Kapitel 11 - 00 Minuten 00 Sekunden

"Ist sie noch am Leben?"

„Sie hat einen hohen Blutverlust, eine starke Blutvergiftung und diverse innere Blutungen.“

„Wird sie es überleben?“

„Die Chancen stehen sehr schlecht.“

„Was ist mit ihren Zehen?“

„Sie kann froh sein, dass sie nicht den ganzen Fuß verliert –wenn sie denn überlebt.“

„Mommy?“

Ein grelles Licht schien durch meine geschlossenen Lider und weckte mich aus einem schier endlosen Schlaf.

Bin ich gestorben?

Eine unerwartete Freude ergriff mich. Gab es etwa doch einen Himmel?

Sonst wäre es wohl kaum so hell und würde so – so nervig piepen.

Ich runzelte leicht die Stirn.

Das tat weh.

Generell tat mir sehr viel an meinem Körper weh. Der kleine Finger, den ich vorsichtig über etwas Weiches bewegte, und mein Kopf, in dem sich eine ganze Armee an Presslufthämmern ausgetobt haben musste, so sehr schmerzte es.

Doch wenn ich tot war, warum tat mir dann alles weh? Und... warum war ich eigentlich tot?

Ein Name erschien vor meinem inneren Auge, dazu das Bild einer Person.

Laila.

War etwas mit ihr geschehen?
Vor Schreck riss ich die Augen auf, auch wenn ich sie sofort wieder zusammenkneifen musste.

Es war unglaublich hell und ich musste erstmal kräftig blinzeln, ehe ich wieder etwas erkennen konnte.

Direkt vor meiner Nase hing ein Transfusionsbeutel.

Entweder der liebe Gott hatte eine ganz makabre Art seine Neuankömmlinge zu begrüßen oder aber – und dieser Gedanke ließ mein gequältes Herz einen Salto schlagen – oder aber ich war gar nicht tot.

Trotzdem blieb die Frage nach Laila ungeklärt.
Ich drehte meinen Kopf etwas und blickte direkt in haselnussbraune Augen.

Sie gehörten zu einem breit grinsenden Gesicht, das die zwei süßesten Grübchen hatte, die ich jemals zu Gesicht bekommen durfte – Laila miteingeschlossen.

Das grinsende Gesicht wurde umrahmt von dunkelbraunen Haaren, dessen widerspenstigste Strähnen ihm tief in die Stirn fielen. Er sah so aus, als würde er regelmäßig Sport treiben, auch wenn seine Brust längst nicht so muskulös war wie die eines Bodybuilders.

Ich gab dem Drang nach und lächelte zurück.
Ich hatte diesen Mann noch nie in meinem Leben gesehen und doch kam er mir bekannt vor.

"Willkommen zurück bei den Lebenden."

Seine Stimme brummte in einem angenehmen Bariton und am liebsten würde ich die Augen schließen und mir etwas von ihm vorlesen lassen.
Aus dem neuen Roman von Stephen King, der auf meinem Nachttisch lag, oder von mir aus auch aus dem neuen Prinzessin Lillifee-Band, der auf Lailas Tisch lag.

Ich konnte es mir nicht ganz erklären, aber mein Unterbewusstsein tendierte zu Prinzessin Lillifee.

"Was ist passiert? Warum bin ich hier?"

Meine Stimme klang grauenhaft, als hätte ich eine Runde mit Sandpapier gegurgelt.

Der Fremde mit den süßen Grübchen (was genau dachte ich hier eigentlich?) reichte mir schnell ein Glas Wasser, dass ich gierig austrank.

Schnell goss er mir nach und auch das zweite Glas leerte ich innerhalb von Sekunden.

Was war nur passiert? Ich blickte den Fremden abwartend an. War er so eine Art Krankenschwester?

Nein, er trug keinen Kittel und generell schien mein Unterbewusstsein mir bezüglich dieses Fremden etwas mitteilen zu wollen, doch scheinbar waren die Leitungen blockiert.

"Du erinnerst dich nicht mehr?" Er musterte mich zaghaft, weshalb ich langsam den Kopf schüttelte.

Hauptsache, er klärte mich endlich auf, oder musste ich so lange durch die Gänge rennen und Macarena tanzen, bis es jemand anders tat oder mich in die Klapsmühle steckte.

Bei dem Gedanken musste ich kichern. Der Fremde – bzw. Grübchenjunge, wie ich ihn gerade getauft hatte – starrte mich verdattert an, weshalb ich ihm meinen Gedankengang erklärte.

Auch Grübchenjunge lachte nun und begann endlich zu erzählen:

"Ach, ich glaube jetzt weiß ich, woran es liegt, dass du dich nicht erinnerst. Dr. Montgomery hat dich mit so viel Medikamenten und Schmerzmitteln vollgepumpt, dass ich froh sein sollte, wenn du noch weißt was Macarena ist."

Das erklärte immerhin meine komischen Gedanken.

"Schmerzmittel?"

Ich zog eine Schnute. "Besonders wirksam sind sie nicht. Mir tut alles weh!"

Ich klang fast noch wehleidiger als Laila, wenn ich ihr verbot, nach dem Zähneputzen noch ein Nutellabrot zu naschen.
Grübchenjunges Gesicht wurde schlagartig ernst und prompt wünschte ich mir, ich hätte nichts gesagt.

Ich wollte alles tun, damit er wieder lächelte.

Hallelujah, wenn mir der Arzt auch nur die halbe Dosis der Medikamente verschrieb, die mir gerade durch den Körper pulsierten, dann hätte ich endlich mal Spaß bei der Arbeit.

"Bei dem, was du durchgemacht hast, wundert es mich nicht, dass dir alles weh tut. Du bist vergiftet worden, Kat. Eigentlich ist es ein Wunder, dass du überhaupt noch lebst. Das Gegengift, das du gerade rechtzeitig getrunken hast, hat irgendwie bewirkt, dass sich das Gift in deinem Blut so sehr verlangsamt hat, dass die Ärzte es mit einer Dialyse bereinigen konnten. Und selbst das hätte verdammt leicht schiefgehen können. Von den vielen inneren Blutungen und deinen Zehen mal abgesehen... Du bist dreimal operiert worden!"

Er klang bewundernd, als wäre es eine Leistung, sich unter Vollnarkose aufschneiden zu lassen.

Mein Blick fiel auf meine Füße. Sie steckten in Verbänden.

"Was ist mit meinen Zehen?"

"Dir mussten drei Zehen amputiert werden." Seine geflüsterten Worte trieben mir die Tränen in die Augen. Ich hatte meine Zehen gemocht!

"Werde ich laufen können?" Meine Stimme zitterte leicht und ich fühlte mich wieder wie 16 und nicht wie 32.

Es ist, als wäre ich an den Tag der Scheidung zurückversetzt worden. Da hatte ich auch nicht weinen wollen. Ich hatte es trotzdem getan, weil ich nicht stark genug gewesen war, um die Tränen zurückzuhalten.

Diese Erinnerung war wie ein Schalter in meinem Gehirn. Plötzlich konnte ich mich an alles erinnern.

An das Geschäftsessen mit Professor Alrott. An meine Vergiftung. Die Suche nach dem Gegenmittel und wie ich es letztendlich in der Wanduhr gefunden hatte. Die Schmerzen.

Ich erinnerte mich an Josua, der plötzlich neben mir saß und mich in den Armen wiegte. Da weinte ich gleich ein bisschen mehr.

Doch im Gegensatz zu der Zeit vor 16 Jahren fühlte ich mich nicht schwach durch meine Tränen.

Ich fühlte mich befreit.

Ende

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