19. Verrat

Am Ufer vor dem Kesselberg hieß es wieder klettern. Auf den rutschigen Wegen war es mit Ponita zu gefährlich, dieses hier galoppieren zu lassen. Alles andere ging Elena nicht schnell genug. Sie holte das Pony in den Pokeball zurück und rannte.

Mit jedem Schritt trat sie Geröll los, welches in den tiefen Abgrund neben ihr stürtzte. Das Mädchen war wahrlich lebensmüde, aber sie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie musste Jonas aufhalten, bevor er Merbaum zerstörte. Sonst wäre Konstantins Warnung umsonst gewesen.

Das Wasser wich dem Land und der Boden wurde flacher. Auf einer Landzunge zwischen den Seen hetzte Elena ihr Ponita über die Weite. Als sich das Wasser wieder in der Ferne spiegelte und einzig ein Weg in den Bergen Richtung Mahagonia führte, holte das Mädchen ihr Reitpokémon zurück und rannte wieder.

Doch erblickte Elena am Horizont etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Mit einer Hand schirmte sie ihre Augen gegen die Helligkeit ab und blinzelte in die Ferne. Es dauerte wenige Sekunden, bis das Bild klarer wurde. Es war ein grandioser Anblick.

Unverkennbar schwamm dort ein rotes Garados mit einem kleinen Mädchen auf seinem Kopf. Doro war in Sicherheit! Elena fiel ein Kleinstein vom Herzen. Sie wartete die wenigen Minuten, bis Garados ans Ufer gelangte. Die rote Wasserschlange senkte seinen Kopf zu Boden und Doro sprang direkt in Elenas Arme.

Doro rief tränenerstickt in Elenas Schulter aus: "Du bist ja schon wieder auf dem Rückweg!"
Die Jugendliche nahm ihre kleine Schwester an den Schultern und sah ihr in die Augen: "Wie sieht´s in Merbaum aus? Was treibt Jonas?"

Der Kleinen stieg eine Wutader auf die Stirn: "Der ist voll das Arschloch! Der tyrannisiert mein Garados bis auf´s Blut und wundert sich dann, wenn es wütend wird. Und dann zerstört er Häuser mit seinem Panzaeron und sagt, es wäre Garados gewesen."

"Das ist alles Berechnung", wusste die Bürgermeisterin und blickte auf Doros Pokémon: "Können wir auf deinem Garados schwimmen? Wir müssen sofort zurück nach Merbaum!"

Mit Garados auf dem Wasser war der Weg zurück um ein Vielfaches schneller bewältigt als zu Fuß. In der Zwischenzeit erklärte die große Schwester der kleinen alles: "Er arbeitet mit den Kantonesen zusammen. Jonas wusste, dass du die stärkste Trainerin in der Stadt bist und wollte dich irgendwie los werden. Und während du und ich weg sind, kann er die Stadt zerstören."

Doro bekam ein schlechtes Gewissen und sorgte sich: "Also hätte ich nicht davon laufen dürfen?" Elena schüttelte den Kopf: "Nein. Es ist perfekt, dass du davon bist. So können wir uns gemeinsam vorbereiten und kämpfen! Und ich bin viel schneller zurück in Merbaum."

Ponita musste nun zwei Leute auf dem Weg nach Norden tragen. Dafür hatte es eine längere Pause bei der Kesselbergumrundung. Elena hetzte das Feuerpferd durch die Wälder in den Norden. Sie hoffte, dass es wegen dieser Aktion keine bleibenden Schäden behalten oder gar sterben würde.
Aber es ging um Leben und Tod und so musste die Jugendliche ihren neuen Freund hetzen. Sie hatte keine andere Wahl.

In der sonst finsteren Nacht erkannte sie in der Ferne die Rotfärbung des Himmels. Merbaum brannte bereits. Das Mädchen duckte sich noch tiefer zu ihrem Reitpokémon und rief: "Schneller Ponita!"

Das Flammenpferdchen war mit seinen Kräften schon längst am Ende, doch hielt es immer noch durch. Während es weiter rannte, begann es plötzlich zu glühen. Mit großen Augen blickten sowohl Elena wie auch Doro auf ihr Reitpokémon, wobei die Kleine noch die Frage stellte: "Heißt das etwa..."

