airy mist, icy prince
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KNSU, Yangjae-daero, Songpa-gu, Seoul
He had never known that ice could take on so many shades of blue: sharp lines of indigo like the deepest sea, aquamarine shadows, even the glint of blue-green where the sun struck just so.
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DIE KUFEN DER SCHLITTSCHUHE zeichneten all die Worte in das Eis, die ihm niemals über die Lippen kommen würden, wann immer er sich in der Grazie verlor, mit der sie über das Feld schwebten. Schneestaub wirbelte feinkörnig auf, rieselte in die Rillen, die mit schneidenden Lauten in die glatte Oberfläche gebohrt worden waren und darauf warteten, ihren nächsten Tänzer auf die Piste der Eleganz zu geleiten.
Eine Schönheit lag dem knirschenden Schleifen von Eis mit Stahl inne, die nur der Eiskunstlauf als solche erkannte und zu würdigen wusste.
Und nicht zum ersten Mal gelangte Namjoon auf der Tribüne des Hockeyspielfelds zu der Erkenntnis, dass Kim Seokjin so kalt wie das Eis war, auf dem er fuhr.
Man nannte ihn nicht umsonst in ihren Kreisen den Eisprinzen. Obwohl—Wahrscheinlich verkehrten sie nicht einmal in denselben Kreisen. Seokjin zog seine nämlich auf dem Eisfeld und Namjoon in seiner unmittelbaren Umlaufbahn, die sich monoton, trist und ewiglich um ihn rotierte.
Er konnte wirklich, wirklich nichts dafür.
Seokjin war ein Künstler mit einem Pinsel aus legiertem Stahl und einer Leinwand, die unnachgiebiger war als alle Papiere der Welt. Aber Namjoon zählte seine opus magni aus Disziplin, Verbissenheit und Schnee trotzdem zu seinen liebsten Kunstwerken; nicht nur aus dem Grund, dass Seokjin ein lavendelfarbenes Trikot trug, das mit Strasssteinchen besetzt war, die verführerisch im Schein der Rampenlichter funkelten und in den Strahlen wie Sterne tanzten—was ironisch war, denn die funkelnden Gestirne am Nachthimmel waren genauso viele Lichtjahre von Namjoon entfernt wie seine Chance, je bei dem hellsten von ihnen landen zu können.
Sein Verstand—wofür priesen seine Dozenten ihn überhaupt?—sollte sich wirklich dabei anstrengen, seinem Unterbewusstsein einzubläuen, dass es an Seokjin lag und nicht an ihm selbst. Er war schwul und Seokjin eben verwickelt in einer leidenschaftlichen Liaison mit dem Eiskunstlaufen. Der Sport war seine Muse und eigentlich sollte das in ihrer Prämisse die Norm sein—oder zumindest das Maximum an Körpergeflechten.
An die Korean National Sports University schaffte es nur ein Bruchteil derjenigen Athleten, die sich in einen Kurs der einzigen Sportuniversität des Landes eingeschrieben hatten. Und wenn man sich nicht mit Nägeln und Zähnen in seinen Studienplatz verbiss und nicht mit aller Kraft daran festhielt, wenn der Sturm des Leistungsdrucks, der Minderwertigkeitskomplexe und Koffeinüberschüsse wütete, dann reduzierte das Studium einen auch auf nichts anderes als den unglücklichen Quotenglückspilz, der sich nach einem Semester von der renommierten Akademie in Seoul wieder verabschieden durfte.
Das Einmaleins an der KNSU war hart aber fair. Diejenigen, die sich auf ihren Qualifikationen ausruhten und ihren größten Ruhm darin sahen, an der Universität in Bangi-dong angenommen worden zu sein, ratterten schneller durch das Raster als Seokjin auf einem Schlittschuh eine Pirouette drehen konnte.
Eispulver wirbelte von seinen Kufen auf, als er nach hinten ausscherte, die Arme kerzengerade von sich gestreckt, sich mit einer trägen Eleganz ausdrehend, bevor er unbekümmert von seinem neuen Weltrekord im Um-die-eigene-Achse-drehen-ohne-sich-zu-übergeben eine weitere Runde über das Feld zog.
Namjoon war sich sicher, dass er mittlerweile gesichtet worden war, aber falls es Seokjin behelligte, dass jemand auf das Ende seines minutiös eingehaltenen Trainingsplans pochte, dann ließ er sich nicht davon beirren. Er vergrub seine Hände in den Taschen seiner roten College-Jacke und lümmelte sich tiefer in seinen Platz auf der Tribüne. Es war ohnehin nicht so, als hätte Namjoon Besseres vor als seine Freistunde in der Eissporthalle zu verbringen. Yoongi war mit seinem Freund ins Paris Baguette gegangen, Hoseok drillte wahrscheinlich gerade sein armes Dance Team und Changbin—Changbin schwänzte die zweite konsekutive Woche, weil „die Klausuren doch sowieso schon geschrieben sind, keine Sorge, Bro, beim Training musst du mich nicht vermissen".
Er schlug die Zeit ja nicht wirklich tot, vielmehr beflügelte er ihre ewige Eintönigkeit; vergaß er sie, während er sich in der Betrachtung verlor, wie Seokjin Anlauf nahm, von der Außenkante seines linken Fußes absprang, sich mehrmals in der Luft um die eigene Achse drehte, um dann auf dem Zacken seines rechten Schlittschuhs aufgekommen die Drehung rückwärts auslaufen zu lassen.
Er war eine Variable, die den Fügungen der Physik trotzte—und Namjoon wollte nichts lieber als seine Unmöglichkeit zu ergründen.
Ein Seufzer der Pietät, nicht des Frusts, regte sich in der Krümmung seiner Kehle und er meinte zu hören, wie sein Herz in seiner Brust denselben Laut ausstieß.
Nein, es war keine Schwärmerei und schon gar kein hoffnungsloser Crush, den er auf den Älteren schob. Jemand wie Namjoon verliebte sich nicht; nicht in der Phase seines Lebens, in der er sich hemmungslos auf Parties besaufen, bekiffen und den Schädel aus dem Hirn vögeln konnte. Oder war es andersrum?
