Göttliche Mächte?
Wir folgten den stetigen und gleichmäßigen Schritten der Legionäre, die ein martialisches Lied angestimmt hatten, und denen des Zenturios und fürchteten, dass uns nun das letzte Stündlein geschlagen hatte. Unwahrscheinlich war das letztendlich nicht.
Denk nach, Elly, denk nach!
Irgendeine Lösung musste es doch geben, irgendetwas, das uns hieraus rettete. Weglaufen? Vor an die 80 bewaffneten ausgebildeten Soldaten? Eher nicht. Eigentlich wollte ich nicht so schnell über den Jordan gehen - oder in dem Falle eher über den Styx. Also war das schon mal keine Lösung. Aber was dann? Mitkommen? Wer wusste schon, was sie mit uns vor hatten?
Die Kette! Der Gedanke war natürlich dämlich. Wie sollte uns so ein billiges Teil helfen, das uns mit faulen und noch dazu sehr fragwürdigen Tricks angedreht worden war? Andererseits...schadete denn ein Versuch? Mehr als nichts passieren konnte doch schließlich nicht.
"Hey, Ricky", zischte ich ihr zu, "hast du die Kette dieser merkwürdigen Frau noch?"
"Ja, wieso? Willst du dich für unsre neuen Freunde rauszuputzen?"
"Nein", antwortete ich augenrollend. "Ich will was versuchen. Leg sie um...möglichst nicht zu auffällig."
Mit einem kritischen Blick gehorchte sie und auch ich angelte das Schmuckstück aus meiner Tasche und legte es mir um den Hals. Also schön, Kettchen, dann zeig uns mal, wie du uns beschützen willst!
Ein Teil von mir hatte wohl auf Rauch und Feuerwerk gehofft und puff - wären wir wieder in unserem Rom. Dergleichen geschah nicht. Stattdessen passierte genau...gar nichts. Nada. Niente. Nihil.
Also war das Ding wohl doch nur billiges Chinashop-Zeug oder Schrott aus dem Kaugummiautomaten. Ein Fall für den Müll. Oder hier vielleicht für die Cloaca Maxima. Eine Enttäuschung, die nicht überraschen sollte und doch eine Enttäuschung. Wenn diese seltsame Frau schon mit der großen Gefahr mehr als ins Schwarze getroffen hatte, hätte doch zumindest noch ein bisschen mehr an ihrem Gelaber dran sein können. Aber göttliche Macht war dann wohl doch zu viel verlangt.
Gleichschritt, dazu passende Musik - so setzten wir unseren Weg ins Verderben also fort.
"Sag mal, die wollen uns doch verarschen", zischte Ricky plötzlich empört. "Tun so als hätten die keine Ahnung von unserer Sprache und jetzt singen sie fröhlich auf Deutsch ihre blöden Liedchen!"
"Warte was?" Erst dachte ich, sie würde nun schon verrückt werden - oder dass ihr Geschichtswissen grottiger war als vermutet. Aber tatsächlich: Der Text des Lieds war deutsch. Aber wie...? Unsere Sprache gab es doch noch gar nicht. Es sei denn...
"Ricarda, die singen nicht deutsch. Wir verstehen Latein." Wie das möglich war, wusste ich nicht, aber es war die einzig logische Erklärung, wenn man so wollte, denn eigentlich war so etwas meines Wissens nach unmöglich.
Ich nehm's zurück, die Kette scheint doch was drauf zu haben. Jetzt mussten wir nur noch rausfinden, ob sie auch half uns selbst zu verständigen.
"Hey, Legionär, wie heißt der Zenturio, der so nett ist uns zu begleiten", fragte ich also irgendeinen der Männer auf deutsch, der mir daraufhin nur einen finsteren Blick schenkte, die anderen ignorierten mich vollkommen. Lief schon mal großartig. Entweder er verstand mich nicht oder er hatte ganz einfach keine Lust zu antworten. Zweites wäre die bessere Lösung gewesen, aber ohne irgendeine Reaktion ließ sich das schlecht bestätigen.
"Nimms ihm nicht übel. Marcus Vorenus ist immer so unfreundlich. Der Zenturio heißt Marcus Atius Scapula", antwortete schließlich ein Soldat in ungefähr meinem Alter, also eher noch ein Kind als ein Mann, und ließ damit sofort mein Herz höher schlagen. Er verstand mich!
