Seelenfresserin

Du hörst mir oft nicht richtig zu.

Bist meist ein bisschen abgelenkt. Gedanklich mit der nie enden wollenden to-do-Liste in deinem Kopf beschäftigt, deren Last du nicht zu teilen bereit bist.

Es kommt vor, dass ich innerlich beinahe zu platzen drohe, weil ich meine Gedanken und Gefühle mit jemandem teilen möchte, der mir wichtig ist. Mit jemandem wie dir. Und dann mache ich den Mund auf und – schließe ihn wieder. Weil du bereits wieder auf dem Sprung bist. Weil ich weiß, was du tust. Tag für Tag machst du dich selbst ein bisschen mehr kaputt. Ich nur ein unbedeutender Schatten am Rande deines Sichtfelds.

Es kommt vor, dass ich meine Lippen nicht nur öffne. Dass sich die Worte in mir nicht länger zurückhalten lassen und sich frech einen Weg bahnen. Zu dir. Zu deinem Ohr und ganz besonders zu deinem Herzen.

Und fast immer steh ich dann vor verschlossener Tür.

Du hörst mein Klopfen nicht. Blendest es aus. Hörst mein Schreien nicht. Blendest es aus und speist mich einfach ab. Mit ein paar leeren seelenlosen Worten.

Die mich verdammt wütend machen, aber auch – verdammt traurig.

Es tut weh, sich so unverstanden zu fühlen wie ich in diesen Momenten. Der Schmerz nagt an mir. An meiner Seele. Er frisst mich auf. Du frisst mich auf.

Und doch ist da immer wieder diese Hoffnung. Diese ekelhaft trügerische und schrecklich naive Hoffnung, die mir leise zuflüstert, dass es dieses Mal anders läuft. Dass du dieses Mal Zeit für mich hast. Mir zuhörst. Mich verstehst.

Denn du bist doch du und ich bin immer noch ich. Deine Tochter. Und du musst mich doch trotz allem lieben, oder? Du musst doch sehen, verdammt, wie es in mir drin aussieht. Du musst doch alles dafür tun wollen, dass meine Seele endlich wieder zu heilen beginnt. Mit Salbe und Pflaster bewaffnet wirst du mich auffangen, in deine Arme schließen und. Das wirst du doch, oder? Oder nicht?

Es kommt vor, dass ich einsehe, dass nur ich selbst in der Lage bin, mich zu retten. Nur ich selbst kann mir genau das geben, was ich brauche. Nämlich allem voran Abstand. Eine Pause von dir.

Und es kommt vor, dass ich dann – in diesen Momenten – wirklich ein bisschen heile. Indem ich mich selbst ernst nehme. Indem ich mich mit Menschen umgebe, dir mir guttun. Indem ich an Orte reise, die mich glücklich machen. Indem ich mir Jobs suche, die mich erfüllen und bei denen ich wachse. Über mich hinaus. Indem ich Bücher lese. So unendlich viele Bücher. Die mich ablenken und in denen ich mich sehe. Denn es kommt vor, dass ich mich selbst in ihnen wiedererkenne.

Doch immer genau dann, wenn ich kurz davor bin zu fliegen – meine Flügel auszubreiten und meinen eigenen Weg zu gehen – holst du mich zurück auf den Boden der Tatsachen und stutzt mir die Flügel.

Ich kann nicht sagen, ob der Aufprall von Zeit zu Zeit schlimmer wurde. Oder ob ich allmählich abzustumpfen drohe.

Objektiv betrachtet weiß ich: Ich werde nie in der Lage sein, dir alles recht zu machen.

Ich weiß: Du tust mir nicht gut.

Denn: Du raubst mir die Kraft, die ich nicht habe.

Du. Machst. Mich. Krank.

Und doch bist du immer noch die Person, die ich als Erste anrufe, wenn es mir schlecht geht.

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