Vielmehr steckte... ehrliche Bewunderung in der Anteilnahme, die er Seokjins Passion entgegenbrachte—von einem Sportsfreund zum anderen, verstand sich, der wusste, dass der Leistungsdruck, der an dieser Akademie herrschte, von der monumentalen Sorte war. Ausschließlich an wirklich, wirklich schlechten Tagen mischte sich der unschuldigsten aller Faszinationen Eifersucht bei. Manchmal wollte er Seokjin am liebsten gegen diese beschissene Bande pressen und ihm das herablassende Schmunzeln von den plumpen Lippen küssen, aber die Kufen seiner Schlittschuhe sonderten im Schein der Lichtwerfer einen zu bösartigen Schimmer ab, um seine Contenance in den Wind zu schießen.
Und Seokjin—sofern Namjoon es wagte, sich als Tauchexperte in den Tiefen seiner Unergründlichkeit zu brüsten—mochte das ähnlich sehen.
Er war arrogant, überheblich und selbstgefällig, kein Teamplayer, sondern ein notorischer Einzelkämpfer, der sich nicht zu schade war, sich allein auf das Podest der Unverzichtbarkeit zu heben oder seine Redaktion für die Universitäts-Zeitschrift mit einer Stimme anzubrüllen, die Naturkatastrophen synchronisieren konnte, wenn die nächste Monatsauflage falsch bedruckt worden war.
Aber er war so verflucht einnehmend, wenn er allein strahlte. Seokjin strahlte am hellsten an der einsamen Spitze—und lieferte auch die Erklärung dafür, warum die einsame Spitze „einsam" hieß.
Wenn man den Sport ganz oben an die Bedürfnispyramide setzte, dann fehlte Freundschaften darunter das Sonnenlicht. Die seltenen Male, bei denen Seokjin sich dazu herabgelassen hatte, in der Cafeteria der Universität zu Mittag zu essen, hatte Namjoon ihn ausnahmslos an seinen Stammtisch eingeladen. Neben ihm, Hoseok, Changbin, Junho und Yoongi besetzte nur der feste Freund des Dance Captains einen der Stühle um den Rundtisch, aber aus irgendeinem Grund schien Seokjin keinen von diesen zukünftig als seinen beanspruchen zu wollen.
Vielleicht lag das daran, dass seine eigenen Freunde nicht den besten Eindruck schindeten, wenn sie sich als Juniors, wohlgemerkt, gegenseitig über den Haufen liefen, um einen der letzten Schokopuddings am Buffet zu ergattern—oder es war ihm schlichtweg unangenehm, wie ein Zootier begafft zu werden, weil er offiziell am Tisch von Min Yoongi saß, dem begehrtesten Studenten am Campus.
Dann allerdings, als Namjoon abends vor seinem Laptop nachgedacht hatte—was höllisch schwer war, wenn der Mitbewohner im Nebenzimmer seinen Freund fickte—war das Rampenlicht Seokjin ganz und gar nicht fremd. Fünf zehn-Kilo-Spotlights verfolgten jede seiner Bewegungen auf dem Eis, wenn er Aufführungen gab, da sollte man doch meinen, dass man gegen Stielaugen und aufgeregtes Tuscheln abgehärtet war.
Namjoon hatte lange an dem Fakt zu knabbern gehabt, dass Seokjin vermutlich einfach nicht dazugehören wollte. Er schien sich pudelwohl zu fühlen in seiner Blase aus Kälte, Eis und Unerreichbarkeit—was gewissermaßen bedauerlich war, denn nicht einmal das Ass in seinem Ärmel zog, wenn er dem Älteren imponieren wollte; was er selbstverständlich nicht wollte, nur... hypothetisch betrachtet.
Normalerweise schmolzen die Jungen reihenweise dahin, wenn er rein zufällig in ihren Small Talk einfließen ließ, dass er den Posten des Co-Captains in der Basketballmannschaft der KNSU bekleidete. In den allermeisten Fällen musste er es allerdings nicht einmal erwähnen—sein Name war kein unbekannter auf dem Campus, den Stempel des Wiederholungstäters—namentlich darin, hübsche Jungs auf Parties zu ruinieren—hatte er sich selbst auf die Stirn gepresst. Ein charmantes Grübchenlächeln hier, ein unmissverständlicher Blick da und er hatte sich den nächsten One Night Stand geangelt, der am nächsten Morgen Gerüchte streute, die fast nie stimmten, das Interesse des Kollektivs an ihm jedoch nurmehr befeuerten.
Namjoon konnte sich nicht beschweren. Er bekam, was er wollte, hatte seinen Spaß und labte sich köstlich daran, wie süße Studenten weich wurden, wenn er auf einem noch so kurzen Weg durch die Abendkälte die Chance witterte, in der Manier eines Gentleman seine Jacke aufzugeben.
Als er Seokjin einmal dasselbe Angebot nach einer langen Trainingseinheit auf dem Eis unterbreitet hatte, hatte Seokjin gespottet, dass er zu Genüge aufgewärmt sei, „dafür ist das Training da, du Idiot, was ist euer Basketball-Team überhaupt, ein Spaßverein?"
An Wochenenden mochten sie tatsächlich zu einem solchen mutieren; eines, das die Bälle gegen Shishas austauschte und einen Wettkampf darin veranstaltete, wer sich zuerst die Kante geben konnte. Vor Seokjin wollte er allerdings nicht unbedingt zugeben, dass ihre Disziplin auf dem Feld nur deswegen schwächelte, weil es schwer war, seinen Kapitän ernst zu nehmen, wenn man ihn 24 Stunden vorher flennen gehört hatte, dass er endlich seine große Liebe gefunden habe.
Yoongi war die Art von Mensch, die immer in einer Beziehung steckte, nach der Trennung felsenfest davon überzeugt war, ab jetzt die Vorzüge des Single-Daseins zu genießen, und sich dann auf der nächsten Party unwillentlich in den perfekten nächsten Freund verliebte. Er wies eine chronische Unfähigkeit dafür auf, allein mit seiner ganzen Liebe zu leben, und irgendwie schienen die Schicksalsgötter immer Mitleid mit ihm zu haben—was ihre Schuld war, warum hatten sie ihn auch mit mehr Liebe ausgestattet als er groß war?
