14 | Schnell mal shoppen gehen
„So kann das nicht weitergehen.“ Anja betrachtete mich kopfschüttelnd und setzte sich zu mir auf das Sofa. Mittlerweile war es Freitag und ich hatte noch immer kein Lebenszeichen von Gabriel bekommen. Vermutlich vergnügte er sich zurzeit mit dieser ungenierten Blondine, welche am Spieleabend so mühevoll versucht hatte, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Nun, da ich ihn mit meinem Kuss anscheinend so verschreckt hatte, genoss er die Zeit mit dieser Blondine wahrscheinlich sehr.
„Was genau meinst du?“ Ich warf meiner Freundin einen Seitenblick zu, glotze dann weiter auf den Fernseher. Ich zog mir gerade irgendeine Kochsendung rein, die ich mit leeren Blicken verfolgte.
„Genau das!“ Anja stupste mich an, und seufzte. „Gabriel ist ein Arschloch, okay? Wenn er sich nicht bei dir melden will, dann gut. Dann sollst du ihm aber bitte auch nicht nachtrauern, denn dann hat er dich nicht verdient. Ich weiß, es ist schwer sich das einzugestehen, aber Gabriel ist nun einmal Gabriel. So wie du ihn von früher kennst, ist er nicht mehr. Es sind so viele Jahre vergangen, und auch du wirst dich verändert haben, ist es nicht so?“
„Natürlich. Es ist viel passiert.“ Meine Gedanken blieben an meinem Vater hängen. Ich vermisste ihn so sehr. Gerade an solchen Tagen brauchte ich ihn und seine zuversichtlichen Worte.
„Na eben. Wenn schon bei dir viel passiert ist, dann erst recht bei Gabriel. Ich meine, sieh ihn dir an.“
„Danke, das hilft ungemein, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen.“
Meine Freundin lächelte. „Entschuldigung.“ Sie biss sich auf die Lippe und redete dann weiter. „Es ist ein Fehler, sich in Gabriel zu verlieben. Er würde dir das Herz brechen.“
„Das hat er doch schon einmal getan.“ Ich biss meine Zähne fest aufeinander, um meinen Gefühlen nicht die Oberhand zu lassen.
„Willst du dir wirklich noch ein weiteres Mal das Herz von ihm brechen lassen?“ Meine Freundin wusste zwar nicht, was damals alles passiert war, und wie nahe wir uns standen, doch mittlerweile dürfte sie auch das mitbekommen haben.
„Tut er das denn nicht bereits?“, war meine Gegenfrage.
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Es war Samstag. Heute hätte mich Gabriel abholen müssen, wenn er mich zu seiner Familie mitnehmen wollte. Doch aus welchem Grund auch immer, entschied er sich dagegen. Ich versuchte mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen. Auch, wenn ich ihm einiges offenbart hatte, was ich niemals einem Jungen anvertrauen wollte. Zum Beispiel, dass ich vor ihm, niemals jemanden geküsst hatte. Möglicherweise war das der Knackpunkt gewesen, weswegen er mich ignorierte.
Anstatt etwas für die Uni zu machen, entschied ich mich dafür, ein Buch zu lesen. Keines dieser kitschigen Liebesromane, denn das konnte ich im Augenblick nicht brauchen, sondern ein knallharter Krimi. Die Geschichte fand in den Dünen Dänemarks statt, und ging mir eiskalt unter die Haut. Ich hatte schon eine Zeit lang an dem Buch gelesen, doch als ich hautnah mitbekam, wie jemand gefoltert wurde, musste ich das Buch zur Seite legen. Dieser Autor beschrieb alles bis ins kleinste Detail, und das sehr gut. Nur war mir das im Moment zu viel.
Ich stand auf und ging aus meinem Zimmer. Ich hatte Lust auf Tee, weswegen ich mir einfach die Freiheit nahm, mir welchen von Anja zu machen. Lisa war über das Wochenende wieder einmal in ihre Heimat gefahren, und Anja war in ihrem Zimmer. Vermutlich machte sie gerade Yoga. Vor ein paar Tagen hatte sie damit angefangen und nun versuchte sie mich auch davon zu überzeugen. Nur weil sie so ein Fitnessfreak war, musste das nicht heißen, dass ich das auch war.
