher auf den jungen Leutnant zu. Noch weiter zurück konnte er nicht, denn da wartete nur die Tiefe und der Tod.
Tristan konnte nur noch seitlich ausweichen, wenn denn der Angriff erfolgen würde. Ganz genau beobachtete der junge Mann die Bewegungen der Ranken, als sie zum Blättertanz ausholten. Doch bevor Sarzenia seine Attacke vollenden konnte, erhellte hinter seinem Rücken ein helles Feuer die Nacht. Das waren nicht Ho-Ohs bunte Flammen.
Der Trainer erkannte das Feuer aber ganz genau: "Arkani?"
Das Pflanzenpokémon fiel vornüber zu Boden. Hinter dem Feind kam mit hellleuchtender Mähne Tristans hechelnder Feuerhund zum Vorschein, der sogleich zu seinem Trainer rannte.
Gefühlte 1000 Geowaz fielen dem jungen Mann vom Herzen und er seufzte erleichtert aus: "Kini! Dir geht's gut! Ho-Oh sei Dank! Wie hast du mich denn gefunden? Wie kommst du überhaupt hierher?"
"Hast du wirklich gedacht, dass ich dich allein lass?"
Ihre Stimme. Sein Herz machte einen Sprung. Überrascht warf Tristan einen Blick hinter Arkani.
Elena war mit Dragoran im Schnee gelandet und stapfte geradewegs auf ihn zu. Ein breites, bescheuertes Grinsen überkam ihn.
Doch auch Sorgen stiegen in ihm hoch: "Wieso bist du hier? Du bist verletzt."
Das Mädchen verdrehte die Augen: "Wieso ich hier bin? Damit du nicht stirbst, Depp!"
Der junge Mann kaute auf seiner Unterlippe: "Aber deine Lunge..."
"Ich hab ja zwei davon", winkte sie ab: "Außerdem hab ich mir Sorgen gemacht. Wie man sieht berechtigterweise."
Er erhob sich und ging Elena entgegen. Endlich in ihrer Nähe umarmte er sein Mädchen: "Woher wusstest du überhaupt, dass ich hier bin?"
Sie blickte auf Tristan: "Hab dich vorhin übers Schlachtfeld fliegen sehen. Wir sind weiter nach Indigo, aber ich wollt dir helfen. Haben deine Schwester und alle ausm Kerker geholt. Sie kämpfen jetzt dort. Und hier?"
Mit ihr im Arm beobachtete er die beiden Vögel beim Kampf: "Lugia ist erlöst und wieder silbern, aber durch den Spezialball gehorcht es Ethan immer noch. Bevor ich an den Ball gekommen bin, hat Ethan Sarzenia auf mich gehetzt."
"Gut", sprach Elena knapp: "Wir haben Kini und Drago und Ethan hat gar kein Pokémon mehr..." Sie deutete hinter Tristan, wo Dragoran Sarzenia gerade über die Klippe warf. Mit winzigen ungläubigen Augen beobachtete sie ihr Pokémon und gestand leise: "Ich wusste gar nicht, dass Drago so mordlustig ist."
Der junge Mann fand eine Rechtfertigung für den Drachen: "Es ist immer noch ein Kriegspokémon und du bist seine Trainerin; es liebt dich von Herzen."
"Verstehe", nickte die Jugendliche mit einem verlegenen Lächeln und gab einen Pfiff von sich, der Dragoran aufschrecken ließ: "Komm Drago, wir brauchen deine Hilfe."
Tristan stellte sich alleine vor dem Kantonesen auf, der im Wahn einzig in den Himmel starrte.
Um seine Aufmerksamkeit zu erlangen schrie der junge Leutnant: "Ethan!"
Der Kantonese warf einen Blick auf seinen einstigen Untergebenen und sprach unterkühlt: "Was willst du? Lugia killt jetzt Ho-Oh, dann beseitige ich Johto komplett!"
"Das wirst du nicht tun", widersprach der junge Mann: "Oder ist dir noch gar nicht aufgefallen, dass dein Sarzenia gar nicht mehr existiert?"
Ethans Gesicht entgleißte: "Was? Wo? Was ist geschehen?"
Der Leutnant nutzte die Gunst der Stunde und warf seinen Pokéball: "Los Arkani, auf Ethan! Wirf ihn zu Boden und klau ihm den Spezialball."
"Was?", fragte der falsche Offizier: "Wo kommt diese Töle plötzlich her? Mist!"