Vielleicht war Namjoon einfach deswegen noch single: weil sein bester Freund den ganzen Markt abklapperte und sich die Crème de la Crème selbst rauspickte. Vielleicht hatte er zu viel Spaß an seiner körperlichen und emotionalen Ungebundenheit und vielleicht, aber nur vielleicht war er emotional gar nicht so ungebunden wie er es gerne von sich und seinem Stolz behauptete.
Außer Atem joggte Namjoon zwanzig Minuten später in die Umkleidekabine der Sportler, hastete durch den zufallenden Türspalt und war in diesem Augenblick verdammt erleichtert darüber, dass ihm eine gewisse Grundlässigkeit in die Wiege gelegt worden war. Vor Kim Seokjin erlaubte man sich keine Fehler, denn das Kronjuwel im Kader ihrer Universität ließ einen wissen, wenn man seiner nicht würdig war—dafür brauchte es nicht mehr als einen Moment seiner teuren Aufmerksamkeit und einen kurzen Blick durch den dichten Wimpernkranz, der lang und schwarz seine runden Augen umfächelte.
Seokjin stand vor einem Spind und irgendwo wollte Namjoon ihn dafür hassen, dass es Eiskunstlauf sein musste, dem er sich verschrieben hatte wie einer monotheistischen Religion. In einer anderen Disziplin auf dem Eis wäre die Trainings-Ausstattung nicht so körperbetont; hätte er nicht diesen anziehenden Sog auf ihn ausgeweitet, in dessen Strömungen er sowieso schon wie ein Fisch dem Rest des Seokjin-Schwarms willenlos folgte. Wäre er Hockey-Spieler geworden, dann würde sein hautenges Trikot jetzt nicht so hämisch und unverschämt perfekt die unvorstellbar schmale Senkung seiner Taille betonen.
Seokjin knallte die Spindtür zu, eine Sporttasche über die Schulter geschlungen und schien merkwürdig unbehelligt von seinem stummen Zuschauer. Unbeeindruckt blinzelte er ihn an und Namjoon befürchtete einen grauenhaft zähen Augenblick lang, dass er sich den falschen Tag ausgesucht hatte, um eine Audienz beim Eisprinzen des Campus zu erbitten.
Dann allerdings zuckten seine Mundwinkel und seine plumpen Lippen umspielte ein spöttelndes, schiefes Lächeln. „Du schon wieder. Was gibt's, bist du hier, um mich für meine Arabesque zu loben?"
Namjoon hatte keine Ahnung, was eine Arabesque war, aber wenn Seokjin sie vollführt hatte, musste sie ein atemberaubendes Element im Fluss seiner Bewegungen gewesen sein. Er lehnte die Schläfe gegen die Spindwand und verzog seinen Mund zu einem Schmunzeln, von dem er wusste, dass es letal war. „Mh, eine äußerst stilvolle Figur, die du auf dem Eis abgelichtet hast."
Seokjin prustete humorlos. „Primitiv, meinst du. Du bist nicht zum dritten Mal in dieser Woche da, weil dich eine Grundhaltung beeindruckt hat, die jeder Ballettänzer draufhat, Kim Namjoon, was willst du?" Er friemelte am Reißverschluss seiner Umhängetasche und ließ ungeduldige Erwartung durch seine Stimme sickern. „Mutierst du langsam zum Fan oder zum Stalker? Oder ist der Übergang womöglich sogar fließend?"
Namjoon stieß sich mit der Schulter von der Wand ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein", beeilte er sich hastig zu sagen, obgleich er sich bei Seokjins abwartender Miene eingestehen musste, dass er dringend seine Prioritäten überdenken musste. Mittlerweile verbrachte er genauso oft seine Freistunden in der Eishalle wie er in ihrer Fankurve von Hoseoks Tanztraining mit Abwesenheit glänzte. „Nein", versuchte er es noch einmal mit einem Unterton in seiner Stimme, für dessen Ruhe er sich in Retrospektive auf die Schulter klopfte, „ich bin hier wegen des Artikels für die Uni-Zeitschrift. Coach Choi hat verlauten lassen, dass eure Redaktion über unseren Meisterschaftstitel schreiben will."
„Ah", machte Seokjin, weder Erkenntnis noch Enttäuschung durchklingen lassend, einen Fanatiker mehr abgeschwirrt zu wissen. Namjoon wusste nicht, ob ihn das frustrieren sollte. „Wir haben vor zwei Wochen schon Min Yoongi interviewt."
„Nicht über den Wettkampf in Busan."
„Nein", gluckste Seokjin. „Aber meine Leserschaft ist sowieso weitaus mehr an seinem Liebesleben interessiert als an irgendwelchen Ballspielen am anderen Ende des Landes." Theatralisch seufzte er, der Handrücken an die Stirn gelehnt in der Manier einer amerikanischen Schauspielerin aus den goldenen Zwanzigern. „Die Nachfrage regelt den Markt, Namjoon, ich bin dem Willen meines Publikums hoffnungslos ausgeliefert."
Namjoon schnaubte amüsiert. „Ich weiß nicht, ob Yoongi genauso verzückt war."
„Ich kann mir nicht vorstellen, warum."
„Nicht jeder freut sich über eine dreiseitige Ausgabe von pikanten Details aus seinem Privatleben, die getitelt wurde mit den Worten: Min Yoongi oder Mean Yoongi?"
„Genial, nicht?" Giggelnd warf Seokjin den Kopf zurück und besaß wenigstens den Anstand, nicht auch noch sein Lachen perfekt klingen zu lassen. „Ist meiner Brillanz eingefallen, als das Gerücht herumging, er werfe lieber Fäuste als Körbe. So schnell war noch nie eines meiner Blätter ausverkauft. Nächsten Monat lasse ich die Exklusiv-Ausgabe drucken, der einzige Unterschied besteht darin, dass ich die Fotos ändere."
