22. Elenas Entschluss - Rückblende

Die Glut des erloschenen Feuers lag noch im Steinkreis des Lagerfeuers, doch war das Holz komplett niedergebrannt. Kälte kroch über Elenas Gesicht, als sie in der Morgendämmerung erwachte.

Im Schlafsack hingegen staute sich die Hitze. Sie traute sich kaum aufzustehen, denn das Frieren fürchtete sie. Dennoch schlüpfte die Jugendliche aus der behaglichen Wärme hinaus.

Sie musste los! So leise wie möglich versuchte sie sich davonzustehlen. Gerade stieg das Mädchen über die Köpfe ihrer Nachbarn hinweg, als Theo verschlafen brummte: "Warum bist du schon so früh auf?"

Ihr Blick fiel in sein dämliches Gesicht: "Kann nicht mehr schlafen. Und du?" Der Junge richtete sich auf: "Aufgeweckt. Du bist lauter als eine Horde Rizeros."

Elena blickte um sich; außer Theo war niemand wach geworden: "Und jetzt in echt?"
"Kann auch nicht mehr schlafen. Was hast du vor?", fragte ihr Kumpel mit einem breiten Grinsen.

Wie man zu so einer unheiligen Uhrzeit schon so gut gelaunt sein konnte? Ohne eine Antwort wandte sich Elena ab und ging ihres Weges.

Hektisch sprang Theo auf und eilte ihr hinterher. In Aufregung flüsterte er: "Ich hab dich was gefragt! Was hast du vor?"

"Das würdest du eh nie verstehen", sagte sie kalt und ging mit geballten Fäusten durch die Stadt.

Aber Theo folgte ihr und gab nicht auf: "Dann red mit mir, dann weiß ich´s wenigstens. Wird das wieder sowas Undurchdachtes, wie damals, als du mit Dratini davon bist?"

Das Mädchen holte Dragoran aus dem Pokéball und fütterte es mit Beeren. Fortan liefen sie zu dritt weiter. Verdutzt blickte sich Theo um und erkannte: "Du willst mit unseren Gefangenen reden, okay? Seh ich ein. Was ist daran so schlimm?"

Elena grüßte den wachhabenden Soldaten: "Guten Morgen Kasimir." Der erstattete sofort Bericht: "Oh, guten Morgen Bürgermeisterin. Ich melde diverse Befreiungsversuche der Gefangenen, aber mein Maschok hat sie K.O. geschlagen. Ihre Pokémon sind noch immer kampfunfähig in ihren Bällen. Der Eisblock, in dem wir die Pokébälle eingefroren haben, besteht noch. Es ist also keines ausgebrochen und geflohen."

Voller Anerkennung nickte die Jugendliche: "Gute Arbeit! Ich danke dir. Ich werde jetzt mit ihnen sprechen. Ich will wissen, was Jonas dazu getrieben hat, sich Kanto anzuschließen. Und ich brauche seinen Pokéball."

Sofort wandte sich Kasimir zu seinem Maschok und gab ihm ein Zeichen. Das Muskelpokémon zerbrach das Eis und überreichte der Bürgermeisterin den gewünschten Pokéball.

"Au", zischte sie aus und umfasste den Ball mit ihrem Umhang: "Der gefriert einem ja auf der Hand."

"Will nicht wissen, wie es den Pokémon darin ergeht", zwinkerte Kasimir. Sie verneigte sich und wandte sich zum Erdloch: "Danke." Theo stand neugierig daneben und quengelte: "Ich will mit!"

Elena nickte Kasimir im Einverständnis zu. Gefolgt von Dragoran und ihrem Kumpel stieg sie die Treppen ins Erdloch hinunter. Nathan und Jonas waren getrennt voneinander in den Zellen untergebracht. Die jungen Soldaten teilte man auf zwei Gruppen auf und stopfte sie zusammen in eine Zelle.

Die Jugendliche ging direkt zu Jonas Zelle. Ihr Blick fiel durch das kleine Gitterfenster in der massiven Holztüre. Trotz der Dunkelheit in diesem Loch sah sie ihren Vorgänger in Ketten gelegt.

Er lehnte an der Wand und sein Kopf schnellte in die Höhe. Jonas grinste hämisch und spottete: "Du bist nicht zufällig hier, um mich hier rauszuholen?"

