Kapitel 14

Ich hasste Ciaran. Abgrundtief. Sein letzter Satz hatte mich mehr getroffen, als ich es mir eingestehen wollte. Wie konnte er sowas sagen? Natürlich war es mir egal, ob er mich auf diese Weise wollte oder nicht aber so ein Satz tat trotzdem weh. Ich hatte ihm nicht sagen können, wer mir das angetan hatte. Viel zu sehr hatte ich mich geschämt und offensichtlich war es die richtige Entscheidung gewesen.

Vorsichtig schlich ich Ciaran hinterher. Seitdem wir den Gang leise verlassen hatten, hatte er kein Wort mehr mit mir geredet und das war gut so. Für eine Moment hatte ich wirklich geglaubt es würde ihn interessieren. Sein Blick schien ehrlich besorgt zu sein und dann sagte er sowas. Er hatte mir das einfach so entgegengeschleudert, nur um mich schon wieder zu verletzten.

„Bleib hier" wies er mich plötzlich über seine Schulter an und ich sah ihn verdutzt an. Ich sollte nicht mitkommen? Und wie stellte er es sich vor, dass ich unentdeckt im verdammten Ballsaal blieb. Jederzeit konnte jemand hinauskommen und dann? Wie sollte ich das erklären?

„Bist du verrückt?" flüsterte ich wütend. Was sollte der Mist? Ciaran jedoch blickte mich nur finster an, bevor er leise durch die Tür verschwand. Dieser miese Idiot. Unsicher sah ich mich um. Der Ballsaal war dunkel und leer, doch ich bezweifelte, dass es so bleiben würde. Jeden Moment konnten neue Bedienstete kommen, die aufräumten.

„Bei Atrena" murmelte ich leise. Diese Ballräume sorgten immer für eine gewisse Nostalgie bei mir. Meine Mutter hatte mir als kleines Kind oft stundenlang die Geschichten und Legenden unseres Reiches erzählt. Manchmal ging es darum, wie Atrena damals Sorus um Hilfe angefleht hatte und er daraufhin in Form eines Drachens zu Hilfe eilte. In anderen Geschichten ging es jedoch um viel größere Legenden. Wilde, mächtige Drachen, die ganze Dörfer niederbrennen konnten, gesandt von den Göttern. Manchmal sprach sie auch von anderen mystischen Kreaturen, die die Wälder bewohnten und nur selten waren sie uns wohlgesonnen. Über die Monster der See sprach sie jedoch nie. Gab es welche? Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, doch nun interessierte es mich tatsächlich. An die Drachen hatte ich vielleicht nie wahrhaftig geglaubt aber im Meer? Wer wusste schon, was es dort unten alles gab? Neugier regte sich in mir und ich begann in meiner Fantasie zu schwelgen. Was wäre, wenn es solche Wesen tatsächlich gab? Drachen, magische Kreaturen und Monster der See.

Lächelnd lehnte ich an der Wand. Solche Geschichten hatten mir als Kind geholfen die einsamen, schmerzhaften Nächte durchzustehen. Ich hatte vielleicht nie daran geglaubt, dass ich einmal einen wahren Drachen sehen würde aber der Gedanke an mystische Geschichten hatte mich dennoch zum Lächeln gebracht. Heute dachte ich vielleicht nicht mehr oft an diese Geschichten, aber ich wusste trotzdem, dass die Götter über mich wachten.

Gerade noch hatte ich in Gedanken geschwebt und plötzlich wurde die Tür neben mir aufgerissen. Ich schreckte von der Wand und sah Ciaran entgeistert an, der schweratmend vor mir stand. In seiner linken Hand hielt er ein blutbeschmiertes Schwert, in der anderen Hand hatte er die Schriftrolle. Er hatte es geschafft, aber wieso war da Blut an dem Schwert? Hatte er... Nein. Entsetzten durchzog meinen ganzen Körper. Hatte er jemanden umgebracht?

„Hör auf mich anzustarren und beweg dich. Ich habe die Wachen erledigt aber wir haben nicht viel Zeit" knurrte Ciaran und zog mich mit sich. Innerhalb von Sekunden hatten wir den Ballsaal verlassen. Die Flure waren dunkel und ich kam Ciarans Tempo kaum hinterher mit meinen Absatzschuhen. Was war passiert in diesem Gang? Wieso hatte er sie getötet? Gab es keinen einfacheren Weg? Vielleicht hatten diese Wachen Familie. Eine Frau, die auf sie wartete und ein Kind, dass nun nie wieder seinen Vater sehen würde.

Vor lauter Fragen stolperte ich mit meinen Absätzen und knickte um. „Mist" wimmerte ich und sank auf den Boden. Ein stechender Schmerz durchzog meinen Knöchel und ich musste die Tränen zurückhalten, die sich einen Weg an die Oberfläche bahnen wollten. Nein. Ich würde ganz sicher nicht wegen eines verdammten Knöchels weinen. Ich hatte schon schlimmeres durchgestanden.

„Aurelia? Verdammte Scheiße!" rief Ciaran und beugte sich zu mir runter. „Komm hoch. Kannst du laufen?" fragte er mich, während er mir beim Aufstehen half. Ich nickte und versuchte den Fuß zu belasten, doch der Schmerz war zu stark. Hätte Ciaran mich nicht gehalten, wäre ich vermutlich sofort wieder umgefallen. So ein Mist. Was taten wir jetzt? Er würde mich doch nicht hierlassen, oder?