„Ein Geniestreich", kommentierte Namjoon ironisch und für einen klitzekleinen Moment erschien es ihm legitim, den Unmut seines besten Freundes über dessen himmelhohe Popularität am Campus in Kauf zu nehmen, wenn der Preis dafür eines von Seokjins breiten, einnehmenden Grinsen war. Er schüttelte spöttisch den Kopf, dann lenkte er das Thema zurück auf die richtige Fahrbahn, bevor er sich wieder auf dem Weg in das sichere Verderben seiner Gefühlswelt verfranzen würde. „Wenn wir schon von Fotos sprechen—Das Team stellt euch für den Artikel neue zur Verfügung. Hoseoks Freund hat sie geschossen und ist damit einverstanden, dass ihr sie verwendet."
Der belustige Zug um Seokjins Lippen verlor seine Wärme, als er die Nase rümpfte. „Davon habe ich gehört", sagte er. „Ein Freshman."
„Nur noch ein paar Tage lang. Er studiert Fotografie, die Bilder sehen wirklich gut aus."
Seokjin zuckte die Schulter, als könnte es ihm nicht egaler sein, ob Kim Taehyung die Fotos geknipst hatte oder ein Kind mit einer KidiZoom. „Wenn ihr euch mit Laienarbeit zufrieden gebt, soll es mir recht sein, steht ja nicht mein Name drunter. Sei so lieb und gib ihm Bescheid, dass er mir die Dateien zukommen lassen soll, ja? Oh, und im ersten Anhieb bitte schon in dem richtigen Format. Wenn ich selbst alles konvertieren muss, streue ich vielleicht noch aus Frustration ein, zwei Gerüchte über irgendwelche Teammitglieder von dir in die nächste Ausgabe."
Namjoon konnte nicht anders als einen Mundwinkel in herausfordernder Manier in die Höhe zu ziehen. Er fand dezidiert zu viel Gefallen daran, herauszufinden, wie subtil er vorgehen musste, um das Geheimnis von Kim Seokjins Flirtkünsten zu erfahren, das schwerer bewacht zu werden schien als die Area 51. „Ach ja? Und wie lauten die?"
„Hm, wie wäre es mit: Kim Namjoon—Vom Star zum Stalker." Theatralisch vollführten seine schlanken Schwanenfinger eine Bewegung in der Luft, die dem Aufziehen eines Vorhangs ähnelte. Seokjin blinzelte ihn keck an. „Verstehst du? Star und Stalker? Jeder Buchstaben Unterschied bedeutet einen Korb, den er kassiert, aber nicht wirft."
Namjoon schmunzelte. „Ich wage zu behaupten, dass meine Trefferquote ziemlich hoch liegt."
Seokjin schnitt eine gequälte Grimasse, während er seine Trinkflasche in der Sporttasche verstaute. „Die Dunkelziffer liegt umso höher, schätze ich."
Er gab sich Mühe dabei, sein Lachen charmant klingen zu lassen. „Gib mir einfach Bescheid, wann du nach einem Training vorbeikommst. Meine Nummer hast du ja, richtig?"
Seokjin gluckste. „Mach so weiter und wir können den Titel um ein paar Adjektive ergänzen." Er knüpfte grinsend sein Trikot auf und Namjoon beeilte sich, in den Umkreis der Tür zu treten, bevor die Röte auf seinen Wangen seinen ganzen Kopf beanspruchen würde.
Wenn jemand Schuld an diesem Desaster, mit dem er seine vergeblichen Avancen für Kim Seokjin definierte, trug, dann war Namjoon sich sicher, dass diese Ehre seinem besten Freund gebührte. Denn es war ja eine grandiose Idee, dem personifizierten Eisblock der Universität eine Kante der Unerreichbarkeit abzuschleifen, wenn man ihn darum bat, ihm sein engelsgleiches Timbre für seine Songs auszuleihen.
Namjoon wusste nicht recht, was anstrengender war—sein Doppelstudium aus Musik und Basketball oder die Annäherungsversuche an Kim Seokjin. Immerhin wusste er eines, namentlich bei welchem Unterfangen mehr Credits auf seinem Zeugnis glänzten, und das konnte ein schwacher Trost sein, wäre das Ego nicht so sehr auf die eigene Abschleppquote gepolt. Mittlerweile musste seines Anabolika nehmen, anders konnte er sich wirklich nicht erklären, warum es einfach nicht begreifen wollte, dass Seokjin und er nicht sein sollten.
Es war Ende Juni und auf dem Parkplatz hinter der Eissporthalle tummelten sich Gesichter, auf denen eigentlich immerzu eine Garantie bestand, seine Laune aus ihrem sensationell melodramatischen Tief zu hieven. Heute allerdings stellten sie sie auf eine Zerreißprobe, denn die engsten seiner Freunde waren vergeben und die schamlosesten von ihnen hielten mit ihrer Gefühlsduselei nicht hinter dem Berg.
„Du bist grausam", schimpfte Taehyung gerade und blickte kopfschüttelnd den Mitgliedern aus Hoseoks Dance Team nach, die mit schmerzerfüllten Mienen über den Parkplatz humpelten. „Ich hab's immer schon geahnt, aber das bestätigt mir wirklich tadellos, dass ich mit einem Sadisten zusammenlebe. Hast du Momo und Sana gesehen? Namjoon-hyung, hast du Momo und Sana gesehen? Nein? Ich auch nicht, wahrscheinlich hat Hoseok ihre Körper entsorgt, weil sie nicht schnell genug vor ihm weggeshuffled sind."
Er ließ sich höchst widerwillig aussehend an seiner Taille in Hoseoks Arme ziehen, der grinsend einen Kuss auf die Schläfe seines Freundes drückte. „Sei dir versichert, dass sie sich im Klaren darüber sind, wie unerbittlich mein Training ist, Tae. Die meisten, jedenfalls. Der Rest lernt fliegen", scherzte er und lachte, als Taehyung stur den Kopf schüttelte. „Außerdem sind Momo und Sana heute nur nicht da gewesen, weil sie in Yejis Homecheer eingesprungen sind, drei Cheerleader sollen erkrankt sein."