Gerade als sich der Wasserkocher zu Wort meldete, klingelte es an der Tür. In dem Glauben, Anja würde ihrem Gast gleich aufmachen, blieb ich einfach am Küchentisch sitzen. Denn so wie ich gerade aussah, wollte ich demjenigen an der Tür nicht vor die Nase treten. Doch als sich Anja beim zweiten Klingeln nicht aus ihrem Zimmer bewegte, seufzte ich und stand auf. Konnte sie ihren Gästen nicht einmal selbst aufmachen? Lisa tat dies ansonsten unter der Woche immer für uns. Wir hatten nicht viel Kontakt mit ihr, da sie immer fleißig für die Uni lernte, sich in ihrem Zimmer verkroch, und am Wochenende nach Hause fuhr, doch ich mochte sie.
Ich hörte Anjas Zimmertür und wie sie „Ich mach schon auf!“ rief, also blieb ich auf meinem Weg zur Haustür stehen. Na bitte, ging doch.
„Hallo Anja. Ist Kassy da?“
Erschrocken fuhr ich zusammen. Was will er denn da?
„Ich muss dich enttäuschen, sie duscht gerade.“ Anja wollte dem ungebetenen Gast die Tür vor der Nase zuwerfen, doch Gabriel steckte seinen Fuß dazwischen.
„Blödsinn, sie steht direkt hinter dir“, meinte Gabriel. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass ich mich vorwärtsbewegt hatte.
„Was machst du hier?“, wollte ich von ihm wissen.
„Dich abholen. Es sei denn, du möchtest nicht mehr ins Burgenland fahren.“
„Ehrlich gesagt, habe ich nicht mehr damit gerechnet, dass du kommst.“ Das hatte ich wirklich nicht, denn es war schon zwei Uhr nachmittags. „Außerdem weiß ich nicht, ob ich große Lust dazu habe, mit dir für zwei Stunden in einem Auto zu sitzen.“
„Warum?“ Gabriel schaute mich betroffen an.
„Weil du Blödmann dich die ganze Woche nicht gemeldet hast und auch nicht auf ihre Nachricht reagiert hast. Sind Männer eigentlich immer so schwer von Begriff?“, antwortete Anja an meiner Stelle. Das war zwar nicht das gewesen was ich gesagt hätte, oder sagen wollte, doch da mir nichts Besseres eingefallen wäre, ließ ich es dabei.
Gabriel ließ die Schultern hängen, und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Ich erkläre dir warum, wenn du mich lässt. Auf der Fahrt zu meiner Familie?“, wagte er ein weiteres Mal hoffnungsvoll.
Ich haderte mit mir. Sollte ich nun mit, oder nicht? Wenn es nach meinen Gefühlen ging, dann konnten sie mich einmal kreuzweise. Mein Engelchen sagte, ich sollte es lassen, hier bei Anja bleiben und ihn für immer vergessen. Doch mein Teufelchen sah noch einen winzigen Keim der Hoffnung, dass er mich doch mehr als nur mögen könnte und ich meinem Herzen, und nicht meinem Verstand vertrauen sollte. Dass das einmal ein Teufelchen von sich gab, ließ mich nur den Kopf schütteln.
Doch auch wenn es nach Anja ging, sollte ich vermutlich hierbleiben. Sie sah mich zwar genauso fragend an wie Gabriel, doch insgeheim kannte sie meine Antwort schon. Meine Mutter wäre furchtbar enttäuscht von mir. Doch ich wollte gerade nicht an meine Mutter denken.
