67. Kapitel: Der erste Grund
Am nächsten Tag beschlossen sie in den Central Park zu gehen. Bald wäre ihre gemeinsame Zeit zu Ende und Jenna vermisste Chris und Maria jetzt schon. Auch wenn es so schien, als wären die Briefe ihr einziger Bestandteil in den letzten zehn Tagen gewesen, so hatte sie doch auch fast jede freie Minute mit den Beiden verbracht und sie fragte sich, wie sie wieder zur Normalität zurückkehren sollte, wenn die beiden sich wieder verabschiedeten. Es war schön gewesen jemanden aus seinem alten Leben bei sich zu haben.
„Wahnsinn, was für eine riesige Grünfläche mitten in dieser riesigen Stadt erhalten wurde!", sagte Maria staunend, als sie durch den Park spazierten. Der Wolkenverschleierte Himmel schaffte es nicht, die volle Schönheit des Parks hervor zu holen.
„Ihr müsst unbedingt im Sommer wieder her kommen! Ich hab ihn ja selber nur kurz im Sommer erlebt, aber es ist als befände man sich in einer anderen Welt!", erklärte Jenna und sie steuerten auf eine Bank zu, auf die sie sich nieder ließen.
Maria griff in ihre Tasche und holte den letzten Umschlag heraus. Ganz unvorbereitet, so wie sie es die letzten Tage auch getan hatte.
„Das ist der letzte.", meinte sie zu Jenna und sah ihre Freundin an. Chris hatte sich in der Bank zurück gelehnt und seine Hände in seine Jackentaschen gesteckt.
„Ich hoffe, dass egal was auch immer da drinnen steht du es dir nochmal überlegst und vielleicht doch noch nachhause kommst. Zumindest für ein paar Tage. Mom und Dad vermissen dich sehr und letztes Mal hatten sie schon nicht viel von dir!", sagte jetzt Chris mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht und verursachte Jenna so ein schlechtes Gewissen. Würde sie nachhause zurück kehren? Sie sah auf den Brief in ihrem Schoß. Es hing davon ab, was Liam ihr geschrieben hatte, was in der nächsten Zukunft geschehen würde.
„Lass mir ein bisschen Zeit Chris, ok?", entgegnete Jenna und fuhr mit ihrem Daumen über den Umschlag. Chris nickte und erhob sich dann.
„Komm schon Maria, wir holen uns einen Kaffee bei dem Stand dort vorne und lassen Jenna ihren Brief lesen!", meinte er nur und zog Maria auf die Beine, legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie davon während Jenna nur den Brief betrachtete.
War sie bereit für was auch immer da drinnen stand?
Es war eine Sache immer von etwas zu träumen. Natürlich wünschte sie sich nichts sehnlicher als mit Liam zusammen zu sein. Doch es war eine andere Sache wenn ein solcher Wunsch vielleicht in greifbare Nähe rückte. Es war auch eine Sache, vor etwas zu stehen, das man nicht abschätzen konnte und eine ganz andere, wenn man sie hinter sich gebracht hatte. Sie erwartete sich gleichzeitig viel und nichts von diesem Brief. Sie fürchtete sich davor. Fürchtete sich, dass er vielleicht ein Abschied bedeutet. Fürchtete sich, dass er vielleicht einen Anfang bedeutete. Fürchtete sich, dass er eine Veränderung bedeutete, ganz egal wie der Inhalt lautete. Sie riss den Umschlag auf und holte den Inhalt heraus. Bevor sie den Brief auffaltete, atmete sie bei geschlossenen Augen ein paar tief durch und öffnete schließlich den Brief.
„Jenna,
was bleibt jetzt noch zu sagen? Wenn ich dich bis hierhin nicht überzeugen konnte, dann wohl niemals. Denn ich habe dir vieles offen gelegt, was ich niemals geglaubt hätte jemals jemandem zu gestehen. Doch es war alles die Wahrheit, es waren alles Dinge die in mir drin vor sich gehen. Jetzt bin ich beim letzten Brief angekommen und es fällt, obwohl ich ja jetzt mittlerweile ein Profi bin, plötzlich unglaublich schwer die letzten Worte aufzuschreiben und aufs Papier zu bringen. Nicht weil ich nicht wüsste, was ich dir sagen will. Nein. Weil es schwer ist solche Gefühle einfach so auszudrücken und nieder zu schreiben obwohl man nicht weiß, ob sie jemals wirklich gelesen werden.