Ein riesiger Hund flog auf ihn zu. Der Kantonese wandte sich um, um zu fliehen. Doch war Arkani schneller; der Feuerhund erwischte ihn an den Beinen und stieß ihn zu Boden. Arkani stellte eine Pfote auf den Hals des falschen Offiziers, damit er sich nicht mehr bewegen konnte.
Das Pokémon schnüffelte an Ethans Taschen entlang und fand schließlich den Spezialball. Mit seinen Zähnen durchbohrte es den Stoff der Hose und riss den Ball heraus. Sofort wandte sich Arkani um und rannte zu seinem Trainer.
Dankbar nahm der junge Mann den Ball an: "Danke Kini, du bist super." Er wandte sich in den Himmel und rief zum Phönix: "Hey Ho-Oh, kannst du diesen Ball mit deinem Läuterfeuer zerstören?"
Der Phönix war jedoch immer noch schwer beschäftigt im Kampf gegen Lugia. Mit dieser kurzen Ablenkung wurde der rote Vogel schwer getroffen, kämpfte aber tapfer weiter.
Ein hämisches Grinsen machte sich im Gesicht des Generals breit: "An deiner Stelle würde ich das sein lassen. Oder deine Freundin stirbt."
"Stani", keuchte Elena, in den Ranken des Sarzenia gefangen. Schweißperlen waren auf ihre Stirn getreten und die Anstrengung stand ihr ins Gesicht geschrieben: "Tut mir leid. Zerstör den Ball!"
Sarzenia hatte sich mit seinen Ranken am Abgrund festgehalten und sich auf das Plateau zurückmanövriert. Elena hielt sich versteckt, wurde dann aber von den Ranken überrascht und als Geisel genommen. Durch die zusätzlichen Stachelsporen konnte sie sich auch kaum noch bewegen.
Ethan nahm seinem Pokémon die Jugendliche ab und umklammerte sie. Er zückte seinen Dolch, hielt ihn ihr an den Hals und drohte: "Her mit dem Ball! Und keine falsche Bewegung! Weder du noch dein blöder Köter!"
"Nicht Stani! Du kannst so viele Leben retten. Du musst die Macht brechen. Jetzt hast du die Chance... Die wahrscheinlich letzte", erinnerte ihn sein Mädchen.
Sie hatte Recht. Tristan konnte hier und jetzt alles beenden. Würde Lugia weiterhin unter Ethans Kontrolle bleiben, würde er damit unzählige jotholesischen Leute ermorden. Aber sein Mädchen würde sterben.
Der Kantonese gab seiner Geisel einen Stoß in den Rücken und schrie: "Halt endlich die Schnauze oder soll ich dich gleich abstechen?" Dann blickte er auf seinen ehemaligen Unergebenen: "Also Avila, was wirst du tun? Wählst du Johto oder dein Miststück?"
Der junge Mann starrte zu Boden und murmelte: "Es tut mir leid, Elena." Er streckte dem General seine Hand entgegen, in der der Spezialball lag und sprach mit fester Stimme: "Nimm ihn! Aber lass sie gehen."
Ethan nickte: "Bring ihn rüber. Und keine Tricks!"
Schritt für Schritt ging Tristan auf den Geiselnehmer zu. Ein strafender Blick seines Mädchens traf ihn, als wollte sie sagen: "Du bist doch nicht ganz dicht."
Mit einem Arm hielt der Kantonese Elena fest, den anderen Arm streckte er weit aus, um den Spezialball in Empfang zu nehmen.
Vorsichtig legte Tristan den Ball in Ethans Hand ab und blickte ihm dann ins Gesicht: "Du hast was du willst. Jetzt lass sie los."
"Hm", entgegnete der Geiselnehmer: "Ich mach sowieso ganz Johto dem Erdboden gleich. Da ist es doch egal, ob sie jetzt stirbt oder später."
"Was?", hakte der schwarzhaarige Kerl mit großen Augen nach, wohlwissend, was sein Feind meinte. Er wollte Elena töten und zwar in diesem Augenblick.
Ethan ging ein paar Schritte rückwärts und zog die Jugendliche hinterher: "Du hast echt gedacht, ich lass sie gehen? Du bist so naiv. Das wird dir je-" Er konnte seinen Satz nicht mehr vollenden.
Im Hintergrund erhellte ein Lichtstrahl die Nacht und traf den Kantonesen direkt in den Rücken. Der schrie vor Schmerz auf und ließ seinen Dolch in den Schnee fallen. Mehrere Sekunden wurde er maltretiert, bis der Lichtstrahl an der Vorderseite seines Bauches wieder austrat und schlussendlich versiegte.
