13. Neue Hoffnung, oder nicht?
Der Trupp um Hauptmann Gerald war auf dem Weg nach Rosalia. Nach einer langen Wanderung schlugen die Soldaten ihr Quartier zum Sonnenuntergang auf und kochten ihre Verpflegung. Sein Pokémon hatte Tristan unlängst versorgt und in den Pokeball zurückgerufen, wo es sich von der Tour erholen konnte.
Ein erst nervöser Ruf durchdrang die Reihen der Soldaten: "Truppen in nördlicher Richtung in Sicht!"
Vom Norden waren sie selbst gerade gekommen. Es konnte kaum Kanto sein.
Tristan wusste des Rätsels Lösung: "Das sind eure Kameraden aus Oliviana."
Elegant ritt Offizier Ethan auf seinem Gallopa durch die Reihen der aufgeregten Soldaten. Viele freuten sich über ein Wiedersehen mit ihren seit Wochen abwesenden Kumpels. Nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Hauptmann kam der Offizier auf Tristan zu.
Immer noch auf seinem Feuerpferd sitzend sprach er: "Leutnant Avila, ich grüße Euch!"
Der nickte kurz und blickte dann wieder zu Ethan hoch, der Sonne entgegen: "Schön Euch zu sehen, Ethan."
Der Offizier stieg ab und umarmte unerwarteterweise seinen Untergebenen: "Viola ging flott, wie ich hörte. Viele Gefangene, aber..."
"Wir haben Lugia an den General verloren", vollendete der junge Leutnant mit einem Seufzen.
Mit Bedauern senkte der muskolöse Offizier seinen Blick: "Also ist es wahr."
Tristan verdrehte nachdenklich die Augen: "Zwei unserer Bürgermeister haben zwar die Verfolgung aufgenommen, aber Hermann muss sich unterwegs mit seinem Simsala wegteleportiert haben. Wenn ich nur wüsste, was er jetzt vor hat und wo er ist..."
Ethan zuckte mit den Schultern und äußerte Mutmaßungen: "Ich weiß es nicht. Vielleicht fegt er über die restlichen besetzten Städte hinweg und zerstört alles. Vielleicht fliegt er auch direkt nach Kanto und tötet alles, was ihm unterkommt."
Der junge Mann registrierte die Worte seines Chefs und er warf einen schnellen Blick in dessen braune Augen: "Also sind wir uns einig, dass Lugia nicht in Hermanns Händen verbleiben darf?"
Der Offizier bestätigte mit einem tiefen Nicken: "So ist es. Lugia muss schnellstmöglich aus den Klauen dieses Größenwahnsinnigen befreit werden!"
"Bloß wie sollen wir das anstellen?", fragte Tristan verzweifelt. Ihm war danach, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen: "Der General hat Lugia mit einem Pokéball an sich gebunden! So schnell trennt die beiden nichts mehr voneinander."
Ethan lächelte ein triumphierendes Lächeln: "Eure Schwester hat doch immer noch den Silberflügel, oder nicht?"
Sein Untergebener runzelte die Stirn: "Ja, aber wieso?"
"Mit dieser Macht, die der Silberflügel dem Auserwählten über Lugia verleiht, sollte doch auch die Macht eines Pokéballs gebannt werden. Immerhin sind das alte mystische Kräfte, die einen Auserwählten an seinen Patron binden. Ein Pokéball vermag diese starken Kräfte nicht zu überwinden, da bin ich sicher", erklärte der Offizier.
Der schwarzhaarige Kerl schloss kurz die Augen und fasste sich ans Kinn: "Dann heißt das, Cecilia muss Lugia nur einmal mit dem Silberflügel entgegen treten und sie erlangt wieder die Kontrolle über das Pokémon?"
"Versprechen kann ich es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es funktioniert, ist sehr groß."
Tristans interessierter Blick fiel auf den allwissend scheinenden Offizier: "Woher wisst Ihr eigentlich so viel darüber?"
"Ach", winkte Ethan ab und erklärte: "In Momenten, in denen ich die Neuigkeiten einer Schlacht erwarte und mich kaum vor Spannung rühren kann, lese ich."
