61. Bathtube #Take2

„Schön euch beide Mal zusammen zu sehen, Schatz!"

Meine Muskeln spannen sich kampfbereit an, während sich mein Herzschlag sprunghaft verschnellert. Blitzschnell fahre ich zu der Stimme herum und erblicke - wie bereits in meinen schlimmsten Träumen erwartet - Crowley.

Er steht, mit den Händen locker in den Hosentaschen vergraben, auf dem breiten Baumstumpf des Nemeton. Seine Füße stehen fest und schulterbreit auseinander auf dem Holz, wodurch er unerschütterlich wirkt. In seinem Gesicht steht ein breites, überhebliches Lächeln. Dabei fällt mir auf, dass er nicht schlechter oder besser aussieht als bei unserer ersten Begegnung in der Schnapsbrennerei. Stattdessen bemerke ich wieder ungewollt die Ähnlichkeiten zwischen uns.

Ich knurre instinktiv leise vor mich her, während ich ihn mit einem tödlichen Blick fixiere. Jedoch wirft er einen lockeren Blick auf seine Armbanduhr, als würde er erst überprüfen müssen, ob er überhaupt Zeit für das alles hier hat. Ich gebe wieder ein zähnefletschendes Knurren von mir.

„Crowley?" meldet sich jetzt meine Mutter fassungslos zu Wort und ein kleiner Blick zurück zu ihr beweist mir, dass sie ihren Augen nicht traut. Noch weniger, als in der Sekunde, als sie mich wieder sah. Im Sport BH, langer Hose und platinblonden Haaren. Ich konzentriere mich auf die stärksten Gefühle, die von ihr ausgehen. Verwirrung. Fassungslosigkeit. Jedoch keine Angst, wie von mir selbst eigentlich erwartet.

„Laura meine Liebste," wendet sich Crowley jetzt herzlich an meine Mutter, „Du bist um keinen Tag gealtert und immer noch so schön wie am ersten Tag!" Mein Blick wandert von meiner Mutter zu meinem leiblichen - jedoch verhassten - Vater. Bei ihm kann ich keine Gefühle diskret riechen oder auf eine übernatürliche Art wahrnehmen. Stattdessen sehe ich sie ihm problemlos in seiner Haltung und seiner Mimik an. Überlegenheit. Zufriedenheit.

Ich knurre.

„Und Raven," spricht mein Vater jetzt noch immer königlich weiter, wobei er dabei die Sprachlosigkeit meiner eigenen Mutter ausnutzt. Gleichzeitig springt er elegant von dem Baumstumpf und landet mit leicht angewinkelten Knien davor. Er schenkt mir ein überhebliches Lächeln und spricht ironisch weiter: „Du bist so groß geworden!"

Ich verdrehe automatisch die Augen - auch wenn ich mir noch nicht ganz sicher darüber bin, ob er das Kommentar sagt, um meine Mutter auf eine herablassende Art nachzumachen oder um weiterhin den guten Vater und Ehemann vorzugaukeln. Nicht das dies - an einem Ort wie diesen hier - überhaupt erst von Interesse wäre...

„Crowley was zur...," meldet sich jetzt auch wieder meine Mutter zu Wort, die ihre Fassungslosigkeit scheinbar überwunden hat, jedoch noch immer ziemlich verwirrt klingt. „Nicht jetzt Schatz," unterbricht dieser sie daraufhin unhöflich im Satz und macht eine ruckartige Handbewegung. Ein dumpfer Aufprall folgt und sofort schellt mein Blick überprüfend über meine Schulter zurück zu meiner Mutter. Sie liegt leblos auf dem weißen Fließboden. Meine Muskeln zucken. Er wirft erneut einen ruhigen Blick auf sein Handgelenk, an dem die silberne Armbanduhr befestigt ist.