Der kantonesische General fiel auf seine Knie. Direkt hinter ihm stand das keuchende Dragoran, das immer noch ein wutverzerrtes Gesicht machte. Der Stoff seines Umhangs überdeckte Ethans Loch im Körper, doch der Schnee um ihn herum tränkte sich mit Blut.
Beim Anblick des blutverschmierten Sterbenden kreischte Elena auf. Es war zu ekelhaft und sie hielt sich eine Hand vor den Mund. Ihre Beine versagten wegen der Paralyse des Sarzenia und so sackte auch die Jugendliche zu Boden.
Hinter ihr schoss das Pflanzenpokémon den nächsten Blättertanz auf das Mädchen ab. In seinem Wutanfall verbrannte Dragoran die Blätter und ging geradewegs auf Sarzenia los. Es hatte die Nase gestrichen voll! Was diese Kantonesen ihm wieder wieder antaten; erst der Mord an Marco, seinem ersten Trainer, und jetzt auch noch ein versuchter Mord an Elena, seiner wahrhaft geliebten Trainerin. Dieses Sarzenia würde ihr keinen Schaden zufügen, dafür sorgte der Drache selbst.
Elena schaffte es nicht, ihrem Drachenpokémon bei seiner Tat zuzusehen. Anhand der Geräusche konnte sie nur erahnen, was gerade mit Sarzenia geschah. Aufhalten wollte sie Drago aber nicht.
Niedere Instinkte, diese Rachegelüste; aber Elena empfand nicht nur diese. Auch die zukünftige Sicherheit von Dragoran und Tristan war gewährleistet, wenn weder der General noch sein Pokémon weiter existierten.
Hilflos saß sie ihm Schnee und starrte auf Ethan. Mit müden Schritten kam der schwarzhaarige Kerl auf sein Mädchen zu: "Geht's dir gut?"
Mit glasigen Augen nickte sie. Er wandte sich von ihr ab: "Ich bin gleich für dich da."
Er kniete sich zu dem Schwerverletzten, der vor Schmerz schwer atmete. Seufzend nahm Tristan ihm den Spezialball ab, drehte ihn auf den Rücken und blickte seinem ehemaligen Vorgesetzten ins Gesicht.
"Bitte. Diese Schmerzen. Bring mich um", flehte Ethan.
Schweigend erhob sich Tristan und schloss die Augen. Er überlegte einen Moment: "Marco musste dieselben Schmerzen ertragen. Er ist wegen eines Loches im Bauch gestorben, genau wie du es bald tun wirst."
"So erlöse mich doch..."
Der junge Mann schüttelte den Kopf: "Das werde ich nicht tun."
Leichtes Entsetzen war in der Stimme des Generals zu hören: "Was ist nur aus deinem Mitleid geworden?"
"Ich bin Leutnant. Kein Heiliger."
Er blickte in den Himmel, warf den Spezialball und schrie: "Ho-Oh! Jetzt, Läuterfeuer!"
Ein buntes Flammenmeer legte sich um den Spezialball. Das Feuer erlosch und ein schwarzer Klumpen aus Metall fiel in den Schnee. Alsbald beendete Lugia seine Angriffe auf Ho-Oh, als wäre es wieder zu Sinnen gekommen.
"Lugia ist frei", vollendete der Leutnant voller Erleichterung: "Es ist vorbei."
Der Kantonese blickte voller Wehmut in den Himmel: "Dann war es das also, sagst du?"
"So ist es", bestätigte Tristan und schenkte dem Sterbenden keine weitere Beachtung mehr.
Der Silberdrache leuchtete auf und heilte sich zu einem Teil selbst. Es umkreiste Ho-Oh und war friedlich. Die beiden Wächter waren zum Aufbruch bereit.
"Ho-Oh, ich danke dir für alles!", rief der Auserwählte hektisch hinterher und winkte zum Abschied: "Passt auf euch auf!"
Die beiden Vögel verschwanden. Der schwarzhaarige Kerl atmete erleichtert aus und er lächelte zufrieden. Seine Mission war erfüllt. Lugia war erlöst und weder Kanto noch Johto genossen den Vorteil eines legendären Pokémons auf ihrer Seite.
Endlich hatte Tristan Zeit für sein Mädchen. Er ging zu ihr, kniete sich hinunter und hievte sie hoch. Ihm fehlten jegliche Worte. Die Sorgen, die Ängste, der Kampf um Lugia; es war vorbei. Und er stand hier mit Elena in seinen Armen und sie lebte. So blieb nur zu hoffen, dass auch in Indigo bei seiner Schwester alles gut gegangen war.