Bei meinem ersten Brief damals vor drei Jahren war es viel einfacher, obwohl ich damals schon geglaubt habe, dass es unmöglich ist einen Brief mit diesem Inhalt zu formulieren. Doch das was ich jetzt fühle, ist irgendwie so viel intensiver als damals, obwohl ich meine Gefühle von damals nicht schmälern will. Aber fangen wir mal vorne an.
Ich weiß noch mein erstes Gefühl das ich hatte, als Mrs. Star uns verkündet hatte, wir sollten die Pluspunkte ineinander finden. Obwohl ich bereits tiefe Gefühle für dich gehabt hatte, glaubte ich vor einer unmöglichen Aufgabe zu stehen denn du hattest Recht, eine zeitlang habe ich dich mit der schlimmsten Zeit meines Lebens in Verbindung gebracht. Doch dieses Gefühl wurde schnell abgelöst von Zuneigung. Ich lernte dich kennen und lernte unglaublich viele Dinge über dich, die ich niemals gewusst hatte. Und irgendwie wurde aus dieser Zuneigung ein anderes Gefühl, vor dem ich mich seit Jahren gefürchtet hatte. Seit dem Zeitpunkt, als du mir unwissentlich das Herz gebrochen hast.
10 Gründe dafür, dass ich dich liebe....
Liebe. Ich habe es mir lange Zeit nicht eingestehen wollen. Doch ich liebe dich nicht erst seit diesem Vorfall an Silvester, wie du vielleicht geglaubt hast. Ich liebe dich auch nicht erst seitdem du nach New York gegangen bist. Dieses Gefühl habe ich schon eine viel längere Zeit doch ich hatte Angst davor. Angst dich zu verletzen und Angst davor, dir nicht gerecht zu werden. Vermutlich habe ich mich an diesem Abend auf dem Footballfeld verliebt. Oder vielleicht als wir gemeinsam einkaufen waren. Vielleicht bei unserem Besuch im Schwimmbad. Ich weiß nicht genau, wann es geschehen ist aber muss ich das denn?
Ich war damals nicht bereit mir oder dir dies einzugestehen doch heute bin ich es. Du hattest Recht, mit dem Notausgang. Natürlich hattest du Recht, du kennst mich mit am besten auf dieser Welt. Doch diesen Notausgang gibt es nicht mehr. Wenn du noch möchtest, und ich hoffe es inständig weil ich ansonsten wirklich nicht weiß, was ich noch tun kann, dann gehöre ich dir. Ganz und gar.
Ich liebe dich,
Liam"
Jenna hielt den Brief fest in ihrer Hand. Liebe. Da hatte er es geschrieben und obwohl sie Angst vor diesem Eingeständnis und dessen Folgen gehabt hatte, erfüllte sie jetzt ein ganz anderes Gefühl. Erleichterung. Unglaubliche Erleichterung durchströmte ihren ganzen Körper und wärmte sie von innen. Konnte es am Ende doch so einfach sein? Er liebte sie, sie liebte ihn und sie wären glücklich bis an ihr Lebensende?
In ihrem Kopf schwirrten tausende Gedanken die sie doch nicht selber klären konnte. Sie zog ihr Handy heraus und öffnete den Bildschirm, dann suchte sie Liam in ihren Kontakten.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wusste nicht, was sie zu ihm sagen sollte wenn er abnahm. Was war wenn sich in der Zwischenzeit doch etwas geändert hatte? Sie fürchtete sich so sehr davor verletzt zu werden, dass sie beinahe einen Rückzieher machte bis sie sich an ihren Vorsatz erinnerte. Was hatte sie denn schon zu verlieren? Nichts mehr.
