Ich kam, sah und stürzte
"Leopardenmuster", betonte Ricarda noch einmal, diesmal eindringlicher.
"Wir verkaufen hier kein Leopardenfell. Ich kann dir nur diese Farben anbieten", erklärte der Händler zunehmend genervt von seiner merkwürdig gekleideten Kundin.
"Aber das sieht potthässlich aus! Sowas trägt doch niemand. Darin würde ich nicht mal schlafen", gab Ricarda scharf zurück, was dem Mann nun zu viel war.
"Ich hab die besten Stoffe Roms! Selbst Senatoren kaufen bei mir!" Ob das der Wahrheit entsprach, wusste ich nicht so recht und eigentlich war es mir auch egal. Mir gefiel nur nicht, wie wir auf diese Art Aufsehen erregten, also zog ich Ricarda langsam weg.
"Lass gut sein", zischte ich ihr zu. "Ich muss mich für sie entschuldigen", meinte ich noch mit einem gequälten Lächeln an den Händler gewandt.
Doch das änderte nichts mehr daran, wie viele Blicke nun auf uns lagen. Vor allem, die für damalige Zeiten Freizügigkeit meines Rocks schien reges Interesse auszulösen. Es wäre wohl das Beste, hier schleunigst zu verschwinden.
Ricarda gab widerwillig nach und ließ mit einem genervten Augenrollen wegziehen. "Ich wollte mich doch nur anpassen", protestierte sie, schmollte und setzte sich ihre Sonnenbrille auf, um sich gegen das helle Licht zu schützen.
Moment - sie tat was?!
"Steck das Ding weg, sofort", zischte ich ihr eindringlich zu und blickte mich nervös um.
"Wegstecken? Was denn?"
Doch es war zu spät. Marcus Atius Scapula war zu ihnen getreten und hielt augenblicklich inne.
"Wohin...sollen wir jetzt?", fragte ich, doch er hörte mich gar nicht.
"Was ist das?"
"Eine Sonnenbrille", erklärte Ricarda schulterzuckend und ich hätte mir am liebsten mit der Hand gegen die Stirn geschlagen. Das konnte doch nicht ihr ernst sein!
"Was? Kann man durch diese Gläser etwa sehen?", fragte er ungläubig. Die tiefe Falte kehrte zwischen seine Brauen zurück.
"Natürlich, das ist ja auch der Sinn einer Brille. So blendet mich die Sonne nicht", erklärte Ricarda fast genervt so als müsste er das wissen, und ich widerstand nur knapp dem Drang einfach wegzulaufen. Sie sollte still sein, verdammt!
Ohne zu fragen - natürlich nicht, als Zenturio durfte er sich das gegenüber zwei einfachen Mädchen ja erlauben - nahm er die Brille an sich un betrachtete sie fasziniert, drehte sie und blickte hindurch.
"Aus welchem Material ist das und wie können diese Gläser so dünn und perfekt geschliffen sein?", murmelte er leise vor sich hin, teils zu sich selbst, teils zu Ricarda.
War sie von allen guten Göttern verlassen, dass sie diesem Mann stolz etwas aus dem 21. Jahrhundert präsentierte?! Aber ändern konnte ich nun nichts mehr daran.
Der andere - Titus, wenn ich mich richtig erinnerte - flüsterte Scapula vielsagend ins Ohr. "Das kann nicht von Menschenhand stammen. Das ist Götterwerk. Ich sagte es doch Zenturio!", glaubte ich zu verstehen.
Mir entfuhr ein nervöses Kichern. "Götter? Da täuscht ihr euch. Das ist nur eine...äh...alberne kleine Erfindung von... meinem verstorbenen Vater. Nichts besonderes." Irgendwie gefiel mir die Richtung, in die sich das entwickelte, gar nicht.
"Pff daran ist doch nix göttlich", kommentierte Ricarda.
Passenderweise war es eine recht mickrige Fälschung eines Modells von Hermès, was groß und protzig in Gold darauf prangte. Das passte ja wirklich wie die Faust aufs Auge.
Irgendwelche merkwürdigen Gegenstände, die er noch nie gesehen hatte, zwei seltsame Mädchen und dann auch noch dieses ständige Gerede von Göttern. Ein pochender Schmerz machte sich in Atius' Kopf breit, der ihm deutlich machte, wie sehr ihn all das verwirrte. Das konnte doch nicht wirklich geschehen. Ein Teil von ihm hoffte, dass er sich im Augenblick in Wirklichkeit in einem Krankenlager befand und dank der Kräuter des medicus wild träumte. Allerdings war er durchaus fähig zwischen Wahrheit und Traum zu unterscheiden - das hier war keiner.