Verunsichert sah ich ihn an, der mit sich zu hadern schien. Kaum hatte er sich entschieden, schüttelte er seufzend den Kopf und legte kurzerhand einen Arm unter meine Knie und den anderen um meinen Rücken, bevor er mich hochhob. Überrascht keuchte ich auf und realisierte kaum, wie er mich an seine starke Brust drückte. Ich hatte mit vielem gerechnet aber nicht damit, dass er mich tatsächlich trug.

Ciaran rannte mittlerweile durch die Gänge. An jeder Ecke wurde er langsam, nur um sofort wieder zu beschleunigen, wenn er einen leeren Flur erkannte. Ich bemerkte kaum noch was passiert war. Viel zu beschäftigt war ich mit meinen Gedanken. Mein Blick wanderte zu seinem Gesicht und plötzlich entdeckte ich etwas Rotes an seinem Kinn. Blut. Das Blut der Wachen hatte auf ihn gespritzt. Ich zuckte zusammen bei der Erkenntnis und jetzt sah Ciaran mich endlich an. Wir waren mittlerweile außerhalb der Villa, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie wir das geschafft hatten.

„Du hast sie getötet" stellte ich leise fest. Einen Moment lang sah er mich bloß an, bevor er mit einem Nicken antwortete. Es zu denken war die eine Sache aber wahrhaftig zu hören, dass er sie getötet hatte, verursachte in mir ein Gefühl, dass ich nicht beschreiben konnte. War es Angst? Ekel? Mitleid? Ich wusste es nicht und trotzdem konnte ich das Zittern, was meinen ganzen Körper erschütterte, nicht unterdrücken. Heute Abend waren Menschen gestorben.

Ciaran trug mich wortlos zur Kutsche, die ein wenig abseits auf uns wartete. Vorsichtig legte er mich auf der Sitzbank ab. Er nahm mir gegenüber Platz und musterte mich schweigend. Wahrscheinlich sah ich schrecklich aus. Mein Make-up war verwischt, meine Haare hatten sich aus der sorgsam hochgesteckten Frisur gelöst und mein Kleid war längst nicht mehr so elegant, wie vorhin. Dieser Abend hatte viel zu viele Emotionen in mir geweckt. Erst war da die Angst und Nervosität, durch die vielen Gespräche, dann das Gespräch mit Ciaran und meine Panik-Attacke und jetzt das.

„Weißt du Prinzessin, ich bin kein guter Mann. Ich bin nicht wie ihr. Keiner von uns ist das" durchbrach Ciaran plötzlich die Stille. Überrascht sah ich ihn an. Ich hätte nicht gedacht, dass er etwas dazu sagen würde, doch er war tatsächlich ehrlich. Seine Worte machten mich nachdenklich. Die Crew war nicht Teil dieser Gesellschaft, aber war ich es denn noch?

„Jetzt bin ich auch nicht mehr wie sie" stellte ich nüchtern fest. Ich war keine reiche Baroness mehr, die ihre Tage mit Bällen und Abendessen verbrachte. Ich war ungewollt Teil einer Piratencrew und heute Abend war ich zur Kriminellen geworden. Ich hatte vielleicht diese Schriftrolle nicht persönlich gestohlen, aber ich hatte Ciaran geholfen. Ich war genauso schuldig und diese Erkenntnis traf mich härter als erwartet.

Einen Moment schwiegen wir beide. Ich sah Ciaran an, dass auch er nicht so ruhig war, wie er tat. Sein rechtes Bein zuckte immer wieder nervös und sein Blick war fast krampfhaft auf die Tür gerichtet. Er sah mich nicht an und vielleicht war das auch besser so. War das nun mein Leben? Stehlen, töten und lügen? Wie hatte mein Leben sich innerhalb von einigen Wochen so verändern können? Wie hatte das alles so schieflaufen können?

„Wie geht's deinem Knöchel? Wenn du nicht laufen kannst, sollte Mika sich das mal ansehen" meinte Ciaran und sah mich endlich an. Diese Situation war so surreal. Wir hassten uns und hatten dennoch gerade zusammen einer der reichsten Familien in Übersee bestohlen und nun? Erst hatte er mich bis hierhergetragen und jetzt besorgte ihn mein Fuß? Vor einer halben Stunde hatte er sich noch über mich und meine Herkunft lustig gemacht.

Einen Augenblick sah ich ihn bloß an, bevor ich den Kopf schüttelte. „Ich habe ihn mir nur geprellt. Wenn ich mich ein paar Tage ausruhe, dann geht es mir wieder gut" erwiderte ich ruhig. Als er das letzte Mal besorgt gewirkt hatte, musste ich danach eine krasse Beleidigung anhören und das würde ich mir nicht nochmal geben.

„Was immer du dir einreden musst, um deine Gesundheit ignorieren zu können Prinzessin" brummte Ciaran. Am liebsten hätte ich ihm etwas entgegengeschleudert, aber ich wusste weder was ich sagen sollte, noch hatte ich die Kraft dazu, also ließ ich seine Aussage unkommentiert. Stattdessen fokussierte ich mich auf die dunklen Vorhänge und hing meinen Gedanken nach. Nach und nach prasselten die Eindrücke des heutigen Abends auf mich nieder und es dauerte eine Weile, doch schließlich fiel ich in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top