63. Kapitel: Abkommen



Jenna und Tristan lieferten sich gerade gemeinsam mit Chris ein Battle in Mario Kart, als es an der Tür klingelte. Maria war schon vor einigen Stunden nachhause gefahren und sie hatten sich alle gemeinsam für den Abend verabredet um ins Sin zu gehen, wo sie Tristans Zeit hier ausklingen lassen wollten.

Jenna stand auf, da sie sowieso gerade dabei war zu verlieren und so zumindest einen Grund hatte, den sie vorschieben konnte. Sie war sowieso nicht ganz bei der Sache. Sie und Maria hatten sich noch stundenlang unterhalten und waren zu der Lösung gekommen, dass Jenna ehrlich sein musste zu Liam. Zumindest so ehrlich sie es sich erlauben konnte, ohne am Ende wie die absolute Ente dazustehen. Zu dieser Einsicht war Jenna gekommen, Maria hatte ihr da nicht zugestimmt und war immer noch der festen Überzeugung, dass Liam Gefühle für Jenna hatte. Na es würde sich ja zeigen.

Jenna zog die Tür auf und einerseits war sie überrascht, andererseits kein Stück, dass Liam vor der Tür stand, eingepackt in eine dicke Jacke, einen Schal um den Hals und mit den Händen in den Hosentaschen. Er sah einfach zu gut aus, wie er da vor ihr stand. Es hatte angefangen zu schneien und einige Schneeflocken hingen ihm noch in den Haaren, die wieder einmal in einem wilden durcheinander frisiert waren. Oder vielleicht war er auch genauso aus der Dusche gestiegen und hatte sich nicht weiter darum gekümmert. Wie auch immer es war, er sah einfach unwiderstehlich aus.

„Liam....komm doch herein!", meinte Jenna immer noch verstockt. Sie wusste genau, dass es nie wieder so sein würde wie früher. Doch vielleicht konnten sie einen neuen Weg miteinander finden. Einen wo Berührungen keinen Platz mehr fanden, um ihr die Chance zu geben sich auch tatsächlich von ihren unrealistischen Gefühlen zu erholen.

„Ich dachte eher, wir gehen eine Runde spazieren.", meinte er nur und machte keinerlei Anstalten einzutreten.

„In Ordnung, ich hol nur schnell meine Jacke.", erklärte Jenna mit wild schlagendem Herzen. Sie hatte gehofft, noch ein wenig mehr Zeit zu haben, doch Liam hatte ganz offensichtlich andere Pläne gehabt und sie war ihm auch dankbar, dass er den Schritt auf sie zukam. Sie hätte vermutlich sowieso niemals den Mut gefunden.

„Ich warte hier draußen. Beeil dich.", meinte er nur und wandte sich ab. Er schien sehr ernst, wilde Gedanken schienen im Schach zu halten. Jenna nickte nur und schloss die Tür wieder, lehnte sich einen Augenblick dagegen und atmete ein paar Mal tief durch.

„Wer war an der Tür?", hörte sie Chris aus dem Wohnzimmer rufen. Es hatte ja doch keinen Sinn zu lügen, also trat sie hinein.

„Liam. Wir gehen eine Runde spazieren. Das ist doch in Ordnung, oder?", fragte sie Tristan, um den sie sich viel zu wenig gekümmert hatte die Tage über. Zum Glück hatte Chris diese Aufgabe übernommen und herausragend gelöst.

„Natürlich. Viel Spaß euch.", meinte Tristan und sah Jenna an, dass sie mit sich zu kämpfen hatte. Doch das war etwas, das sie selber lösen musste. Dabei konnte ihr niemand helfen.

Jenna hingegen war sich nicht sicher, ob das was sie besprechen würden, etwas mit Spaß zu tun haben würde, das würde die nächste Stunde wohl zeigen.

