53| Teufelskreis

-Claires Sicht-

Erschüttert schrie ich auf und hielt mir zeitgleich meine Ohren zu. Bei dem Anblick des Blutes schienen die inneren Stimmen in meinem Kopf geweckt worden zu sein. Immer wieder hörte ich das Kreischen des Mädchens. Immer mehr verstörte mich dies. Doch schien es hoffnungslos, die Erinnerungen zu verdrängen.

Er würde das nicht zulassen. Er wollte mich leiden sehen. Und dafür hatte er meinen Kindheitsfreund, meinen Vaterersatz verletzt und entführt. Dieser Arsch! Wenn er Adam etwas antun würde, ihn foltern, so könnte ich mir dies niemals verzeihen.

Meinen Blick konnte ich nicht von dem Blut abwenden. Bluttropfen gingen von der Lache aus bis zu dem großen Fenster, welches hinter die Schule führte und darum einen Ausblick in den Wald gab. Es war, als würde ich mich selbst zu der Strafe zwingen, anzusehen, woran ich Schuld war.

Ich war vielleicht Schuld am Tod eines Familienvaters. Eines Ehemannes. Eines Freundes.

Bei dem Gedanken, dass Nathan an seiner Stelle wäre, hätte ich Adams Bild geteilt, verließ mich ein weiteres tiefes Schluchzen.

Aber Nathan war hier, an meiner Seite. Und so egoistisch es klang, so war ich unglaublich froh, als er mich in den Arm nahm und mir den Blick auf das Blut versperrte.

Ich nahm alles wahr, als sei die Welt um mich herum in Watte getaucht worden. Schemenhaft, unscheinbar, unerkenntlich. Die Polizei war an unserer Schule, die Schüler mittlerweile nachhause gegangen. Nate und ich standen bei den Polizeiautos und erholten uns von den Fragen, die wir zu beantworten hatten.

Zumindest Nathan beantwortete sie. Die aus unserem Lateinkurs hatten zuvor ebenso ausgesagt, dass Adam nur kurz verschwunden war, um sich ein Kaffee zu holen, weil er die ganze Nacht nicht hatte schlafen können. Ob er auch solche Nachrichten erhalten hatte wie ich? Laut Aussage verschwand er nur wenige Minuten bevor wir ihn aufgefunden hatten.

Zurzeit waren wir alleine, doch das störte mich nicht. Mir tat die Menge ohnehin nicht gut. Ich brauchte Ruhe. Doch die wurde mir nicht gewährt. Nathan räusperte sich leicht. „Ich muss dir etwas sagen", sprach er zu mir. Ich blickte zu ihm auf. Mein Blick war müde und fragend. Ich sehnte mich nach meinem Bett. Nach Ruhe und Heimgefühl.

„Irgendetwas läuft hier falsch. Mr. Davis wurde nicht entführt. Er ist selbstständig gegangen. Das war geplant."

Geschockt blickte ich ihn an. Dies formte sich schnell in Wut um. Wie konnte er es wagen, so etwas zu sagen? „Hör auf, Kacke zu labern! Du hast das Blut selber gesehen, die Fußabdrücke und Tropfen", schrie ich ihn heiser an und schlug gegen seine Brust. Er hielt meine Hände fest und schaute mir fest in die Augen.

„Hör mir zu, Prinzessin. Ich will dich echt nicht daran erinnern, aber du hast die Bluttropfen gesehen, die zum Fenster geführt haben, oder? Ebenso wie die Fußabdrücke zum Fenster. Das könnte mit Leichtigkeit seine eigene Schuhgröße gewesen sein, Claire. Und die Bluttropfen hätten viel größer sein müssen, wenn jemand ihn über die Schulter weggetragen haben sollte. Hätte ihn jemand geschliffen, wäre da eine Blutspur anstelle von Bluttropfen.

Von der Höhe könnten sie von seiner Hüfte hinabgetropft sein, ebenso von seiner Hand. Außerdem, wer hätte ihn entführen sollen? Im Raum war keiner, die Schränke sind alle durchsichtig und an den Fenstern sind von außen keinerlei Einbruchsspuren. Hör auf, vor der Wahrheit wegzurennen und stell dich deiner Vergangenheit und der Realität."

Starr blickte ich in seine Augen, nicht fähig, etwas dazu beizutragen. Ein Vibrieren unterbrach mich.

‚Finale. Leider viel früher als erwartet. Kein Wort zu deinem Freundchen, sonst passiert ihm und deinem lieben Adam etwas. Komm dahin, wo alles angefangen hat. Allein. Heute, 23 Uhr. Wenn du nicht kommst, kannst du dich von deinen Freunden verabschieden.'