Elena sah kurz zu Boden und verschränkte ihre Arme. Dann blickte sie wieder durch das Fenster und fragte streng: "Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht in Stücke reißen sollte!"

"Hm", Jonas zuckte mit den Schultern: "Weil ich toll bin!"

Sie klatschte sich die Hand auf die Stirn: "Meine Frage war ernst gemeint. So antworte auch ernst."

"Ich bin toll! Hallo?", gab ihr Vorgänger zurück.

Die Jugendliche schüttelte den Kopf: "Wieso hast du dich Kanto angeschlossen?"
Wieder grinste er hämisch: "Ach Mädchen, du bist so jung und naiv. Es macht mir keinen Spaß, mit dir zu reden."

Elena öffnete zähneknirschend die Zellentür und trat mit Dragoran und Theo ein. Selbstsicher sah sie von oben herab: "Vielleicht macht´s dir mehr Spaß mit mir zu reden, wenn du weißt, dass es um das Leben deines Panzaerons geht?"

Langsam erhob sie ihre Hand, in der immer noch Jonas Pokéball lag und hielt ihm diesen unter die Nase. Sie holte Panzaeron aus dem Ball, welches nur müde und geschwächt auf den Boden sackte.

Der Verräter wich zurück und gab sich unbeeindruckt: "Willst du ihn töten? Das schaffst du sowieso nicht! Dein Dragoran kann dafür nicht die richtigen Attacken."

"Ach nicht?", fragte sie und wandte sich zu ihrem Pokémon: "Dragoran, zeig Jonas doch mal, dass du auch Feuerattacken kannst. Aber tu ihm vorerst nichts. Ich brauch ihn noch."
Dragoran öffnete sein Maul ein wenig und kreierte einen Feuerball, den es neben Jonas an der Wand einschlagen ließ.

Elena verschränkte ihre Arme und kommentierte: "Haben wir von Tristan und seinem Arkani gelernt. Flammenwurf heißt sie und ich bin bereit, sie gegen dein Pokémon einzusetzen."

"Panzaeron!", schrie Jonas hysterisch auf und kniff seine Augen zusammen: "Was hast du vor?"

Schulterzuckend gab sie zurück: "Kommt ganz drauf an, ob du mit mir redest oder nicht."
Zum ersten Mal war sie dem Verräter überlegen.

Schließlich nickte er und fragte: "Schon mal auf die Idee gekommen, dass ich mich gar nicht mit den Kantonesen verbündet habe, sondern einer von ihnen bin?"

Ein kurzer Schock durchfuhr ihren Körper und sie riss ihre Augen auf: "Was?" Jonas erzählte bereitwillig: "Vor mittlerweile über acht Jahren hat mein Kommandant einen genialen Plan ausgeheckt."

Elena wandte sich zur anderen Zellentür hinüber als wollte sie fragen, ob der festgenommene Kommandant jener von vor acht Jahren war. Der Schmierlappen erkannte ihren Gedankengang und schüttelte den Kopf: "Nein, Nathan war es nicht. Den, der auf die geniale Idee gekommen ist, dient nicht mehr."

"Zurück zum Thema. Der geniale Plan", forderte die Bürgermeisterin auf.

Der Gefangene riss sich zusammen und kooperierte: "Der Kommandant suchte sich den besten Schauspieler aus unserer Truppe und der war ich. Dann erzählte er mir von seiner Idee. Nach der Schlacht sollte ich mir einen johtolesischen toten Soldaten suchen und seine Klamotten anziehen.
Euer Militär hatte ja noch nicht mal Marken und damit keine Ahnung, ob ich wirklich einer von ihnen war. Mein Kommandant fügte mir noch eine Verletzung zu und schon wurde ich in ein johtolesisches Sanitätszelt gebracht.
Alles ganz einfach. In Ebenholz hab ich mich niedergelassen, weil ihr eben die interessanteste Grenzstadt seid. Vor fast vier Jahren ist euer Bürgermeister "zufällig" gestorben und ich wurde gewählt. Damit kam ich auch in den Kriegsrat, bekam militärische Informationen und wurde wichtig. Und ich war der beste Spion aller Zeiten."

