Epilog

„‚Du kleines, dummes Gör', hat er angefangen, laut zu lachen, ehe ein lautes, schallendes Klatschen durch die Gasse hallte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, erinnere mich lediglich an seine schwarze Verkleidung. Die Kapuze seines Shirts war ihm tief ins Gesicht gezogen, sodass der Schatten sein Gesicht verschwinden ließ. ‚NEIN!', habe ich unter Tränen geschrien, doch ich wurde zum Schweigen gebracht. Er hatte mich geschlagen. ‚Halt deine Fresse, scheiß Kind, sonst ergeht es dir so wie ihr!'

Ich hatte unglaubliche Angst. Schließlich war ich auch erst elf. In diesem Moment hatte ich es unglaublich bereut, Ashley einfach verlassen zu haben. Selbst ein Streit mit ihr unter gleichem Dach wäre mir lieber gewesen als nun hier zu sein.

‚Guck, was passiert, wenn du weiter so schreist', hat er auf einmal gequält gelacht, ehe er ruckartig den Arm fallen gelassen hat und gegen das Mädchen prallen. Mit ihr kreischte auch ich auf, aber nicht aus Schmerzen, sondern aus Schock und Hilflosigkeit. Wie konnte ein Mensch nur derartig grausam sein?" Ich schluckte schwer. Die Erinnerung ließ mich schwer atmen. Doch ein Handdruck ließ mich weitermachen.

„Die Nacht hat sich langgezogen wie ein hartnäckiger Kaugummi und ich kann so froh sein, dass über die fünf Jahre meine Erinnerungen ein wenig geschwunden sind. Zumindest ein Teil. Ein kleiner Teil.

Ich glaube, dass ich niemals vergessen kann, was genau geschehen ist und wie sie mich angeblickt hatte. Laura Hope Smith. Hope. Sie hatte es nicht verdient, so früh zu sterben. Sie war so rein. Wissen Sie, Mrs Minegold, wir haben ihre Mutter ausfindig gemacht. Nathan und ich. Er will mir helfen, damit abzuschließen." Ich musste bei dem Gedanken an ihn leicht lächeln.

„Ihre Mutter hat uns verraten, dass Ja... Milows Vater depressiv war. Depressiv und einfach nur das getan hat, was sein Sohn von ihm verlangte. Milows Vater hatte keinen eigenen Willen. Und sie hat versucht, sich von ihm scheiden zu lassen. Milow wusste davon. Eine Woche darauf war Laura verschwunden." Ich atmete tief durch. Den Namen Milow zu verwenden war mir eindeutig angenehmer, weil er mir nicht so vertraut vorkam wie der andere.

„Auf jeden Fall weiß ich noch, wie er mir gedroht hat, sie umzubringen, wenn ich etwas sagen sollte. Wenn ich schreien sollte, flüchten oder Ähnliches. Meiner Familie etwas antun, oder meine Freunde umbringen. Also habe ich geschwiegen, aus Angst, dass er dann noch mehr etwas tun würde. Habe genickt und mir es stumm angetan, wie mir das Regen gegen das Gesicht geprasselt war und ein Gefühl vom Ertrinken hinterlassen hatte. Es war, als würde ich mit diesem Nicken Abschied von meiner Kindheit genommen haben. Immer wieder habe ich stumm beobachtet, wie er sie geschlagen hat. Sie hat geblutet. Überall. Am Kopf, am Arm, am ganzen Körper. Schrammen, Kratzer, Wunden zierten ihren Körper. Und dann, als er sich zu mir umgedreht hat... Ich habe gekreischt, geschrien, wollte wegrennen, aus Angst, das Gleiche widerfahren zu würden.

Und dann erst ist mir mein Fehler aufgefallen. Er hatte es bezweckt. Um einen Grund zu haben, sie endlich umbringen zu können. Sein schmieriges, wütendes und verzweifeltes Lachen hallt noch immer in meinem Kopf. Als ich gesehen habe, wie er sich ihr wieder genähert hat, bin ich aufgesprungen. Habe an seiner Jacke gezerrt, weil ich nicht mehr wollte, dass er in ihre Nähe kam. Aber er hat mich lediglich gegen die Wand geschubst. Und dann, dann hat er ihre Haare ergriffen. Ihr mit der freien Hand in den Magen geschlagen. ‚Nein! Nein, lass sie', hatte ich geschrien, mit dem Wissen, nichts ausrichten zu können.

