Kapitel 10 - 16 Minuten 40 Sekunden

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Ich trat das Gaspedal noch ein Stück weiter durch und kitzelte die letzten paar PS aus dem alten Dienstwagen heraus.

Unter anderen Umständen hätte ich es gehasst, selbst einer der verabscheuten Raser zu sein, immerhin war ich Polizist. Doch dieses Mal scherten mich meine eigenen Regeln einen Dreck.

Meine Gedanken kreisten um Kat.

Ich wusste, dass man in Dienst keine Sympathien an sich ranlassen sollte, das war sogar die oberste Regel meines Vaters gewesen, doch ich konnte nicht anders.
Beim Gedanken an die aufgelöste Frau sackte mein Herz ein bisschen tiefer.

Sie hatte so verzweifelt geklungen und irgendwie hatte das etwas in mir angesprochen. Ich hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt und so raste ich mit meinen beiden Kollegen Thommy und Dean und einem Krankenwagen in Richtung von Alrotts Villa.

Am liebsten hätte ich ungeduldig auf dem Lenkrad rumgetrommelt, doch meine Finger krallten sich krampfhaft um das Leder. 

I-ich will noch nicht sterben. 

Diese Worte hatten mich erschüttert. Diese Frau hatte nur noch eine einzige, anscheinend unglaublich schmerzhafte Stunde vor sich gehabt. Und von dieser einen Stunde, die sie noch zu leben hatte, waren jetzt nur noch 16 Minuten übrig.

Mein Blick glitt zum Handy, das auf dem Beifahrersitz lag. Ich würde doch nicht...?

Ich nahm meinen Fuß etwas vom Gaspedal, um nicht noch vor einen Baum zu fahren, während ich das Telefon angelte. Tot würde ich Kat wohl kaum was bringen.

Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, tippte ich meinen Code ein. Ich brauchte drei Versuche, bis ich es endlich geschafft hatte.

Glücklicherweise hatte ich mir ihre Nummer kurz vor dem Aufbruch abgespeichert und so schaffte ich es mit wenigen Klicks, sie anzurufen.

Es tutete einmal.

Zweimal.

Fünfmal.

"Scheiße! Kat, du darfst nicht tot sein!" Eine irrationale Panik erfasste mich, als auch beim sechsten Tuten nichts passierte.

Was, wenn sie schon tot war? Wenn dieser verrückte Professor sie umgebracht hatte? Hätte es sie gerettet, wenn ich schneller gewesen wäre?

Schneller gehandelt, schneller gefahren, an weniger Kreuzungen gebremst? Könnte ich mir das verzeihen?

Bevor ich meine gedankliche Abwärtsspirale weiterverfolgen konnte, nahm Kat ab.

"Oh Gott sei Dank, ich dachte schon, es wäre zu spät. Wir sind in 2 Minuten da Kat, hörst du? Wir haben es fast geschafft!"

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sie lebte noch! Ich würde doch noch rechtzeitig bei ihr sein.

Ich lenkte meinen Wagen auf den Feldweg, der die letzten hundert Meter zum Anwesen führte.

"Kat? Katharina? Bist du noch dran?"

Ich wurde etwas panisch, als sie nicht reagierte. War sie etwa doch schon tot? Oder hatte der Alte ihr das Telefon weggenommen?

Das schmerzerfüllte Stöhnen einer Frau drang zu mir.

"Oh Gott Kat, wir fahren schon so schnell wie möglich, d-du musst noch ein bisschen durchhalten!"

"Ich ... bin ... müde, Josua." Ihre Stimme klang brüchig und kalte Panik setzte sich in meinem Magen fest und hielt ihn mit eisernem Griff umklammert.

Sie durfte auf keinen Fall einschlafen! Aber wie? Fieberhaft überlegte ich, was ich tun könnte.

"Oh ich weiß, Kat, aber du musst noch ein bisschen wach bleiben, ok? Nur noch ein kleines bisschen!" flehte ich und schwieg kurz, um krampfhaft zu überlegen, was sie vor dem Tod retten konnte.

"Erzähl mir von Laila." Diese Aufforderung war schneller raus, als ich darüber nachdenken konnte.

Als sie mir erzählt hatte, dass sie eine Tochter hatte, da hatte ich sie mir vorgestellt. Wie sie die Kleine lachend im Arm wog und ihr Lieder vorsang.

Es erinnerte mich schmerzhaft daran, dass ich trotz meiner 35 Jahre noch Single war.

Es war nicht so, dass ich nicht hübsch genug war. Ganz im Gegenteil ich hatte mehrere Verehrerinnen, die mir mehr oder weniger subtil den Hof gemacht hatten.

Ich hatte alle Avancen abgelehnt.

Vielleicht war es kindisch, aber ich wartete auf die Richtige. Ob Kat die Richtige war?

Diesen Gedanken verwarf ich jedoch wieder recht schnell. Nicht nur, dass ich sie nicht kannte, nein, sie war scheinbar auch verheiratet.

"Kat?"

Während meine Gedanken abschweiften, hätte ich fast nicht mitbekommen, dass Kat antwortete.

