Wir hatten zwar keinen Unterricht mehr, aber heute traf sich trotzdem der gesamte Jahrgang in der Aula. Das Abimotto, das Abibuch, der Abiball und das Abishirt standen auf der Tagesagenda. Ich hasste diese Treffen, denn im Prinzip wurde nur geredet und am Ende waren wir doch nicht schlauer.
Als ich die Aula betrat, sah ich Barne in der letzten Reihe sitzen.
Barne - Der Vater meines Kindes. Es war für mich immer noch unfassbar, wie es dazu hatte kommen können. Er hatte einen Arm um ein Mädchen gelegt. Mein Bauch zog sich bei dem Anblick schmerzhaft zusammen.
Ich setzte mich weit weg von ihm, denn seine Nähe machte mich nervös. Trotzdem hatte ich mir für heute vorgenommen es ihm zu sagen. Er sollte es wissen. Früher oder später müsste ich es ihm eh sagen. Je schneller ich es hinter mich gebracht hatte, desto besser.
Die ganze Nacht hatte ich wach gelegen und mir seine möglichen Reaktionen ausgemalt. In der kitschigen Variante küsste er mich freudig.... Eher unwahrscheinlich und der Kategorie Tagträumen zuzuordnen. In der realistischen Variante ließ er mich stehen, ging weg und kam nie wieder.
Die Veranstaltung bestand hauptsächlich aus Abstimmungen und zog sich ewig hin. Unsere Abi-Organisation war eine einzige Katastrophe. Immer wieder wurden wir aufgefordert unseren Arm zu heben oder eben unten zu lassen.
Nach einer Stunde war der Spuk vorbei. Ich sprang auf und lief in Barnes Richtung. Meine Knie waren aus Pudding. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es ihm sagen sollte. Mein Herz schlug viel zu schnell.
Wie immer war er von seinen vielen Freunden umgeben.
Alleine würde ich ihn nie abfangen können. Er würde schließlich nicht noch einmal von seinem Moped fallen und sich in meiner Wohnung die Wunde ausspülen lassen.
„Barne!", rief ich. Meine Stimme klang überraschend kräftig.
Zu meinem Erstaunen drehte er sich sofort zu mir um. Sein Blick ruhte auf mir, was mein Herz noch schneller klopfen ließ. Er schien nichts Gutes zu ahnen. Auch andere sahen mich skeptisch an.
Ich atmete tief ein und versuchte meine Nervosität unter Kontrolle zu bekommen.
„Hat die gerade deinen Namen gerufen?", fragte Florian arrogant. Ich hasste diesen Typen so sehr.
„Ja, hab ich!", sagte ich und versuchte meine Unsicherheit zu überspielen.
Ein höhnisches Lachen ertönte. Von Florian. Und auch von Barne.
Warum ausgerechnet er? Warum Barne Bergman?
„Wir müssen reden!", sprach ich in Barnes Richtung weiter.
Ich war so mutig! Ich war richtig stolz auf mich.
Verdutzte Gesichter. Niemand würde erwarten, dass das Loser-Girl, dessen Name niemand kannte, mit Barne Bergman reden wollte. Aber noch weniger würden sie erwarten, dass ich sein Kind austrug.
„Na dann sprich!", sagte er grinsend.
Wenn er wüsste!
Er sah mich an, als wäre ich eine Fremde. Als wäre es nie passiert. Als hätte es diese Nacht nie gegeben. Das tat so weh.
Doch ich trug den Beweis für diese Nacht in mir.
„Unter vier Augen", forderte ich. Allgemeines Gelächter brach aus und ich musste gegen Tränen ankämpfen.
Du weinst jetzt nicht!
„Ich wüsste nicht, was wir unter vier Augen zu besprechen haben!", ließ er mich amüsiert wissen.
Ich versuchte cool und lässig zu wirken, worin ich jedoch kläglich scheiterte.
Dann drehte Barne sich um und ging weiter. Ich hörte, wie sie über mich lachten und sich lustig machen. Mit wässrigen Augen blieb ich allein zurück und sah wie der Vater meines Kindes abzog.
***
„Wie ist es gelaufen?", fragte Mum, als sie nach Hause kam.
„Beschissen", murrte ich schlechtgelaunt. „Er hat sich nicht einmal auf ein Gespräch unter vier Augen eingelassen."
„Arschloch!", stimme Mum mir zu. „Dann sag es ihm nächstes Mal vor allen anderen!"
„Mum, das kann ich nicht machen!"
Sie verschränkte die Arme und nickte nach kurzem Zögern einsichtig.