Elena nickte still und dachte nach. Nach einer Denkpause fragte sie: "Und warum hast du Tristan dann gewarnt, als Kanto vor Ebenholz stand?"

"Nathan wollte keine Männer verlieren. Kannst du dir nicht denken, dass es einer Nation undenkbar viel Kraft kostet, 40 Jahre lang im Krieg zu kämpfen?", gab Jonas einen Hinweis.

Mit großen Augen wich das Mädchen zurück: "Kanto ist überhaupt nicht in der Übermacht, wie immer erzählt wird?"

Triumphierend grinste der Gefangene: "So bescheuert wie ihr Johtolesen euch verhaltet sind wir schon in der Übermacht."

Ohne auf seine Worte näher einzugehen, fragte das Mädchen: "Wie ist es für dich nach dem Angriff auf Ebenholz weitergegangen? Erzähl mal! Warum hast du uns aufgesucht?"

Jonas zog die Schultern an: "Nachdem Tristan die Evakuierung einleiten wollte, bin ich der kantonesischen Armee entgegengegangen und hab Nathan von Tristans Vorhaben berichtet. Aber wir haben ihm ein Hindernis in den Weg gelegt, weshalb wir gute Hoffnung hatten, dass alle in Ebenholz bleiben und sterben würden."

Das Mädchen musste sich schwer in Zaum halten, um nicht loszuschreien. Tief grub sie ihre Fingernägel in ihre Handflächen und konnte nicht mehr loslassen. Während dieses Verhörs war sie jedoch eiskalt und stellte der Reihe nach ihre Fragen zu allen Ungereimtheiten, die ihr während der Reise aufgefallen waren.

"Und wieso sollten alle sterben?"

"Es waren immer noch Leute, die später gegen Kanto kämpfen könnten, ob mit oder ohne Pokémon. Überraschte Zivilisten sind jedoch einfacher zu töten als jene, die sich schon für den Angriff gerüstet haben."

Elena setzte die Puzzleteile zusammen: "Musste deswegen auch Merbaum zerstört werden?"

Wie im Wahn antwortete er: "Aber ja! Vielleicht würden die Merbaumer eines Tages über den Eispfad zurückkehren und uns in den Rücken fallen. Und deswegen habe ich die flüchtigen Ebenholzer gesucht. Nach Wochen der Suche habe ich dieses Kaff gefunden. Was war ich froh, dass du deinem Trissi nachgelaufen bist. So musste ich nur noch Doro loswerden. Als ihr dann weg wart, bin ich mit Panzaeron los und hab Nathan und alle hierhergeführt."

"Und Panzaeron hattest du die ganze Zeit bei dir, logischerweise?", schoss es aus dem Mädchen raus.

Schulterzuckend rechtfertigte sich Jonas: "Ja. Hab ja einen Grund gebraucht, um mit euch reisen zu können und dieses Kaff hier zu finden. Leider warst du schon so abweisend, dass es länger gedauert hat, hierher zu finden."

Elena kniff die Augen zusammen und dachte fieberhaft an die erste Begegnung mit Jonas nach dem Angriff auf Ebenholz zurück: "Es war gelogen, als du gesagt hast, du wärst von den Ninjas angegriffen worden, wobei du Panzaeron verloren hättest."

Triumphierend nickte er: "Irgendwie wollte ich ja euer Vertrauen gewinnen."

"Die Ninjas, die Tristan töten sollten, waren also von euch beauftragt; sehe ich das richtig?"
Verträumt seufzte der Schmierlappen. "Ach ja, unsere Ninjas; sympathisch, nicht?"
Unbeeindruckt verzog sie ihre Augenbrauen in die Höhe und entgegnete: "Waren schnell tot, also ja."
Jonas Kopf wurde rot vor Wut und er knirschte die Zähne: "Das waren Profis aus dem uralten Geschlecht der Fuchsania-Ninjas, die Tristan töten sollten."

"Und wieso Tristan?", fragte das Mädchen.
Der Verräter grunzte leicht: "Zum einen sollte die Evakuierung scheitern. Zum anderen hat er Kontakte, die Kanto gefährlich werden könnten. Doch bisher war er zu dumm, um sie zu nutzen."
Verdutzt verzog sie das Gesicht: "Wie bitte?"