Mittlerweile hätte er zu Hause sein können, ein Bad genießen, sich von den Sklaven ein Mahl zubereiten lassen können, Annaea wieder sehen. Sein müder Körper sehnte sich nach Erholung, nach einem Augenblick der Ruhe nach den Anstrengungen dieses Tages. Schon bald würde er ohnehin auf diverse Einladungen reagieren und sich in der Gesellschaft blicken lassen müssen. Egal, ob er sich selbst mit seiner einfachen Laufbahn zufrieden gegeben hätte, bei der er sich nicht auf den Lorbeeren seines Vaters ausruhen wollte. Seine Familie besaß vorwiegend durch letzteren nun einmal einen gewissen Status, der es unmöglich machte, diesen Pflichten fern zu bleiben. Auch, wenn er nicht wie Brutus einem der ältesten und adligsten Geschlechtern wie den Juniern entsprang.
Nun hätte Marcus wenige Stunden der Ruhe genießen können. Stattdessen war er aber hier und rätselte wer diese Mädchen waren und wie sie weiter vorgehen sollten. Nur dunkel nahm er war wie Titus die beiden ansprach.
Und plötzlich...
Der Zenturio schwieg und betrachtete uns mit einem Blick, der einem wirklich Angst einjagen konnte, während Titus, welchen Rang auch immer haben mochte, zu sprechen begann.
"Wer seid ihr beide wirklich?"
"Aber wir sagten doch bereits..."
"Eine Lüge!", unterbrach er mich barsch und packte mich am Arm. Mein Verstand war gar nicht fähig, zu begreifen, was hier geschah. Gerede von Göttern, das plötzliche Misstrauen, der Zorn, die Blicke, die auf uns gerichtet waren. Es war ohnehin schon viel für einen Tag gewesen und dabei war es gerade erst Mittags. All das hier war ein schrecklicher Albtraum, aus dem ich doch bloß wieder erwachen wollte.
Erst landete ich diesem Zenturio im antiken Rom vor den Füßen, mir wurde ein Schwert an die Kehle gedrückt und kurz später meiner besten Freundin, deren Tod sich vor meinem geistigen Auge bereits abgespielt hatte, durch eine Kette konnten wir uns plötzlich verständigen, dann schleppten sie uns in der sengenden Hitze hierher ins völlig Ungewisse und ich musste mir irgendeine Geschichte aus dem Hut ziehen, um uns zu retten und nun - das war zu viel.
Panik stieg in mir auf.
Als sich der eiserne Griff um mein Handgelenk schloss, musste bei mir irgendeine Sicherung durchgebrannt sein, denn plötzlich herrschte in meinem Kopf eine erschreckende Leere, die nur ein einziger Befehl durchdrang, den mir meine Instinkte zuriefen. Und mein Körper gehorchte automatisch, wie ferngesteuert, als hätte er gar keine andere Wahl.
Lauf!
Ich riss mich los, taumelte zurück, packte Ricarda und rannte. Nur weg von hier.
Innerhalb der ersten paar Sekunden rannte ich schon beinahe mehrere Leute über den Haufen, rempelte zumindest sehr viele an, verlor dadurch selbst ein paar Mal fast das Gleichgewicht, und zwang auch Ricarda mitten durch die Menge zu preschen. Neben dem Protest der Römer, drang auch Rickys zu mir. Doch ich hörte nicht darauf.
In mir war eine Panik ausgestiegen, die keinen klaren Gedanken mehr zuließ.
Weg. Ich muss hier weg. Wir müssen hier weg. Sofort. Auf der Stelle.
Ob Marcus Atius Scapula und Titus Portius uns folgten, wusste ich nicht. Jedenfalls wandte ich mich kein einziges Mal um. Ich hörte nichts. Ich sah nichts. Ich fühlte nichts. Nur meinen unendlich lauten Herzschlag und wie eine unsichtbare Macht die Kontrolle über mich ergriffen hatte.
Als ich gegen jemanden prallte, spürte ich wie Ricardas Arm meiner Hand entglitt. Stolpernd kam ich einige Meter weiter zum Stehen.
"Pass doch gefälligst auf wo du hinläufst", schnauzte mich ein älterer Mann an.
"Ricky...?", fragte ich atemlos. Keine Antwort.
Panisch sah ich mich in der Menge um, die hier in den schmalen Gassen unglaublich dicht war. Sie war weg.
"Ricky! Ricky!"
Aber ich bekam keine Antwort.
"Bei Jupiter, was schreist du denn so?", hörte ich jemanden fragen, aber ich reagierte nicht, sondern lief blindlings in irgendeine Richtung weiter. Ich musste sie wiederfinden!
Was wenn sie sich verirrte? Was, wenn sie in Schwierigkeiten geriet? Was, wenn sie wieder dem Zenturio in die Hände fiel?
