first chapter
04.04.2020
»May, beeil' dich! Rupert wartet nicht gerne.«, ertönte eine aufgebrachte Stimme gedämpft von unten. Automatisch verdrehten sich meine grün-braunen Augen und ich stieß ein Seufzen aus. Trotzdem schnappte ich mir schnell die nötigen Sachen, die ich für einen normalen Schulalltag brauchte. Hellblauer Rucksack gefüllt mit Heftern, Stiften und einem halben Schminktisch. Ich brauchte diese ganzen Kosmetikprodukte, die sich in dem Täschchen befanden. Schließlich kann man nie wissen, ob ich nicht spontan ein Interview geben muss und dann bin ich lieber vorbereitet.
Mit einem letzten Blick in den großen Spiegel an der Wand nahm ich mir meinen dünnen, weiß-dunkelblau-gelben Windbreaker und schloss die Tür anschließend hinter mir. Während ich die Treppen runter polterte, zog ich den Windbreaker über mein schlichtes, weißes Oberteil und setzte mir meinen Rucksack auf. Multitasking, sag ich nur.
Unten angekommen lief ich durch den großen Flur in die offene Küche, wo ich meine Mom am Kühlschrank stehen sah, während mein Hund Parker um sie herumschlich, mit der Hoffnung etwas aus dem Kühlschrank zu bekommen. Ich schmunzelte und fuhr einmal durch sein weiches Fell. Dann stellte mich neben sie und öffnete den Kühlschrank noch etwas mehr, sodass auch ich reinschauen konnte. Kurz verschaffte ich mir einen Überblick über die Lebensmittel, nahm mir einen Apfel und meine Brotdose, die ich schon gestern Abend vorbereitet hatte.
Einen Kuss auf die Wange meiner Mom und einen Biss in den Apfel später zog ich mir meine weißen, schon etwas mitgenommen aussehenden, Chucks an, ehe ich mit einem »Bis später, Mom«, unser großes Haus verließ und mich zu unserem schwarzen Rolls Royce bewegte. Rupert, unser Chauffeur, stand schon hinten an der Tür, bereit mir die Tür zu öffnen, wenn ich bei ihm ankommen würde.
»Guten Morgen, Miss Lopez. Sie sind zwei Minuten zu spät.«, hörte ich Ruperts tiefe, rauchige Stimme, die einem direkt zeigte, dass er nicht mehr der Jüngste war und täglich mehrere Zigaretten rauchte. Er sah etwas aus, wie Quasimodo aus dem Glöckner von Notre Dam und dadurch war er sogar kleiner als ich. Ich fragte mich schon seit Längerem, wie groß er wohl in Wirklichkeit ist. Rupert hatte braunes Haar, aus dem man schon einige graue Strähnen hervorstechen sehen konnte. Allerdings wurden diese jeden Tag von einer typischen Chauffeur-Mütze versteckt. Sein Körper steckte in einem dunkelblauen Anzug und auf seiner Nase befand sich eine Brille. Mit seinen weißen Handschuhen bedeckten Händen öffnete er mir die Tür und stieg mit einem Nicken und einem »Morgen, Rupert.«, in den Wagen, der mich zur Schule bugsieren wird.
Ich bekam noch mit, wie Rupert vorne hinter dem Steuer seinen Platz einnahm, ehe ich mir meine Ohrstöpsel in die Ohren steckte, meine Morgen-Playlist auf einem Handy einschaltete und die Augen schloss. Die Schule war eine halbe Stunde von unserem Anwesen entfernt, also genug Zeit um noch ein kleines Nickerchen zu machen.
•••
Als Rupert die Tür öffnete und mir ein kühler Wind entgegen wehte, wusste ich, dass wir die Schule erreicht hatten und ich aus meinem Nickerchen wieder aufwachen musste. So öffnete ich die Augen wieder und gähnte einmal laut. Ein Schmunzeln erschien auf den Lippen von Rupert und er schüttelte den Kopf. Er hat mich noch nie verstanden. Er hat noch nie verstanden, wieso ich jeden Morgen so müde war, dass ich sogar im Auto schlief. Aber er wusste auch nicht, wie anstrengend es war, wenn man sozusagen drei Jobs gleichzeitig bewältigen musste. Schülersprecherin. Influencer. Tochter, der einflussreichsten Leute in Greenville. Das war alles andere, als leicht.