Jonas verdrehte die Augen: "Weißt du überhaupt, wer er ist?"
Elena zog die Schultern an: "Leutnant im johtolesischen Militär?"

"Firmenerbe!", betonte er und fügte an: "Wenn die Avilas nur einmal ihren Grips einschalten würden, wäre es vielleicht schon vorbei. Zum Nachteil für Kanto."

Das Mädchen nickte mit einem flauen Gefühl im Magen. Wenn ihre Vermutung stimmte, dann war Tristan immer noch in Gefahr: "Verstehe. Dann versucht Kanto schon länger, ihn zu töten?"

Jonas wackelte seinen Kopf hin und her und bließ die Backen auf: "Das ist gut möglich, aber dazu hab ich keine Info..."

"Ach, wirklich nicht?", fragte Elena und stieg Panzaeron auf den Hals. Markerschütterndes Kreischen hallte in der Zelle und Jonas flehte: "Tu ihm doch nichts! Okay, ja! Es wird schon länger versucht, den jungen Avila zu eliminieren. Jeder Mord an ihm wäre aber aufgefallen und so wartete man auf eine Möglichkeit auf dem Schlachtfeld. Die hat sich leider nie ergeben. In Borkia war er gut abgeschoben, aber auch dort wurde er aufmüpfig und wollte die Pokémon länger trainieren. Um ein Haar hätte König Raul das Pokémontrainingsprogramm durchgesetzt, aber zum Glück wurde der dann schnell weggeputscht."

Die Bürgermeisterin erhob eine Hand und versuchte, den Worten zu folgen: "STOPP! Jetzt Moment mal! In Borkia gut abgeschoben, aufmüpfig... Sagst du mir da gerade, dass es einen Kantonesen in Johtos Militär gibt, der Tristans Werdegang bestimmt hat?"

Mit offenem Mund starrte Jonas auf das Mädchen und atmete fassungslos ein und aus. Elena verzog die Augenbrauen in die Höhe: "Jetzt hast du einmal zu viel gelabert, mein Freund. Also gibt es einen Kantonesen in unserer Armee?"

Der Verräter räusperte sich: "Versteh mich nicht falsch. Es war wasserdicht. Während die Soldaten aus Ebenholz abgezogen worden sind, wäre Tristan von unseren Ninjas ermordet worden. Da neben ihm 3.000 Leute hätten sterben müssen, wäre sein Tod nicht aufgefallen und niemand hätte einen bestimmten Kantonesen verdächtigt, der schon sehr viel länger im johtolesischen Militär ein Auge auf ihn hat."

"3.000 Bauernopfer, um einen Tod zu tarnen. Ihr seid nicht ganz dicht", keifte Elena leise und bestimmt.
Gleichgültig entgegnete Jonas: "Ebenholz hätte so oder so sterben müssen. Ob mit oder ohne Tristan."

Die Bürgermeisterin ballte die Fäuste: "Na dann; raus mit der Sprache; wer ist euer Spion in unserem Militär?"

Flehend verzog Jonas das Gesicht: "Das weiß ich nicht, ehrlich! Das musst du mir glauben!"

Elena rollte ihre Augen nach oben und erinnerte sich: "Gerade noch hast du mir gesagt, du seist der beste Schauspieler in den kantonesischen Reihen gewesen. Und jetzt soll ich dir so ´ne billige Lüge abkaufen?"

"Ich weiß es wirklich nicht. Es ist jemand von einer ganz anderen Kompanie", begründete der Kantonese seine Unwissenheit.

Vorsorglich hielt sich das Mädchen die Ohren zu, als sie wieder auf Panzaerons Hals stieg. Der Schrei war so schrill, dass es ihr trotzdem die Gänsehaut aufstellte.

"Panzaeron hat Schmerzen. Willst du nicht mit der Sprache rausrücken?", meinte sie dunkel.
Ein wenig verwundert war sie schon über ihre eigene Härte; doch was Jonas und sein Stahlvogel den Ebenholzern angetan hatten, war sehr viel schlimmer.

"So hör doch auf! Wenn ich es nicht weiß!", schrie er mit Tränen in den Augen. Der Vogel unter Elenas Fuß zappelte.
Schließlich griff Theo sie am Arm und schüttelte einmal den Kopf. War sie zu weit gegangen?

