3. Wenn die Vergangenheit aufholt

Julius konnte sein Glück kaum fassen. Obwohl seine Angebetete keine Erinnerung an die Vergangenheit hatte, ließ sie sich auf einen Kuss mit ihm ein. Der ehemalige Bürgermeister war im Rausch, als ihm bewusst wurde, dass er Cecilia gerade küssen durfte.

Die beiden verweilten noch auf dem Bronzeturm, bis er sie in sein Haus einlud. Immerhin war es direkt um die Ecke. Wie ein Gentleman ließ der Kerl seine Angebetete alleine in seinem Bett schlafen, um ihr nicht auf die Pelle zu rücken.

Beim gemeinsamen Frühstück besprach das Paar ihr weiteres Vorgehen.
Der Plan stand ziemlich schnell fest: "Wir gehen zu meinem Opa und fragen ihn, wo er die Gischtglocke hingebracht hat."

Julius stieg gefolgt von Cecilia die Treppen hoch zum Wachgebäude vor dem Glockenklangpfad. Jeden Tag hielt sein Großvater dort Wache, damit kein Unrechter zu Ho-Ohs Turm vordringen konnte. Mit zittriger Hand öffnete der Kerl die Tür. Es war eine Weile her, als er seinen Opa zuletzt gesehen hatte. Ob der ihm seine Flucht übel nahm?

"Julius!", rief der alte Franz erfreut aus und erhob sich aus seinem Schaukelstuhl: "Da bist du ja wieder!"
Der ehemalige Bürgermeister kaute auf seinen Lippen: "Opa, ich muss dich was fragen."
Der Alte blickte hinter seinen Enkel, als Cecilia das Wachhaus betrat.
Erfreut, aber gleichzeitig geschockt, fragte der Weise: "Du hast sie gefunden? Wo?"

"In Anemonia. Sie hat keine Erinnerungen mehr. Wir haben rausgefunden, dass das häufig mit den Auserwählten Lugias passiert", erklärte der Kerl.
Franz verschränkte unwillkürlich die Arme: "Worauf willst du hinaus?"

Entschlossen erwiderte Julius den kritischen Blick seines Großvaters und wich nicht zurück: "Die Gischtglocke; sie ist seit deinem Angriff auf Lugia verschwunden. Du weißt, wo sie ist."

Der alte Mann senkte seinen Blick zu Boden: "Was wäre, wenn?"
"Wir brauchen sie, um Lugia zu rufen", antwortete der ehemalige Bürgermeister knapp.
Franz fasste sich an den Kopf: "Du willst Lugia rufen? Bitte nicht..."
Sofort protestierte Julius: "Was ist falsch daran?"

Der Großvater blickte mit wässrigen Augen auf seinen Enkel: "Es sind schon immer schlimme Dinge geschehen, wenn die legendären Vögel aufgetaucht sind..."
"Aber sie ist die Auserwählte Lugias persönlich!", keifte der junge Kerl.

"Das dachte vor 40 Jahren auch ein gewisser kantonesischer König namens Artto! Er wollte Lugia stehlen, als es noch regelmäßig zum Bronzeturm kam. Dieser Irre wollte damit nicht nur den Gebietskonflikt am Silberberg für sich entscheiden. Mit ihm hätte er auch die Macht über Arktos, Zapdos und Lavados gehabt. Was denkst du, wofür einer so viel Macht braucht, wenn nicht die Zerschlagung eines ganzen Landes geplant ist!"
Die fragenden Blicke hatte Franz sicher.

Julius sah mit großen Augen auf seinen Opa und wisperte voller Erstaunen: "Du hast Lugia angegriffen und vertrieben, um es vor dem kantonesischen König zu schützen?

Damit er es nicht für den Konflikt am Silberberg einsetzen konnte?"
"Die offizielle Kriegserklärung Kantos an Johto folgte unmittelbar. Die Begründung lautete, dass wir die Verehrung des von ihnen geliebten Patrons unterdrücken würden, wenn in Johto schon Angriffe auf Lugia erfolgten. Das war die beste Ausrede einen Krieg anzuzetteln, die es je in der Geschichte gab.

Die lugianischen Städte Oliviana und Anemonia wandten sich von Johto ab. Zum Glück aber sind die Olivianer und Anemossen wenig kriegsfreudig und verbündeten sich nie mit Kanto.
Meine Aktion habe ich nie richtig gestellt, denn sonst wäre ich meine Stellung als Ho-Oh-Weiser, der eigentlich nur Ho-Oh beschützen sollte, los gewesen...", erläuterte Franz kleinlaut und mit gesenktem Kopf.

"Aber was hat das mit der momentanen Situation zu tun? Wir müssen zusehen, dass Cecilia wieder ihre Erinnerungen zurückbekommt. Und laut der Legenden muss Lugia erscheinen", redete der Kerl auf seinen Opa ein.

