28. Isaaks Besuch
Julius und Cecilia standen vor dem Ho-Oh-Wachhaus bereit. Man mochte von Isaak halten, was man wollte, aber er hielt sein Wort. Zur Mittagsstunde traf der alte Herr am vereinbarten Treffpunkt ein. Er stieg von seinem äußerst gepflegten Gallopa und reichte Julius die Hand.
"Schön Euch zu sehen", begrüßte der den Herrn.
Seine Tochter zwängte er in eine Umarmung: "Ich bin so froh, dass es dir gut geht."
"Danke Vater, ich auch", erwiderte sie.
Seit Monaten hatte sie ihn nicht mehr gesehen; zuletzt nach Tristans vermeintlichen Tod. Unmittelbar danach fand Hermanns Putsch gegen König Raul statt.
Julius bat Isaak in sein Haus, wo die anderen Bürgermeister versammelt waren.
Der alte Herr betrat das Esszimmer und grüßte: "Salve zusammen."
Lorenz und Albert erwiderten gleichzeitig: "Salve."
Der Firmenchef hatte wahrlich keine Zeit zu verlieren und war immer auf Zack: "Weshalb sollte ich so dringend herkommen? Worum geht es?"
Seine Tochter erläuterte die Lage um Lugia, Hermann und Ebenholz; und dass sie Tristan aus den Fängen des Generals befreien müssten.
Albert beharrte auf seiner Idee: "Aber um Lugia von Hermann zu erlösen, brauchen wir Ho-Oh!"
Isaak runzelte die Stirn: "Und ich soll Ho-Oh rufen?"
Der Azaleaner verdrehte die Augen: "Nein, bei dir würde es schreiend davonfliegen. Aber wir möchten Ho-Oh rufen, nur Franz lässt uns ohne die Buntschwinge nicht auf den Turm... Deine Frau; sie..."
Isaak unterbrach ihn mit Schmerz in der Stimme und wisperte: "Meine Frau... meine Isabella..." Er schloss die Augen: "Sie hatte die Buntschwinge. Aber nach ihrem Tod war die Buntschwinge unauffindbar. Ich... 20 Jahre..."
Der feine Herr stockte und ihm rannen Tränen über das Gesicht: "Der Mörder muss die Feder gestohlen haben. All die Jahre wollte ich nur ihren Mörder finden, um die Buntschwinge zurückzubekommen."
"Wolltest du etwa ...?", fragte Lorenz mit zusammengekniffenen Augen.
Der alte Herr nickte.
Cecilia stützte sich auf ihrem Kinn ab und blickte fragend auf ihren Vater, dann auf Lorenz und wieder auf ihren Vater: "Was? Was wollte er? Kann mir jemand mal bitte erklären, was hier los ist?"
Der Azaleaner ergriff das Wort: "In den alten Legenden heißt es, Ho-Oh habe die Macht, Verstorbene wieder zum Leben zu erwecken. Aber damit man es darum bitten kann, muss es sich einem erstmal zeigen. Und dazu braucht man die Buntschwinge, wenn es nach Franz geht."
Die Augen der jungen Lady wurden immer größer: "Du wolltest Mama wiederbeleben? Die ganze Zeit? Warum hast du mir nie was davon gesagt?"
Sie war zutiefst gerührt vom Einblick in das Seelenleben ihres Vaters. 20 Jahre lang hatte er das mit sich herumgeschleppt. 20 Jahre lang wollte er seine geliebte Frau zurück.
Isaak ließ seinen Kopf hängen: "Weil ich dich nie damit belasten wollte."
"Hättest du das besser mal gemacht. Dann hätte ich dich die letzten Jahre nicht für einen gefühllosen Eisklotz gehalten", entgegnete Cecilia und fuhr voller Entschlossenheit fort: "Wir gehen jetzt zu unserem Haus und dann durchsuchen wir es noch ein letztes Mal. Vielleicht finden wir sie."
Auf dem Weg dorthin konnten Vater und Tochter unter vier Augen sprechen. Cecilia wunderte sich darüber, dass er das alte Haus noch nicht verkauft hatte.
Isaak winkte ab: "Zu viele glückliche Erinnerungen. Ich bin reich und dieses Haus ist neben euch das einzige, was mir von Isabella geblieben ist."
Unter lautem Knarren öffnete sich die Holztür. Als erstes zog Cecilia die Vorhänge auf, damit etwas Licht in die eingestaubten Räume dringen konnte.
Verdutzt merkte der alte Herr an: "Jemand war erst kürzlich hier drinnen!"
Verlegen rieb sich die junge Frau den Hinterkopf: "Ich fürchte, das waren ich und Tristan. Wir haben uns hier wieder gefunden."
Skeptisch blickte er auf seine Tochter, bemerkte dann aber ihre Halskette: "Schön, dass du sie trägst."
Sie nickte mit einem Lächeln: "Ja, das ist das Einzige, was mir von Mama geblieben ist."
Isaak schwärmte in Sentimentalitäten: "Ich hab sie damals für deine Mutter geschmiedet. Die silberne Feder für Lugia, die goldene für Ho-Oh und das Blatt für Celebi; je nach Patron das zugehörige Artefakt.