"Es entwickelt sich", bestätigte die Große. Gallopa stieg voller Stolz und nahm noch mehr Tempo auf. Mit der Entwicklung strotzte das Pokémon nur so vor neuer Energie und raste über den Waldboden.

Schon vom Wald aus war das Inferno in der Stadt zu sehen. Elena ritt durch das eingerissene Stadttor von Merbaum und konnte sich ein klares Bild von der Situation vor Ort machen.

Die hysterischen Einwohner versuchten, ihr Hab und Gut gegen einige wenige kantonesische Angreifer zu verteidigen. Andere wollten ihre Häuser löschen, welche ein Feuerdrache angezündet hatte.

"Moment mal, Glurak?", erkannte Elena, als der Groschen fiel. Es war jenes Glurak, welches Tristan und sie bei ihrer Flucht aus Ebenholz und Rosalia verfolgt hatte. Dragonir befreite sich selbständig aus dem Pokéball und sprang in Richtung seines Feindes. Elena folgte ihrem Pokémon.

Glurak setzte zum Flammenwurf auf ein Haus an, doch stellte sich Dragonir ihm in den Weg. Kommandant Nathan lachte schief auf und spottete: "Ha, du schon wieder? Immer noch so schwach? Du willst offenbar eine Revanche. Na die kannst du haben. Los Glurak, Schlitzer!"

"Schieß dich mit Eisstrahl hoch, spring auf seinen Rücken und würge es", empfahl Elena. Wie befohlen führte Dragonir die Attacken aus und würgte Glurak, bis es abstürzte. "Eisstrahl, friere es am Boden fest."

Dragonir erschuf aus dem Nichts einen großen Eisklumpen, der den Feuerdrachen beschwerte. Er konnte sich nicht mehr bewegen und haftete am Boden.

Dann aber entfachte Glurak auf Befehl hin ein Inferno und brachte das Eis zum Schmelzen, sodass es wieder frei war.
"Netter Versuch, Süße", kommentierte ihr Gegner siegessicher. Ungebremst ging der Kampf weiter. Glurak schoss einen Flammenwurf auf die Wasserschlange.

Dragonir blieb mit schmerzenden Verbrennungen einen Moment lang liegen. Besorgt stürtzte Elena zu ihrem Pokémon. Auf dessen Haut waren ganz klar Brandblasen zu erkennen.

"Oh nein", keuchte die junge Bürgermeisterin: "Was kann ich tun. Brandwunden. Fragiabeeren?"
Plötzlich umwickelte Dragonir seine Trainerin und sprang mit ihr hinter ein Haus. Das Mädchen blickte dorthin, wo sie Sekunden zuvor noch kniete. Ein gigantischer Feuerball ging auf diese Stelle nieder.

"Du hast mich gerettet", stellte sie mit Tränen der Rührung fest und umarmte ihre Wasserschlange: "Und ich kann dir nicht helfen. Wenn ich doch nur solche Beeren hätte!"

Dragonir hingegen häutete sich aufgrund der Verletzungen und war wieder putzmunter.

Mit großen Augen bewunderte Elena: "Du kannst Statusprobleme selbst heilen, indem du dich häutest?" Ihr Pokémon nickte kurz, begann dann jedoch ebenfalls zu leuchten.

Voller Schock und Glückseligkeit wich die Jugendliche zurück und sie wisperte: "Bei dir geht's jetzt schon weiter."
Sie konnte ihr Glück kaum fassen, als sie das entwickelte Pokémon vor sich sah.

"Dragoran", rief der hellorange Drache mit Flügeln und sämtlichen benötigten Gliedmaßen aus. Für einen Moment war Elena sprachlos: "Dragoran also, wow."

Ihr Drache umarmte sie herzlich und klopfte ihr auf den Rücken. Dann blickte er entschlossen um das Hauseck. "Na dann wollen wir diesem Glurak-Mann mal zeigen, wo der Hammer hängt", sprach die Drachentrainerin mit geballter Faust, woraufhin Dragoran nur nickte. 

Entschlossen wie nie schrie Elena ihren Befehl aus: "Dragoran, Schockwelle!"

Der Drache stürmte ums Eck hinaus auf das Kampffeld, gefolgt von seiner Trainerin. Er ließ eine Welle von Blitzen auf Glurak niederregnen, welches paralysiert zu Boden stürzte und unter jeden Umständen kampfunfähig war.