Und dann, dann der laute Knall. Keine Pistole. Sondern ihr Kopf, welcher gegen die Wand geschleudert wurde. Wie Milow es bei mir tat, aber bei mir war es nicht einmal annähernd so schlimm. Bei ihr war es animalisch... Mit voller Kraft. Ich habe es gespürt. Wie das Blut von ihrem Kopf auf mich gespritzt ist und..." Ich unterbrach bei dem Gedanken und versuchte, den Anflug von Übelkeit in mir zu unterdrücken. Ich hatte tatsächlich Hirnstücke auf mir kleben gehabt.

„Ich..." Tief atmete ich ein. „Ich bin Schuld an ihrem Tod gewesen. Ich will nicht alles erzählen, was passiert ist. Meine Gedanken sind zu durcheinander, als dass ich Ihnen jetzt alles sagen könnte. Aber ich erinnere mich an die letzten Worte, welche er mir mitgegeben hatte. An jedes einzelne und Himmel, ich wünschte, ich könnte alles aus meinem Kopf verbannen. ‚Ich schwöre dir, wenn du auch nur ein Wort an irgendwen verlierst, wirst du es bereuen. Ich behalt dich im Auge...' Jetzt, wo ich von ihm gesagt bekommen habe, dass sein Vater selber in Angst gelebt hatte, erinnere ich mich an den Unterton, welcher neben der Drohung mitschwang. Es war Unsicherheit gewesen, wage ich zu behaupten. Und dann... Dann meinte er: ‚Du wirst jetzt schön schlafen gehen. Und wenn du aufwachst, wirst du schweigen, verstanden? Und wenn du es wagst, ein Wort darüber zu verlieren, werde ich jedem deiner Freunde ihre Körperteile entfernen und dir zum Geburtstag schicken.'" Ein Schauer suchte mich heim, als ich mich daran erinnerte.

„Er hatte meine Angst auch bemerkt. Und dann hatte er gelacht. Mir erneut gesagt, dass ich die Mörderin bin. Weil ich geschrien hatte. Ich hätte sie beschützen können, hatte ich all die Jahre geglaubt. Aber jetzt, jetzt weiß ich, dass er sie auch so umgebracht hätte, nicht wahr? Seine Worte hatten mich aber eingeschüchtert. ‚Du wirst in einer Psychiatrie enden. Und wenn du irgendetwas jemanden gegenüber erwähnst, mich erwähnst, wird dein Name überall sein. Clarice, die kleine Mörderin eines wehrlosen Mädchens.'

Clarice... Ich weiß um Gottes Willen nicht warum, aber er nannte mich den ganzen Abend nur Clarice. Clarice ist mir aber zu ähnlich mit Clarissa. Ich mag den Namen Clarissa nicht. Dann vernahm ich, wie er mir hysterisch lachend zu wank und kurz darauf einen dumpfen Schlag an meiner Schläfe.

Meine Sicht verschwamm und ich spürte den Aufprall meines Körpers auf dem Boden. Hart versuchte ich mithilfe von Blinzeln meine Sicht wieder zu klären, doch es brachte nichts. Das Pochen nahm mich ein. Das letzte, was ich sah, waren die großen und leeren Augen, welche mich anstarrten. Leer und leblos. Und dann... Dann wachte ich am nächsten Tag auf. In ihrer Blutlache. Es war grauenhaft! Immer wieder hatte ich die Worte im Kopf, schweigen zu müssen. Ich hatte furchtbare Angst. Immer." Ich stockte.

„Ich will nicht lügen. Die Wahrheit ist, dass ich immer noch Angst habe. Nach fünf Jahren all die Paranoia abzulegen ist praktisch unmöglich. Ich habe Albträume. Und ich hasse meinen Körper. Ich fühle mich schrecklich hässlich, weil die Taten eines Kranken in mir verewigt wurden. Und egal, was passieren wird, diese Narben werden mich niemals vergessen lassen."

„Und in der Schule wird es nicht besser. Ich sehe all die bemitleidenden Blicke und sie stören mich. Sie sollen nicht so tun, als wüssten sie, was in meinem Leben vor sich ging. Aber sie sind immer noch besser als die, die meinen, mir Drohungen an den Spind kleben zu müssen. Meine Nummer habe ich bereits gewechselt. Keiner hat sie außer meiner wirklich engen Freunde. Außer die, denen ich vertraute."

Es fiel mir schwer, mich jemandem komplett anzuvertrauen. Aber als ich den sanften Händedruck erneut spürte, welcher mich aufmuntern sollte, atmete ich tief durch. Ich war nicht alleine. Traurig erhob ich meinen Kopf und lächelte Aidan entgegen. Er drückte mir einen sanften Kuss gegen meine Schläfe.