Sie fasste all ihren Mut zusammen, zog sich ihre Stiefel, dann die Jacke an und legte sich einen Schal um. Zum Schluss wanderte eine dicke Mütze auf ihren Kopf. Es war eisig kalt draußen und sie würde einen Teufel tun und darauf verzichten, nur damit sie gut genug für diese Unterhaltung aussah. Liam würde vermutlich sowieso nicht darauf achten. Dann atmete sie noch einige male tief durch, als sie auf die Tür zusteuerte und diese schließlich öffnete. Liam stand mit dem Rücken zu ihr und sah auf die Straße hinaus. Es schneite friedlich vor sich hin und Jenna wurde in eine Zeit zurück katapultiert, als Liam und sie letztes Jahr den ersten Schnee gemeinsam erlebt hatten als er ihr mit der Situation mit Richard geholfen hatte. Es schien eine ganz andere Zeit und Welt zu sein in ihrer Erinnerung.

Sie räusperte sich einmal und Liam wandte sich um, um sie anzusehen.

„Ich bin fertig, wir können los!", erklärte sie und trat auf die Stufen zu. Eine nach der Anderen nahm sie, während ihre Nervosität dazu führte, dass sie beinahe in Ohnmacht fiel. Also konzentrierte sie sich auf den Weg vor sich. Liam hatte nichts gesagt, sondern folgte ihr auf Schritt und Tritt.

Schweigend gingen sie einige Minuten nebeneinander her. Keiner schien es eilig zu haben, die Unterhaltung, die doch von Liam so angestrebt worden war, zu führen. Irgendwann, als die Spannung dann ins unermessliche stieg, steckte Jenna ihre Hände in die Jackentaschen und sah zu Liam hinüber, der ziellos in die Ferne blickte.

„Du wolltest reden?", fragte Jenna mit piepsender Stimme. Die Worte waren nicht halb so selbstbewusst aus ihr heraus gekommen als sie gewollt hatte und so räusperte sie sich noch einmal.

Liam sah sie jetzt an, zog die Augenbrauen nach oben.

„Warum?", fragte er sie einfach und wandte seinen Blick wieder ab. Warum. Das war eine gute Frage. Jenna stammelte ein paar Worte, doch bekam keinen anständigen Satz heraus. Oh Gott, wie sollte sie das Ganze nur anfangen?

Liam führte sie in den Park hinein, in dem sich ein kleines Häuschen befand, wo sie Platz nehmen konnten. Jenna beantwortete seine Frage nicht. Sie sah nur auf den Boden hinab und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Warum nur war sie nicht einfach ehrlich? Warum nur, konnte sie ihm nicht einfach direkt sagen, warum sie ihn aus ihrem Leben gesperrt hatte? Doch musste sie die Worte überhaupt finden? Oder wusste Liam nicht schon längst Bescheid?

Liam hatte nicht mehr länger warten können, um endlich mit Jenna sprechen zu können. Doch er hatte immer noch keine Lösung für ihre ganze Misere. Er liebte sie. Natürlich tat er das. Das hätte jeder Blinde erkannt außer Jenna selber. Aber es hatte sich ja nichts an ihrer Situation geändert! Vielleicht konnten sie es wirklich schaffen, zumindest eine Freundschaft aufrecht zu erhalten, bis beide bereit waren für mehr. Wenn sie es denn dann noch wollten.

„Jenna....", sagte er leise, was sie zum Aufsehen brachte. „Komm schon, ich bins. Du kannst mit mir reden verdammt!", meinte er, nachdem er dieses Schweigen kaum noch ertrug.

„Ich habe ganze vier Monate darauf gewartet mit dir reden zu können. Also bitte, sprich mit mir!", fügte er hinzu und zog sie dann zu dem Häuschen, wo er sich auf der Bank niederließ. Er hätte sie am liebsten an sich gezogen und sich nie wieder Gedanken um irgendwas gemacht, doch davon waren sie weit entfernt.