Diese Kette war vermutlich wirklich unsere Rettung.
Scapula... Scapula...sagt mir nichts. Ich war mir sicher noch nicht von ihm gehört zu haben, was es noch schwieriger machte, ihn einzuschätzen. Frau Hinrichs hätte mir vermutlich einen stundenlangen Vortrag über ihn halten können und das erste Mal hätte ich es mir sogar gewünscht.
"Und du heißt?"
"Marcus Senus", stellte er sich lächelnd vor.
"Und die anderen hier?"
Allein wegen seiner Gesprächigkeit bezweifelte ich, dass er schon ein abgehärteter Soldat war. Eher wirkte er etwas, um nicht zu sagen, sehr, grün hinter den Ohren.
"Also das ist Marcus Berius, Marcus Poppilius, Marcus Saturus, Marcus Ofilius, Marcus...", begann er aufzuzählen.
"Heißt ihr alle Marcus? Wow, wie kreativ", kommentierte Ricarda.
"Und der da vorn neben dem Zenturio ist-"
"Lass mich raten, Marcus irgendwas?", unterbrach ich den Soldaten trocken, der mich nun gänzlich verwirrt ansah.
"Nein, Titus. Titus Portius." Ja natürlich, wie auch sonst?
*
Durch ein Tor betraten wir mit eben jenem Marcus Atius Scapula, der mit uns seither überhaupt kein Wort mehr gewechselt hatte, die Stadt und ich musste zugeben, dass mir die Hitze hier, die ganzen Menschen und die fremden Gerüche nicht bekamen. Es roch nach den mediterranen Pflanzen, Essen, an manchen Ecken ein bisschen nach Stall und Urin, und nach Dingen, die ich so nicht zuordnen konnte.
Letzten Endes war es ein Schlag ins Gesicht, diese Menschen in ihren fremden Gewändern, ihrer ganz anderen Lebensweise zu sehen.
"Seht her und bewundert meine Sklaven! Die besterzogenen Sklaven Roms - Köche, ornatrices, Tänzerinnen, Badesklaven, Ringer und Wachen, die schönsten Mädchen und Frauen! Sklaven zu jedem Zweck! Alles, was das Herz begehrt, zum besten Preis! Kommt und kauft, edle Herren!", hörte ich Rufe und spürte Übelkeit in mir aufsteigen. Na großartig. Vielleicht würde das auch unser Schicksal werden...
Woanders versuchte jemand Schmuck zu verkaufen oder sonst irgendetwas anzupreisen. Brot wurde angeboten und natürlich Wein.
An einer Ecke glaubte ich sogar, dass man Gladiatorenschweiß als Wundermittel für Stärke verkaufte.
Und überall wurden wir blöd angeglotzt, was uns eigentlich nicht überraschen hätte sollen. Wo wir vorbei kamen, wurde es etwas ruhiger, die Menschen sahen uns an, tuschelten sich etwas zu. Die Reaktion war eine Mischung aus Neugierde, Ablehnung, Unsicherheit und sich mehr oder weniger über uns lustig zu machen.
Die Tatsache, dass wir in der Antike gelandet sein sollten, wollte immer noch nicht ganz in meinen Kopf. Wie auch? Schließlich war es unmöglich. Das alles war absurd und wie ein schlechter Film. Mystische Büsten, Zeitreisen, eine magische Kette, die uns ermöglichte, hier mit anderen sprechen zu können - es hörte sich wie eine Geschichte an. Eine ziemlich blöde, um ehrlich zu sein. Nur leider schien es die Realität zu sein, auch wenn ein kleiner Teil von mir noch hoffte, dass ich träumte.
Wie kamen wir hier wieder raus? Wie nach Hause? Das waren wohl die wichtigsten Fragen. Wir mussten uns aus Scapulas Fängen befreien - und diese Büste finden. Aber das war so viel leichter gesagt als getan. Denn wenn wir erstes überhaupt schafften, war zweites immer noch eine riesige Hürde. Höchstwahrscheinlich befand sich die Büste nämlich im Haus irgendeines Römers und da würden wir wohl kaum einfach hineinspazieren können.
"Entschuldigung, wohin werden wir denn nun gebracht?", fragte ich schüchtern und erntete einen strengen Blick des Zenturios.