Langsam aber sicher knickte Franz ein und er erzählte bereitwillig: "Nachdem Lugia geflohen war, sollte es nicht mehr in Teak auftauchen. Irgendwie musste ich Artto daran hindern, Lugia zu stehlen - und wenn es einfach nicht mehr hierher käme, wäre es in Sicherheit. Daher habe ich die Gischtglocke abgehängt, um ein Herbeirufen Lugias zu verhindern. Ich hab sie ins Tanztheater gebracht. Die Kimonotänzerinnen werden denjenigen testen, welcher sich ihnen als der Auserwählte Lugias vorstellt. Nur, wenn deine Freundin sie alle besiegen kann, erhält sie die Gischtglocke. Cecilia sollte sich aber in Acht nehmen. Die Tänzerinnen sind wirklich sehr stark."

"Ist gut", sprach der Enkel und verneigte sich vor seinem Opa: "Ich danke dir."
Cecilia fand ihre Stimme: "Auch ich danke Euch, Weiser Franz." Sie wandte sich um und verabschiedete sich: "Salve."

Franz holte tief Luft und fasste sich ein Herz: "Doch bevor Ihr Lugia ruft, solltet Ihr vielleicht noch eine Sache wissen!"
Die junge Lady blieb stehen und sah fragend auf den Weisen.

"Nur einmal habe ich die Gischtglocke an jemanden herausgegeben, der sich als Auserwählter Lugias herausgestellt hat. Sie hat mir den Silberflügel gezeigt und im Kampf gegen die Kimonotänzerinnen gesiegt. Das war vor 20 Jahren. Und das mündete in einer Katastrophe. Cecilia? Es gibt einen anderen Grund, warum ich nicht will, dass Ihr Lugia ruft."

Der Alte blickte zu Boden und biss sich auf die Lippen: "Mein Sohn..." Franz blickte auf Julius und erklärte: "Dein Vater... Er war besessen davon, der Auserwählte eines legendären Pokémons zu sein."

Der Enkel zuckte mit den Schultern: "Jeder hier ist von dieser Idee besessen! Jeder will Johtos Erlöser sein und den Krieg beenden. Dafür haben die letzten 40 Jahre gesorgt."

Der Ho-Oh-Weise erhob den Zeigefinger: "Nein, so wie er war keiner. Dein Vater trat vor 24 Jahren den Posten des Bürgermeisters hier in Teak an, nachdem ich der erste Weise Ho-Ohs wurde. Er war ein stolzer Mann und er wollte angesehener werden als ich es war.
Vor 20 Jahren also übergab ich der Auserwählten die Gischtglocke. Sie hatte Lugia gerufen und es war wahrhaftig erschienen; nachdem es in den 20 Jahren nach meinem Angriff nirgends mehr in Johto gesichtet wurde.
Das war wohl der Auslöser für Zecharius Tat. Er muss erzürnt gewesen sein, dass Lugia eine junge Dame erwählte und nicht ihn. Und so stattete er der Auserwählten an jenem Tag, an dem Lugia über die Stadt flog, einen Besuch ab; einen allerletzten Besuch."

Mit hängendem Kopf flossen dem Alten die Tränen übers Gesicht und er schluchzte: "Cecilia... Eure Mutter. Der Mord wurde offiziell nie aufgeklärt, um dem Ansehen der Monderos nicht zu schaden. Es tut mir unendlich leid, was Zecharius getan hat; wohlwissend, dass mein Enkel nichts dafür kann. Aber Ihr habt ein Recht auf die Wahrheit."

Cecilias Lippen bebten: "Zecharius hat meine Mutter ermordet? Wegen des Silberflügels?" Ihr Blick fiel auf Julius: "Hast Du davon gewusst?"
Er schaffte es nicht, ihr dabei in die Augen zu sehen. Seinen Kopf vergrub er in seinen Händen und schüttelte diesen.

Der Alte ergriff erneut das Wort: "Er konnte nichts davon wissen, weil die Akten darüber unter Verschluss sind, wenn sie überhaupt noch existieren. Von mir hat er nie davon erfahren." Noch einmal holte er tief Luft: "Cecilia? Eine Sache noch..."

"Was?!", schrie sie wutentbrannt aus: "Wollt Ihr mir sagen, dass Ihr meinen Bruder auf dem Gewissen habt, oder was kommt jetzt noch?" Die junge Lady schüttelte nur den Kopf: "Ich halt's hier echt nicht mehr aus. Verzeih Julius, ich muss hier raus."
Sie eilte zur Tür, welche sie knallend zuschlug und verschwand.

"Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich den Silberflügel Isabellas Eltern übergeben hab. Aber was soll's", zuckte der Weise mit den Schultern.
Julius krächzte unter Tränen: "Warum? Warum jetzt? Warum, Opa."
"Wenn du ernsthaft mit ihr zusammen sein willst, ist das Verschweigen von Tatsachen nicht die beste Grundlage", antwortete Franz.
Der Kerl haute mit der Faust auf den Boden: "Ich hab ihr nichts verschwiegen; ich hab nichts davon gewusst, wie du selbst gesagt hast! Warum kommst du jetzt damit daher? Warum gönnst du mir mein Glück nicht?"

