Kapitel 3

Mittlerweile war ich sicher schon ein oder zwei Tage auf diesem verdammten Schiff. Noch immer hatte ich nicht ganz realisiert, was passiert war. Piraten hatten mich entführt und würden Lösegeld von meinen Eltern fordern. All das hier war so surreal. Gerade war ich noch bei Liliane gewesen und... Jetzt, wo ich weg war, würde sie Adrien wirklich heiraten? Wenn ich nicht da war, um es zu verhindern, wer würde sie dann aufhalten? Sie konnte ihn nicht heiraten. Unweigerlich kamen mir die Tränen. Ich hatte mich in einer Ecke zusammengekauert und in den letzten Stunden hatte ich immer wieder angefangen zu weinen. Jedes Mal, wenn ich erneut realisierte, in was für einer Lage ich mich befand, brach ich zusammen. Wenn die Angst wieder meinen ganzen Körper in Beschlag nahm und ich zu zittern begann, dann flossen die Tränen unaufhörlich meine Wangen hinunter. All das hier war so verdammt beängstigend. Ich wusste, dass meine Eltern die Piraten bezahlen würde und dann konnte ich zurück nach Hause. Natürlich würden sie mich zurückholen. Ich war ihre Tochter. An diese Hoffnung versuchte ich mich zu klammern.

„Na sieh mal einer an. Die kleine Plage weint" raunte eine mir bekannte Stimme. Mein Kopf schoss herum und ich entdeckte den Captain, der in der offenen Tür stand. Er trug noch immer dieselben Klamotten wie gestern und auch sein Gesichtsausdruck hatte sich kaum verändert. Er blickte mich nachdenklich an, doch Emotionen konnte ich keinerlei erkennen.

Schnell wischte ich mir die Tränen von der Wange und schlang die Arme um mich. Ich wollte nicht, dass diese Leute sahen, wie fertig ich war. Wahrscheinlich war es lächerlich. Sie alle wussten, dass ich eine Adlige war und somit auch zerbrechlich. Ich war Kälte, Angst und Hunger nicht gewohnt, also konnte ich damit auch nicht umgehen.

„Was passiert jetzt mit mir? Wann fordert ihr das Lösegeld?" fragte ich mit zitternder Stimme. Das waren nur zwei der tausend Fragen, die mir im Kopf rumschwirrten, doch ich schätzte, dass ein „wollt ihr mich töten?" nicht sonderlich gut ankam, also beließ ich es dabei.

Der Captain sagte nichts und schloss die Tür. Er nahm auf einer der Holzkisten Platz und stützte die Ellenbogen auf die Knie.

„Du bist unsere Gefangene, solange, bis deine Eltern uns eine hübsche Summe für dich zahlen" erklärte er tonlos und ich nickte vorsichtig. Gefangenschaft war sicherlich nicht wünschenswert, aber zumindest würden sie mich freilassen. Ich musste nur ein paar Tage durchhalten und dann könnte ich zurück nach Hause. Das konnte ich schaffen.

„Mein Sohn wird morgen wieder hier sein. Er hatte einen Auftrag, den er erfüllen musste, doch jetzt kommt er wieder auf das Schiff. Er wird die Verhandlungen führen" verkündete der Captain und sah einen Moment in meine Richtung. Er hatte also einen Sohn? Warum führte ausgerechnet er die Verhandlungen? Der Mann war schließlich der Captain, also wäre es doch nur logisch, wenn er das übernahm, oder?

„Wieso macht... Ihr Sohn das?", fragte ich weiter. Jede einzelne Antwort und jede Frage kamen mir nur vorsichtig über die Lippen. Ich hatte keine Ahnung, wie dieser Mann drauf war, doch wenn er Adrien ähnelte, dann könnte ihn jede Frage aus der Ruhe bringen. Das war etwas, was ich unbedingt vermeiden wollte.

„Ich mag zwar der Captain sein, aber Ciaran ist um einiges skrupelloser als ich. Er kennt sich aus mit den reichen Schnöseln und wie man sie dazu bringt das Geld rauszurücken", erklärte er und ein Grinsen zuckte über seine eingerissenen Lippen. Noch skrupelloser als diese Crew von Piraten? Beim Gedanken daran überrollte mich eine neue Welle von Panik. Wie sollte ich das nur überstehen?

Nachdem er mir das erklärt hatte, erhob er sich und warf mir noch einen letzten Blick zu. Mir war klar, dass ich auch die nächsten Tage nichts Besseres zu erwarten hatte. Ich war eine Gefangene und deshalb hatte ich nichts mehr zu erwarten, dennoch....

„Könnte ich etwas zu essen kriegen?" bat ich leise. Seit vielen Stunden hatte ich nichts mehr gegessen und ich spürte, wie meine Kraft schwand. Selbst wenn das hier übermorgen enden würde, ich könnte bis dahin garantiert nicht durchhalten.

Der Captain rührte sich nicht. Einen Moment lang glaubte ich, dass er meine Bitte ablehnen würde, doch dann nickte er. Mehr tat er nicht, doch ich spürte trotzdem Erleichterung. Diese Männer waren zwar Piraten, doch vielleicht waren sie gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Vielleicht könnte das hier doch gut ausgehen.

Kaum war der Captain gegangen lehnte ich mich gegen die kalte Steinwand und atmete durch. Die Gedanken in meinem Kopf begannen wild umherzuschwirren. Gleichzeitig keimte in mir Hoffnung auf, dass ich das alles überstehen könnte und ich bald wieder bei meiner Familie war. Auf der anderen Seite war die blanke Angst. Angst vor diesen Männern, Angst vor der Ungewissheit und dem Rest dieses Alptraums. Die Angst gewann. Ich fiel in einen Schlaf, der mir nur wenig Erholung brachte.