"Zu Marius", antwortete er schließlich.
Marius? Wer zur Hölle war Marius? Aber das sollten wir früh genug erfahren...
*
"Diese zwei komischen Gestalten hab ich weder jemals gesehen, noch von ihnen gehört, Zenturio. In meiner Familie befinden sich keine Riesin und auch keine Germanin, ganz zu schweigen von der furchtbaren Kleidung! Ich muss dich also bitten, sie von meinem Grund zu entfernen. Vielen Dank!"
Mit einem Krachen wurde das Tor zum Haus geschlossen. Wie nett. In diesem Moment hätte ich nichts dagegen gehabt, den kleinen Mann mit der Halbglatze nicht zu verstehen.
"Riesin? Komische Gestalten? Furchtbare Kleidung?", wiederholte Ricarda säuerlich. " Das ist super in. In seinem albernen Kleidchen sieht der Typ auch nicht besser aus. Der soll sich mal nichts einbilden. So ein Vollidiot."
"Also hast du gelogen", stellte der Zenturio kühl fest. "Du bist nicht von den Mariern. Vermutlich seid ihr tatsächlich nichts weiter als geflohene Sklaven - und ihr verschwendet meine Zeit." Seine Augen bohrten sich in meine. Hellbraun. Glänzend. Wie Bernstein. Beinahe wie flüssiges Gold und leuchtend wie eine gefährliche Flamme. Irgendwie machte er mir Angst und das vermutlich zurecht.
"A-Ach hatte ich das gesagt...? Ich...ähm...bin von den Mariern...andere Marier...", stotterte ich zusammen. Meine Güte, warum hatte ich das denn vorhin gesagt? Offensichtlich weil Nachdenken nicht meine Stärke war. Jetzt saßen wir ganz schön in der Tinte und diesmal half nicht einmal diese tolle magische Kette. Denn auch, wenn man mich jetzt verstand, wusste ich absolut nicht, was ich sagen sollte, um uns zu retten.
"So so", gab er nur ungerührt zurück, während sich die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte, was offensichtlich machte, dass er uns kein Wort glaubte.
"Wir wissen selbst nicht genau, was geschehen ist. Wir - also ich und meine äh... Freigelassene... - waren hier in Rom, um meine Mutter zu besuchen. Wir leben weit weg und sie ist schwer krank. Sie...sie war. Wir erfuhren hier nur noch von ihrem Tod. Ich fürchte, wir wurden überfallen. Alle Sklaven sind verschwunden und...ich erinnere mich kaum daran, was geschehen ist. Wir sind keine entflohenen Sklaven... Wir... Ich habe doch nun niemanden mehr ohne meine Mutter, Zenturio...", begann ich und meine Worte verwandelten sich in ein Schluchzen und schließlich in ein unverständliches Weinen.
Dabei musste ich noch nicht mal spielen. Mir war wirklich nach Heulen zu Mute. Wir saßen hier fest, in den Fängen eines rauen Zenturios, hatten kein bisschen Geld, nichts wo wir hätten wohnen können, stattdessen nur sehr auffällig Kleidung, die alles noch komplizierter machte. Entweder würden wir in einem finsteren Kerker, in den Fängen eines Sklavenhändlers oder auf der Straße landen. In erstem würden wir dort bis ans Ende unserer Tage versauern, in zweitem würden wir an einen Römer verscherbelt und sonst was für ihn tun müssen und in letztem Fall wären wir auch nicht grade gut dran. Rom war nachts nicht ungefährlich, so viel wusste ich und vielleicht würde uns das, wenn wir nicht vorher ermordet im Tiber endeten, wieder zu Möglichkeit eins bringen.
Unsere Zukunftsaussicht war also nicht rosig. Ganz und gar nicht. Das Weinen fiel mir also nicht schwer, dazu kam die herzzerreißende Geschichte, die ich mir einfallen ließ.
Der Zenturio wirkte im ersten Moment ein wenig überfordert mit meiner Reaktion, vor allem, als dann noch Ricarda mit einstimmte und schniefend weitererzählte.
"Unser ganzes Geld wurde uns gestohlen. Und wir wissen nicht, wo wir wohnen sollen. Bitte...wir wollen nicht auf der Straße landen. Wir sind doch viel zu jung um zu sterben."