Mit sanfter Stimme widersprach der Alte: "Oh nein. Ich gönne dir dein Glück von Herzen." Zum Trost legte er eine Hand auf die Schulter seines Enkels und reichte ihm ein Taschentuch.

Julius stellte alles Gesprochene in Frage: "Hast du nicht mal gesagt, dass Zecharius ein Ho-Oh-Verehrer war? Wie kommt es, dass er unbedingt Lugias Auserwählter sein wollte?"
Der Weise zuckte mit den Schultern: "Macht und Heldenstatus. Dazu war ihm jedes Mittel recht; zumindest glaube ich das."

Ein Ho-Oh-Verehrer, der unbedingt über Lugia verfügen wollte; es waren seltsame Zeiten. Julius konnte das nicht glauben, doch da er keine andere Antwort parat hatte, ließ er es auf sich beruhen.

Er runzelte die Stirn: "War Isabella denn damals allein zu Hause?"
Franz versuchte sich zu erinnern: "Cecilia war in der Schule, Isaak war in Dukatia. Nur der Sohn war bei ihr. Aber der war nicht mal ein Jahr alt, also konnte er seiner Mutter auch nicht helfen."

Einen tiefen Seufzer stieß Julius aus: "Na Ho-Oh sei Dank hat er wenigstens Tristan verschont."

Dann richtete sich der junge Kerl auf: "Und was soll ich jetzt machen? Cecilia..."
Der Opa winkte ab und nannte seinem Enkel andere Aufgaben: "Lass ihr Zeit. Es hat sich ohnehin viel getan in den letzten Wochen, als du nicht da warst. Kanto ist bis auf Viola vormarschiert. Aber der werte General Hermann hat nichts besseres zu tun, als auf Oliviana zu marschieren.
"Oliviana?", schrie Julius aus: "Warum Oliviana?"

"Es gibt wohl Gerüchte, wonach der olivianische Bürgermeister den Kantosesen Landzugang gewährt haben will. Der General hat Angst, dass Kanto über den Westen nach Teak marschiert und von zwei Seiten angreifen kann. Unser lieber Lars hat uns eine Bekanntmachung zum Marschbefehl mitgebracht. Sonst wüssten wir bis heute nichts davon."

Sein Enkel unterbrach: "Wir, sagst du? Ist Albert noch hier?"
Der Großvater nickte: "Seine Leute aus Azalea sind Hermann komplett verfallen. Weil Albert aber von ihm gesucht wird, gab es auch für ihn kein Zurück mehr und so lebt er immer noch hier."

"Oh Mann. Ich muss...", begann der junge Kerl: "Cecilia finden, nur wird sie nicht mit mir reden... Und Oliviana? Ich muss Bernd warnen. Jemand muss nach Oliviana."

"Bist du denn überzeugt, dass dieser Bernd Kanto keinen Landzugang gewährt?", fragte Franz und verzog beide Augenbrauen.

"Hm", überlegte Julius: "Ich hab den Kapitän kennengelernt. Er ist ein Chaot und ziemlich verplant. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Verschwörer ist. Zumal Oliviana noch nicht mal Soldaten hat oder gar eine Stadtmauer."

Der Weise nickte: "So sehe ich das auch. Bei den Olivianern kann man sich sicher sein, dass sie nichts Böses im Schilde führen. Wenn du also den Kapitän warnen willst, so geh denn."

"Aber bevor du abhaust, nimm bitte mich mit!", rief Albert aus, der von einem geöffneten Fenster in den Raum hinein schaute.

Die beiden Köpfe von Opa und Enkel drehten sich zum Azaleaner: "Seit wann stehst du denn hier?"
"Lang genug, um Franz beim Verlieren gesehen zu haben", antwortete der Alte: "Hast du es ihm also endlich gesagt, was Franz? Ganz schön erleichternd, oder?"

Der Weise blickte zur Seite weg und gab keine Antwort darauf. Stattdessen fragte er: "Hast du noch Kontakte zu unseren alten Kameraden?"
Albert nickte: "Selbstverständlich, was denkst du denn?"

"Wärst du so gut, und würdest sie zum Zinnturm bitten? Wir können das mit Oliviana nicht so stehen lassen", meinte Franz.

"Pfff", winkte der Azaleaner ab: "Die hab ich doch schon lange gerufen!" Dann wandte er sich zu Julius und sprach mit erhobenem Zeigefinger: "Und wenn du nach Oliviana aufbrichst, dann nimm mich gefälligst mit. Die Königsfamilie ist zwar außer Landes, aber ehrlich gesagt wird es mir hier auf Dauer zu langweilig. Hier, mit deinem Opa, meine ich."

Julius verstand zwar kein Wort, was die beiden Alten sprachen. Aber Oliviana musste gewarnt werden. Hätte er es eher gewusst... Er wünschte nur, er hätte Cecilia noch an seiner Seite. Aber nach der Schocknachricht war es kein Wunder, dass sie ihn mied.

"Tut mir leid, Ceci", flüsterte er zu sich selbst: "Aber ich muss dringend nach Oliviana. Heute noch!"

Für HeroJaeger, damit du was bei deiner Bahnfahrt zu tun hast :)

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