Die Kette ist geblieben, aber die Buntschwinge... Bis heute weiß ich nicht, wer Isabella ermordet hat. Hermann hat mir den Zugang zu den geheimen Akten versprochen, wenn ich ihn unterstützen würde.
Und so unterstützte ich ihn. Doch die Geheimakten habe ich nie zu Gesicht bekommen."
Einen Moment lang blickte Cecilia in das von Trauer geprägte Gesicht ihres Vaters. Er war nie über den Verlust seiner Frau hinweg gekommen ist.
Die letzten 20 Jahre seines Lebens widmete er sich alleine der Suche nach Ho-Ohs Feder, um Isabella aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Doch blieb er erfolglos. Wie sehr sie ihn nur bedauerte. Wie sehr sie ihrem Vater helfen wollte, und doch schwieg sie.
Gewissensbisse nagten an der jungen Lady; im Gegensatz zu Isaak wusste sie seit Jahren, wer Isabellas Mörder war. Aber war jetzt der richtige Moment, ihm die Wahrheit zu sagen?
Cecilia kaute auf ihren Lippen und sprach kleinlaut: "Ich wusste das alles nicht, Vater. Wenn ich geahnt hätte, dass du so unter ihrem Verlust leidest, dann wäre ich sicher mehr für dich da gewesen. Aber du... Du hast immer den Eindruck auf mich gemacht, als würdest du bestens klar kommen. Sicher ist mir aufgefallen, dass du dir nie eine neue Frau gesucht hast. Aber ich dachte das läge daran, dass du ohnehin mit deiner Arbeit beschäftigt bist."
Isaak pflichtete bei: "Als ich die Schmiede 1711 von meinem Vater hier in Teak übernommen hatte, hab ich nicht geahnt, was das für ein Potenzial mit sich bringt. Da war ich gerade mal 15. Deine Mutter kannte ich da schon ewig. Im Grunde waren wir schon immer zusammen.
Zwei Jahre später brach dann der Krieg aus und Waffen und Rüstungen wurden gefragt. Und ich kam mit der Produktion kaum noch hinterher. Ich habe erweitert und Leute eingestellt. Der damalige General riet mir an, meinen Firmensitz nach Dukatia direkt neben die Kaserne zu verlagern.
Deiner Mutter gefiel es aber in Teak besser, sodass sie einfach dort blieb. Ich hab ihr versprochen, dass wir, wenn die Fabrik genug Geld abgeworfen hätte, auswandern und alles hinter uns lassen; den Krieg und die Toten. Aber richtig lukrativ wurde es erst, als Hermann auf den Plan trat.
Doch da war Isabella längst tot. Dass Tristan im Militär ist, hat mir nie behagt. Was glaubst du, wie wir gestritten haben, als er sich geweigert hatte, in meiner Firma zu arbeiten."
Die junge Lady erwiderte: "Davon hat er mir nie erzählt. Aber ich weiß, dass er keine Sonderbehandlung wollte, nur weil du der reichste Mann Johtos bist."
Isaak winkte ab und bat: "Lass uns nach der Feder suchen, Ceci. Es macht mich unendlich traurig, wieder hier zu sein."
"Verdammte Scheiße, hier ist auch nichts", rief Cecilia vom Dachboden.
Ihr Vater konnte daraufhin nur laut lachen: "Wie sie. Wenn es nicht nach ihrem Kopf ging, dann ging es rund!"
Trotz der erfolglosen Suche nach der Feder war der Nachmittag für Cecilia aufschlussreich. Sie war ihrem Vater näher als je zuvor und endlich konnte sie sein Handeln verstehen. Und sie konnte mit ihm lachen und weinen. Ja, wenn er diese Seite früher gezeigt hätte, wäre es ihr leichter gefallen, ihm zu vertrauen.
Zurück in Julius Haus berichtete sie von ihrem Misserfolg.
Lorenz zuckte mit den Schultern: "Keine Feder, kein Ho-Oh, du kennst die Regeln."
Die junge Frau verdrehte die Augen: "Sicher kenne ich die Regeln, du hast sie mir schon oft genug gesagt."
Isaak blickte in die Runde und fragte: "Wo ist eigentlich Franz? Den hab ich die letzten 20 Jahre nicht mehr gesehen."
"Hockt in seinem Wachhaus, damit niemand Ho-Oh angreifen kann, das sowieso nicht da ist", kommentierte Lorenz.
Der alte Herr war amüsiert: "Verstehe. Wichtige Aufgabe."
Cecilia hatte an jenem Nachmittag zwar viel von ihrem Vater erfahren, aber noch längst nicht alles: "Jetzt macht mal langsam und erklärt mir bitte eines; ihr kennt euch alle?"
Albert spottete: "Ja, sieh uns an; wir sind alt. Alte kennen sich. Immer. Alle."
Ihr Vater hingegen gab eine konkretere Antwort: "Ich kenne Franz, weil wir hier mal gewohnt haben. Und die beiden Alten hier hab ich, naja, irgendwie hab ich die kennen gelernt, als sie auf der Suche nach den Auserwählten waren."
Die Spekulationsrunde ist hiermit eröffnet :D
Info, es sind am Ende 46 Kapitel, die aber teilweise sehr kurz sind.
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