"Verstehe", gab der junge Leutnant zurück und wandte sich ab: "Danke für Eure wertvollen Informationen. Ich werde meiner Schwester sagen, dass wir den General aufsuchen müssen."
Jetzt verneigte sich der Offizier: "Bitte, sehr gerne geschehen, Avila. Schönen Abend noch!"
Seit Lugia gestohlen war, waren die Nächte für Cecilia noch schlafloser als ohnehin schon. Ein nicht enden wollender Kampf tobte in ihr. Da war der Wille, Julius eine Chance zu geben und ihn doch am liebsten nie wiederzusehen.
Sofort hingen die Gedanken der jungen Frau wieder bei Lugia fest.
Wie enttäuscht es wohl von ihr sein musste? Mit den Neuigkeiten, die ihr Bruder daher brachte, konnte Cecilia auch nicht viel anfangen; Lugia aufsuchen, ihm den Silberflügel unter die Nase halten, und schon wäre die Verbindung zum General gebrochen? So etwas sollte funktionieren?
Und wie sollte sie den General finden? Natürlich stellte sich Julius sofort als Flugpartner zur Verfügung und versprach ihr, sie mit Aerodactyl überall hinzufliegen, wo sie wollte. Mehr, als sich bei ihm zu bedanken und ihm zu versprechen, sich über Nacht Gedanken dazu machen, schaffte die junge Lady nicht.
Unruhig legte sie sich in das kleine Zwei-Mann-Zelt, das sie sich wieder mit ihrem Bruder teilte. Als Cecilia ihn seelenruhig neben sich schlafen sah, überkam sie der pure Neid. Wie früher hätte sie ihn am liebsten wachgerüttelt. Warum nur konnte sie nicht schlafen?
Statt sich das leise Brummen, das beinahe ein Schnarchen war, anzuhören, ging die junge Lady noch kurz spazieren. Kalte Nebelschwaden krochen an ihren Beinen hoch, aber sie würde ja nicht lange draußen sein. Spiegelglatt erstreckte sich vor ihr ein kleiner See, in dem sich die Sterne spiegelten. So kauerte sich die Bettflüchtige auf einen Felsen und stützte ihr Kinn auf die Faust.
Mit schweren Augenlider betrachtete sie die sachten Wellen, die am Kiesstrand versickerten.
Wurde sie jetzt etwa müde?
Morgen würde der Trupp Rosalia erreichen. In der Befreiungsschlacht wollte sie in jedem Falle mitkämpfen. Auf die Suche nach dem General konnte sich Cecilia hernach immer noch begeben.
Doch wurde sie wirklich müde?
Schwach erhob sich die junge Frau von ihrem Felsen und stakste zurück in Richtung Lager. Sie taumelte und griff nach der Rinde eines Baumes, um sich daran festzuhalten. Schwer atmend blieb sie stehen. Weswegen war jetzt alles so anstrengend?
Cecilia riss ihre Augen auf, entschlossen, zu ihrem Schlafplatz zurückzukehren. Doch erschien vor ihr wieder eine Gestalt; diese Gestalt. Schemenhaft erkannte sie den Umhang und die Statur, vor ihm dieses Mal ein schwarzes Pokémon mit den leuchtend gelben Ringen.
Beinahe fiel sie auf den Boden, konnte sich aber noch mit einem Ausfallschritt retten. Der Kampf gegen die Schwäche erforderte jegliche Disziplin, die sie aufbringen konnte.
Mit zittrigem Kopf richtete die junge Lady ihren Blick auf den Unbekannten und keuchte: "Was willst du von mir? Was hast du gemacht?"
Bevor sie endgültig zu Boden krachte, fing der Maskierte sie auf und drehte sie auf ihren Rücken.
"Es tut mir ehrlich leid", entschuldigte sich der Mann.
Schon fast zärtlich strich er Cecilia die Haare aus dem Gesicht und blickte ihr in die Augen: "Es ist zu schade, dich auf diesem Wege kennengelernt zu haben."
Reflexartig versuchte sie nach ihrem Pokéball zu greifen, doch hatte sie diesen im Zelt gelassen.
Der Unbekannte zuckelte mit dem Zeigefinger: "Na na na! Wer wird denn hier gleich wieder angreifen wollen, meine Schöne?"