Das Mädchen ließ Panzaeron frei und blickte mit halboffenen Augen auf Jonas: "Du hast Glück, dass mein Kumpel ein zu großes Herz hat. Ich würde keine Gnade mehr walten lassen... Aber nun gut...
... Nathan mit seinem Glurak wusste, dass wir in Rosalia waren, weil du uns bei ihm verpetzt hast?"
Jonas gab nur noch ein fassungsloses Nicken mit tränenenden Augen von sich.

"Und dass König Raul nach dem Attentat auf Ebenholz von unserem Überleben erfahren hat und sofort nach uns fahnden ließ, ist auch auf deinem Mist gewachsen? Und dass Hermann uns damals in Teak gestellt und mich gefangen genommen hat?"

Der Verräter japste nach Luft und stammelte: "Das nicht. Ich hatte mit den Johtolesen keinen direkten Kontakt mehr nach dem Angriff auf Ebenholz. Kanto wird unserem Spion die Informationen zukommen lassen haben, um euch auch von johtolesischer Seite das Leben schwer zu machen."

Das Mädchen fasste sich ans Kinn: "Dann müsste ich in Erfahrung bringen, wer unsere Fahndung in Auftrag gegeben hat? Aber nachdem Raul weg ist, kann ich ihn nicht mehr fragen..."

Für einen Moment war Elena geistig abwesend, versunken in ihrer Gedankenwelt: "Und was war das mit deinem Teddiursa?"

Er brach in hysterisches Gelächter aus und gestand: "Es war süß. Es hat mir gefallen. In Kanto gibt´s die nicht, also wusste ich auch nicht, dass die Ursaring einen verfolgen. Außerdem; so im Nachhinein wär´s ja nicht schlecht gewesen, hätte das Bärenrudel euch aufgeschlitzt."

"Für deine Position wirst du ganz schön übermütig, werter Ex-Bürgermeister", spottete sie und verschränkte die Arme: "Wie habt ihr das mit Oliviana in die Wege geleitet? Wie habt ihr es geschafft, dass der General auf Oliviana marschiert?"

"Oliviana", keuchte der Schmierlappen: "Glaub nicht, wir hätten nach unserer Niederlage vor Viola nicht versucht, uns mit Oliviana zu verbünden. Aber dieser Bernd steht so sehr zu Johto, dass er uns keinen Landzugang gewährt hat. Ein kleines Gerücht an der richtigen Stelle, und schon war Hermann auf dem Weg nach Oliviana."

Elena rümpfte die Nase: "Also ist der zweite Kantonese jemand, der dem General nahesteht?"

Jonas zog die Schultern an: "Keine Ahnung. So verrückt wie sich Hermann verhält..."
"... ist er gar selbst der Kantonese?", vollendete die Bürgermeister den Gedankengang ihres Gefangenen.

Sie konnte kaum glauben, dass jemand wie der General die Führung eines Landes an sich reißen konnte; entweder war er ein Spion oder dumm - schlicht gesagt; er war keine gute Führungskraft. In der Hinsicht hatte Jonas Recht; so bescheuert wie sich Johto bisher verhielt, war es kein Wunder, dass sie den Krieg nicht gewinnen konnten.

Jonas spottete mit einem hämischen Grinsen: "Hab ich mich auch schon öfter gefragt. Aber der ist so dumm. Das kann allein von der Intelligenz her kein Kantonese sein."

Sie stützte ihr Kinn auf eine Hand: "Aber seine Dummheit hat euch doch nie geschadet, oder nicht? Vielleicht ist ja gerade das Teil eures Plans."

Zu ihrem Erstaunen widersprach der Gefangene: "Und dennoch tötet er entschlossen kantonesische Männer und hält sich tapfer gegen eine Invasion. Wobei der auch erst so ist, seit er die Führung in Johto übernommen hat."

Die Bürgermeisterin schlussfolgerte: "Vielleicht ist er auf den Geschmack eines eigenen Landes gekommen und wendet sich nun wirklich gegen Kantos König? Johto war ihm so lange egal, doch dann hatte er plötzlich was zu sagen."

