12 | Die Karte

Als wir bei der Party ankamen, war der Spieleabend schon voll im Gange. Heute schien mehr los zu sein als die beiden letzten Male, bei denen ich dabei war.

Ich entdeckte Gabriel ziemlich schnell. Er stand bei einer Gruppe, unterhielt sich mit den Leuten dort, und amüsierte sich dem Anschein nach. Auch ein paar junge Frauen waren dabei und eine Blondine hielt sich an seinem rechten Arm fest, als sie lautstark auflachen musste.

Keine Frage, diese Blondine war hübsch. Ich verschluckte mich jedoch beinahe, denn ich wollte mir dieses Bild nicht anschauen. Irgendwie versetzte es meinem Herzen einen Stich. Es war gut, dass weder Anja noch Max das mitbekommen hatten. Sie waren gerade dabei, die vielen Leute zu begrüßen.

Aus den Boxen drang Chöre von Mark Forster, und die Stimmung war heute sehr frisch. Alle schienen gut gelaunt zu sein, und einige schwangen auf der Tanzfläche schon die Hüften. Nach einigen Minuten kündigte jemand an, dass nun im anderen Zimmer Play with me gespielt wurde, und jeder gerne dazustoßen dürfte. Anja ließ sich das natürlich nicht zweimal sagen, schnappte mich an der Hand, und zerrte mich ins Zimmer hinein. Dabei hatte ich Gabriel noch nicht einmal begrüßt.

Dieses Mal war ich nicht so dumm, mich auf den Boden zu setzen, und an dem Spiel teilzunehmen. Anja und Max allerdings schon, und wie ich sehen konnte, leider auch Gabriel. Dieser schaute mich amüsiert an, winkte mir zu, und deutete mit einer Handgeste, dass ich zu ihm kommen sollte. Ich winkte jedoch lediglich zurück, blieb besser hier stehen, wo ich stand.

Neben Gabriel saß diese Blondine, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Doch irgendetwas an ihr ließ mich sie nicht mögen. Vielleicht war es auch einfach die Art, wie sie Gabriel ansah, oder wie sie sich anzog. Sogar Anja war im Vergleich zu ihr anständig gekleidet.

Als das erste Mal gedreht wurde, blieb die Flasche bei einem Jungen stehen. Dieser zog eine Karte auf der stand, dass er einen Drink auf Ex hinunterkippen musste. Selbstverständlich bekam er sofort eine Whiskeymischung, und schaffte die Aufgabe mit Bravour. Ich hätte mich vermutlich angekotzt.

Als das nächste Mal die Flasche bei einer jungen Frau stehen blieb, zog diese die Karte, dass sie ihr Oberteil mit jemand anderem tauschen müsste. Nur gut, dass sie tatsächlich kein Kleid anhatte. Doch diese junge Frau schien keine Schamgefühle zu besitzen, denn sie zog sich ihr Shirt sexy über den Kopf und tauschte es mit ihrer Sitznachbarin. Ich beneidete sie allerdings um ihren schwarzen Spitzen-BH. So einen fand man in meinem Kleiderschrank leider nicht an. Ich nahm mir vor, das zu ändern.

Das nächste Mal blieb die Flasche wieder bei einer jungen Frau stehen, welche einen Striptease durchziehen musste. Sie suchte sich einen jungen Mann in ihrer Nähe und zog diesen Striptease verführerisch vor ihm durch. Mir war das alles zu intim, weswegen ich wegschauen musste und dabei direkt in Gabriels braune Augen blickte. Die Menge grölte und jubelte dieser jungen Frau zu, doch Gabriels Aufmerksamkeit galt voll und ganz mir. Mein Herz pochte wild. Ich fragte mich, was gerade in seinem Kopf vorging.

Als die junge Frau fertig war, drehte sie an der Flasche und sie kam bei Max zum Stillstand. Mein Herz setzte augenblicklich aus, denn ich wusste, dass es Anja nicht anders erging. Ich hoffte nur, dass er keine zu blöde Karte zog. Ich wünschte ihm etwas, wie, dass er die nächste Runde Schnaps spendieren musste. Doch als er seine Karte laut vorlas, war ich erleichtert. Er musste eine Seite von Fifty Shades of Grey so sexy wie möglich vorlesen. Ich musste zugeben, es gelang ihm sehr gut. Als ich zu Anja schaute, merkte ich, wie sehr sie an seinen Lippen hing.

Max hatte die Seite zu Ende gelesen, und deswegen drehte er an der Flasche. Anja hing noch immer an seinen Lippen, und als er sich wieder neben sie setzte, küsste sie ihn. Ich hatte die beiden schon oft zusammen küssend gesehen, doch dieses Mal war es richtig spontan und Anja hatte den ersten Schritt gemacht. Meistens war es Max, der sie zuerst küsste.

Der nächste der an der Reihe war, musste aus dem Bauchnabel eines Mitspielers trinken. Als er fertig war, drehte er an der Flasche.

Mein Herz rutschte mir in die Hose. Im übertragenen Sinn natürlich.