„Wen feuern sie an?", erkundigte Yoongi sich, lässig an die Fahrertür seines schwarzen Mercedes gelehnt und auf seinem Handy tippend. Seine Körpersprache verriet oftmals mehr als Worte—wenn er mit beiden Händen textete, dann nur, weil er es nicht abwarten konnte, die Sexting-Antwort seines Freunds zu erhalten. Einhändig bedeutete, dass sie sich wieder kabbelten und er den Streit nicht über KakaoTalk führen wollte. Namjoon warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu, das Yoongi seufzend erwiderte.
„Das Football-Team", entgegnete Hoseok gelassen, die Hände von hinten um Taehyungs Taille geschlungen, der das Gesicht verzog. Hoseok stimmte grinsend ein. „Für die wäre ich nicht freiwillig eingesprungen, so viel steht fest. Ihr Kapitän ist ein Arschloch."
Yoongi schnaubte amüsiert. „Wie nobel von dir, deine zwei besten Tänzerinnen für ihn zu entbehren."
„Tja, was kann ich sagen? Ich lasse meinen Tänzern den Freilauf, den sie verdienen, ich bin nunmal der bessere Kapitän."
„Und drauf angewiesen, nicht aus ihrer Gunst zu fallen", grinste Namjoon und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie viele gehen nochmal nach dem Sommer? Dann wirst du Auditions abhalten müssen, richtig?"
An der Weise, wie Hoseok die Stirn unter seinem roten, fransigen Pony runzelte, erkannte er, dass er mit seiner Annahme ins schmerzhafte Schwarze getroffen hatte. „Zwei", seufzte er tief und vergrub seine Nase in Taehyungs Halsbeuge. Namjoon konnte nicht so recht abwägen, ob er ihr dauerhaftes Kletten nach fast einem Jahr Beziehung süß oder zum Kotzen fand. „Jeongyeon und Mingi. Die Teilnahmelisten für die Auditions hängen schon im Gym aus. Ich hoffe wirklich, dass der blauhaarige Junge sich noch einmal einschreibt", fügte er seinem von Theatralik angehauchten Monolog murmelnd hinzu, konzentriert auf seiner Unterlippe herumkauend. „Er hat's letztes Jahr schon probiert, da hat's nur an einem Funken von zu wenig Selbstbewusstsein gehapert... Wie auch immer, im letzten August musste ich nur einen Platz besetzen und das war schon... abenteuerlich, drücken wir es so aus."
Taehyung gluckste und lehnte sich breit grinsend gegen Hoseoks Brust. „Oh, ich erinnere mich. Du hast ausgesehen als würdest du wahlweise im Boden versinken oder deinen ersten Mord begehen wollen." Etwas Misstrauisches bewölkte seinen kecken Blick. „Oder den dritten, ich glaube deinen Worten erst, wenn ich sehe, dass Momo und Sana wohlauf sind."
Hoseok schmunzelte und spitzte die Lippen. „Hast du dir etwa damals schon solche Sorgen um mich gemacht, Tae?"
Yoongi zog eine Augenbraue hoch und schoss einen ernüchterten Blick auf das Pärchen ab. „Klar", spottete er und fing Taehyungs zustimmendes Augenrollen auf. „Du bist ihm wochenlang hinterhergelaufen wie ein verlorenes Hündchen, ist doch klar, dass er irgendwann jede deiner Emotionsregungen auswendig kennt."
Seinen rothaarigen Freund behelligte die Wahrheit nicht. Hoseok summte munter und als Namjoon sein verschmitztes Augenmerk auf sich brennen spürte, ahnte er, dass er nicht von dem freundschaftlichen Triezen zwischen ihnen verschont bliebe. „Kannst du dasselbe Lied singen, Joonie?", gluckste Hoseok mit einem breiten, strahlenden Grinsen. „Du hast deine Freistunde wieder auf dem Eis verbracht, wie ich sehe."
Namjoon grinste halbseitig. „Bemerkenswert, dass du durch deine rosarote Brille überhaupt noch etwas sehen kannst, Hobi."
„Ich sag's dir immer wieder, Kim Seokjin ist so kalt wie das Eis, auf dem er fährt. An so jemanden kommst selbst du nicht ran, Joonie, weil er niemanden an sich ranlassen will." Hoseok schüttelte den Kopf und löste seinen Klammergriff um Taehyung, um seine Autoschlüssel aus seiner Hosentasche zu graben. „Aus deinem Spind quellen die Liebesbriefe förmlich über, warum wirfst du nicht einmal einen Blick darein, hm? Oder schau dich in den unteren Jahrgängen um, ernsthaft, Namjoon, du hast so viele Verehrer, du siehst den Wald vor lauter Bäume gar nicht mehr."
„Aber ich will nichts mit jemandem haben, der nicht einmal seinen Kursplan richtig lesen kann. Freshmen und Sophomores sind so... schrecklich unbedarft. Nichts für Ungut, Taehyung." Taehyung zuckte die Schultern und Namjoon fuhr sich seufzend mit einer Hand durchs Haar. „Für eine Nacht oder einmal rummachen reicht's, aber wenn es ernst wird... Ich würde am liebsten jedes Mal wegrennen, wenn einer von ihnen am nächsten Morgen fragt, was das zwischen uns denn nun sei."
Yoongi schnitt eine gequälte Grimasse. „Ein Klassiker", presste er sarkastisch hervor und bedachte seinen Freund mit einem Interesse in seinen Katzenaugen, das Namjoon vermissen ließ, als sie gemeinsam ihre Schlampen-Phase erlebt hatten, und irgendwo behelligte.
Er wollte nicht als derjenige Freund in die Annalen ihrer Clique eingehen, der beziehungsgestört galt und Bindungsängste zu verdauen hatte. Dabei war die längste Beziehung in seinem zweiundzwanzig-jährigen Leben tatsächlich nur eine Freundschaft mit Vorzügen gewesen und selbst die hatte nur sechs Tage überstanden, bevor sein Partner die Reißlinie gezogen hatte, weil er angeblich Gefühle entwickelt hätte. Entweder war er verfickt gut im Bett oder mit zu viel Boyfriend-Material gesegnet worden, denn irgendwie lief gehörig etwas in seinem Liebesleben schief: die Falschen verliebten sich in ihn und die Richtigen zogen einen 60 Meter langen Eisklotz mit Minustemperaturen, bei denen einem die Eier abfroren, seinem Bett vor.