„Ok. Liam es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht gemeldet habe....dir nicht zurück geschrieben habe. Aber ich brauchte Abstand, um mir einiger Sachen klar zu werden, verstehst du? Du und ich. Das was da lief. Das hat mich nicht kalt gelassen...", Jenna sah auf ihre in ihrem Schoß zusammengefalteten Hände herab.

„Mich doch auch nicht! Was denkst du denn?", entgegnete Liam, streckte seine Beine von sich und lehnte sich in der Bank zurück.

„Ja aber ich glaube dir ist nicht klar, dass das ganze uns unterschiedlich stark beeinflusst hat.", meinte Jenna und sah ihn jetzt das erste Mal wirklich an. Ihre Augen bettelten darum, etwas nicht aussprechen zu müssen. Liam wollte gerade etwas entgegnen, als sie offenbar ihren Mut zusammen genommen und zu sprechen begann.

„Weißt du, ich hatte mich in dich verliebt. Und ich wusste ja, wie du zu dem ganzen stehst und, seien wir mal ehrlich, natürlich hatte ich die Hoffnung, dass du auch Gefühle für mich hattest. Aber als du bei der Präsentation gemeint hast, ich sei deine beste Freundin, sind bei mir die Sicherungen irgendwie durchgebrannt und ich wollte davon laufen. Vor dir. Vor uns. Ich musste erstmal einen klaren Kopf bekommen und deswegen habe ich dir nicht zurück geschrieben. Ich kenne dich doch Liam und ich weiß genau, wohin das geführt hatte. Du bist so. Du flirtest ständig und ich hätte das nicht ertragen und dabei zu wissen, dass du das ja irgendwie mit allen Mädels machst hätte mich einfach wahnsinnig gemacht!", Liam war überrascht über ihre Ehrlichkeit. Jetzt war die Zeit selber ehrlich zu sein, doch es wollte nicht über seine Lippen. Er wollte ihr so gerne sagen, dass es ihm doch haargenau so gegangen war doch in dem Moment in der ihr dies mitteilen wollte, überkam ihn eine Welle der Angst und Unsicherheit. Sie schnürte ihm die Brust zu. Wenn er ihr dies sagen würde, würde sich alles ändern. Er würde nicht mehr einfach einen Rückzieher machen können, Jenna auch nicht. Und sie würde es auch nicht tun, selbst wenn ihr sie noch so sehr verletzen würde, denn sie würde an seiner Seite bleiben. Nein. Es hatte sich rein gar nichts an der ursprünglichen Situation geändert. Ihm fielen plötzlich all diejenigen ein, denen er schon so sehr geschadet hatte. Die Mädchen, denen er das Herz gebrochen hatte. Er wollte wirklich etwas sagen, doch er konnte einfach nicht.

Jenna interpretierte das Ganze anders.

„Ich weiß, dass macht dir jetzt eine scheißangst, aber ich bin darüber hinweg, ok? Ich...", Jenna hielt inne, auf der Suche nach den richtigen Worten.

„Ich will deine Freundin sein. Ich will dem gerecht werden, was du über mich gesagt hast. Verstehst du? Und deswegen habe ich mich von dir fern gehalten. Ich wollte den Kopf frei bekommen um genau das für dich zu sein, was du in mir gesehen hast.", erklärte sie weiter. Dies war etwas sichereres Pflaster und er zog seine Beine an und lehnte seine Arme darauf. Dabei konnte er Jenna in die Augen sehen.

„Ich habe mir nichts anderes gewünscht als das....", erklärte er ihr und wusste, dass man dies auf alles was sie gesagt hatte, anwenden konnte. Doch so wie er Jenna kannte, würde sie dies auf den letzten Part beziehen. Er hatte also nicht gelogen, hatte nur einen Notausgang genommen.