Sie tippte auf seinen Namen und hob das Handy ans Ohr, während sie aufstand und begann hin und her zu laufen. Es dauerte ein paar Sekunden bis sich die Verbindung aufbaute und dann hörte sie ein Klingeln. Doch es kam nicht nur aus ihrem Handy, sondern es befand sich direkt hinter ihr und als sie sich irritiert umdrehte, ließ sie ihr Handy fallen. Vergessen lag es neben ihr, während sie Liam in die Augen sah, die auf sie hinab blickten. Tiefblau wie die Weiten der Welt schienen sie unergründlich.
„Halleluja dass du angerufen hast. Hätte sonst ziemlich peinlich werden können für mich!", meinte er nur und dies waren die ersten Worte, die er seit sechs Wochen an sie gerichtet hatte. Sie lachte einmal kurz auf, bevor sie ihre Hände um ihn legte und ihn einmal an sich zog um ihn zu umarmen. Sie wollte, nein sie musste seine Wärme spüren. Sie war überwältigt davon, dass er hier war. Hier in New York. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt.
„Liam, ich kann nicht glauben, dass du hier bist!", meinte Jenna noch während sie ihn umarmte und spürte seinen warmen Atem an ihrer Wange, als er zu sprechen begann.
„Wir müssen reden....", war alles was er sagte und Jenna zog sich zurück um ihn wieder anzusehen.
„Okay...", entgegnete sie, nahm ihre Tasche von der Bank, hob ihr Handy auf und folgte ihm. Stumm liefen sie einige Sekunden nebeneinander her, was Jenna an ihre letzte Aussprache erinnerte. Diesesmal würde sie sich nicht mehr zurück halten. Es hieß entweder ganz oder gar nicht.
„Wie kommts, dass du in New York bist?", fragte sie, als sie diese Ruhe nicht mehr aushielt und er sah amüsiert auf sie hinab.
„Das ist es worüber du reden willst? Ehrlich?", entgegnete er und führte sie über eine kleine Brücke. In der Mitte blieb er stehen und Jenna tat es ihm gleich.
„Nein natürlich nicht. Aber wie beginnt man ein solches Gespräch denn bitte? Ich hab damit keine Erfahrungen!", meinte sie und sah ihn mit leuchtenden Augen an.
„Ich auch nicht aber ich glaube wir fahren mit Ehrlichkeit ganz gut. Also meine erste Frage: Gibst du uns noch eine Chance? Ich meine eine richtige?", fragte er sie ohne Umschweife und Jenna stockte der Atem. Es ging also gleich voll zur Sache. All ihre Ängste kehrten mit einem Schlag zurück. Die Fragen die sie sich gestellt hatte. Was wäre, wenn er gelangweilt wäre von ihr, was wenn die Entfernung ihnen nicht gut tat? Was wenn er in ein tief fallen würde? Was wenn er sie verlassen würde? Doch Liam schien ihre Gedanken lesen zu können, denn er lehnte sich ein wenig vor um auf Augenhöhe mit ihr zu sein.
„Ich sehe deine Angst, aber glaub mir ich komme nicht unvorbereitet hierher. Ich hab eine Therapie begonnen um meinen Scheiß auf die Reihe zu bekommen. Ich will nicht sagen, dass ich geheilt bin oder so, aber ich denke ich bin auf einem guten Weg. Nein, ich werde nicht gelangweilt sein von dir, denn du bedeutest mir mittlerweile die Welt. Wie soll man jemals von so etwas gelangweilt sein? Und nein, ich werde mir keinen Notausgang mehr offen halten. Ganz oder Gar nicht, wobei Gar nicht um ehrlich zu sein keine Option mehr für mich ist.", erklärte er ihr nahm ihre Hände in seine.
„Ich weiß, dass das jetzt echt eine verdammt heftige Entscheidung ist, die du treffen sollst doch andererseits, habe ich dir immerhin keinen Heiratsantrag gemacht, oder?", jetzt grinste er und so fielen auch Jennas Mauern in sich zusammen und sie versetzte ihm einen leichten Schlag gegen die Schulter.
„Woher nimmst du nur immer diese Selbstsicherheit?", fragte sie ihn und spielte mit seinen Fingern, die mit ihren verhakt waren.