Gabriel.

Was wohl auf seiner Karte stand?

Sexy wie er war, ging er auf den Stapel zu, und las die Karte zuerst im Stillen. Danach hob er seinen Kopf, lächelte mich leicht an, sodass sein Grübchen zum Vorschein kam, und suchte mit seinen Augen die meinen. Er fand sie. Mir blieb die Luft weg. Er strich sich seine blonden Haare lässig zurück, und bei dem Anblick seiner dunkelbraunen Augen verschlug es mir erneut den Atem. Er schien über irgendetwas angestrengt nachzudenken.

„Was steht auf deiner Karte,  Gabriel?“, wollte die blonde Frau von ihm wissen. Auch die anderen in der Runde waren neugierig, genauso sehr wie ich.

Gabriel senkte den Kopf, um die Karte vorzulesen.

„Küsse leidenschaftlich die schönste Frau im Raum.“

Gabriel ließ die Karte zu Boden gleiten, sein Blick war starr auf mich gerichtet. Alles um mich herum war wie ausgeblendet, denn ich hatte Bammel davor, was als nächstes passierte. Ich wusste, was als nächstes geschah, als er auf mich zukam.

Die Runde johlte, und war begeistert. Ich zitterte leicht, und war nervös. Meinen Blick konnte ich nicht von ihm wenden, ich musste ihn unentwegt anstarren.

Als er bei mir ankam, legte er seine linke Hand auf meine Taille, drückte seine Finger sanft in meinen Rücken. Um seine Lippen zupfte zaghaft ein Lächeln, als wäre er unsicher, ob er das hier wirklich machen sollte.

Mit seiner anderen Hand umfasste er sanft mein Kinn, und hob es an. Mir stockte der Atem, und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Gabriel drängte sich eng an mich, und beugte sich zu mir.

"Das will ich eigentlich schon seit Wochen tun", murmelte er. "Ich hoffe, dass ich dadurch nichts kaputt mache."

Seine Lippen waren keinen Zentimeter mehr von den meinen entfernt. Er war mir so nah, dass ich seinen warmen Atem an meiner Wange spüren, und jedes noch so unscheinbare Detail auf seinem Gesicht erkennen konnte. Vereinzelt zeichneten sich Sommersprossen um seine Nase ab, die mir davor noch nie so intensiv aufgefallen waren, wie jetzt.

Schließlich durchbrach er auch diesen kleinen Abstand, und küsste mich. Zuerst sanft und zärtlich, damit ich mich an den Kuss gewöhnen konnte. Meine Lippen bebten leicht, doch ich konnte das Grinsen nicht länger verbergen.

Meine Hände machten sich selbstständig, wanderten von seiner Brust aufwärts bis zu seinen Schultern. Dort blieben sie liegen, und ich küsste ihn zurück. Mit jeder Sekunde wurde ich mutiger, wollte mehr von dem Kuss, mehr von Gabriel, spüren.

Sein Kuss war so perfekt, dass ich alles vergaß. Ich vergaß sogar für einen Moment, wo wir uns befanden und wer uns alles zusah. Erst als er sich von mir löste, und mich schwer atmend anschaute, kam ich wieder zu halbwegs klarem Verstand.

Jemand aus der Runde pfiff Gabriel anerkennend zu, doch wir standen uns noch immer gegenüber und schauten uns in die Augen. Mein Körper fing vor lauter Nervosität an zu zittern, Gabriel strich mir daraufhin einmal zärtlich über den Arm, lächelte mich schief an.

„Gabriel, du musst drehen“, rief jemand aus der Gruppe, doch er reagierte nicht. Er hatte nur Augen für mich.

„Ich glaube, ich übernehme das für ihn“, hörte ich Anja sprechen. Für die anderen ging Play with me weiter, doch für Gabriel schien das Spiel beendet zu sein.

„Komm mit“, flüsterte mir Gabriel ins Ohr. Er nahm meine Hand und führte mich an den anderen vorbei in das Zimmer, welches Markus Bruder gehörte. Drinnen angekommen schloss er die Tür und drücke mich vorsichtig an die Wand.

„Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“

Ich schüttelte den Kopf, und meine Zähne klapperten leicht aufeinander. Im Moment brachte ich kein sinnvolles Wort heraus, war viel zu aufgeregt.

„Du brauchst nicht nervös zu sein. War es okay für dich, dass ich dich geküsst habe?“

"Ja", hauchte ich. Mein Herz klopfte wild, ich lächelte schief.

Gabriels Mundwinkel hoben sich. "Weißt du eigentlich, wie gerne ich das jetzt wiederholen würde?"

Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Wollte er mich noch einmal küssen? Meine Lippen öffneten sich wie von selbst und ich wagte einen kurzen Blick auf die seinen. Das musste wohl meine Antwort gewesen sein, denn Gabriel beugte sich zu mir, und küsste mich erneut. Anfänglich nur zögerlich, doch als ich kurz aufseufzte, ein Geräusch, welches mir sonst noch nie entkommen war, legte er einen Arm um mich und zog mich fester an sich heran.