Deswegen entschied ich mich kurzerhand dafür, mit Gabriel mitzukommen. Sollte er in der Zeit, wo wir uns nicht gekannt hatten, zum Serienmörder mutiert sein, dann war es nun das letzte Mal, dass ich Anja ins Gesicht schaute. Vielleicht sollte ich aber auch keinen Krimi mehr lesen, die taten mir irgendwie nie gut. Danach hatte ich immer ganz scheußliche Gedanken, welche meinen Verstand verpesteten.
Anja ließ Gabriel widerwillig in den Flur treten, während ich mich auf den Weg in mein Zimmer machte, um ein paar Sachen zu packen. Das hatte ich selbstverständlich nicht getan, weil ich nicht damit gerechnet hätte, diesen jungen Mann so schnell wieder zu sehen.
Mein Rucksack, welchen ich mitnehmen wollte, befand sich ganz oben auf meinem Kleiderschrank. Als ich ihn von oben herunterholen wollte, stieß ich mir das Schienbein an meiner Bettkante an.
„Au!“, johlte ich verärgert auf. Ich war heute definitiv noch nicht wirklich munter. Außerdem setzte es mir nicht nur zu, dass Gabriel plötzlich vor unserer Haustür stand, sondern auch der Krimi, welchen ich vor nicht einmal einer halben Stunde noch gelesen hatte.
„Ist alles okay bei dir?“ Gabriel stand auf einmal in meinem Türrahmen.
„Was? Ja!“ Ich scheuchte ihn mit meinen Händen zurück. „Was machst du denn in meinem Zimmer? Ich fahre zwar mit dir mit, aber das macht mein Zimmer noch lange nicht zu einem frei zugänglichen Raum für dich.“
„Okay.“ Gabriel lachte leise, und stand nun wieder hinter dem Türrahmen. „Bist du heute ein klein wenig gereizt?“, wollte er von mir wissen.
„Das ist vermutlich eine der fantastischen Eigenschaften, welche ich von meiner Mutter geerbt habe.“ Mehr sagte ich dazu nicht, sondern schloss die Zimmertür vor seiner Nase, und ließ mich erst einmal kurz auf mein Bett plumpsen.
Ich hatte ihn nicht soeben aus meinem Zimmer verscheucht, oder? Leise vor mich hin jammernd griff ich mir an den Kopf und ärgerte mich über mich selbst. Dieser Junge machte mich einfach wahnsinnig und ich hatte keinen blassen Schimmer, was er eigentlich von mir wollte. Ich im Gegensatz wusste ganz genau was ich von ihm wollte, beziehungsweise, wie ich mich in seiner Gegenwart fühlte. Ich fühlte mich leicht, gut und ausgeglichen. Auch wenn ich das im Moment nicht wirklich war, da er mich so durcheinanderbrachte. Warum hatte er sich die letzten Tage nie gemeldet, und stand heute vor meiner Tür? Diese Frage konnte ich mir selbst nicht beantworten, doch er meinte, dass er es mir sagen würde, wenn ich ihn ließe und mit ihm fahren würde. Deswegen tat ich es auch. Vielleicht aber auch, weil ich seine Familie wieder einmal gerne sehen würde. Oder auch, weil ich meiner Mutter zeigen wollte, dass sie mir nicht vorschreiben konnte, was ich aus meinem Leben machte, und was nicht.
Keine fünfzehn Minuten später befand ich mich samt Rucksack, gekleidet und geschminkt, in Gabriels Auto.
„Warum möchtest du, dass ich mitkomme? Oder will es nur deine Mutter?“ Ich erhoffte mir eine ehrliche Antwort. Diese Fragen feuerte ich ihm entgegen, kaum als wir beide angeschnallt waren.
„Kassy.“ Gabriel hatte den Motor noch nicht gestartet. „Natürlich will ich dich dabeihaben. Weißt du, es ist nur so … Ich bin nicht einfach.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das Leben mit mir ist nicht leicht, deswegen wollte ich auf Abstand gehen.“ Seine Finger trommelten nervös auf das Lenkrad. Er schaute stur geradeaus, so als konnte er mich nicht ansehen. „Du solltest nicht mit mir befreundet sein wollen, und schon gar nicht mich küssen wollen.“ Er fuhr sich mit seinen Fingern durch seine zerzausten Haare. Die andere Hand machte er zur Faust. Ich sah, dass er schwer schluckte.