Taehyung blinzelte ihm mitfühlend zu. „Seokjin ist immer noch nicht aufgetaut, huh?"
Namjoon schüttelte den Kopf. Kurz darauf zuckte er vermeintlich indifferent eine Schulter, weil er sich dämlich vorkam, einen Schwarm zuzugeben, den er doch eigentlich gar nicht hatte.
Vom eigenen Unterbewusstsein verraten; was für eine Demütigung.
„Er ist nicht auf der Suche—auf irgendeiner Suche, schätze ich. Nicht einmal 'was Lockeres, solange sein Anwärter nicht aus Kunststoff besteht und legierte Zacken als Füße besitzt", fügte er murmelnd hinzu und entlockte Yoongi ein Lachen. „Und solange ich nicht alle Prinzipien über Bord werfe und um seine Hand anhalte, wird er sich wahrscheinlich auch nicht auf ein Uns einlassen. Was beschissen ist—weil ich gerade so nah an der Bordkante stehe, um einen Blick rüber zu riskieren."
„Dann ist die Sache doch klar." Yoongi schob sein Handy in seine Hosentasche und schaute ihn ruhig an. „Du willst etwas Festes mit Seokjin."
Sein Mund fiel empört offen, weil sein Verstand automatisch die Abwehr mobilisieren und in die sichere Defensive springen wollte. Namjoon war sich sicher, dass er seinen besten Freund anstarrte als hätte dieser ihm mitgeteilt, dass er an einer unheilbaren Krankheit litt. Ihm versagten seine Zunge und sein Wortschatz, auf den er sich eigentlich viel einzubilden pflegte, in einem kläglichen Unisono. Protest über seine eigene unübliche Wortkargheit flimmerte in seiner Kehle auf, drauf und dran, sich mit den Komponenten seines restlichen Körpers, die menschlichem Versagen erlagen waren, anzulegen. Seine innere Zerrissenheit gab ihm Rätsel auf und wie in einem Schutzmechanismus biss Namjoon all die Gedanken, die durch seinen Kopf schwirrten, zurück. Er wollte sich nicht weiter mit seiner verwirrenden Psyche auseinandersetzen und als er Yoongi ein spöttelndes Lächeln zuwarf und dieser das mindestens genauso höhnisch erwiderte, wusste Namjoon, dass er gerade wirklich in sein sicheres Verderben lief.
„Halt den Rand, Min. Seid ihr Samstagabend auch auf Byunghos Party eingeladen?"
Dass er zwei Tage später tatsächlich in den Genuss kommen sollte, wie sich Kim Seokjins vor Kälte blau angelaufene Lippen anfühlen würden, hätte der verzagte Namjoon der Vergangenheit nicht zu träumen gewagt.
Er wusste selbst nicht, wie die Realisierung seines absoluten Glücks zustande gekommen war, das er sich oft schon ausgemalt hatte. Fuck, wie viele Male hatte er eine Recording Session in der Tonkammer abbrechen müssen, nicht weil Seokjin den Ton nicht getroffen hatte, sondern weil er gedanklich gesabbert und nicht aufgepasst hatte? Jedes Mal, wenn Seokjin vor dem Mikrofon stand, wollte er ihn am liebsten gegen die Wand drängen und seine Gefühle in dem Booth einsperren, aufnehmen und wieder abspielen. In der Musik war Seokjin greifbarer als auf dem Eis. Und heute fiel er ihm direkt in die Hände.
Namjoon hatte Seokjin nur von Weitem unter den aufgespannten Lampions auf der Terrasse gesehen und augenblicklich gewusst, dass er sich heute Nacht nicht mehr mit neckischen Kommentaren und zweideutigen Blicken zufriedengeben würde.
Und irgendwie schienen sich seine Schicksalsgötter für ihn erweicht zu haben.
Seokjins Lippen waren genauso plump unter seinen wie er sie sich vorgestellt hatte; schmolzen perfekt in der Hitze, die wie ein besonders gefährliches und heißes Feuer zwischen ihnen entfacht worden war, in ihren stürmischen Kuss hinein. Während er Seokjin küsste, mit seinen Zähnen an seiner Unterlippe nippte und nicht nur ihre Münder miteinander verband, sondern auch sein Herz für die ultimative Zerreißprobe aufgab, realisierte Namjoon überraschend unzeremoniell, dass es immer so geendet wäre—er wäre Seokjin in jedem Universum verfallen, es hätte nie anders kommen können, denn er war so, so schwach für den Jungen, den er gegen die cremefarbene Wand drückte. Seine Hände hielten nicht Seokjin aufrecht, sondern sich selbst und seine weichen Knie, die vor Ehrfurcht für sein Glück zu Boden sinken wollten.
Weil er Kim Seokjin küsste. Seine Rationalität schaltete ab, überließ der Inbrunst und der Angst in ihm die Überhand, die alles in den Kuss hineinlegten. Seokjin zu küssen, fühlte sich an, als besäße man einen Moment lang die ganze Welt, die kurz vor dem Ruin stand.
Namjoon war sich bewusst, dass er mit den leersten Händen und dem leersten Herzen aufwachen würde, wenn er sich von ihm löste.
Deswegen presste er sich noch eine Idee enger gegen den Eiskunstläufer und ließ seine Hände seine Kurven in sein Gedächtnis einprägen, nein, einbrennen. Er wollte nicht vergessen, wie sich sein flacher Bauch unter seinen Fingern anfühlte; wie sein definierter Rücken unter seinem Langarmshirt spannte, seine Muskeln darunter spielen mussten, als Seokjin seine Arme um seinen Nacken legte und leise gegen seine Lippen summte.
Dass er dazu fähig war, Seokjin einen Laut der Befriedigung zu entlocken, pumpte sein Ego zu einer unerträglichen Größe auf.
Er küsste sogar elegant; nicht hitzig und leidenschaftlich, sondern kühl und gefasst auf jeden weiteren Zentimeter, den Namjoon von seinem Adoniskörper erkundete und erobern wollte.
Seokjin war eine Skulptur aus Eis und Namjoon hoffte, dass seine Hände warm genug waren, um sie zum Schmelzen zu bringen.