Meine Finger fuhren unter Gabriels T-Shirt, und ich berührte seinen Bauch. Meine Hände wanderten weiter zurück zu seinem Rücken, und dann nach oben. Verdammt, der Typ trainierte viel! Ich zupfte an dem Ende seines T-Shirts, woraufhin Gabriel es sich über den Kopf zog.

Ich hatte einen perfekten Blick auf seinen gutaussehenden Körper. Wie ich schon vermutet hatte, war sein Bauch von Muskeln übersät und ein Tattoo befand sich genau über seinem Herzen. Es war eine Schlange, welche sich in seine Haut zu bohren schien.

Für einige lange Sekunden starrte ich auf dieses Gemälde, als mich Gabriel sanft an die Wand zurückdrückte und mit einem weiteren Kuss überraschte.
Seine Lippen waren weich, und schmeckten nach Cola. Ich schloss meine Augen und ließ alles auf mich wirken.

Seine Hände, welche sich an meinem Körper befanden. Sie brannten an den Stellen, wo er mich berührte, doch auf eine angenehme Weise. Sein Atem strich an meinem Hals entlang, als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, dass Gabriel mich ebenso anschaute. Er entfernte sich von meinen Lippen, und atmete schwer aus.

Er richtete sich auf, ging plötzlich auf das Bett zu, und setzte sich darauf. Ich stand noch immer an der Wand und konnte mich nicht bewegen. Meine Knie hätten nachgegeben, wenn ich auch nur einen Schritt gewagt hätte.

Von unten hörte man gedämpft die Musik. Bereute er es? Irgendwie sah er unglücklich aus. Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht was. Außerdem bebte ich am ganzen Leib, und das auf keinen Fall, weil mir kalt war. Im Gegenteil, mir war brennheiß.

Nach schier endlosen Minuten schaute Gabriel auf und kam auf mich zu. Bei jedem Schritt, den er auf mich zukam, ging mein Atem schneller.

„Es tut mir leid, falls ich zu weit gegangen bin.“ Mit dem hatte ich nicht gerechnet. Ich stieß die angehaltene Luft aus, und leckte mir über meine Lippen. So viel wurden meine Lippen noch nie in Anspruch genommen.

„Bist du nicht“, flüsterte ich kaum hörbar. Doch Gabriel hatte es sehr wohl gehört. Er strich mir mit seinem rechten Daumen über meine Wange und brachte mich so dazu, ihm in die Augen zu schauen.

„Kassy, du bist wunderschön.“

Ich wusste nichts zu sagen, also lächelte ich bloß. Wie oft hatte er mir schon Komplimente gemacht? Seine Worte schmeichelten meiner Seele. Ich war gerne bei ihm, denn er tat mir gut.

„Ich glaube, ich muss mich kurz setzen“, meinte ich nun doch. Denn meine Beine waren butterweich, und weicher Butter konnte man nie recht vertrauen.

„Ist alles okay bei dir?“ Gabriel klang besorgt, als ich auf das Sofa zuging.

„Natürlich.“ Ich versuchte zu lächeln. „Kannst du dich noch an meinen sechsten Geburtstag erinnern?“

Gabriel schien kurz nachzudenken, nickte dann aber. „Ja, warum?“

„Weißt du noch, als du mich damals zum Spaß auf den Mund geküsst hast?“

Gabriel lachte leise. „Ja, daran kann ich mich noch erinnern. Genauso wie empört du danach warst.“

Ich lachte ebenso. „Ja, das war ich tatsächlich.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. „Das damals war jedenfalls mein erster Kuss. Und das heute, nun ja, mein zweiter.“ Verlegen starrte ich auf meine Finger, welche sich ineinander verknoteten.

„Dich hat noch nie jemand geküsst?“ Gabriel klang überrascht.

Ich zuckte mit den Schultern, wagte es aber nicht, ihn anzusehen.

„Das muss dir nicht peinlich sein, falls es das ist. Oder unangenehm.“ Gabriel legte eine Hand unter mein Kinn und hob es an. „Ich hoffe nur, dass es für dich okay war. Wenn ich es irgendwie gut machen kann, dann sag es mir bitte.“

„Gut machen?“ Ich schaute ihn verblüfft an. „Ich fand den Kuss perfekt.“ Ich wandte meinen Blick ab, denn ich konnte ihm plötzlich nicht mehr in die Augen schauen. Wieso war ich bloß so nervös?

„Das war er auch“, hörte ich ihn murmeln. Danach schloss er mich in seine starken Arme und so saßen wir eine Zeit lang da. Ich genoss es, seinem gleichmäßigen Atem zu lauschen und zu spüren, wie sich seine Brust auf und ab bewegte. Er hatte sein Kinn an meinem Scheitel abgelegt, und streichelte meine Arme.

Ich schloss die Augen und genoss diese Berührung. Es war alles so leicht in diesem Moment, so einfach. Ich wollte nie mehr weg von diesem Augenblick.

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