„Okay?“ Ich war unsicher.
Gabriel schaute mich nun doch an. „Ich will dir nur nicht wehtun.“
Ich klappte meine Lippen aufeinander. Was er mir mit seiner Rede vermitteln wollte, wusste ich noch nicht ganz.
„Wenn du auf Abstand gehen wolltest, warum hast du mich dann heute trotzdem abgeholt?“
„Magda sagte mir, ich sei ein Idiot, wenn ich es nicht tun würde. Außerdem wollte ich mich bei dir entschuldigen.“
„Du hörst also auf das, was dir deine Schwester sagt?“
„Nicht immer, aber sie sagt mir zumindest immer, wenn ich mich wie ein Idiot benehme.“ Er grinste unsicher. „Außerdem tut mir mein Benehmen wirklich leid, das hast du nicht verdient.“
„Okay?“ Ich war noch immer verwirrt und verstand nicht ganz, was mir Gabriel sagen wollte. „Du hast mich ignoriert.“
„Es tut mir so leid.“ Er fuhr sich abermals durch die Haare. „Ich werde versuchen, es wieder gutzumachen?“ Er formulierte den Satz zu einer Frage.
Ich nickte, und beließ es erst einmal dabei. Gabriel startete den Motor. Wir fuhren allerdings nicht zuerst auf die Autobahn auf, so wie ich gedacht hatte, sondern bogen noch bei einem Einkaufspark ein.
„Was machen wir hier?“, wollte ich irritiert von ihm wissen.
„Wir kaufen dir noch schnell ein Kleid. Du musst wissen, es ist das Geburtstagsessen von meiner Mum und wir ziehen uns alle ziemlich schick an.“
„Das konntest du mir natürlich nicht früher sagen?“, entkam es mir stirnrunzelnd.
„Ich hätte dir sowieso ein Kleid kaufen wollen. Also, gehen wir noch schnell shoppen?“
„Schnell mal shoppen gehen? Ich glaube, du warst noch nie mit einer jungen Frau einkaufen“, meinte ich amüsiert. Doch ich tat ihm den Gefallen und stieg aus dem Auto aus.
Wir durchklapperten drei Läden, in denen ich kein passendes Kleid fand. Im vierten dann, konnte ich mich nicht von dem dunkelblauen, knielangen Seidenkleid losreißen. Es zog mich irgendwie in den Bann, und es stand mir mit meinen blauen Augen ausgezeichnet, wie ich fand. Ich stand in der Umkleidekabine und drehte mich im Kreis. Dieses Kleid war wunderschön, doch wenn ich auf das Preiskärtchen sah, dann verging es mir wieder. So ein teures Kleid konnte ich Gabriel nicht zumuten, zumal ich mir selbst um diesen Preis auch kein Kleid kaufen würde.
„Gefällt es dir wieder nicht?“ Gabriels Gesichtsausdruck sprach Bände. Er schien es in einem Einkaufszentrum nicht gerade großartig zu finden.
„Doch, sehr gut sogar. Es ist nur leider zu teuer.“ Ich ging an Gabriel vorbei, denn für mich war die Sache gegessen. Doch Gabriel dachte nicht einmal daran. Er hielt mich am Ellbogen zurück.
„Wie viel kostet denn das Kleid?“
Ich zeigte ihm das Preisschild und wollte weitergehen, doch Gabriel berührte mich noch immer.