„Ich kann nicht mehr ohne dich, verstehst du? Ich....es hat mich einfach so verdammt verletzt, dass du mich so aus deinem Leben gesperrt hast und...ach scheiße, es tut mir leid, dass ich mich die letzten Tage wie das größte Arschloch aufgeführt habe.", meinte er und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Dafür, dass ER hatte reden wollen, kam echt nur scheiße aus seinem Mund.

„Du musst dich wirklich nicht entschuldigen Liam. Ich werde mich bemühen es jetzt anders zu machen. Das zu sein, was ich von Anfang an war. Du bist mir nicht egal und ich hätte nicht nur an mich denken dürfen. Es tut mir wirklich leid!", erklärte Jenna und knetete ihre Hände. Liam nahm sie in seine doch Jenna zog sie ihm weg und schüttelte den Kopf.

„Und das muss aufhören, ok? Ich kann das nicht! Ich kann diese ständigen Berührungen, Küsse, Anspielungen....ich kann das nicht mehr. Wir stehen uns damit selber im Weg, verstehst du? Wie soll ich denn jemanden finden, wenn ich das Gefühl habe, dich damit zu betrügen, während wir nicht einmal zusammen sind? Kannst du verstehen was ich meine?", Jennas Augen waren jetzt vollends auf ihn gerichtet und schienen ihm in seine Seele zu blicken. Doch das taten sie nicht, denn sonst wüsste Jenna augenblicklich was tatsächlich in ihm vorging. Natürlich hatte sie recht. Das konnte so nicht weiter gehen, wenn sich etwas ändern sollte. Doch es würde ihn sämtliche Kraft kosten sich daran zu halten.

„Ja, natürlich. Ich versteh das!", meinte er nur und lehnte sich zurück. Einige Momente war es ruhig zwischen ihnen. Er wusste einfach nicht was er sagen sollte. Er war mit großen Absichten hierher gekommen, doch in ihm war eine Blockade, die er einfach nicht überwinden konnte, obwohl Jenna es verdient hatte.

„Zwischen uns also alles in Ordnung?", fragte sie deswegen und sah ihn dabei flehentlich an. War sie wirklich über ihn hinweg, so wie sie es gesagt hatte? Würde er jemals nochmal eine Chance bekommen bei ihr? Wäre er jemals im Stande dazu, sich voll und ganz zu ihr bekennen ohne eine Panikattacke bei der Vorstellung zu bekommen?

„Alles in Ordnung. Wir sind Freunde. Und diesesmal ohne gewisse Vorzüge!", erklärte er und zwang sich zu lächeln. Jenna kannte ihn gut. Sie würde sofort erkennen, dass dieses Lächeln nicht echt war. Doch sie würde ihn nicht darauf ansprechen.

Jennas Herz schlug ihr bis zum Hals. Die ganze Unterhaltung über hatte Liam so gut wie gar nichts gesagt, nicht auf ihr Geständnis reagiert, was ihr erneut einen Stich gegeben hatte. Andererseits konnte sie ja auch froh sein, dass er es nicht als Absurdität abgetan oder ihr erklärt hatte, dass er sie gewarnt hatte.

Gleichzeitig fühlte sie aber eine Erleichterung. Auch wenn es schwierig war, sich damit abzufinden, dass Liam tatsächlich niemals das für sie empfunden hatte, wie sie für ihn, war es doch gut zu wissen, was Sache war. Freunde. Sie waren Freunde und würden niemals mehr sein. Eine Zukunft ohne Liam als Partner an ihrer Seite war beinahe unvorstellbar für sie. Doch sie war immer noch besser, als ihn gar nicht mehr in ihrem Leben zu haben. Und genau denselben Gedanken hatte Liam auch.

Lieber hatte er Jenna als Freundin an seiner Seite, konnte ihr über schwierige Zeiten hinweg helfen, als am Ende selber derjenige zu sein, der die schwierige Zeit verursachte. Ein Leben als Freunde war definitiv besser als ein Leben ohne einander. Wenn es nur so leicht wäre, dass dem Herzen genau so schnell klar zu machen wie dem Verstand.


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