Dann flog Drago auf den Kommandanten zu und verhinderte mit einem Wuchtschlag eine erneute Flucht. Elena bat einige der Zuschauer darum, den K.O.-geschlagenen Nathan zu fesseln und ins Erdloch zu bringen. Die Jugendliche überblickte die Lage um sich herum.

Garados hatte Jonas Panzaeron ebenfalls längst besiegt.
Mit Eisschuhen fror Garados Jonas am Boden fest, was die kleine Trainerin kommentierte: "Jetzt schaust du blöd, was?!"

Das furchteinflößende Pokémon schrie Jonas direkt ins Gesicht. Als der zusammenzuckte, wandte sich Garados lachend von ihm ab und ließ sich von seiner Trainerin streicheln.

Schließlich löschten die beiden sämtliche Brandherde der Stadt. Die Hand voll kantonesischer Soldaten, die mit Jonas und Nathan gekämpft haben, wurden durch die Überzahl der Merbaumer geschlagen.

Als Doro die Löscharbeiten abgeschlossen hatte, fragte sie in die Runde der aufgescheuchten Einwohner: "Glaubt ihr mir jetzt, dass Garados überhaupt nix an euren Häusern zerstört hat?"

Ein paar wenige nickten und entschuldigten sich sogar.
Elena erklärte: "Es war Jonas, der eure Häuser zerstört hat. Er wollte, dass Doro aus Merbaum verschwindet, damit die Kantonesen mit Gluraks Hilfe ungehindert hier einfallen können. Nachdem ich weg war, waren Doro und ihr Garados noch das einzig ernsthafte Hindernis."

Viele Merbaumer konnten und wollten nicht fassen, was vor sich ging: "Dann arbeitet Jonas wirklich mit den Kantonesen zusammen?"

Die Bürgermeisterin nickte mit halbgeöffneten Augen: "Ja. Wie du sicherlich mitbekommen hast, hat er gerade auf ihrer Seite gegen unsere Stadt gekämpft."

"Ein Glück, dass ihr so schnell wieder hier wart", warf eine alte Frau ein. Elena blickte mit einem schlechten Gewissen in die Stadt. Die Häuser waren größtenteils unbewohnbar. Sie ließ ihren Kopf hängen: "Nicht schnell genug."

Elena ordnete eine Bewachung der gefangen genommenen Kantonesen während der gesamten Nacht an. Über einen richtigen Kerker verfügte Merbaum noch nicht, aber man hatte ein Erdloch ausgehoben, das diese Funktion erfüllte. Man nahm den Angreifern ihre Pokémon weg und verwahrte sie anderweitig.

Viele der Einwohner zwängten sich in die Häuser, die noch bewohnbar waren. Der Platz reichte aber nicht für alle aus. Die jüngeren Einwohner schliefen freiwillig draußen. Zu deren Glück waren noch genügend Schlafsäcke vorhanden, die nicht verbrannt waren.

Gallopa entzündete mit Glut ein Lagerfeuer, um das sich die Obdachlosen kauerten. Neben Elena lagen Doro und Theo. Der Junge gesellte sich zu den beiden Schwestern, die ihre Zimmer frei machten, damit die älteren und schwächeren Leute dort schlafen konnten.

Um Elena herum schliefen alle und es war still. Nur das Knistern des Feuers knackte. Einzig die Bürgermeisterin setzte sich auf und blickte in die Flammen, bis ihre Augen brannten.

"Kannst du nicht schlafen?", fragte Theo und richtete sich ebenso auf, als er sie bemerkte. Das Mädchen schwelgte in Erinnerungen: "Das ist grade wie früher, mit Tristan." Ihr Kumpel wollte bereits seine Augen verdrehen. Er riss sich aber zusammen und hörte seiner Freundin zu.

"Wir haben nie ´n Dach über dem Kopf gehabt. Und bis vor vier Monaten hab ich noch in ´ner klammen gammligen Höhle gepennt... Wundere dich nicht, wenn ich jetzt sentimental werde. Ich muss mir irgendwie einreden, dass alles nur halb so wild ist", erzählte die Jugendliche.

"Ist es auch", bestätigte Theo mit einem Lächeln: "Wir könnten jetzt alle tot sein. Wären du und Doro nicht rechtzeitig zurückgekommen... Es hätte alles gebrannt, einschließlich die Menschen. Aber dank euch wurde niemand getötet. Ein paar Brandwunden, aber unsere Ärztin hat die Verletzten längst versorgt."