Verwundert sah er uns an. Damit hatte er wohl nicht gerechnet.
"Du hast also niemanden mehr? Keine Verwandten? Keine Freunde? Keinen Ehemann?", fragte er schließlich.
"Niemanden..." Ehemann? Na so weit käme es noch. Rom hin oder her, ich hatte nicht vor mit siebzehn zu heiraten. "Mein Verlobter ist gestorben", erklärte ich schließlich noch, weil ich Angst hatte sonst vielleicht noch mehr Misstrauen zu erregen, und brachte damit die letzte imaginäre Person aus meinem Umfeld um.
Die beiden entfernten sich um sich zu beraten.
Marcus seufzte. Na großartig!
"Was nun?", fragte Titus neben ihm.
Der Zenturio schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht." Eigentlich hätte er seine Zeit nicht länger verschwenden wollen, aber nun... Sollte auch nur irgendetwas dieser Geschichte stimmen, konnte er sie unmöglich sich selbst oder wer wusste schon, was für einem anderen überlassen. Ihm schien all das zwar immer noch sehr merkwürdig, aber zwei junge Frauen - vielleicht tatsächlich sogar Römerinnen - den Gefahren dieser Stadt auszusetzen, war ihm zuwider. Das konnte er nicht.
"Durio. Ich werde Durio um Rat bitten", fügte er schließlich hinzu. Vielleicht wusste sein Freund Appius besser, was mit den beiden zu tun war.
"Glaubst du die Geschichte?", fragte Titus.
"Ich weiß es nicht. Ein Teil fehlt mit Sicherheit. Ein entscheidender."
"Einige der Männer glauben, sie wären...Götter. Ich habe sie vor den Toren darüber sprechen gehört", erzählte der Mann schließlich langsam.
"Götter? Seit wann erscheinen Götter in der Gestalt hilfloser fragwürdig gekleidete Mädchen?", gab er schnaubend zurück. Das wäre doch mehr als lächerlich gewesen.
"Nun aber...hast du es nicht gesehen, Zenturio?"
"Was denn gesehen?" Nun verstand Marcus gar nichts mehr. Wovon sprach der Mann?
"Das ferne Leuchten. Die zwei befanden sich genau an der Stelle, an der wir es gesehen haben..."
Natürlich hatte er es gesehen, hatte mehrmals gegen das gleißende Licht der Sonne geblinzelt, um sich zu versichern, dass es wirklich da war, und es war nicht verschwunden. Ein klares, strahlendes Aufleuchten am Horizont, das sich in einer zarten Säule in den Himmel erhoben hatte. Der Zenturio war überzeugt gewesen, sich zu täuschen, bloß etwas zu sehen, was ihm das helle Sonnenlicht vorspielte. Doch schien er nicht der einzige gewesen zu sein, der es bemerkt hatte...
Göttinnen? Die zwei? Doch weshalb sollte es sich bei ihnen um Göttinnen handeln? Wieso sollten sie hier sein? Dann hatten es eben alle anderen auch gesehen - was bewies das schon, außer, dass der Tag heiß war, der wolkenlose Himmel die Erde nicht vor der Sonne schützte und die meisten unter ihnen vermutlich ein wenig unter Erschöpfung litten. Es war keine göttliche Macht, kein magisches Erscheinen gewesen, das sie gesehen hatten, sondern bloß etwas alltägliches. Und diese Mädchen waren noch nicht einmal Halbgöttinnen, sondern zwei verirrte junge Frauen... Mehr auch nicht.
Sein Blick fiel auf Ricarda, die mit einem Händler diskutierte, ob sie denn auch so ein "Kleidchen" wie die Soldaten aber mit Leopardenmuster bekäme. Göttinnen? Wohl kaum.
Und doch hinterließ der Gedanke an das Gesehene ein merkwürdiges Gefühl in ihm. Eines das ihm sagte, dass daran nichts gewöhnlich war, dass da etwas geschehen war, das weder er noch sonst je ein menschliches Auge erblickt hatte...
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Ellys und Ricardas Reise geht weiter... Was meint ihr - stecken da göttliche Mächte dahinter? Was haltet ihr von Marcus? Und Römische Kleidung + Leoprint - hot or not? :'D
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