Ich schluckte hart. Ein Bild war angehängt. Adam war zu sehen. Bei dem Anblick schluchzte ich auf. Blut. Wunden. Messer. Ich fühlte mich hilflos. Erneut. Da half mir auch Nathans beschützende Umarmung nicht. „War es wieder dieses Arschloch?", fragte mich Nathan gereizt. „Wenn er dich nicht in Ruhe lässt, werde ich ihn finden und umbringen", knurrte er.

Ich antwortete nicht. Steckte lediglich mein Handy weg und versuchte mich, an irgendetwas zu halten, um nicht in der Schuld zu ertrinken. „Was will er?", fragte er mich. Ihm war anzuhören, dass er streng danach verlangte, eine Antwort zu erhalten.

Ich brauchte etwas, was mir Halt gab. Jemanden, der mir zeigte, dass ich es noch schaffen könnte. Lebendig, glücklich, hoffnungsvoll. Doch zeitgleich betete ich, dass irgendjemand dem ganzen hier ein Ende setzte.

„Ich kann es dir nicht sagen", flüsterte ich verzweifelt heraus und schaute müde zu ihm heraus. Ich fühlte mich so unerwünscht, so vom Leben verarscht und am Ende meiner Nerven. „Ich kann einfach nicht mehr. Wie lange muss ich das noch mit mir herumtragen? Ich bin so am Ende, wirklich. Es ist, als würde ich alles von außen betrachten, sehen, wie ich Stück für Stück kaputt gehe. Aber keiner sieht es. Keiner sieht es außer mir. Weißt du, was das für ein Gefühl ist, zu merken, wie man Stück für Stück kaputt geht, aber nichts dagegen tun kann?", brachte ich verzweifelt heraus.

Die Tränen strömten mir mittlerweile ununterbrochen das Gesicht herunter, aber schon lange hatte ich aufgegeben, etwas dagegen zu machen. Ich spürte, wie mich ein Nervenzusammenbruch heimsuchte, wollte etwas dagegen unternehmen, aber die Verzweiflung überwog.

„Ich kann einfach nicht mehr", schluchzte ich und brach in mich zusammen. Nachdem man sich so lange verstecken musste, so lange seine kranke Seite verleugnet hatte, ist es nicht einfach, sich jemanden vollkommen anzuvertrauen und ihn somit ebenfalls in eine Gefahr zu ziehen, mit der er nicht umzugehen wusste.

„Ich kann da nicht darüber sprechen, okay? Ich kann da nicht drüber sprechen, ohne dieses gottverdammte Bedürfnis zu haben, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Lieber mache ich es als er. Du wirst das nicht verstehen, keiner tut das. Aber ich lebe seit Jahren in Angst. In Angst, dass ich jeden Tag von meiner Vergangenheit heimgesucht werde, okay? Ich habe Angst, dass er kommen wird, mich foltern, indem er euch leiden lässt. Und das wird er, wenn ich dir das sage, also bitte, lass es einfach, okay?"

Ich dachte an meine grausame Tat zurück. Daran, was für Folgen es für meine Umgebung gab.

„Ich habe Angst, euch die Wahrheit zu sagen, weil ihr mich dann alle hassen werdet. Weil ihr dann sehen werdet, dass ich nicht die bin, für die ihr mich all die Jahre gehalten habt. Dass ich eine schrecklich grausame Person bin. Ihr würdet anfangen, mich zu hassen. So, wie Aidan es tut.

Und ich weiß nicht, ob ich-" Ein Schluchzen unterbrach mich, „ob ich wirklich leben will, mit dem Gedanken, dass jeder mich innerlich hassen wird. Dass jeder, wenn er mich sieht, denken wird: ‚Oh Gott, was ist das für eine Verrückte. So eine psychisch kranke Mörderin.' Verstehst du? Ich will nicht, dass Eltern ihren Kindern sagen, man solle sich von mir fernhalten. Ich hab es all die Jahre verdrängt, alle Gedanken daran verbannt. Warum also musstest du kommen, heh? Warum, verdammt!"

Meine Stimme glich einer Hysterie, die ich mir selber nie zugetraut hätte. Überraschenderweise entwickelte sich eine Wut gegen Nate, obwohl er nichts getan hatte. Obwohl er es war, welcher mich bisher an der Oberfläche gehalten hatte.