Er hatte Recht. Es hätte alles zu Asche zerfallen können, hätte die Bürgermeisterin und ihre kleine Schwester nicht eingegriffen.

Trotzdem machte sich Elena Vorwürfe: "Wäre ich hier geblieben, wie es meine Pflicht als Bürgermeisterin ist, wäre nichts davon passiert."

"Ach Elena", seufzte ihr Kumpel und legte eine Hand auf ihre Schulter: "Ich glaub, so ziemlich jeder hier weiß, dass du wegen Tristan abgereist bist. Und nachdem die Leute hier ihn ein paar Tage kennenlernen durften, haben sie wohl Verständnis, dass du ihm nachläufst."

Sie fühlte sich verspottet und wehrte ab: "Ich bin ihm nicht nachgelaufen! Ich wollte nur was klären."

"Ja ja, red dir das noch ein. Ist schon gut!", meinte er hämisch und winkte ab.

Zornig boxte die Jugendliche ihrem Kumpel in die Rippen und warf einen tötenden Blick auf ihn. Theo erhob abwehrend die Hände und grinste über beide Ohren: "Hey Elena. Nochmal; wenn´s nicht um dich ginge, wäre Tristan vielleicht sogar ein echter Kumpel. Aber ich hasse ihn einfach."
Sie runzelte die Stirn: "Hassen?"

"Ja, hassen! Zum einen, weil er dich gejagt hat. Zum anderen, weil er all das hat, was ich nicht habe und es damit geschafft hat, sogar einem Mädchen wie dir den Kopf zu verdrehen", bestätigte der Junge und zählte auf: "Ein starkes Pokémon, Grips, eine geile Uniform, gutes Aussehen... und Bartwuchs." Theo verdrehte die Augen und zupfte sich am Kinn, um zu verdeutlichen, dass es bei ihm mehr schlecht als recht damit aussah.

"Du bist 16", hielt Elena fest: "Du musst doch noch gar keinen Bartwuchs haben? Außerdem; ´n starkes Pokémon kannst du auch haben, wenn du es trainierst. ´Ne Uniform; sei doch froh, kein Soldat zu sein. Und aussehen tust du denke ich auch ganz gut. Kann ich nicht beurteilen, dafür kenn ich dich schon zu lange."

Theo räusperte sich: "Kann ich dich was fragen?"

Elena zuckte mit den Schultern und nickte dabei. Mit trockener Kehle stellte der Junge seine Frage: "Warum dann ihn und nicht mich, zum Beispiel?"

Mit großen Augen wich die Jugendliche zurück und kaute auf ihren Lippen: "Warum nicht du? Du bist mein Ersatzbruder. Ich kann mir gar nicht vorstellen, jemals mit dir was anzufangen. Ich hoffe du kannst mir das verzeihen."

Theo prustete aus und erhob abwehrend seine Hände: "He, so war das nicht gemeint. Ich mag dich wirklich, aber nicht so, also keine Bange. Ich kann ganz gut als dein Ersatzbruder leben."

Erleichtert seufzte sie aus, beugte sich zu ihrem Kumpel und flüsterte: "Außerdem gibt's Mira ja auch noch." Der Junge verdrehte die Augen und fragte mit Nachdruck: "Und warum ihn? Du bist mir noch eine Antwort schuldig. Immerhin will ich wissen, was ich bei den Mädchen immer falsch mache - was er offenbar richtig macht..."

Wieder blickte sie ins Feuer und murmelte: "Warum Tristan? Keine Ahnung. Er hat mich zwar wie ein Arschloch sitzen lassen, aber er wollte immer nur mein Bestes."
Sie stockte und mit feuchten Augen überkam sie ein breites Grinsen: "Er hat alles für mich getan. Dank ihm sitze ich hier. Er hat mich aus dem Teakischen Hochsicherheitskerker befreit. Mir war davor nie richtig bewusst, wie ich für ihn empfinde, aber spätestens ab diesem Tag haben mich meine Gefühle für ihn überrollt. Und ich komm nicht mehr los von ihm."

Dann räusperte sich Elena und schlug vor: "Aber bevor es jetzt peinlich wird, sollten wir lieber schlafen. Ich hab morgen einiges zu tun."
Ihr Kumpel warf einen neugierigen wie gespannten Blick auf sie: "Okay, was denn?"

"Das siehst du dann, wenn es so weit ist."

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