Ich konnte ihm schlecht vor allen anderen an den Kopf klatschen, dass ich von ihm schwanger war. Verdient hätte er es zwar, aber so ein Monster war selbst ich nicht.
„Dann musst du es noch einmal versuchen. Gib nicht so schnell auf!"
Das sagte sich so leicht. Im Moment wollte ich einfach nur für einen Augenblick vergessen, dass ich schwanger war.
„Mal schauen, wann sich die Gelegenheit ergibt."
„Zögere es nicht zu lange heraus", mahnte sie mich wieder. „Du machst es damit nur schlimmer. Ich weiß, dass es schwer ist, aber je eher er es weiß, desto besser."
„Ich weiß." Aber wie sollte ich ihm das bloß sagen? Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. „Ich geh jetzt erst mal joggen", ließ ich Mum wissen. „Ich muss irgendwie den Kopf freibekommen."
Mum streichelte mir über die Wange. „Mach das, Süße! Aber streng dich nicht zu sehr an. Du bist nicht mehr allein!"
Ich verdrehte die Augen. Ich wollte nichts derartiges hören.
Ich ging in mein Zimmer, schlüpfte in meine Sporthose und setzte meine Kopfhörer auf. Dann lief ich los. Dreimal die Woche ging ich joggen. Immer die gleiche Strecke. Es gab ein kleines Naturschutzgebiet bei uns in der Nähe, dass für mich die ideale Strecke war. Ich konnte dabei abschalten. Auch heute bekam ich für einen kurzen Augenblick den Kopf frei. Doch dann sah ich ihn und konnte meinen Augen nicht trauen.
Barne.
Ich hatte ihn schon zwei- oder dreimal hier gesehen, doch ich hätte nicht erwartet, dass ich ihn ausgerechnet heute hier antreffen würde.
Er war allein. Das war meine Chance.
Er saß auf einer Bank und kritzelte etwas in ein Notizbuch.
Ich blieb stehen.
Das musste Schicksal sein. Das konnte kein Zufall sein. Ich musste diese Gelegenheit nutzen.
Zunächst bemerkte er mich nicht. Ich nahm meine Kopfhörer ab und ging langsam näher. Erst als ich nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war, bemerkte er mich und zuckte minimal zusammen. Schnell fand er seine lässige Fassade wieder.
„Stalkst du mich jetzt, oder was?", fuhr er mich unsanft an.
Ich hatte nichts anderes von ihm erwartet.
„Nein", antwortete ich sofort. „Aber du schuldest mir noch ein Gespräch unter vier Augen!"
Er schüttelte den Kopf und sah wieder auf sein Notizbuch.
„Ich schulde dir gar nichts!"
Ich setzte mich ungefragt neben ihn. Sofort rückte er etwas von mir weg. So, als wäre ich ein widerliches Insekt.
„Was soll das?", meckerte er und sah wieder auf. „Kann ich nicht einfach meine Ruhe haben?"
Ich schüttelte den Kopf. Seine Anwesenheit machte mich nervös.
„Wieso tust du so, als würdest du mich nicht kennen? Als wäre zwischen uns nie etwas passiert?"
Er sah mich herablassend an. „Weil zwischen uns nichts passiert ist. Wir hatten Sex. Mehr nicht! Also lass mich in Ruhe!"
Wie gerne ich das tun würde, doch so einfach war das nicht.
„Sex ist nicht Nichts!", protestierte ich. Besonders nicht in unserem Fall. Dieser Sex war alles andere als Nichts, denn ich hatte verdammt noch mal sein Baby im Bauch. Das war nicht Nichts!
Er verdrehte die Augen.
„Mein Gott, du bist der Außenseiter an der Schule, der keine Freunde hat und nur über Schulbüchern hockt und ich bin – sagen wir mal – das genaue Gegenteil. Dachtest du, dass ich auf dich stehe, oder was? Ich hab an dem Abend einfach eine Ablenkung gebraucht und da kamst du mir gerade gelegen. Mehr war da nicht. Also bilde dir nicht ein, dass ich irgendetwas von dir will! Wirklich! Auf so eine Kinderkacke haben ich wirklich kein Bock!"
Ich hatte ja gewusst, dass keine Liebe dabei mitgespielt hatte, aber so wie er es formulierte, war es erniedrigend. Ich fühlte mich benutzt und wertlos.
Meine Augen wurden wässrig.
Ich könnte es ihm jetzt sagen. Ich sollte es ihm jetzt sogar sagen, aber ich war zu verletzt.
„Du bist so ein Arsch!", feuerte ich mit meiner erbärmlich piepsigen Stimme in seine Richtung.
Er lachte herablassend. „Du bist nicht die erste, die das zu mir sagt. Sind nicht alle Männer Ärsche?"
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