„Oh glaub mir, ich bin hier an diesem Punkt meilenweit davon entfernt Selbstsicher zu sein. Eigentlich gleiche ich gerade eher noch einem Häufchen Elend das auf die Antwort seiner Angebeteten wartet.", er sah sie leicht flehend an, doch sie erkannte den üblichen Witz in seinen Augen. Sie musste lächeln und lehnte sich deswegen nach vorne um ihn küssen zu können. Sie legte ihre Hände an seine Wangen und ließ sich in seine Arme sinken, während er an der Brückenmauer lehnte. Sie spürte das Lächeln auf seinen Lippen und ließ von ihm ab.
„Ich deute das als ja...", flüsterte er ihr zu und nahm sie in den Arm.
„Oh Gott ich hab das so vermisst!", flüsterte er erneut und sog ihren Geruch in sich ein.
„Ich hab dich so unglaublich vermisst. Ich kann nicht glauben, dass ich sechs lange Wochen ohne dich ausgehalten habe.", er drückte sie noch ein wenig enger an sich.
„Nun das wirst du wohl oder übel noch häufiger tun müssen, schließlich haben wir ein kleines Problem was unsere Colleges angeht!", meinte Jenna und ihr Herz wurde ihr jetzt schon schwer bei dem Gedanken, jemals wieder Abschied nehmen zu müssen. Sie wollte am liebsten für immer hier in seinen Armen stehen bleiben.
„Ja das stimmt, es wird unglaublich schwierig diese fünf Minuten von dir getrennt zu sein...", murmelte er und Jenna nickte, bis die Worte zu ihr durchdrangen und sie hochschreckte.
„Was?", mit großen Augen sah sie ihn an und er grinste breit.
„Ich hab das College gewechselt.", erklärte er mit kurzen Worten und Jenna sprang noch einmal einen Satz zurück.
„WAS??", jetzt schrie sie beinahe und musste ein Lachen zurück kämpfen. Das konnte er doch nur als Scherz meinen.
„Naja, ich hab das College gewechselt. Meine Eltern helfen mir und ich habe ja schließlich ein Teilstipendium für hier bekommen also...", doch er konnte nicht weiter sprechen, denn Jenna fiel ihm um den Hals.
„Was, warum...wie?", stammelte sie vor sich hin während sie nicht glauben konnte, was Liam ihr gerade eröffnet hatte. Er hatte das alles getan obwohl er nicht einmal gewusst hatte, wie sich alles zwischen ihnen entwickeln würde.
„Hör zu, eine meiner größten Ängste war es, dir und deinen Träumen im Weg zu stehen. Dich so einzunehmen, dass du alles für mich aufgibst. Doch ich habe nie bedacht, dass unsere Träume sich doch eigentlich so ähneln. Und der einzige Grund, der für mich gegen eine Beziehung sprach und bei dem ich wusste, dass er dich beschäftigen und uns im Weg stehen würde, war die Entfernung. Also hab ich mit meinen Eltern gesprochen, Dad hat ein paar Anrufe erledigt und schon war es beschlossene Sache.", erklärte Liam ihr und fuhr mit seiner Hand über ihre Wange.
„Dein Dad?", Jenna sah ihn irritiert an. Sie wusste, wie wenig die beiden miteinander gesprochen hatten in den letzten Jahren.
„Ja Dad. Lange Geschichte, erzähl ich dir bei Gelegenheit mal.", sagte Liam und zog Jenna an sich.
„Also was sagst du? Wollen wir es wagen?", fragte er sie ruhig, seine Augen blickten in ihre Seele und alles schien perfekt. Nein es schien nicht nur so. Es war perfekt.
Vergessen wären all die Streitigkeiten, die sie unnötigerweise geführt hatten. Vergessen wären all die Zweifel an ihnen und ihren Gefühlen. Vergessen wären all die Ängste, die ihnen im Weg gestanden hatten. Nur das Hier und Jetzt zählte. Die Gegenwart. Für die es sich zu kämpfen lohnte.
„Ich liebe dich....", sagte Jenna bevor sie Liam an sich zog.
„Ich liebe dich auch...", antwortete er, bevor sie ihr perfektes Ende fanden ohne jegliche Zweifel und Reue. Wo sie sich liebten, Ganz und Gar.
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