25. Der zweite Kantonese
Begleitet von Elena ging Tristan auch heute zum Marktplatz. Sie hätte zwar auch zu Hause bleiben können, aber das Mädchen befand, dass ihr Patient immer noch zu schwach auf den
Beinen war. Sie wollte ihn nicht ohne Aufsicht lassen. Der junge Leutnant störte sich nicht daran. Er fand ihre Fürsorglichkeit zu süß. Außerdem war die Jugendliche jetzt Mitglied des Bürgermeisterteams, sodass sie auch an den Sitzungen teilnehmen sollte.
Tristan schob kurz den Zeltstoff auf und warf einen verstohlenen Blick zu den Bürgermeistern hinein. Er wollte wissen, ob bereits ein ausgearbeiteter Plan vorlag.
Stattdessen wurde gestritten. Andere machten ausgiebig Frühstück, wieder andere spielten mit ihren Pokémon. Es herrschte Chaos.
Der junge Mann machte den Eingang wieder dicht und machte sich aus dem Staub. Elena sah sich die Streithähne ebenso an, machte aber auch auf dem Absatz kehrt.
"Und das sollen meine Kollegen sein?", fragte sie und erhob fragend die Hände: "Wie alt sind die? Fünf?"
Er schüttelte den Kopf und entgegnete trocken: "Fünfjährige sind nicht so schlimm."
Sein Weg führte ihn wieder in sein Büro. Der junge Mann suchte schließlich immer noch nach einem Weg, Lugias Pokéball zu zerstören und es zu befreien. Dieses Mal ging Isaak ohne Verzögerung ans Telefon.
"Avila Company, Isaak persönlich am Apparat!"
Der schwarzhaarige Kerl sprach müde in den Hörer: "Hallo Vater."
"Tristan, mein Sohn!", sprach Isaak: "Ich hab schon ewig nichts mehr von dir gehört. Wie geht's dir?"
Der Leutnant hatte auf diese Höflichkeiten keine Lust: "Mir geht's überhaupt nicht gut, seit ein gewisser General Hermann den legendären Wappenvogel Lugia in seinem Besitz hat!"
Dem Vater fiel die Kinnlade runter: "Er hat was?!"
Wie für geistig Zurückgebliebene, zum Beispiel Lars, erklärte Tristan ganz langsam: "Hermann hat Lugia. Und zwar nachdem er in Oliviana angegriffen hat... Was ihm ein gewisser Firmenchef eigentlich hätte ausreden sollen. Aber stattdessen produziert die Avila-Company auch noch Pokébälle für diesen Tyrannen und du ermöglichst es ihm, ein legendäres Pokémon zu fangen. Könntest du mir das bitte mal erklären?"
"Ja, Trissi, kann ich. Ich habe wirklich versucht, ihm die Olivianasache auszureden, aber er wollte nicht auf mich hören. Glaube mir, dass ich Oliviana wirklich sehr verbunden bin. Immerhin stammt deine Mutter von dort", schweifte Isaak ab.
Mit einem Räuspern erinnerte Tristan seinen Vater daran, wieder zum Thema zurück zu kommen. Isaak kam der indirekten Bitte seines Sohnes nach und fuhr fort.
"Hermann hat mir gesagt, dass er die Information über die Verbündung von Oliviana mit Kanto aus einer absolut sicheren Quelle hat und er daher unbedingt angreifen müsste."
"Und die wäre?", seufzte Tristan mit einem aufkommenden Gähnen.
Knapp antwortete sein Vater: "Offizier Ethan."
Dem jungen Mann blieb die Spucke weg. Regungslos hielt er den Hörer in seiner Hand und schwieg. Sein Puls schnellte in die Höhe und wie so oft fühlte sich Tristan ohnmächtig. Er kombinierte die Zusammenhänge und plötzlich wurde ihm alles klar; Ethan war der Kantonese.
Der junge Mann sprang auf und schrie in den Hörer: "Vater, verdammt! Warum hast du mich darüber schon nicht viel früher informiert? Bleib am Telefon, ich schick dir Cecilia vorbei."