Wir hatten uns ausgeredet. Alle. Ashley, Dean und Aidan. Ich hatte mich entschuldigt und sie sich bei mir. Wir beschlossen, es zu vergessen. Nicht neu anzufangen, aber unsere Konflikte beiseite zu schieben. Ich hatte ihnen versprochen, ihnen ab jetzt mehr anzuvertrauen, wenn ich Sorgen haben sollte.

Aber Ashley erzählte ich nichts von meiner Vergangenheit. Ich kannte sie zu gut, um zu wissen, dass sie sich dann die Schuld geben würde aufgrund unseres dummen Streites. Dean würde ich es wohl erzählen müssen. Er war mein bester Freund und würde es bleiben. Und ich kannte ihn und seinen Wunsch, mein Vertrauen zu haben. Er wäre verletzt, würde ich es ihm nicht sagen.

Und Aidan? Aidan war mein Bruder. Ich hatte eingesehen, dass er es wissen sollte.

Nein, hast du nicht, du stures Kind.

Ich weiß, aber mir war die Bindung zwischen ihm und mir deutlich wichtiger als meine sture Paranoia. Und darum befand er sich nun in meiner Therapiestunde anstelle von Nathan. Auch, wenn ich es diesem Blödmann gegönnt hätte, würde er es sich auch antun müssen. Es war zwei Wochen seit meiner Entlassung vergangen und es hatte mich viel Zeit gekostet, bevor ich mit den anderen erst richtig reden konnte. Aber nun, hier war ich. Über meine Vergangenheit redend und alles verarbeitend. Irgendwie zumindest.

Eine halbe Stunde später war die Sprechstunde beendet. Aidan hatte mich aufmunternd umarmt, nachdem wir den Raum verlassen hatten und nun liefen wir in einer unangenehmen Stille raus.

„Claire, ich muss mich entschuldigen. Ich wusste nicht, dass es so schlimm war. Ich hatte keine Ahnung von irgendetwas davon und ich wünschte, ich hätte niemals eine so laute Fresse gehabt. Verzeih mir bitte, ja? Ich liebe dich aber, vergiss das niemals. Ab jetzt bin ich für dich da." Seine Stimme war leise und vorsichtig; als hätte er Angst, mich jede Sekunde zu verärgern.

Doch so war es nicht. Stattdessen schenkte ich ihm ein Lächeln. Natürlich, ich hätte es schöner gefunden, hätte er mir Verständnis gezeigt, aber ich hatte mich auch nicht ideal verhalten.

Jedoch war es nun einmal so, dass einige Dinge dazu geschaffen waren, im Stillen bewahrt zu werden. Es gab Geschehnisse, die keinen entwas angehen sollten und ich bereute es nicht, so reagiert zu haben, wie ich es getan hatte. Schließlich konnte ich damit meine Umgebung schützen. Hätte ich es verraten, wäre es nicht nur bei Adam geblieben.

Adam selber ging es außerdem mittlerweile auch besser. In der Nacht war er bei Milow gefangen gehalten worden, aber die Polizei hatte ihn gefunden, nachdem Nathan angerufen hatte. Zum Glück.

„Hey, wir hatten das doch schon hinter uns. Es ist okay. Außerdem hat das alles ja etwas Gutes. Dad ist von seinen Geschäftsreisen daheim, hat eine zweimonatige Pause, um für mich da zu sein, aber letzten Endes haben Dad und Mum sich wieder zueinander genähert und vielleicht werden wir bald wie eine richtige Familie. Ich... Ich fange an, es irgendwie zu verarbeiten und meine Freunde sind alle für mich da."

Etwas darauf erwidern konnte er nicht, weil wir das Tageslicht erblickten.

Vor dem kleinen Gebäude, welches ich wöchentlich zu besuchen hatte, warteten Ashley und Logan zusammen, als auch Dean, welcher jedoch mit Phil rummachte, und letzten Endes auch Nathan, welcher alleine zwischen den vier Turteltäubchen stand.

Kaum zu glauben, aber zwischen Dean und Phil lief all die Zeit etwas! Als Dean am Tag unseres Barbesuches so angepisst von Phil war, weil er jemanden mitgebracht hatte; da war er eifersüchtig gewesen. Ich wusste noch nicht viel über ihre Beziehung, aber ich hatte mir bereits vorgenommen, in Zukunft, wenn sich alles bessern sollte, auch dem nachzugehen.