Da Jonas den zweiten Kantonesen tatsächlich nicht zu kennen schien, ließ die Jugendliche die Sache auf sich bewenden. Weitere Informationen benötigte sie nicht von ihm. Panzaeron kam in seinen Pokéball zurück. Sie nickte zur Zellentür, sodass Dragoran und Theo vorangingen.

Beim Hinausgehen wurde Jonas nervös und schrie hinterher: "Hey, und was hast du jetzt vor?"
Ein letztes Mal wandte sich Elena um: "Ebenholz befreien."

Sie verriegelte die Tür und ging mit geballten Fäusten aus dem Keller. Mittlerweile hielt die Helligkeit Einzug. Geblendet erreichte die Jugendliche die Erdoberfläche.

Dort angekommen warf sie Jonas Pokéball Kasimir zu und befahl: "Wieder einfrieren und zurück zu den anderen. Dragoran, hilf ihm mit Eisstrahl!"

Das Mädchen wartete einen kurzen Moment, bis Dragoran seinen Eisblock produziert hatte. Theo stand hibbelig neben ihr: "Wie hast du das grade gemeint; Ebenholz befreien?"

Sie antwortete lapidar: "Wenn sie uns Merbaum nehmen, dann nehme ich ihnen Ebenholz, ganz einfach... Als wäre Ebenholz je ihre Stadt gewesen, tss."

Dragoran war fertig mit seiner Aufgabe und wandte sich zu Elena. Zu Kasimir sagte sie: "Pass weiterhin so gut auf die Gefangenen auf. Ich muss für einen Moment weg, aber ich komme wieder."
"Zu Befehl."

Die Bürgermeisterin ging durch die zerstörte Stadt. Balken und Holz qualmten noch immer. Ihr Kumpel stolperte ihr hinterher: "Und was genau hast du vor, mit Ebenholz?"

Sie verzog eine Augenbraue in die Höhe und antwortete richtigerweise: "Befreien?"

Mit großen Augen fragte er eindringlich: "Und wie genau willst du das anstellen? Die Stadt ist doch besetzt!"

Einen kurzen Moment blieb sie stehen und kraulte ihr Pokémon am Kopf: "Denkst du nicht, dass mein Bruder stolz wäre, wenn sein Dragoran bei der Befreiung unserer Stadt, der Drachenstadt, helfen würde?"

Dabei lächelte sie sanft, als sie ihren Drachen betrachtete. Es war mehr denn je zum Kampf bereit, wenngleich es in diesem Moment wie ein verschmustes Hauspokémon aussah. Theo warf nachdenklich ein: "Das kannst du unmöglich alleine machen."

Plötzlich rannte den beiden Doro entgegen und rief: "Das ist richtig, Elena, und deswegen werde ich mitkommen!"
Unter keinen Umständen wollte die Jugendliche, dass sich ihre kleine Schwester in Gefahr begab. Entsprechend gering war ihre Begeisterung - umso mehr verstand sie Tristans Beweggründe.

Sofort wollte Elena der Kleinen ihre Idee ausreden: "Aber ich brauche hier jemanden, auf den ich mich verlassen kann, Doro. Jemand hier muss aufpassen, dass die Gefangenen nicht fliehen können. Und es gibt hier keinen stärkeren Trainer als dich."

Die Augen der Elfjährigen leuchteten: "Die kommen hier auch mal ohne uns klar. Außerdem ist Kasimir ein guter Soldat, der hat das schon im Griff. Und wenn wir mit den Kantonesen fertig sind, dann passiert unserer Stadt hier überhaupt nichts mehr!"

Skeptisch verzog Elena ihr Gesicht: "Ist dein Garados überhaupt schon wieder bereit für einen Kampf?"
Aber die Kleine lachte fast: "Es hat nie eine Pause gebraucht."

Die Große wandte sich zu Theo: "Dann hast jetzt du das Kommando hier, bis ich wieder da bin. Mach kein Scheiß und sieh zu, dass nicht noch mehr passiert."

"Wünsche uns Glück", gab Doro an.
Wütend erhob der Junge die Faust: "Ich wünsche euch kein Glück. Ich wünsche euch Verstand!"
Dann fiel er den beiden um den Hals und flüsterte: "Viel Glück ihr Kleinen. Und passt auf euch auf."

