22.Dezember „Violine in der Fußgängerzone" Solangelo
Nico wurde von dem Gequietsche einer Violine geweckt. Schon wieder ein Straßenmusiker. Sein Schlafplatz war eigentlich sehr günstig: Überdacht, unauffällig,in der Nähe der Fußgängerzone und relativ warm. Nur die ganzen Straßenmusiker nervten. Nico schlief nah bei einem großen Platz, der Straßenmusiker magisch anzuziehen schien. Gestern war es ein Trompeter gewesen, Vorgestern nachmittag ein kleines Mädchen, das Weihnachtslieder auf der Blockflöte gespielt hatte. Am Tag davor ein Pianist, davor ein Mann, der Gitarre spielte, Mit den Füßen eine Trommel bediente und dazu noch sang. Am Tag davor, dem Montag, spielte eine kleine Band bis Mitternacht oder so. Und das Schlagzeug war definitiv zu laut gewesen. Am Sonntag hatte er einen Tag Pause gehabt, so dass er sich von dem Kindergarten, der ihn am Samstag mit Liedern wie „In der Weihnachtsbäckerei" terrorisiert hatte, erholen konnte. Kindern unter sechs Jahren sollte das Singen -zumindest in der Öffentlichkeit- verboten werden. Da war die Violine schon besser. In einer anderen Situation hätte Nico die Musik sogar genossen, besonders, da es keine Weihnachtslieder waren, aber nicht, wenn er so geweckt wurde. Morgens früh um 9:30. Er hätte noch mindestens bis 11:00 schlafen können. Nico war definitiv kein Morgenmensch. Er gähnte noch einmal und rappelte sich gerade auf, um noch kurz dem blonden Geiger zu lauschen, bevor er sich etwas zu Essen organisierte, als der schlanke Violinist seine Noten umblätterte und mit atemberaubendem Geschick zu „Gloria" ansetzte. Schnell suchte Nico das Weite. Er mied alles, was mit Weihnachten zu tuen hatte, so gut es ging. Das Fest der Liebe zu feiern, wo seine Mutter und seine Schwester bei einem Bombenanschlag gestorben waren, ergab für ihn keinen Sinn. Außerdem weckte es Erinnerungen. Erinnerungen an die Zeiten, als Nico noch ein sorgloser kleiner Junge war, mit einer liebevollen Mutter und einer coolen großen Schwester. Als sie zusammen Weihnachten feierten. Er musste immer ein Gedicht aufsagen, bevor er seine Geschenke auspacken durfte. Seine Schwester hatte immer ein Lied auf dem Klavier gespielt. Noel oder so hieß es. Und dann war Nico immer beleidigt gewesen. Bloß weil er nicht alle dummen Mythomagicfiguren bekommen hatte, die er sich gewünscht hatte. Der kleine Nico war schrecklich verwöhnt gewesen. Dies wollte er haben, das wollte er haben und wenn er es nicht bekam war er beleidigt. Dabei hatten sie noch nicht mal so viel Geld gehabt. Seine Mutter hatte hart gearbeitet um ihnen ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Und er hatte es noch nicht mal bemerkt, er hatte alles als selbstverständlich hingenommen. Und er war immer wütend gewesen, wenn sie als „einzigste" Familie im Sommer nicht in den Urlaub fuhren. Seine Mutter war dann immer traurig gewesen, weil er enttäuscht war. Eines Tages hatte sie dann tatsächlich einen günstigen Urlaub gebucht. Sie hatte ihm seinen Wunsch erfüllen wollen. Eine Woche lang war Nico der glücklichste Junge der Welt. Dann verübten Terroristen einen Bombenanschlag auf ihr Hotel. Nico überlebte wie durch ein Wunder. Aber er verlor seine Familie. Er wurde heimatlos. Obdachlos. Nico schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr daran denken. An die schrecklichen Ereignisse. Daran, dass er in gewisser Weise schuld am Tod seiner Familie war. Er schüttelte noch einmal den Kopf, dann begann er damit, sich etwas zu Essen zu organisieren.
Als er in seine Nische zurück kroch war es später Abend. Freitags war die Stadt immer recht lange belebt, also hatte er auch noch länger gebettelt. Dann hatte er noch seine Erinnerungen mit einer Flasche Wein zu vertreiben versucht. Und so wankte er todmüde in seine Nische und legte sich hin ohne zu merken dass da schon jemand lag. Erst als er sich ein wenig herumwälzte, bemerkte er, dass jemand neben ihm lag: Der blonde Geiger von heute morgen. Er schlief schon, also versuchte Nico einfach nur, auf so wenig Körperkontakt wie möglich zu geben und dann selber einzuschlafen. Anmeckern konnte er den Musiker morgen immernoch.
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