Seine Fingerspitzen lagen auf der Kurve seines Hinterns, als Seokjin den Kopf zurückzog und sich flach atmend gegen die Wand lehnte; seine geschwollenen Lippen im schummrigen Licht des Wohnzimmers sündhaft vor Speichel glänzend. Namjoon glaubte, dass er noch nie einen schöneren Lippenbalsam auf ihnen schimmern gesehen hatte.
Er fuhr mit der Spitze seiner Nase die sanfte Wölbung seines Wangenknochens nach und atmete tief den Geruch seiner Haut ein; nahm noch einen tieferen Atemzug an seinem schlanken Schwanenhals, als ihn die irrationale Angst beschlich, dass er den Duft vergessen würde. Er roch nach nichts. Eis roch nicht.
Als Namjoon den Blick wieder hob, schien Seokjin etwas aus seinen schweren Lidern herauszulesen, das in den Wogen der Glückseligkeit in seinem Kopf verloren gegangen sein musste. Er presste die Lippen aufeinander, bevor er fast schon belächelnd einen Mundwinkel in die Höhe zog.
„Nein, Namjoon", verließ es so bestimmt und ruhig seinen Mund, dass Namjoon den sanftesten Herzschmerz beinahe kampflos akzeptiert hätte.
„Wieso nicht, Seokjin?", murmelte er mit rauer Stimme, in dem leisen, wohligen Seufzen badend, das Seokjin ausstieß, als er federleichte Küsse auf seiner Kieferpartie hinterließ, die sich wie der Rest seines Gesichts makellos und modelliert anfühlte, wie ein Bauwerk aus Marmor aus dem Antiken Griechenland.
Seokjin erdete den Höhenflug der Schmetterlinge in seinem Bauch überraschend tröstlich. Er legte seine Hände auf seine Schultern, die genauso breit sein mussten wie seine eigenen, und schob ihn sanft aber bestimmt zurück.
„Du weißt, wieso."
„Gib mir nur eine einzige Chance, ich verspreche dir, dass ich dich glücklich machen werde."
Seokjin lachte und Namjoon blickte auf.
„Du wirst mich nicht glücklich machen."
Hätte Namjoon es nicht besser gewusst, hätte er gedacht, dass dem Lächeln um Seokjins Mund ein tragischer Zug anhaftete. Er wusste nicht, ob ihn das trösten sollte.
„Und du würdest dich selbst nicht glücklich machen, das kann ich nicht zulassen. Wir sind nicht füreinander gemacht, Namjoon, wir haben gänzlich andere Vorstellungen vom Leben, andere Ideale-"
„Ich will es mit dir versuchen", platzte es aus Namjoon heraus und wäre er weniger betrunken von seinen eigenen Gefühlen gewesen, hätte es ihn peinlich berührt, wie verzweifelt die Worte aus seinem Mund geschossen kamen.
Seokjin verzog das engelsgleiche Antlitz zu einer kritischen Miene. „Ich brauche niemanden, der es mit mir versucht. Ich will jemanden, der weiß, worauf er sich einlässt."
„Ideale und Vorstellungen und Pläne lassen sich ändern", erwiderte Namjoon und drückte sachte seine Finger in Seokjins Taille. „Nur diese beschissenen Gefühle eben nicht."
„Nicht meine Ideale." Frenetisch benetzte Seokjin seine Unterlippe. „Namjoon, du verstehst nicht-"
„Für dich schon. Du bist es wert, die eigenen Prinzipien zu überdenken."
„Schön. Du wärst bereit, dich für mich zu verbiegen? Die Parties, deine Ungebundenheit, dein Junggesellen-Leben aufzugeben?" Ein düsterer Schimmer lag über Seokjins Augen, aber Namjoon meinte, unter der Wolke des Ernsts fahle Trauer glänzen zu sehen; als bekümmerten ihn die Zukunftspläne, für die sein Herz schlug, selbst. „Ich will nach meinem Studium mit jemandem zusammenziehen, Namjoon, so bald wie möglich. Wir sind zu unterschiedlich. Ich will jung alt werden. Ich brauche wen, der so tickt wie ich; jemand, der sich niederlässt, fest im Leben steht und weiß, was er will, in seiner Karriere und in der Liebe. Kannst du das garantieren?"
Namjoon fühlte sich, als hielte ihm die perfideste Schicksalsironie die Kehle zu. Seokjin stellte ihn vor die ultimative Wahl, lieferte ihm die Chance, nach der er sich seit Monaten verzehrt hatte, auf dem Silbertablett—und seinem Gewissen fiel nichts Besseres ein, als die langen Nächte zu betrauern, die sich zwischen Rauch, Händen und dröhnenden Beats in Tage verwandelt hatten; die Erinnerungen Revue passieren zu lassen, die sich nicht in den Gefilden von Filmrissen verloren hatten; die vielen Lippen, die er erfühlt hatte; die Geburtstage, auf die er sich freute; die Ungewissheit, mit der das Studentenleben trotz seiner Ausrichtung Hand in Hand zu gehen schien, weil er trotz seines Doppelstudiums noch immer nicht den blassesten Schimmer davon besaß, was er aus seinem Leben machen wollte. Ihm standen so viele Türen offen, eigentlich hatte er immer vorgehabt, so viele Knäufe zu öffnen und durch die Türspalte zu lugen wie möglich, bevor er sich mit etwas arrangierte.
Aber Seokjin stand hinter einer und hielt sie für ihn auf—alles, was ihn noch von der Erfüllung einer seiner schönsten Vorstellungen trennte, war ein Schritt; eine Entscheidung.
„Ich weiß, dass ich dich will", versuchte es Namjoon zaghaft.
„Das reicht nicht. Nein", entschied Seokjin leise und presste die Lippen in etwas zusammen, das ein Lächeln sein sollte. „Ich will nicht, dass du dich selbst für jemanden aufgibst. So sollte es nicht sein."
Ungläubig blinzelte Namjoon. „War-Ist das ein Test?"
Er zuckte eine Schulter. „Ich will kein Versuch sein, Namjoon."