Mit keuchend ernstem Blick sah die junge Frau auf ihn, sagte jedoch nichts.
"Du musst nicht antworten. Nachtara hat dich hypnotisiert. Dass du noch nicht schläfst, ist aber merkwürdig. Aber so hast du mehr von mir", grinste der Kerl, fuhr an ihrem Hals entlang und griff nach ihrer Halskette.
Währenddessen wägte er für sich ab: "Es wäre wohl falsch dich zu küssen. Sonst würde ich dich zwingen und du könntest dich nicht wehren."
Der Unbekannte griff nach dem Silberflügel, entfernte die Kette von ihrem Hals und nahm die Feder an sich: "Aber ein Kuss auf die Stirn ist ja nicht verwerflich."
Wie angekündigt küsste er sie dort, legte dann seine Stirn auf die ihre und blickte der jungen Frau intensiv in die Augen: "Tut mir ehrlich leid, dass ich dir deinen Silberflügel jetzt stehlen muss, meine Verehrteste. Vielleicht kannst du mir ja irgendwann verzeihen."
Sein Blick fiel auf ihre Lippen und er wisperte: "Oh ich kann nicht anders."
Mit einer Hand an ihrer Wange küsste er Cecilia zaghaft.
Sachte legte der Dieb sie auf das Laub: "Die Hypnose wird noch ein paar Minuten vorhalten, fürchte ich. Und ich kann dich wegen der Wachen nicht in dein Zelt zurückbringen. Ich fürchte, du musst hier noch ausharren, bevor du wieder laufen kannst. Aber..."
Der Unbekannte nahm seinen Umhang ab und wickelte Cecilia darin ein: "Ich will ja nicht, dass du erfrierst, meine Schöne. Wenn wir uns mal wiedersehen, könntest du ihn mir ja zurückgeben. Bis dahin... Adieu."
Es folgte ein Kuss auf die Wange und ein feines Aufspringen seitens des Maskierten. Nur das Geraschel der Büsche ließ wenige Sekunden später noch verlauten, dass er hier gewesen war; das und der Umhang, in den Cecilia gehüllt war.
Eine Träne der Verzweiflung rann über ihre Wange. Jetzt war der Silberflügel auch noch weg! Die Chance, Lugia wieder zurückzubekommen und aus den Fängen des irren Generals zu befreien, hatte sich in Luft aufgelöst.
Cecilia kombinierte, dass der Auftraggeber, von dem der Dieb einst sprach, General Hermann war. Er musste gewusst haben, dass er ohne den Silberflügel Lugia nicht unter Kontrolle bringen würde. Weil er ihr im Kampf stets unterlegen sein würde, hatte Hermann den Dieb beauftragt, ihr die silberne Feder bei Gelegenheit abzunehmen.
Was jetzt nur geschehen würde? Jetzt, wo Hermann die Kontrolle über Lugia besaß... Sie vermochte es sich nicht auszumalen.
In der Bewegungslosigkeit überkam sie die Kälte mehr und mehr. Gänsehaut breitete sich über den gesamten Körper der jungen Lady aus. Wenn sie doch wenigstens um Hilfe schreien könnte. Doch dann hörte sie jemanden, der ihr immer näher kam.
"Cecilia?", fragte Julius.
Sie gab keinen Mucks von sich. Dennoch eilte er zu ihr und kniete sich zu ihr hinunter.
Mit großen Augen blickte er in das Gesicht seiner Angebeteten: "Was ist denn passiert? Du erfrierst ja gleich, komm."
Der junge Kerl nahm sie hoch. Wie ein Sack Kartoffeln lag Cecilia in seinen Armen. Sie konnte noch nicht mal ihren Kopf oben halten. Unweigerlich legte sie ihr Gesicht auf seine Brust. Sein Herz schien beinahe zu zerspringen, so schnell pochte es.
Der arme Kerl, dachte die junge Frau bei sich. Was er schon alles wegen ihr mitmachen musste? Schuldbewusste Tränen überkamen sie. Wegen ihm und wegen Lugia. In allen Lebensbereichen hatte sie einfach versagt.