"Irgendwie mag ich es, wenn mich eine Paralyse erwischt hat", feixte das Mädchen mit einem verlegenen Grinsen.
Er verzog eine Augenbraue in die Höhe: "Weil ich dich dann durch die Gegend trage?"
Grinsend nickte die Jugendliche: "Weil wir uns sonst nie so nah sind."
"Ach, das lässt sich ganz leicht ändern", sprach der junge Mann und errötete dabei. Das musste geklungen haben, als wäre Tristan ein Lustmolch, dabei lag das nie in seiner Absicht. Er räusperte sich übertrieben und erklärte sich: "Also nicht so, wie es sich vielleicht angehört hat."
Sie umschlang seinen Hals und drückte einen Kuss auf seine Wange: "Keine Bange, ich hab dich schon verstanden."
Erleichterung machte sich in ihm breit: "Ich bin froh, dass du so unkompliziert bist. Bei meiner diffusen Ausdrucksweise schadet das keineswegs."
"Geschwollene Ausdrucksweise triffts eher...", kommentierte die Jugendliche schnippisch.
Lächelnd verdrehte Tristan die Augen: "Sei doch still." Er sah ihr in die Augen, dann auf die Lippen. Schon wieder hatte der junge Mann Herzklopfen, als er seinem Mädchen näher kam.
Endlich konnte er sich fallen und voll und ganz auf sie einlassen. Keine Geheimnisse, keine Ängste. Nur Elena und er. Lang und innig küssten sich die zwei, bis Tristan ihr in die Augen schielte und murmelte: "Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch", hauchte sie.
Sein Glück war vollkommen, als er sie von neuem küsste.
Jaulende und keuchende Laute ertönten in der Dunkelheit. Das Paar schreckte auf und blickte suchend um sich. Arkani und Dragoran waren zwischenzeitlich gut gelaunt und machten eine Schneeballschlacht auf ihre Weise. Drago konnte wenigstens Schneebälle formen und auf den Feuerhund werfen. Der aber konnte nur im Boden scharren und den Matsch auf den Drachen schleudern.
"Dein Drache hat doch auch zwei Persönlichkeiten, oder?", fragte Tristan.
Elena zuckte mit den Schultern: "Weil er erst Ethan und dann Sarzenia tötet, und dann doch wieder gut drauf ist?"
Der junge Mann nickte und äußerte seine Gedanken: "Ja. Er scheint kein Problem damit zu haben, gerade zwei Leben beendet zu haben. Kriegspokémon hin oder her; normalerweise brauchen die auch immer ihre Zeit, das verarbeitet zu haben."
Sie konnte nur für ihr Pokémon sprechen: "Ich denke, seit Marco will er die, die er liebt, um jeden Preis beschützen. Ich hätte dasselbe getan."
Das Mädchen kaute auf ihren Lippen: "Ehrlich gesagt schäme ich mich fast dafür, aber ich bin froh, dass Drago mir diese Bürde abgenommen hat..."
"Die beiden zu töten?", fragte der schwarzhaarige Kerl stirnrunzelnd: "Das hättest du sowieso nicht geschafft."
Elena bestätigte mit einem Nicken: "Wahrscheinlich wäre ich dafür zu schwach gewesen. Drago wusste das, noch vor mir..."
Tristan küsste sein Mädchen auf die Stirn: "Das ist keine Schwäche. Gnade walten zu lassen ist eine Stärke."
Sie schüttelte den Kopf: "Das ist mir nicht wichtig. Ich bin froh, dass er tot ist... Was sollen wir mit seiner Leiche tun?"
Der junge man dachte nach und äußerte seine Gedanken: "Lassen wir ihn liegen. Kanto soll ihn selbst abholen, falls sie ihn beerdigen wollen. Das sehe ich wirklich nicht ein, ihm diese Ehre zu erweisen."
Die Jugendliche warf einen müden Blick auf den Toten, für den sie nur Verachtung übrig hatte: "Ich auch nicht. Komm; fliegen wir nach Indigo und sehen, ob wir noch was für die anderen tun können. Drago, komm her! Wir brauchen dich."
Finale, wohoo! Ich hoffe, eure Erwartungen an den Endkampf sind erfüllt.
Es war wieder ein vergleichsweise langes Kapitel, aber das war nötig.
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