„Es ist nicht billig, ja. Aber wir nehmen es trotzdem.“
„Was?“ Ich starrte ihn an. „Du musst mir nichts kaufen, was so teuer ist. Ich weiß doch, dass ihr nicht so viel Geld habt.“
„Wir?“ Gabriels Augenbrauen zuckten nach oben. „Du meinst, meine Eltern. Du weißt nicht, wie reich oder wie arm ich bin.“
„Da haben wir es. Wir kennen uns gar nicht. Wir kennen uns wirklich nicht. Uns hat einmal etwas verbunden, nenne es Freundschaft. Aber mittlerweile sind wir komplett andere Menschen geworden. Ich weiß gar nicht, warum ich mit dir ins Burgenland fahre. Du bist ein Fremder.“ Ich war selbst entsetzt von meinen Worten. Dass ich, tief in mir drinnen, so dachte, wusste ich nicht. Doch es lag auch Wahres in meinem Gesprochenem.
Gabriel schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete konnte ich für einen Augenblick Schmerz, Sehnsucht und Verzweiflung erkennen.
„Da magst du recht haben, doch ich weiß immer noch wer du bist. In den letzten Wochen konnte ich die neue Kassy näher kennenlernen und du hast dich nicht viel verändert. Du bist zu dem Menschen herangewachsen, den ich immer mochte und mögen werde. Also komm, lass mich das Kleid bezahlen, und dann zu meiner Familie fahren. Sie freuen sich wirklich auf dich.“
„Ich weiß nicht. Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass du mir so ein teures Geschenk machst.“ Ich stülpte meine Lippen ineinander.
„Und ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, noch weitere zehn Läden abzuklappern.“
„Du bist doof“, meinte ich gespielt ernst.
„Ich bin ein doofer, junger Mann, der dich nun mit zur Kassa führt.“
Ich gab mich geschlagen und ging ihm hinterher. Innerlich freute ich mich aber über das Kleid. Es hatte mir gut gepasst. Ich lächelte leicht.
Als wir von dem Einkaufszentrum auf die Autobahn auffuhren, war es mittlerweile halb vier nachmittags. Gabriel legte eine CD ein, bei welcher ich Elvis Presleys Stimme vernahm. Ich schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, und genoss die einprasselnden Erinnerungen.
Mein Vater hatte immer zu Jailhouse Rock zuhause getanzt. Ich konnte nicht anders, als bei dieser Erinnerung zu grinsen. Das nächste Lied war Burning Love, welches mich plötzlich daran erinnern ließ, als Mutter die Elvis Presley Sammlung von meinem Vater verkauft hatte. Ich schüttelte diese schmerzenden Gedanken ab, und freute mich einfach, dass ich einige dieser CDs und Schallplatten aus Vaters Arbeitszimmer gestohlen hatte. Selbstverständlich hatte ich sie mit nach Graz genommen, jener Stadt, in welcher ich mein Studium absolvierte. Denn meine Mutter schien sie nicht zu vermissen, und mich beruhigte es, wenigstens etwas zu besitzen, was meinem Vater gehört hatte.
„Du bist so still. Ist bei dir alles in Ordnung?“, erkundigte sich Gabriel.
„Ja.“ Ich schenkte ihm ein schnelles Lächeln. „Warum hast du nicht auf meine Nachricht reagiert?“
„Das sagte ich dir doch bereits.“
„Nicht wirklich. Du meintest, du seist nicht einfach und so Zeugs. Aber eine richtige Antwort habe ich nicht bekommen.“
„Ich habe mich am Sonntag nur daran erinnert, wer ich wirklich bin. Und diesen Menschen möchtest du nicht kennenlernen, glaube mir. Deshalb fand ich es wichtig, dass ich dich auf Abstand halte. Denn ich möchte dich nicht verletzen.“ Er seufzte.
„Gabriel, du redest wirres Zeug. Glaube mir, es verletzt mich mehr, wenn du mich auf Abstand hältst, als wenn wir zusammen Zeit verbringen. Damals mochte ich dich doch auch, warum denkst du, dass es nun anders sein könnte?“, wagte ich zu fragen.
„Weil sich viel geändert hat, Kassy." Er atmete schwer aus.
„Willst du denn mit mir Zeit verbringen?“
„Ja.“
„Dann sollte die Frage, ob du mich auf Abstand hältst, oder nicht, doch geklärt sein, oder?“
„Kassy“, setzte er an. Doch ich ließ ihn nicht zu Ende reden.