Julius brachte seine Verehrteste zum Sanitäter, der schnell eine Diagnose stellte: "Keine Bange. Das ist nur ´ne Hypnose von irgend ´nem Pokémon. Vielleicht hat sie irgendein Hoothoot oder Noctuh auf Beutejagd überrascht. Was muss sie nachts auch draußen rum laufen?"
"Dann erholt sie sich wieder?", fragte der junge Kerl zur Sicherheit nach und knetete Cecilias Hand.
"Ohne Zweifel", nickte der Sanitäter und deutete mit dem Finger zur Ausgangstür: "Aber wegen sowas muss sie nicht hier übernachten, klar?"
Der dunkelblonde Kerl verstand die Ansage. Er nahm Cecilia wie gewohnt auf und trug sie ins Zeltlager.
Auf dem Weg dorthin fand sie endlich ihre Stimme wieder und sie krächzte: "Der S be ge st eg."
Mit großen Augen und einem sanften Lächeln blickte Julius zu ihr hinunter: "Erhol dich erstmal. Du kannst mir später immer noch alles erzählen, wenn du willst. Andererseits würde mich schon interessieren, wo du den Umhang her hast."
Die junge Frau räusperte sich und nahm all ihre Kraft zusammen: "Vo- -em Dieb."
Ein breites Grinsen überkam ihn: "Von einem Dieb? Sind Diebe nicht eher dafür bekannt, dass sie einem Dinge wegnehmen, anstatt zu geben?"
"Er hat meinen Silberflügel gestohlen", keuchte sie und ihre Augen quollen über.
Julius blieb im Schockmoment stehen und starrte regungslos auf seine Angebetete: "Was?"
Obwohl ihr danach war, im Erdboden zu versinken, kehrten Cecilias Kräfte immer mehr zurück: "Der hat mich schon zwei Mal davor aufgesucht; einmal in Oliviana und dann in Teak und gerade jetzt wieder. Ich wusste erst nicht, was er von mir wollte, aber er sprach von einem Auftraggeber und dass er mir die Feder stehlen muss. Und jetzt ist sie weg. Die einzige Chance, Lugia zu befreien..."
Sie vermochte nicht, ihrem Verehrer in die Augen zu blicken. Beschämt starrte sie auf ihre Oberschenkel, ließ sich aber immer noch von ihm tragen. Was er nur dazu sagen würde?
Er drückte sie an sich und flüsterte: "Auch dafür finden wir eine Lösung."
"Julius?", krächzte Cecilia und wagte einen kurzen Blick zu ihm hinauf.
Erwartungsvoll und sanftmütig blickte er zu ihr hinunter: "Hm?"
Mit trockener Kehle fragte sie: "Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?"
Sein Kopf wich zurück und er starrte in eine andere Richtung: "Ähm, bist du sicher? Also klar darfst du. Wie du willst..."
Als die junge Frau ihre Arme wieder bewegen konnte, umschlang sie ihren Verehrer: "Ich brauche einfach nur einen guten Freund, der für mich da ist."
Den Rest des Weges ließ sie sich in sein Zelt tragen. Ihren Kopf schmiegte sie an seine Brust und ab und an schielte Cecilia an seiner Kehle vorbei in sein Gesicht.
Auf ihre letzten Worte hin blickte Julius zu ihr hinunter: "Ich bin nicht dein guter Freund, das weißt du ganz genau. Ich liebe dich seit wir uns das erste Mal begegnet sind. Und ich werde immer für dich da sein, egal, was passiert."
Eine wohlige Wärme breitete sich über ihren ganzen Körper aus. Aber die Stimme der Vernunft in ihr schrie aus, es bleiben zu lassen. Immerhin war er ein Möderssohn.
Cecilia schüttelte mit glasigen Augen den Kopf: "Was ist das für ein Schicksal? Du der Sohn des Mörders, der meine Mama auf dem Gewissen hat..."
Julius seufzte aus. Sie wusste ja, dass er nichts dafür konnte.
"Ich weiß es nicht, was das für ein Schicksal ist...", sprach er und stockte: "Aber vielleicht ist es das unsere."
Die Stimme ihres Herzens überwog. Sie zog sich an Julius Nacken hoch und schloss den Abstand zwischen ihren Lippen.
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