Tristan rannte wie von Ariados gestochen aus seinem Büro; genau wie damals vor dem kantonesischen Angriff.
Elena wunderte sich: "Du warst jetzt aber schnell! Weißt du wie man den Ball..."
Der Leutnant unterbrach sie: "Keine Zeit zu verlieren. Wir müssen Ethan finden!"
Sofort steuerte er zurück in das Militärzelt der Bürgermeister, wo diese mit Valentin und Lorenz immer noch tagten. Der junge Mann riss die Seitenwand des Zeltes auf und ließ sie offen stehen. Linda beschwerte sich: "Kannst du die Tür bitte schließen, hier wird..."
"Ethan!", unterbrach der Leutnant außer Atem und fuhr fort: "Wo ist Ethan? Wir müssen ihn sofort verhaften."
Mit großen Augen wandte sich Cecilia zu ihrem Bruder und wunderte sich: "Gestern hast du noch für ihn plädiert. Woher der Sinneswandel?"
Er lehnte sich mit beiden Händen an den Tisch und keuchte: "Die zuverlässige Quelle, die Hermann eingeredet hat, dass sich Oliviana mit Kanto verbünden würde; das war Ethan. Er ist der Kantonese, der in unseren Reihen als Spion unterwegs ist! Wo ist er?"
Vinzent zuckte mit den Schultern: "Ehrlich gesagt wissen wir das gar nicht so genau. Er kann überall, in ganz Ebenholz sein. Häuser sind genug übrig und wir haben die Soldaten nicht angewiesen, dass sie in der Zeltstadt schlafen müssten."
Tristan schüttelte nur seinen Kopf und wandte sich kraftlos nach draußen. Er hatte eine rege Diskussion über Ethan losgetreten. Der junge Leutnant holte Arkani aus dem Pokéball: "Kini, kannst du vielleicht nach Ethan schnüffeln?"
Der Trainer erntete einen verwirrten Blick von seinem Hund; Arkani war Ethan nie begegnet. Cecilia tauchte neben Tristan auf. Ihm fiel wieder ein, dass sein Vater immer noch am Telefon war.
Der junge Mann bat seine Schwester: "Kannst du in mein Büro gehen und Vater fragen, wie man den Spezialball zerstören kann? Ich muss Ethan finden, wirklich!"
Die schwarzhaarige Lady seufzte und nickte. Tristan hetzte erneut zu den Bürgermeistern ins Zelt: "Hat irgendjemand von euch etwas, das Ethan angefasst oder getragen hat? Irgendwas? Arkani braucht seinen Geruch." Fragend blickten sich die Bürgermeister der Runde an und zuckten mit den Schultern.
Cecilia konnte es noch nicht fassen, was Tristan gerade in Erfahrung gebracht hatte. Wie war er überhaupt darauf gekommen? Sie ging in Tristans Büro und nahm den Hörer auf: "Vater? Bist du noch dran?"
"Ja, Ceci, bin dran. Was ist denn passiert, dass Tristan so eilig davon gestürmt ist?", fragte Isaak.
"Dringende Geschäfte", winkte sie ab und fuhr fort: "Eigentlich wollte er dich fragen, wie man diesen Spezialball, den du für Hermann angefertigt hast, zerstören kann. Es geht um Lugia."
Isaak erzählte bereitwillig: "Den Spezialball hab ich nicht für Hermann anfertigen lassen. Er war mein kleines Geheimprojekt, nur für mich selbst. Ich wollte an die Grenzen des technisch möglichen gehen; einen Ball, mit dem man jedes Pokémon auf den ersten Wurf fängt, unglaublich. Aber als mich Hermann zuletzt besucht hat, wollte er unbedingt einen Praxistest machen. Ich hab wirklich nicht geahnt, dass er ihn bei Lugia einsetzen wird. Und ich wusste auch nicht, dass du die Auserwählte bist."
Cecilia verdrehte ihre Augen: "Und wie kann man ihn zerstören?"