Elena setzte sich auf Dragoran, Doro folgte. Scheinheilig winkten die beiden Theo zum Abschied. Die Große wandte sich noch einmal zur Kleinen und wollte sicherheitshalber wissen: "Dein Garados hast du schon dabei, oder?"

Noch bevor die Merbaumer überhaupt verstehen konnten, dass Elena mitsamt ihrem Pokémon zu einer Mission aufbrach, waren sie verschwunden. Zum Glück hatte sie noch den geklauten Vulnonapelz, denn im Flug fror sie durch den Zugwind mehr als sonst.

"Geht's bei dir von der Kälte her, Doro?"
Das fröhliche Mädchen lachte auf: "Klaro! Hab doch Voltilammwolle als Innenfutter."
Voltilamm lebten in Ebenholz bisher nicht, sodass sie erst in Merbaum Einzug erhalten haben mussten: "Afra hat ein paar Voltilämmer, die hat sie geschoren und die Wolle an jeden verteilt, dass keiner frieren muss. Vor allem jetzt im Winter, meinte sie."

Über die hohen schneebedeckten Bergen, die den Eispfad unter sich begruben, flog Dragoran knapp hinweg. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren. Zu allem Übel fielen von der grauen Wolkendecke auch noch Schneeflocken. Das Treiben des Windes wurde so stark, dass sich daraus ein Schneesturm entwickelte. Wie Nadelstiche fühlten sich die Flocken beim Aufschlag auf der Haut an.

"Mach die Augen zu und klammere dich ganz fest an mich!", schrie die Große. Mit eng zusammengekniffenen Augen versuchte Elena, noch etwas von ihrer Umgebung zu erkennen.

Außer Schneerauschen konnte sie überhaupt nichts mehr erkennen. Noch dazu gelangten Schneeflocken in ihre Augen, was ungemein schmerzte. Die Jugendliche klammerte sich nur so an Dragoran.
Ihr blieb nichts anderes übrig als zu hoffen, dass es den richtigen Weg von alleine finden oder der Schneesturm bald nachlassen würde.
Ihr Magen hob sich; Dragoran ging in den Sinkflug.

Die Bürgermeisterin zwang sich, einen Blick um sich herum zu werfen. Es waren keine höheren Berge mehr zu sehen. Den höchsten Punkt mussten sie bereits hinter sich gelassen haben. Voller Rührung sprach die Trainerin: "Danke, Dragoran."

Langsam legte sich auch der Wind. Das Schneegestöber wandelte sich in einfache Flocken, die vom Himmel fielen. Endlich konnte Elena wieder etwas sehen. In weiter Ferne erkannte sie eine Stadt, die in drei Richtungen von den Bergen eingekesselt war und es nur einen Zugang gab.

"Ebenholz", flüstertete sie ein wenig ungläubig, als sie ihre Heimatstadt vor sich erblickte. Der entfernte Horizont kam schnell näher. Ehe sich die Jugendliche versah, befanden sie sich bereits kurz vor der Drachenstadt. Auf der Ebene vor dem südlichen Zugang erkannte Elena eine Schlacht wüten.

War Johto mittlerweile so weit vorgerückt?
"Dragoran, halte dich nördlich und setz zur Landung außerhalb der Stadt an. Wir machen nochmal Pause!", bestimmte sie.

Dragoran landete wenige hundert Meter vor Ebenholz im Wald. Elena fütterte ihren Drachen mit Beeren. Die Verschnaufpause tat Dragoran sichtlich gut.

Elena wandte sich zu ihrer kleinen Schwester: "Bist du bereit?"
Doro nickte nur entschlossen.

"Gut, zuerst greifen wir die Kaserne an, die ist hier im Norden. Da fliegen wir ohnehin drüber. Und dann sehen wir zu, ob wir den Johtolesen da draußen helfen können", schlug Elena vor, wofür sie keinerlei Widerrede erhielt.

Auf Dragorans Rücken hoben sie erneut ab. Das Pokémon blieb in unmittelbarer Bodennähe. Die Wachtürme rund um die Stadt waren unbesetzt. Mit einem zweiten Angriff von einer anderen Seite rechneten die Kantonesen nicht.