Im ersten Moment möchte ich meinen Vater fluchend anschreien und fragen, was zur Hölle er mit ihr gemacht hat. Im zweiten Moment möchte ich ihn einfach nur töten. Doch dann setzt mein Gehirn ein und vertreibt alle ursprünglichen Instinkte. Zurück bleiben nur noch klare Fakten: das alles spielt sich nur in meinem Kopf ab - dass ist zu mindestens die einzige logische Erklärung. Meine Mutter ist schon seit mehr als sechs Jahren Tod - was auch immer Crowley mit ihr gemacht hat, ist ebenfalls nur eine Illusion. Crowley ist ein Psychopath, der es liebt mit mir Spielchen zu treiben - so ein kleiner Zaubertrick würde also gut in sein Programm passen.

Ich lasse meinen eisernen Blick von meiner bewusstlosen - vielleicht auch toten - Mutter zu meinem Vater gleiten und fixiere ihn mit einem mörderischen Blick. Er jedoch hat nur ein hämisches Lächeln für mich übrig. Ein Blick an mir herunter verrät mir auch den Grund dafür: unterbewusst habe ich wenige Schritte seitlich zu meiner Mutter gemacht, sodass ich bei einem erneuten Angriff mit einem weiteren Schritt schützend vor ihr stehen würde.

„Du lernst schnell," verkündet er anschließend in einen gut gelaunten Ton und kommt mit wenigen Schritten näher auf mich zu. Ich dagegen bleibe an Ort und Stelle stehen, auch wenn sich jede Faser dagegen wehrt. Ich jedoch möchte meinem Vater gegenüber keine Angst zeigen. Auch wenn er in der Zwischenzeit nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt steht und ich seinen warmen Atem auf meiner Gesichtshaut spüren kann.

„Und was genau ist das alles hier?" stelle ich meinem Vater jetzt eine ruhige Gegenfrage, bevor ich mit einem wissenden Unterton ergänzend hinzufüge: „dein neues Spielfeld?" Ich stelle die Frage um von meinem unterbewussten Beschützerinstinkt meiner - bereits vor sechs Jahren - verstorbenen Mutter gegenüber abzulenken und Crowley geht tatsächlich darauf ein.

„Noch besser," verkündet er verneinend auf meinen Vorschlag, bevor breit lächelnd weiterspricht: "Das alles hier," er macht eine demonstrative Handbewegung nach außen, „Ist nur in deinem Kopf!" Seine Handbewegung endetet abrupt und bei seinen letzten Worten tippt er mir langsam mehrmals gehen die Schläfe.

Es juckt in meinen Fingerspitzen. Ich möchte ihm ein Messer in den Hals rammen. Stelle im nächsten Moment jedoch schon wieder fest, dass ich unbewaffnet bin. Abgesehen von meiner Unterwäsche und meiner langen Jeanshose trage ich nichts bei mir. Noch nicht mal ein kleines Messer oder ein Wurfstern. Innerlich verliere ich bereits die Kontrolle über meinen inneren Wolf - meine einzige noch verbliebene Waffe - während ich äußerlich jedoch noch immer die Ruhe selbst bin. Auch wenn mein Blick mörderisch und meine Muskeln bis zur Grenze angespannt sind.

„Wenn das alles nur in meinem Kopf ist," ich lege eine gespielt nachdenkliche Satzpause ein, „Dann kann ich dir ja hier und jetzt die Kehle aufreißen und das ohne auch nur einen Finger heben zu müssen!" Jetzt bin ich diejenige die herablassend lächelt. Zu mindestens für wenige Sekunden. Denn dann realisiere ich, dass mein Vater weder verängstigt noch im kleinsten Sinne beunruhigt wirkt. Stattdessen scheint das Grinsen in seinem Gesicht sogar nur noch größer geworden zu sein.

„Versuche es doch," ermutigt er mich mit einer lockeren Handbewegung. Dabei bin ich innerlich schon längst dabei mir krampfhaft vorzustellen, wie er vor meinen Augen mit viel herunter schwebenden Konfetti und lauter Hurra-Musik den Kopf verliert. Äußerlich bin ich jedoch die Ruhe selbst. Auch wenn meine versuchte Telekinese nicht zu funktionieren scheint. Crowley behält seinen Kopf und damit auch sein dämliches Lächeln.