Nüchtern betrachtet war es natürlich eine völlig bescheuerte Idee vor ihm wegzulaufen, aber dieses logische Denken wollte sich auch jetzt nicht wieder einschalten. Ich begriff nicht, wie unvernünftig und dumm ich gehandelt hatte, obwohl es mir langsam zumindest dämmerte. Hätte ich drüber nachgedacht, wäre mir bewusst gewesen, dass Scapula vermutlich unsere einzige Hoffnung war, die Person, die uns in dieser Welt schützen konnte. Ohne ihn waren wir alleine.
Überdeckt wurden solche Gedanken aber von der Sorge um Ricarda.
Die Welt um mich begann sich zu drehen. Diese Menschen, die fremden Gerüche, die fremden Gebäude, die völlige Fremdheit dieser gesamten Welt, in der ich im Augenblick so hilflos verloren war. Wie sollte ich hier raus? Ich fühlte mich gefangen in einem Albtraum, aus dem ea kein Erwachen geben konnte. Ich war hier völlig alleine in einer Zeit so anders als meine es war und der Weg nach Hause war unklar, wenn der denn überhaupt existierte.
"Ricarda!"
Ich bog in die nächste Straße, blieb mit dem Schuh zwischen zwei der Steine, die den Weg pflasterten hängen, und stürzte elegant zu Boden. Meine Hände, die reflexartig den Fall abfangen wollten, schnellten nach vorne, aber rutschten schließlich unter mir weg, womit mein Gesicht am harten Stein landete. Die Handtasche entglitt mir und landete etwas entfernt, ihren Inhalt verstreuend. Brennender Schmerz durchzuckte meinen Körper.
Na großartig. Wirklich großartig.
Ich verfluchte mich für meine alberne, völlig übertriebene Reaktion, die uns vermutlich noch mehr Ärger einbringen würde. Ricarda konnte ich für ihren Leichtsinn maßregeln, stellte mich dabei aber keinen Deut besser an.
Mühsam richtete ich mich wieder auf...und blickte direkt in mehrere Gesichter, die zu mir hinab sahen. Eines gehörte zu einem gut gekleideten Mann, die anderen zu den Menschen, die ihn begleiteten, Sklaven vielleicht.
Unauffällig sein konnte ich schon mal. Hastig griff ich nach meiner Tasche, stopfte den herausgefallenen Inhalt schnell wieder rein uns hielt mitten in der Bewegung inne. Neben all den anderen Dingen war auch die kleine Broschüre für das Museum gewesen. Groß prangte ein Bild darauf, das Cäsars reales Gesicht darstellen hätte sollen - so gut man es digital anhand unzähliger Büsten hatte rekonstruieren können.
Das markante Kiefer, die prominente Nase, die schmale Oberlippe, ein langsam zurückweichender Haaransatz und ein intensiver Blick aus braunen Augen. Natürlich kannte man die vielen Darstellungen, aber aus weißen toten Büsten im Geist ein lebendiges Bild einer Person zu erschaffen, war doch schwerer als gedacht und so besaß dieser Cäsar zugleich Vertrautes und Fremdes an sich.
Aber...d-das ist doch...
Ich hob noch einmal den Blick. Senkte ihn wieder. Hob ihn erneut. Es waren Unterschiede zu sehen, doch die Ähnlichkeit war frappierend. Die Züge glichen sich zum verwechseln, die Frisur, selbst die Falten, die seine Haut durchzogen besaßen unübersehbare Gemeinsamkeiten.
Das vor mir...war...war...Cäsar?! Der echte Gaius Julius Cäsar?!
Nein, das konnte nicht sein! Mir wurde übel und schwindelig und schließlich schwarz vor Augen. Das war doch verrückt. Ich musste träumen oder den Verstand verloren haben oder vielleicht war ich wirklich von der Büste getroffen worden und das war es, was mein Gehirn mir in der Bewusstlosigkeit oder dem Koma vorspielte. Aber real konnte das doch unmöglich sein.
Ich war doch nicht tatsächlich vor den Füßen des berühmtesten Römers der Welt gelandet.
Ich sank wieder auf den Boden. Meine Welt verschwand in Dunkelheit.
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Anmerkung:
So wie es bei "Plötzlich in Schwarz-Weiß und Rot" Unterschiede zu den ernsteren Geschichten wie "Blut und Tinte", in denen dieselben Charaktere vorkommen, gibt, wird das hier auch der Fall sein. Für alle, die "Runa" auch verfolgen oder es nach diesem Kapitel hier noch werden (würde mich sehr freuen ;)) möchte ich hier mal entscheidende Änderungen zusammenfassen, damit niemand verwirrt sein muss. Alle anderen können das hier ignorieren.
Unterschiede zu Runa:
- Hier hab ich die bekannten Charaktere in Cäsars Zeit versetzt, Augustus (oder eher noch Octavius) wird aber vermutlich auch vorkommen
- Marcus und Livia sind noch nicht verheiratet
- Annaea lebt trotzdem bei ihm und ist im selben Alter wie in Runa
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