Ihr Vater räusperte sich: "Unser Feuer, mit dem wir unsere Schmiede betreiben, stammt von einer Flamme Ho-Ohs vor vielen hundert Jahren. Einmal darin geschmiedet kann der Ball nicht zerstört werden, außer durch Ho-Ohs Läuterfeuer selbst. Ein frisches Läuterfeuer, meine ich..."
Seine Tochter ließ den Kopf hängen und seufzte: "Du meinst, man müsste erstens Hermann den Pokéball stehlen? Und zweitens müsste man Ho-Oh rufen und den Pokéball in seine ausgespeite Flamme werfen?"
"Mhm", entgegnete der alte Herr knapp. Verzweifelt stützte sie ihre Stirn auf die Hand und schüttelte den Kopf: "Eigentlich hatte ich gehofft, dass du mir was besseres erzählen kannst, Vater. Ich weiß noch nicht mal, wo Hermann überhaupt ist, geschweigedenn Ho-Oh."
Isaak mutmaßte eine Antwort: "Wie ich hörte, hält er sich wohl in Azalea mit seinen Rebellen auf. Also, falls ihr ihn suchen wollt; dort wäre der Ort. Eigentlich logisch, wenn man mal so drüber nachdenkt. Und Ho-Oh? Ho-Oh erscheint auch nur für seinen Auserwählten, doch der Letzte ist vor langer Zeit gestorben. Aber vielleicht kannst du auch nur mit dem Silberflügel die Macht des Spezialballs bannen?"
Seufzend verdrehte sie ihre Augen: "Dann muss ich Hermann nicht nur den Ball sondern auch die Feder stehlen. Wie hoch stehen die Chancen, dass sowas gelingt?"
"Ich denke, dafür gibt es noch keine statistischen Auswertungen, Ceci", entgegnete ihr Vater.
Die schwarzhaarige Lady wusste nicht, wie ihr zumute war. Eigentlich mussten sie die Strategie für ihre Schlacht am Silberberg besprechen. Andererseits wollte sie auch Lugia in Freiheit wissen. Sie überwand sich zu einem freundlichen Abschied: "Danke Vater. Pass auf dich auf."
"Sind gefährliche Zeiten, in denen wir leben. Pass du auch auf dich auf", erwiderte Isaak.
Tristan war zwischenzeitlich dazu übergegangen, jedes Haus in Ebenholz selbst zu durchsuchen, um Ethan endlich zu finden. Dieser elendige Verräter durfte ihm nicht entkommen. Bei seiner Suche bekam er Unterstützung der Bürgermeister.
Als sie sich nach 600 durchsuchten Häusern wieder im Militärzelt trafen und Ethan nirgendwo finden konnten, lautete die Erkenntnis, die Lorenz aussprach: "Der hat sich verpisst."
"Und was sollen wir jetzt tun?", fragte Linda und kaute auf ihren Lippen.
Der alte Ebenholzer zuckte mit den Schultern: "Nichts."
Vinzent rieb sich nachdenklich das Kinn: "Wahrscheinlich hat sich Ethan sowieso schon nach Kanto abgesetzt und gibt Informationen preis. Verfolgen brauchen wir ihn jedenfalls nicht mehr."
Albert haute auf den Tisch. "Richtig. Besser wir kümmern uns um die bevorstehende Schlacht. Viel Zeit bleibt uns wohl nicht mehr."
In ihren Gedanken verloren sprach Cecilia monoton: "Oder wir befreien Lugia."
Neugierige Blicke fielen sich auf die junge Lady. Sie kam wieder zu Sinnen und sah den Bürgermeistern in die Augen: "Vater hat mir gerade gesagt, dass sich Hermann in Azalea mit seinen Rebellen aufhält. Wer weiß, was er plant, aber wie ich ihn kenne, lässt er sich seine Stellung als Führer der Armee und des Landes nicht von uns Bürgermeisterin abspenstig machen."
Julius konnte das bestätigen: "Und mit Lugia an seiner Seite wird er für uns nahezu unbesiegbar sein. Er könnte über Ebenholz wegfliegen und uns alle mit einem Schlag auslöschen. Er ist zusammen mit Lugia eine uneinschätzbare Gefahr."