Ich beobachte ihn sekundenlang ohne Gegenworte. Er wirft einen desinteressierten Blick auf seine protzige Armbanduhr. Mir fällt auf, dass er dies schon die ganze Zeit tut. Ich räuspere mich.

„In Eile?" frage ich anschließend im lockeren Tonfall. Wieder ein breites Lächeln auf dem Gesicht meines Vaters, während er seinen Blick von seiner Armbanduhr auf mich richtet. Dabei wirkt er in keiner Weise ertappt.

„Ich nicht," wieder ein Blick auf seine Uhr, „Aber du wirst es gleich sein!" Ich ahne schlimmes und spanne meine Muskeln bis zur letzten Faser an. Ich bin bereit erneut gegen ihn zu kämpfen - auch wenn das alles hier nur in meinem Kopf zu sein scheint. „Was soll das heißen?" frage ich jetzt trotzdem äußerlich selig ruhig, während ich ihn mit einem festen Blick anvisiere.

Daraufhin schweift der Blick meines Vaters zurück zu seiner Uhr, während in meinem Kopf die weisen Worte von Dean Winchester auftauchen „Shoot First, Ask Questions Later." Wie Recht er doch hat - und wie falsch ich die Sache hier gerade angehe. Konzentriert richte ich meinen Blick auf meinen Vater, der seinen Blick noch immer auf seine Uhr gerichtet hat. Dabei bewegen sich seine Lippen leicht auf und ab, als würde er die verbliebenen Sekunden mitzählen.

Ich stelle mir vor, wie eine Kugel blitzschnell durch die Luft fliegt und in seinen Kopf wie eine kleine Bombe einschlägt. Im selben Moment erfasst ein starkes Rütteln den Raum und ich verliere für wenige Sekunden den Boden unter den Füßen.

Ich taumele ungeschickt zur Seite und wieder zurück, bis ich mein Gleichgewicht wieder finde und das leichte Nachbeben wieder problemlos ausbalancieren kann. Mein Blick gleitet durch den riesigen Raum, dessen Wände unkontrolliert zu beben scheinen. Den Fußboden jedoch habe ich klar vor Augen. Die weißen Fließen sind an manchen Stellen angebrochen, an anderen bereits komplett zerstört.

Ein weiterer lauter Knall. Winzige Teile der weißen Deckwand fallen wie Schneeflocken über mir herab und lässt mich erahnen, dass nicht nur der Boden droht unter mir zusammen zubrechen. Meine Atmung stoppt für wenige Sekunden, während Adrenalin durch meine Venen rauscht. Niemand hat mir gesagt was passiert, wenn ich hier lebendig begraben werde oder sonst auf eine andere Art und Weise sterbe.

Ich berufe mich innerlich zur Ruhe und richte meinen Blick zurück auf Crowley. Wohl oder Übel werde ich seinem Beispiel folgen müssen. Immerhin scheint er genau zu wissen, was hier abgeht. Er scheint ja sogar mit dieser Art von Unterbrechung gerechnet zu haben. Dabei schweift mein Blick bereits sichtbar panisch durch den Raum. Mein Vater ist jedoch spurlos im Nichts verschwunden und mit ihm meine tote Mutter.

Frustriert möchte ich aufschreien. Hier und jetzt wäre meine Chance gewesen um Crowley erst auszuquetschen - was für ein Reinfall - und dann ein für alle Mal zu töten - ebenso ein kompletter Reinfall.

Wieder fallen einzelne, weiße Brocken von der Decke herab, während ein weiteres Beben den Raum zum Erzittern bringt. Wieder taumele ich ungeschickt zur Seite, auch wenn ich mich dieses Mal besser abfangen kann als bei dem ersten Beben. Ich finde innerhalb weniger Sekunden mein Gleichgewicht wieder, während mein Blick bereits panisch durch den ganzen Raum fliegt und nach einem schnellen Ausweg sucht.