„Hey Prinzessin", grinste Nathan mich spitzbübisch an, doch ich erkannte dennoch die Sorge in seinen Augen. Um ihm auf meine eigene Art zu sagen, dass es mir gut ging - trotz verweinten Augen und meiner Stütze verkörpert von Aidan - verdrehte ich spielerisch die Augen. „Halt die Klappe, Möchtegern."

Schnell löste ich mich von Aidan, ehe ich zu Nathan hinüberschritt, um mich von ihm kurz umarmen zu lassen. Ich genoss die Wärme, welche mich sogleich durchströmte. Die Tage über waren wir beide zu sehr guten Freunden geworden und ich schätzte sein Verhalten mir gegenüber. Er war es, welcher mein Bett nicht einmal länger als fünf Minuten verlassen hatte. Er war es, welcher für mich da war, mir zugesprochen hat, dass es okay sei, traurig, wütend, verzweifelt zu sein. Und er war es, der mir beistand, als ich meine erste Konfrontation mit meinen Freunden und meiner Familie hatte.

Ich fühlte mich mit ihm an meiner Seite stärker. Nicht stark, aber stärker. So, als könnte ich es schaffen, alles hinter mir zu lassen.

Es würde seine Zeit brauchen, aber hoffentlich schafften wir das zusammen.

„Ach komm, wagst du etwa, mir gegenüber frech zu sein? Du solltest aufpassen, wie du dich mir gegenüber benimmst", zwinkerte er und verlockte mir ein weiteres Augenverdrehen. Ich war ihm derartig dankbar, dass er mich normal behandelte. Jetzt musste ich nur noch überlegen, ob ich jemals vorhatte, ihm meine Gefühle zu beichten.

„Bitte, nicht schon wieder. Du bist nicht begabt darin, einen auf Badboy zu tun." Grinsend schubste ich ihn von mir weg und wendete meinen Kopf zur Rechten, als ich ein Räuspern wahrnahm. Vier erwartungsvolle Gesichter und ein Phil - welcher nur Augen für Dean hatte - schauten mich an. „Ich störe eure freundschaftliche Euphorie sehr ungerne, aber es wartet eine Liz mit ihrem kleinen Bruder und einem genervten Jason auf uns", zwitscherte Ashley glücklich und lehnte sich an Logan an. Wir überspielten ihre äußerst unauffällige Betonung.

Logan selbst hatte keine Ahnung gehabt von Jacks kranker Seite, ihn hatte das alles auch sehr mitgenommen. Von dem Vertrauensbruch sogar mehr als mich, da sie sich schon viel länger kannten. Zumindest nach dem momentanen Wissen. Aber wir waren alle füreinander da und fingen uns gegenseitig auf, wenn wir das Gefühl hatten, zu fallen.

„Dann los", lächelte ich. Und einmal, nach fünf ½ Jahren, hatte ich das Gefühl, die Hoffnung, glücklich werden zu können.

„Jeder Mensch ist in etwas begabt, Kleines. Ich bin es vielleicht nicht im böse sein, aber dafür in anderen Dingen, die viel besser sind", säuselte mir eine allzu bekannte Stimme in mein Ohr, ehe Nathan seinen Arm um meine Taille legte.

Ein warmes Kribbeln erfüllte mich bei dem Gedanken unseres ersten richtigen Gespräches. Beziehungsweise unserer Diskussion in Theater über Begabung. Er schien auch dran zu denken, wer er mir grinsend zuzwinkerte und seinen Griff um meine Taille verstärkte.

Ein Neustart für uns alle, welcher uns die Möglichkeit geben würde, wieder in unser altes Leben zu gelangen. Und vielleicht...

Vielleicht würde ich es schaffen, ein für alle Male meine Vergangenheit zu akzeptieren. Mit Freunden an meiner Seite, die mir Halt haben.

„Halt die Klappe, Idiot."

ES IST VOLLENDET*-*

Und ich weiß nicht, ob ich heulen oder mich freuen soll. Ich entscheide mich für ein Mittelding >.<

Danksagung kommt noch, aber bevor diese hochgeladen wird, gebe ich euch noch einen Tag, irgendwelche Fragen zu stellen.
Sie müssen nicht auf die Geschichte bezogen sein. Es kommt noch eine Fortsetzung, also kann es sein, dass ich euch einige Fragen dort erst beantworte.
Ihr könnt mich alles fragen, was ihr wollt.

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Danke für jeden treuen Leser von euch, das bedeutet mir alles einfach verdammt viel, aber dazu später noch. Hinterlasst mir doch Votes oder Kommentare*-* xxT~

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