„Wenn du Abstand möchtest, dann lass mich aussteigen. Jetzt und hier. Ich finde selbst den Weg zurück. Aber ich fahre keinen Meter weiter, wenn du mich sowieso nach diesem Wochenende wieder links liegen lässt“, knurrte ich.
„Kassy.“
„Nein, das ist verletzend. Wenn du mir nicht wehtun willst, dann …“, weiter kam ich nicht, denn ich verfolgte die Bäume, die plötzlich langsamer wurden, weil Gabriel auf einen Rastplatz fuhr. Hatte er tatsächlich vor, mich jetzt aussteigen zu lassen? Mein Herz raste wild und meine Hände zitterten. Wenn er mich jetzt allein auf diesem Parkplatz ließ, würde ich in Tränen ausbrechen.
Gabriel bekam mein Gefühlschaos mit, als er den Wagen parkte und mich anschaute.
„Du machst mich verrückt, Kassy. Ich kann nicht mehr aufhören an dich zu denken, seitdem ich dich wieder getroffen habe. Am allerwenigsten seitdem ich dich geküsst habe. Herrgott nochmal, warum wurdest du noch nie von jemanden geküsst, kannst du mir das sagen?“
„Was?“, war alles was ich herausbrachte. Plötzlich kamen wir auf ein ganz anderes Thema zu sprechen, obwohl naja, so anders war es nicht. Eigentlich war es das gleiche Thema, nur in einer anderen Auffassung. Gabriel verwirrte mich, und das regelrecht. Hatte er nicht soeben noch gesagt, er wolle Abstand von mir? Nun aber sagte er, dass er nicht mehr aufhören konnte an mich zu denken. Passte das zusammen?
„Ich …“, setzte ich an. Doch ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. Wie konnte man seine Frage beantworten, ohne in Scham aufzugehen. Sollte ich ihm gestehen, dass ich als Teenager in einen meiner Klassenkameraden verknallt war, er aber gar nichts von mir wissen wollte? Dass ich mich damals für besagten Klassenkollegen angefangen hatte zu schminken, aber er mich trotzdem nicht wahrgenommen hatte? Zumindest nicht so, wie ich es mir erhofft hatte?
Vielleicht aber, war ich zu pingelig. Immerhin küssten andere Mädchen in meinem Alter auch Jungs, die sie nur mal kurz auf einer Party trafen. Das alles hätte ich auch tun können, doch es passte nicht in meine Vorstellung von einem perfekten Leben. Ich wollte zum ersten Mal von jenem Jungen geküsst werden, mit welchem ich mein ganzes Leben verbringen wollte, und nicht mit jemandem, der mich nur für eine Nacht haben wollte. Das war meine Vorstellung von Glück, Liebe und dem ersten Kuss. Doch das mir Gabriel diese Vorstellung genommen hatte, nun ja, dagegen hatte ich auch nichts.
„Ach Kassy, eigentlich ist das doch auch egal. Siehst du denn nicht, dass du zu gut für mich bist? Ich habe jemanden wie dich nicht verdient.“
„Warum denkst du so abwertend von dir?“, meine Stimme war kaum ein Flüstern.
„Wenn du wüsstest, was ich getan habe, dann würdest du auch so denken.“ Gabriel schaute aus dem Autofenster.
„Dann sag es mir. Ich bin mir sicher, du schätzt mich komplett falsch ein.“
„Reicht es dir denn nicht zu wissen, dass ich schon hunderte Male bei Play with me mitgespielt habe? Schreckt dich das nicht ab?“
„Nein“, erwiderte ich schlicht. Ich wusste selbst nicht, warum es mir so wenig ausmachte. Vielleicht färbte Anjas Art auf mich ab.
„Sollte es aber“, murmelte Gabriel kaum hörbar.
Ich wollte irgendetwas darauf erwidern, doch als ich plötzlich seine Lippen auf meinen spürte, war mein Kopf wie leer.
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