Dabei werden meine Haare wild um meinen Kopf geschleudert und nehmen mir immer wieder sekundenlang die Sicht. Jedoch kann ich durch ein paar einzelne Haarsträhnen hindurch die metallischen Badewanne erkennen, die meterweit von mir entfernt steht. Ohne genau zu wissen was ich vorhabe, haben sich meine Beine bereits automatisch in Bewegung gesetzt. Ich sprinte instinktiv und mit aller Körperkraft auf die Badewanne zu.

Hinter mir höre ich unheilvolles Bröckeln.

Ich riskiere einen kurzen Blick zurück und sehe, wie dicht an meinen Fersen der Boden hinter mir zusammenbricht und die weißen - jetzt zerbrochenen - Fließen in ein scheinbar unendlich tiefes Loch verschwinden. Ein erneutes Ruckeln erfasst den kalten Boden, doch dieses Mal bin ich vorbereitet. Blitzschnell balaciere ich das Wackeln aus, wodurch ich nur seitlich wenige Schritte von meiner angesteuerten Bahn abweiche. Innerhalb weniger Sekunden stürme ich wieder direkt auf die Badewanne zu.

Ein erneutes Rütteln sorgt dafür, dass etwas des klaren Wassers aus der Badewanne heraus auf die weißen Fließen spritzt. Ich stürme weiter.

In der Zwischenzeit stürzten faustgroße Brocken von der Decke herab. Eins verfehlt mich nur um Haaresbreite. Ein weiteres Beben. Dieses Mal fliegen nicht nur die Fliesen und die Decke um mich herum, sondern auch durchsichtige Glassplitter, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Zwei erwischen mich schmerzhaft tief am Arm, während ein anderes in meiner Wangen stecken bleibt.

Ich stürme weiter und reise dabei die Arme in die Luft, um sie schützend vor mein Gesicht zu halten. Weitere Glassplitter fallen herab und werden unvorhersehbar durch den Raum geschleudert. Erneut erwischt mich eine besonders große Scherbe. Dieses Mal am Bein.

Ich ignoriere den Schmerz und das Blut, dass jetzt dickflüssig von meinem Gesicht, meinen Armen und meinen Beinen herunterläuft. Stattdessen visiere ich die Badewanne vor mir an. Sie ist nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Ich gehe leicht in die Knie und stoße mich - ohne weiter darüber nachzudenken - von dem Boden ab, der daraufhin bröckelnd in der Tiefe des Loches verschwindet.

Ich fliege mit ausgebreiteten Armen unkontrolliert durch den Raum. Mein panischer Atem mischt sich mit herumfliegenden Glasscherben und herabbröckelten Deckenteilen. Mein Herzschlag ist sprunghaft hoch. Mein Puls ist durch das Adrenalin dreifach so schnell wie sonst. Meine Atmung nur noch ein hektisches Hecheln. Mein Körpergewicht legt sich nach minimal vorne und ich stürzte kopfüber auf die schmale Badewanne zu. Panisch reiße ich meine Arme hoch und platziere sie geistesgegenwärtig vor meinem Gesicht, sodass ich mich beim Aufprall notdürftig mit den Händen abfangen kann. Auch wenn mir dieser Vorgang alle Knochen brechen wird.

Ich pralle auf.
Alles um mich herum wird schwarz.
Eine Stimme.

„Lass sie nicht los!"

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Ja ich weiß, ich bin mal wieder super gemein mit diesem Kliffhanger. Aber ich hoffe ihr könnt mir verzeihen XD und jetzt mal zu etwas anderem: erstamal vielen vielen Dank für die vielen Votes und Kommentare und  vor allem auch für die vielseitigen Kommentare eurerseits. Darüber freue ich mich immer am meisten.

LG CoolerBenutzername

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