Aber ich brauchte jemanden, dem ich all die Schuld in die Schuhe schieben konnte. Ich konnte meine Gedanken nicht sortieren, aber ich fühlte mich so verzweifelt. Das Verlangen, alles rauszulassen, alleine zu sein und mich meinem Leben zu stellen nahm mich ein. Aber er hatte es mir nur zu deutlich gemacht, dass er mich niemals in Ruhe lassen würde. Dass er mir immer wieder vorbehalten würde, wozu ich im Stande war. Außer, ich würde es morgen ein für alle Male klären.

Damit war es für mich beschlossene Sache. Ich würde ihn morgen treffen. Dahingehen und meine ganze Vergangenheit ein für alle Male zurücklassen.

Nathans Blick wurde sanft. „Claire-" – „Nein, Nathan. Es stimmt doch. Seit du hier bist, hast du alles dafür getan, mehr über mich herauszufinden. Verdammt, ich bin seit Jahren vor meiner Vergangenheit weggerannt, weißt du das eigentlich? All die Jahre! Doch dann kamst du", lachte ich ironisch, „und meinst, mich anhalten zu dürfen! Du hast mir Steine in den Weg gelegt, du hast alles dafür gemacht, dass ich nicht weiterrennen konnte. Nun, Glückwunsch! Du hast es geschafft. Die Vergangenheit hat mich eingeholt, einen viel zu großen Vorsprung, als dass ich wieder aus dieser Scheiße hier raus kann! Und trotzdem kann ich dich verdammt noch einmal nicht hassen, obwohl ich nichts lieber möchte als das. Aber nein, stattdessen..."

Stattdessen hatte ich mich in ihn verliebt und hatte mit der Sehnsucht zu seinen Lippen zu kämpfen.

Kraftlos ließ ich meinen schlotternden Knien nach und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

Ich war froh, dass ich mich früh genug aufhalten konnte. Mir wäre unklar gewesen, wie ich sonst reagiert hatte. Aber jetzt, wo ich es beinahe laut ausgesprochen hatte, realisierte ich es erst. Ich realisierte, dass ich mich in die kleinen Gesten verliebt hatte, in sein Dasein.

Ich hatte mich in Nathan verliebt, weil er für mich da war, als es kein anderer war; mir zeigte, dass ich ihm nicht egal war. Und dennoch konnte ich nicht vor Euphorie glücklich grinsen, um meine Erkenntnis zu feiern. Um die kleinen Schmetterlinge und das wohlige Kribbeln wertzuschätzen und das warme Gefühl in meinem Körper, weil meine Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhten. Er interessierte sich an meiner Vergangenheit, nicht an mich.

Er hatte sich mittlerweile vor mich hingekniet und meine Arme sanft weggenommen. „Claire, es tut mir leid, okay?"

Aus verheulten Augen schaute ich in die seine und das, was ich in ihnen sah, ließ eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper jagen. Die Intensivität in seinen Farbenwirrwarr ließ mich innehalten. Verzweiflung, Reue, und Wut konnte ich aus ihnen ablesen, doch diese Wut galt nicht mir, das erkannte ich.

„Du darfst dich nicht entschuldigen. Ich habe dir doch Unrecht getan, warum entschuldigst du dich?!"

Ich weinte immer und immer mehr.

Ich war so verdammt verwirrt im Moment. Es war, als hätte ich jegliche Kontrolle über meinen Körper verloren. All die Worte, die aus mir geströmt waren, schienen wie aus einer Kammer herausgebrochen und überwältigten mich wahrscheinlich mehr als sie Nathan überforderten.

Ratlos ließ ich mich von ihm umarmen. Mein Gehirn ratterte, mein Kopf schmerzte. Ich fühlte mich gerädert und wünschte mir in diesem Moment einfach die Unterstützung meiner Freunde. Die Unterstützung von Aidan, Ashley und Dean, aber ich hatte sie vertrieben. Es war meine Schuld und damit musste ich nun umgehen. Jedoch blieb mir noch die Möglichkeit, dies ein für alle Male zu klären, mich bei ihnen ein für alle Mal zu entschuldigen und danach das Leben neu zu starten. Vielleicht nicht mehr für mich, denn vielleicht würde dies meine letzte Nacht sein, aber zumindest für sie.

Ein Neustart. Heute Nacht.

#TeamNathan

Oder

#TeamJack ?

LEUTE, ES NEIGT SICH DEM ENDE ZUU UND DIE KAPITEL WERDEN IMMER LÄNGER😂

Freu mich über Votes und Kommentare, als auch Meinungen;) Wer ist es wohl?  xxT~

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top