Seokjin glitt ihm aus den Fingern und mit ihm erlosch allmählich das Licht, das durch den schmalen Türspalt gefallen war. Panik brodelte in Namjoon auf, eine archaische Angst davor, alles ruiniert und seine erste und letzte Chance auf Glück versaut zu haben. Hilflos drehte er sich um und schämte sich in diesem Augenblick der absoluten, rohen Fragilität nicht dafür, wie laut seine Stimme den Bass in der stickigen Luft übertönte.
„Warum darfst du das entscheiden?", bellte er nicht unwesentlich zu fordernd und ballte seine Fäuste an seinen Seiten; unschlüssig, ob er sich selbst oder dieses unfaire Konzept namens Verliebtheit bekämpfen wollte. „Warum kann ich nicht selbst bestimmen, was ich zu verlieren bereit bin? Ich hab' dir gerade gesagt, dass ich für dich gefallen bin, Seokjin, und du lässt mich einfach so stehen?!"
„Sei ehrlich zu dir selbst. Du bist für eine Vorstellung von mir gefallen, nicht für mich. Wie auch? Du kennst mich doch kaum." Seokjin lehnte im Türrahmen, unbeirrt vom tosenden Partygetümmel um ihn herum; ungerührt wie eine Statue aus Eis und Stein, auf deren marmorner Haut bunte Partylichter so vergänglich aufflackerten wie die Aussichten auf gemeinsames Glück. „Ich will nicht länger mitansehen, wie du dich selbst quälst. In einem anderen Leben vielleicht, Namjoon. In diesem sollen wir nicht sein, ohne dass wir miteinander unglücklich werden."
Lange nachdem Seokjin gegangen war, Namjoon sich in die Hookah-Runde mit Hoseok und Changbin eingeklinkt und in die vollen Lippen und weichen Kurven eines Jungen geflüchtet hatte, sollte er einsehen, dass Seokjin Recht gehabt hatte. Über einer nächtlichen Tasse Tee im August und einem despotischen Eklat zwischen Yoongi und dessen Freund realisierte Namjon mit einem unspektakulären Knall, dass wenn ihn der Gedanke an feste Bindungen bereits verängstigte, er sie vermutlich nicht eingehen sollte.
Und irgendwie war er damit im Reinen.
Seokjin würde vermutlich ewiglich als ein perfektes Trugbild von Bedürfnissen existieren, die durch seinen Kopf spukten und ihn mit Begierden vexierten, die er eigentlich gar nicht verfolgen wollte. Irgendwann wollte auch er sich niederlassen mit jemandem, für den er so viel Hingabe verspürte wie Yoongi für seine Liebe, der mit glasigen Augen und tiefen Ringen darunter auf sein Handydisplay schaute und deren Antwort abwartete. Als sie eintraf, der Bildschirm aufleuchtete und er sie fiebrig las, rannen Tränen über seine Wangen. Sachte streichelte Namjoon über seinen Handrücken.
Das Prinzip von Liebe war einschüchternd, längst nicht so unkompliziert wie Hoseok und Taehyung es darstellten und vermutlich eine Herausforderung, der nur die wenigsten Helden in Märchen wahrhaftig gewachsen waren. Namjoon bewunderte Yoongi für seinen immerwährenden Mut, sich ihr immer wieder aufs Neue zu stellen, obwohl ihre Tücken ihn jedes Mal vor ihrer Übermacht wieder auf die Knie zwängen wollten.
Und er war sich nicht sicher, ob er dieselbe Tapferkeit für etwas aufzuopfern bereit war, das ihm das Herz gebrochen hatte. Er besuchte immer noch gerne die Eiskunstlaufstunden von Seokjins Kader; aber nur als Zuschauer des Sports, nicht von dessen Sportlern. Er ließ Seokjin auch noch gerne seine Songs einsingen und mittlerweile konnte er ehrlich darüber lachen, wenn Seokjin bei Texthängern ins Mikrofon giggelte—und musste nicht vor Hingerissenheit auf seinem Stuhl vergehen und sich ausmalen, wie andere Geräusche aus seinem Mund klingen würden.
(Er tat es immer noch, wenn Pornhub versagte und Yoongi im Zimmer nebenan herzlich wenig Mitleid mit seinem Single-Dasein hatte.)
Namjoon war bereit und freute sich darauf, sein junges, ungeplantes und aufregendes Leben als Aufreißer zu beschreiten, der auf das Schicksal nicht mehr wartete, sondern es passieren ließ, die Beziehungen seiner Freunde amüsiert kommentierte und ihnen eine Schulter zum Anlehnen bot, wenn ebendiese Beziehungen zur Last wurden; lange bevor sie das selbst einsahen.
Noch bereiter war Namjoon allerdings, dieses beschissene letzte Jahr als Junior hinter sich zu lassen, nach dem Sommer in den Vorzügen des Senior-Daseins aufzugehen und das zu tun, wofür er dem Anschein nach geschaffen worden war: flüchtiger Spaß mit Fremden und bleibender Spaß mit seinen engsten Freunden.
Und das war auch gut so.
Dass das Leben andere Pläne für ihn parat hielt, manifestierte sich in Farbklecksen auf Jeans-Latzhosen und braunen Rehaugen, die ihm verträumt dabei nachschauten, wenn er im warmen Septemberregen über den Campus und zurück in die Arme seiner altvertrauten Mentalität lief.
Aber für einen blauhaarigen Tänzer war es in dieser Zeitrechnung noch entschieden zu früh.
- — ❄️🧊⛸️ — -
Ich verbeuge mich vor deinen Charakterisierungen, deinen Konstellationen und ungeschriebenen Ideen—ganz, ganz tief; genauso tief wie Jimin für Yoongi fallen wird, um ihn aus seinem sich hier bereits anbahnenden Loch herauszuholen
Dieser Oneshot von The stars are too loud-Namjin ist wahrscheinlich nichts im Vergleich zu deiner Genialität—aber ich hoffe, er beflügelt dich genug, damit du sicher wieder in Deutschland ankommst ❤️
Falls du uns Samstag am Flughafen nicht ausfindig machst—die mit dem großen Schild und dem dämlichen Grinsen bin ich
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