So viel zur Dummheit der Johtolesen; die Kantonesen waren auch nicht schlauer. Mit einem Mal erkannte Elena die Kaserne unter sich und sprach: "Dragoran, Hyperstrahl auf das Gebäude da!"

Der Drache pumpte sich auf und stieß mit einer Gewalt seine Attacke aus. Mit einer riesigen Explosion schlug der Angriff auf das Gebäude ein. Trümmerteile wirbelten durch die Luft und Schreie erklangen. Einzig der brennende Schutt, der sich nun in einem Krater befand, war von der Kaserne übrig. Wie vielen Männern das das Leben kostete?

In der Stadt selbst war so gut wie niemand mehr. Dragoran landete auf dem ehemaligen Markplatz, der immer noch zu erkennen war.

Die Jugendliche umarmte ihre kleine Schwester: "Doro, in der Stadt hier sind noch ein paar Kantonesen, vorne am Stadttor. Greif sie am besten aus dem Hinterhalt an. Ich flieg raus über die Schlacht und kämpf mit unseren Truppen. Pass auf dich auf!"

Die Kleine zuckte mit den Schultern: "Das krieg ich mit Garados schon hin, keine Angst. Pass du auf dich auf!"

So hob Elena erneut ab und nach wenigen Flügelschlägen von Dragoran erblickte sie das Schlachtfeld. Offenbar hatten die Kantonesen den Wald vor der Stadtmauer noch weiter gefällt. Wo es früher 200 Meter in den Wald waren, war es mittlerweile ein guter Kilometer. Scheinbar wollten sie ihre Umgebung besser im Überblick haben.

Über dem Feind ließ Elena einen Flammenwurf hinab und entzündete die Soldaten in den hinteren Reihen. An der Front, wo gekämpft wurde, konnte sie nicht so rabiat vorgehen. Dort bestand die Gefahr, ihren eigenen Leuten Schaden zuzufügen.

Eigene Leute; das Militär, das sie so lange gejagt hatte und wegen denen sie nicht nach Hause konnte, galten jetzt als ihre Leute. Irrsinnige Denkweise.

Aber Tristan musste unter ihnen sein. Statt sich in die einzelnen Kämpfe einzumischen suchte die Jugendliche nach dem jungen Leutnant. Zum Glück hatte er Arkani, denn jenes stach aus der Menge so hervor, sodass sie es innerhalb weniger Sekunden in der Masse erblickte.
Elena vermochte nicht zu sagen, ob Tristan in der Nähe des Feuerhunds war. Aber die kantonesischen Soldaten starteten in Arkanis Nähe bereits ihren neuen Angriff.

"Dragoran, Hyperstrahl!"
Ihr Drache führte die nächste Explosion herbei.
"Garados, Nassschweif!"
Elena blickte um sich, als sie den Befehl ihrer kleinen Schwester vernahm. Inmitten des Schlachtfelds saß Doro auf dem Kopf ihres roten Garados, das die Schlacht kräftig aufmischte.

Und dann glaubte Elena, Tristan dort unten liegen zu sehen. Bevor er einen Schlag abbekommen konnte, befahl sie: "Draco-Meteor, los!"

Die Angreifer ringsum wurden zurückgeschleudert und waren mindestens kampfunfähig, wohl eher tot. Sofort landete Elena neben Arkani und Tristan. Sie sprang von Dragoran und schrie hysterisch: "Tristan! Los komm, ich bring dich zum Sanitäter!"

Das Mädchen beugte sich über ihn. Er schüttelte den Kopf. Das Gesicht des jungen Mannes war voll mit Dreck. Oder war es verkrustetes Blut? Als er auf sein Arkani deutete, erkannte sie, worauf er hinaus wollte.

Sofort beschwichtige Elena: "Ja klar nehmen wir Arkani mit, hier."

Sie holte Arkani in den Pokéball zurück. Danach zog sie Tristan auf Dragorans Rücken und hob mit ihm ab. Fest umklammerte das Mädchen ihren Leutnant.
Seine grünen Augen warfen einen schwachen Blick auf sie.
Tristan hüstelte und mit Mühe flüsterte er: "Die Mühe kannst du dir sparen - Das waren Marcos Worte und heute nutze ich sie."

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