"Du würdest sie lieben."

Ihre leisen Worte brachten mich zum Lächeln. Es war ein ehrliches, breites Lächeln, wie ich es schon lange nicht mehr gelächelt hatte. Und das alles wegen einer Frau, die ich nicht mal kannte.

"Dann stell sie mir vor."

Ich hoffte wirklich, dass Kat das irgendwann mal tat.

Mit quietschenden Reifen hielten wir vor dem Tor des Anwesens. Während Thommy ausstieg, um das Tor mit einem Seitenschneider zu öffnen, schnappte ich mir das Telefon.

"'osua?" Kat sprach mittlerweile so leise, dass ich sie kaum noch verstand.

"Hm?"

"Hast d-du Grübchen?" Auf diese unerwartete Frage musste ich erneut grinsen, während wir uns schnellen Schrittes zur Tür bewegten.

"Ja. Ich kann sie dir zeigen, wenn du willst."

Ich wartete auf eine Antwort, hoffte sogar, dass ich sie etwas aufmuntern konnte, doch von Kat kam nichts mehr.

Das Einzige, was ich hörte, war das Splittern einer Tür im Hintergrund und die verrückten Schreie des Professors, der nach ihr rief.

Ich beschleunigte meine Schritte und zog meine Pistole.

"Kat, hörst du mich?! Bitte antworte mir, Süße!" schrie ich in mein Telefon, doch nichts passierte.

Fluchend legte ich auf und warf mich mit voller Kraft gegen die Eichentür.

Sie sprang glücklicherweise sofort auf. Den stechenden Schmerz in meiner Schulter ignorierend sicherte ich den Flur.

Schnell rannte ich auf die erste Ecke zu, meine Kollegen dicht auf meinen Fersen. Eine Blutspur, die sich über den Teppich und an der Wand entlang zog, zeigte mir recht deutlich, wohin Kat gegangen bzw. gekraucht war.

Meine Pistole voran sprang ich um die Ecke und erblickte den wahnsinnigen Professor, der schrill kreischend mit einem Brieföffner auf die Salontür einhieb.

"Hände hoch, Sie sind umstellt!" Thommy zielte auf den Professor, der aber keinerlei Notiz von diesem zu nehmen schien.

Sogleich waren Thommy und Dean bei ihm, entwaffneten ihn und fesselten ihm die Hände auf den Rücken.

Er kreischte und zappelte, doch gegen die beiden erfahrenen Officer hatte er keine Chance.

Ich warf mich derweilen gegen die Salontür. Meine lädierte Schulter protestierte heftig, doch ich machte einfach weiter.

Nach mehreren Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, hörte ich ein Klirren, als würde sehr viel Porzellan zu Bruch gehen. Schnell drückte ich die Tür auf.

Keine zwei Meter von mir lag Kat neben einer großen Standuhr, wunderschön, verschwollen, blutend und verdammt leblos.

Ich zwängte mich durch den Spalt und rüttelte vorsichtig an ihr.

Es kam keinerlei Reaktion.

Ich taste nach ihrem Puls, doch da war keiner.

"Nein, nein, nein, nein!" Ich schüttelte sie nochmal, doch ihr Kopf schlackerte nur leblos herum.

Mein Blick fiel auf die kleine gelbe Phiole neben ihr. War das das Gegengift, von dem sie gesprochen hatte?
Scheinbar war es ausgelaufen.

Hatte Kat vorher etwas davon trinken können? Hatte das gereicht?

Schnell schnappte ich mir die Phiole und tröpfelte die letzten Schlucke in ihren Mund. Mit einer geübten Bewegung brachte ich sie zum Schlucken.

Nichts passierte. Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar. Das durfte jetzt nicht wahr sein!

Ich konnte sie nicht verlieren, bevor ich sie überhaupt kennengelernt hatte! So sanft wie möglich hob ich sie auf meine Arme und trug sie aus dem Salon.

Im Flur kamen mir schon die Sanitäter entgegen und ich legte Kat auf eine Trage.

Wie betäubt lief ich neben ihnen her, während die Ärzte versuchten, von Kat ein Lebenszeichen zu bekommen.

Dean trat auf mich zu. Seine tiefe Bassstimme dröhnte mir durch den Kopf, während er mir seine kräftige Pranke auf die Schulter schlug.

"Fahr ruhig mit dem Krankenwagen mit. Thommy und mir ist aufgefallen, dass sie dir was bedeutet."

Ich schluckte, doch Dean lächelte nur freundlich.
"Mit dem Verrückten werden wir schon allein fertig. Der wird so schnell kein Tageslicht mehr sehen."

Er klang grimmig entschlossen, selber schockiert von den Taten, zu denen Menschen fähig waren.

~♡~

Endlich mal wieder ein längeres Kapitel und dann gleich aus Josuas Sicht. 😊

Wie ihr seht, nähern wir uns so langsam dem Ende (ich kann es selber kaum fassen).

Ich bedanke mich jetzt schon bei euch ihr wart wunderbare Leser. ♡

LG
Eve

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