Cecilia ballte die Faust: "Wir sollten ihm zuvor kommen und ihm seinen Pokéball noch in Azalea stehlen. Aber Vater hat gesagt, den Spezialball könne man nur im Läuterfeuer eines Ho-Os zerstören."
Lorenz erhob seine Stimme: "Ich glaube, ihr Kiddies stellt euch das gerade ein wenig zu einfach vor."
Der grauhaarige Ebenholzer erntete fragende Blicke, weshalb er aufklärte: "Genau wie Lugia hat Ho-Oh seinen Auserwählten. Für ihn lässt es eine Feder fallen, die seinen Weg immer zu seinem Auserwählten findet. Dem, der reinen Herzens ist, gelingt es die Klarglocke zu läuten. Ho-Oh wird sich ihm zeigen und ihn als seinen Auserwählten anerkennen."
Mit müdem Blick vervollständigte er: "Oder vereinfacht ausgedrückt; keine Feder, kein Ho-Oh."
Die Runde erstummte. Sicherheitshalber fragte der Grimmige nach: "Hat einer von euch eine buntschimmernde Feder? Nicht? Also vergesst das mit Ho-Oh."
Cecilia runzelte die Stirn: "Aber die Gischtglocke auf dem Bronzeturm hat bei mir erst gar nicht geläutet. Erst, nachdem ich den Silberflügel hatte..."
Lorenz ergriff wieder das Wort und zuckte mit den Schultern: "Strenggenommen klingelt die Glocke auch nicht, wenn der Auserwählte sie schlägt, sondern wenn der Vogel auftaucht. Das ist nunmal falsch überliefert."
In militärischer Manier haute Tristan auf den Tisch: "Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wenn wir Ho-Oh ohnehin nicht rufen können, dann müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Ethan hat doch gesagt, dass der Silberflügel die Macht des Pokéballs übersteigt. Sollten wir dem General dann nicht einfach die Feder und den Ball stehlen? Eigentlich ist es dann doch egal, ob Lugia noch an den Ball gebunden ist, oder nicht?"
Auf das anschließende Schweigen bejahte Vinzent zuerst: "Richtig, wir sollten ihn einfach überfallen." Er erhob diee Augenbrauen: "Vorschläge?"
"Nach Azalea fliegen und angreifen?", meinte Albert schulterzuckend und fügte an: "Ich kenne die besten Verstecke in der Stadt. Und ihre Schwachstellen."
"Ein ganz Toller bist du", giftete Lorenz und verdrehte die Augen.
Nach einer längeren Besprechung einigten sich die Bürgermeister darauf, dass die flugfähigen Trainer, darunter Julius, Linda, Elena und Vinzent mit Cecilia, Albert, Lorenz und Tristan am morgigen Tag nach Azalea fliegen und Lugia stehlen würden.
Mit Elena an seinem Arm kehrte Tristan zu ihrem Haus zurück. Mochte sie ihn auf diese Weise oder nicht? Er traute sich nicht direkt zu fragen. Eine Abfuhr hätte er nicht verkraftet.
Er verlieh seiner Sorge um sein Mädchen Ausdruck: "Bitte pass Morgen auf dich auf, wenn wir Hermann angreifen."
Sie zuckte mit den Schultern und verhöhnte den jungen Mann: "Ich bin es nicht, der alle paar Wochen im Koma liegt. Besser, du passt auf dich auf!"
Besorgt warnte er sie: "Lugia ist wirklich mächtig, sowas hab ich noch nie gesehen."
"Du hast Dragoran ja auch noch nicht kämpfen sehen", gab sie grinsend zurück und meinte weiterhin: "Eigentlich wollte ich mal in Merbaum nach dem Rechten sehen. Aber ich denke, Kasimir hat das im Griff. Oder was denkst du?"
Tristan nickte mit einem Lächeln: "Vor einem halben Jahr hätte ich dir widersprechen müssen, aber als ich ihn zuletzt traf, wirkte er ziemlich fähig. Ich glaube, um Merbaum musst du dich erstmal nicht sorgen."
An HeroJaeger: Gut erkannt :D
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