Ängstlich beobachtete ich, wie meine Eltern am Hafen standen und zum Schiff hinaufsahen. Ihre Blicke waren leer und wirkten fast... enttäuscht. Ein Mann stand am Deck. Er war vermummt und trug ein langes, scharfes Schwert an der Hüfte. Sein Blick war eisern, doch ich erkannte ihn nicht. War er Teil der Crew? Er wirkte viel gefährlicher als die anderen.

„Wo ist unser Geld?" rief der Mann kalt und ich erschauderte. War das Ciaran? Er passte zu der Beschreibung des Captains...

„Wir werden nicht bezahlen" erwiderten meine Eltern und ich spürte, wie mein Herz brach. Wie meinten sie das? Sie mussten zahlen. Sie mussten mich hier rausholen. Sie durften mich nicht hierlassen?

Mir kamen die Tränen und ich begann zu zittern, doch sie rührten sich nicht. Ich rief nach ihnen, bettelte, dass sie mich hier rausholen würden, doch sie taten nichts. Sie standen einfach nur da.



„Nein!", rief ich mit tränenerstickter Stimme. Es dauerte einige Sekunden, bis ich realisierte, dass ich aufgewacht war. Die Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase und ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, wo ich war. Noch immer gefangen auf diesem verdammten Schiff. Es war nur ein Alptraum gewesen. Meine Eltern würden mich hier rausholen. Sie würden-

„Das Prinzesschen ist endlich aufgewacht. Hast du etwa schlecht geschlafen? Armes Ding", knurrte plötzlich eine tiefe Stimme und ich zuckte zusammen. Aufgeschreckt sah ich zur Tür und entdeckte einen Mann. Er war um einiges jünger als der Captain. Vielleicht 25 oder ein wenig älter. Er lehnte an der Wand und seine dunkelgrünen Augen musterten mich mit genauso viel Interesse wie Hass. Eine Gänsehaut überzog meine Haut zum dutzenden Mal und ich verkroch mich noch enger in der Ecke.

„Meiner Meinung nach hättest du nichts zu essen kriegen sollen aber der Captain will das nun mal so", erklärte er und seine Stimme war mindestens genauso hasserfüllt, wie sein Blick. Wer war dieser Mann und was hatte er bloß gegen mich? Ich war zwar eine Gefangene, doch daran lag es nicht. Das war persönlicher Hass. Doch ich kannte ihn nicht. Wieso also sollte er mich hassen?

Mit langen, grazilen Schritten kam er auf mich zu und ich zuckte erneut zusammen. Seine Bewegungen waren so zielgerichtet, dass ich mir sicher war, er würde gleich zuschlagen. Doch das tat er nicht. Einen Moment sah er bloß von oben auf mich hinab. Er war mindestens 1.85, doch in diesem Augenblick kam er mir viel größer vor. Viel mächtiger und stärker als er es tatsächlich war.

Plötzlich zierte ein spöttisches Grinsen seine vollen Lippen und er ging vor mir in die Hocke.

Mein Blick fiel auf das Essen. Sofort übermannte mich der Hunger und ich griff nach der Schüssel, die einen Laib Brot und ein wenig Käse enthielt. Nicht viel, aber mehr als genug um meinen Hunger zu stillen. Wahrscheinlich war der Moment mehr als unpassend für so etwas aber meine Instinkte gingen wohl etwas mit mir durch.

Blitzschnell griff der fremde Mann mein Handgelenk und ich stoppte mitten in der Bewegung. Mein Blut gefror und bei mir setzte die blanke Panik ein. Erinnerungen an die Schmerzen meiner Vergangenheit holten mich ein und mir war sofort klar, dass dieser Mann mich ohne Zweifel verletzten könnte.

„Nicht so schnell Prinzessin" kommandierte er so eiskalt, dass mir jeglicher Protest im Hals stecken blieb. Was hatte er vor? Sie konnten mir kein Essen vorenthalten. Der Captain hatte gesagt ich würde welches bekommen, also was war das Problem hierbei? Wieso hielt er mich auf?

„Denk ja nicht, dass du hier so etwas wie ein Gast wärst. Dein Rang ist hier nur wichtig, weil du verdammt viel Geld bringst, also komm bloß nicht auf die Idee dieses Essen hier als Güte zu betrachten" hauchte er hasserfüllt und sah mir tief in die Augen. Sein Blick war so intensiv, dass mir die Luft wegblieb. Dieser Mann hatte etwas an sich, dass einem den Atem raubte. Es war weder Anziehung noch Attraktivität. Vielmehr war es diese Eiskalte Autorität, die von ihm ausging.

„So dumm bin ich nicht" erwiderte ich leise und versuchte meine Atmung möglichst flach zu halten. „Ich bringe euch nun mal nichts, wenn ich verhungere" fügte ich noch hinzu. Es war ein verzweifelter Versuch stark zu wirken, doch mehr konnte ich nicht bieten. Ich wusste, dass ich nicht in der Position war zu verhandeln. Meine Mutter hatte mir immer wieder eingeprägt, wie wichtig es war stark zu erscheinen. Ihrer Meinung nach konnte man jede Schwäche überspielen, wenn man das Kinn nur hochgenug hielt.

Der Fremde betrachtete mich abschätzig. „Du bist eine Adlige. Natürlich bist du so dumm", sagte er so verächtlich, dass ich zusammenzuckte. Nach diesen Worten ließ er mein Handgelenk ruckartig los und stand auf. Er würdigte mich keines weiteren Blickes und ging einfach. Kälte durchzog mich und ich starrte ihm hinterher. Was war grade passiert? Sprachlos versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, doch es funktionierte nicht. Es war alles zu viel und zu verwirrend.

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