»Viel Spaß in der Schule, Miss Lopez.«, war das einzige, was Rupert dazu sagte. Denn er hatte schon bemerkt, dass es sich nicht lohnte mit ihr zu diskutieren. Ich würde eh gewinnen, so wie ich immer gewann. »Danke, Rupert. Ich treffe mich heute mit Daliah, also brauchen Sie mich nicht abholen. Wir fahren in das kleine Café am Rand von Greenville.«, erklärte ich ihm, nachdem ich aus dem Auto gestiegen bin und nun mitten auf dem Parkplatz der Greenville High stand. Auf diesem tummelten sich eine Menge von Autos. Von großen SUVs bis zu kleinen Smarts war alles dabei. Schon anhand der Autos erkannte man, dass diese Highschool eine Mischung aus Arm und Reich war. Das lag allerdings auch daran, dass es nur diese eine Highschool in unserer Kleinstadt gab.
»In Ordnung, Miss Lopez. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wann und wo ich Sie abholen soll.«, entgegnete mein Chauffeur und lief wieder auf die Fahrertür zu. Ich nickte ihm über das Auto zu und fuhr mir durch meine braunen Haare, um sie danach wieder zu richten. Durch mein Nickerchen hatte ich meine Frisur, die ich mir heute morgen so wunderbar gemacht hatte, wieder zerstört. Naja, dann mussten Daliah und ich vor dem Unterricht noch einen Abstecher auf die Toilette machen.
Zum Abschied hob Rupert seine Mütze und verschwand dann im Auto, um mit einem lauten Aufheulen den Schulparkplatz zu verlassen. Direkt wendete jeder, der sich auf dem Parkplatz aufhielt und sich entweder begrüßte oder einfach noch die letzten Minuten bis Schulbeginn mit Rauchen, Quatschen oder Lernen verbringen wollten, seinen Blick auf die verschwindende Limousine, die einer Familie gehörte. Ich allerdings verdrehte automatisch die Augen über seine Aktion. Manchmal verhielt er sich, wie die Jungs in meinem Alter. Wahrscheinlich um sich nochmal wie achtzehn zu fühlen, aber ich könnte es ihm nicht verübeln. Ich würde in seinem Alter mit einem Rolls Royce genauso handeln.
Sobald ich den Schulparkplatz verließ, sah ich auch schon ein Mädchen mit hellbraunen Haaren auf mich zu kommen. Sofort bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen und ich beschleunigte meine Schritte, um meine beste Freundin auf der Hälfte in die Armen zu fallen. »Na, wieder in eurer Limo geschlafen?«, begrüßte Daliah mich mit einem Grinsen in ihrem Gesicht. Ich schüttelte den Kopf und verdrehte erneut meine Augen. Sie kannte mich einfach zu gut und das war manchmal echt ein Nachteil. Vor allem, wenn man ihr eine Notlüge auftischen wollte, damit sie nicht herausfand, was man ihr schenkte. Das ist einfach unmöglich.
Ich konnte vielleicht den Leuten im Internet oder den Geschäftspartnern von meinen Eltern eine Lüge auftischen, aber bei Daliah war das wirklich unmöglich. Sie merkte sofort, wenn es mir mal wieder schlecht ging oder ich gerade versuchte sie anzulügen -was eigentlich nur vor ihrem Geburtstag oder vor den Festtagen vorkam. Deswegen ist sie auch auf die Idee mit dem Podcast gekommen, und dafür war ich ihr immer noch unglaublich dankbar.
»Ja und genau deswegen müssen wir jetzt auch schnellstens auf die Toilette, bevor die Leute Fotos von mir machen und sie ins Internet stellen.« Mit diesen Worten nahm ich ihre Hand und zog sie über den Schulhof in Richtung Mädchentoilette. Hinter mir hörte ich schon einige tuscheln. Ich probierte das Getuschel so gut es ging zu ignorieren, so wie ich es immer tat. Allerdings war das nicht notwendig, denn Daliah fing ebenfalls hinter mir zu lachen. »Weil du ja auch so hässlich aussiehst«, hörte ich sie sarkastisch sagen, während sie das 'so' extra in die Länge zog, und wieder verdrehte ich meine Augen, erwiderte darauf aber nichts, sondern öffnete die Tür von der Mädchentoilette und trat mit Daliah ein.
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