Sean
Ich schloss die Augen und genoss das Brennen in meiner Kehle, als ich mit den Tequila runter kippte.
»Alter Bro, dein wievielter ist das schon?«, sprach Jan, ein ehemaliger Schulfreund zu mir, doch ich nahm ihn nur wie durch Watte wahr. Genau wie die Bässe, die aus den Boxen wummerten. Ich stellte das Glas auf die Theke und wandte mich an den Barkeeper.
»Noch einen.«, meine Zunge war schwer.
»Nein, Stopp. Das reicht.«, Lena zog mich vom Hocker und ich stolperte gegen sie, wobei meine Hände auf ihren Brüsten landeten.
»Tschuldigung Bro, wollte nicht deine Freundin angrabschen.«, lallte ich und sah Jan entschuldigend an. Doch dieser warf mir nur einen besorgten Blick zu und hakte sich bei mir unter. Er brachte mich zusammen mit Lena vor die Tür, wo ich erst einmal den gesamten Mageninhalt auskotzte.
»Was ist nur los mit ihm?«, hörte ich Lena fragen.
»Vielleicht hat das irgendetwas mit dieser Alea zutun, von der er uns letztes Mal erzählt hat?«, fragte Jan.
»Aber mit der war er doch nur befreundet, dachte ich.«, stellte Lena fest.
Ich blickte hoch. »Das dachte sie auch.«, ich lachte bitter. »Scheiß Gefühle.« Ich trat wütend gegen den Mülleimer vor mir und gerat ins Taumeln. Jan fing mich auf.
»Okay, es wird Zeit nachhause zu fahren, Kumpel.«, Jan zerrte mich zu seinem Auto.
Alea
Die Feiertage vergingen, ohne dass ich viel davon mitbekam. Ich verkroch mich die meiste Zeit in meinem alten Kinderzimmer.
Lediglich an Heiligabend zerrte mich Mom ins Wohnzimmer, wo bereits Geschenke unter dem Baum lagen und sie den Tisch für uns beide gedeckt hatte. Doch trotzdem das Essen wirklich lecker war, bekam ich kaum etwas runter. Auch sprach ich nicht viel und Mom bedachte mich mit einem besorgten Blick. Doch sie fragte nicht nach. Sie kannte mich einfach zu gut und wusste, ich würde mit ihr reden, wenn ich bereit dazu war.
Silvester kam und auch, wenn ich weiterhin am liebsten im Bett geblieben wäre, wusste ich, ich würde wie immer ins neue Jahr starten. Ich wollte mir mein jährliches Ritual mit Mom nicht nehmen lassen. Es war Zeit für einen Neustart.
Also warf ich mich in ein roséfarbenes Paillettenkleid mit Fledermausärmeln, definierte meine Wellen und schminkte mich.
Mom machte große Augen, als ich anschließend ins Wohnzimmer kam.
»Wow.«, meinte sie und lächelte. Ich erwiderte ihr Lächeln.
Nachdem wir gegessen hatten, holte Mom unsere Silvester Tüte hervor. Das war eines unserer Rituale. Jedes Silvester schrieben wir unsere Vorsätze auf, lasen die des letzten Jahres und sprachen darüber.
Sie reichte mir meine Liste von letztem Jahr. Ich klappte den Zettel auf und lass die Punkte der Reihe nach vor. Wir schwelgten in Erinnerungen und lachten, während wir diskutieren, ob ich meine Vorsätze eingehalten hatte.
Schließlich kam ich bei meinem letzten Punkt an.
8.: Ein Studium anfangen, was mir Freunde bereitet.
Ich schluckte. Das Lachen wich mir aus dem Gesicht.
»Den Vorsatz kannst du abhaken, oder?«, Mom lächelte mich an und ich wollte gerade ein Lächeln aufsetzen und nicken, doch dann erinnerte ich mich an Seans Worte.
Du möchtest lieber nie wissen, ob du eine berühmte Fotografin hättest werden können, wenn du den Mut dazu gehabt hättest, als den Versuch zu wagen und möglicherweise zu verlieren. Aber anstatt dir deiner Angst bewusst zu werden, schiebst du die Schuld auf deine Mutter, die wahrscheinlich einfach nur möchte, dass du glücklich bist.
Hatte er etwa recht? Will Mom wirklich nur, dass ich glücklich bin? Mache ich mir einfach die ganze Zeit nur selber etwas vor, um nicht enttäuscht zu werden?
Ich schaute Mom an und atmete einmal tief durch, ehe ich das nächste Wort aussprach.
»Nein.«, Nein, so ein einfaches Wort und dennoch fiel es mir so schwer, es auszusprechen.
»Nein?«, wiederholte Mom.
Ich schaute verlegen auf die Tischplatte. »Das Studium macht mir überhaupt keinen Spaß, Mom. Ich möchte etwas mit Fotografie machen.«
»Okay«
Ich schaute verwirrt hoch. »Was?«
»Okay, aber warum hast du nicht früher etwas gesagt?«
Ich biss mir auf die Lippe. »Ich dachte, dass du möchtest, dass ich etwas studiere, womit ich eine Zukunft habe.«
»Und die hast du mit Fotografie nicht?«, Mom runzelte die Stirn.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Alea, ich möchte, dass du glücklich bist und wenn Fotografie dich glücklich macht, dann unterstütze ich dich bei deinem Weg. Egal wie holprig er ist. Du bekommst das hin.«, sie kam zu mir und nahm mich in den Arm.
Mir kamen die Tränen und ich schmiegte mich an sie während sie mir sanft über den Rücken strich. Es fühlte sich so gut an, dieses Gespräch hinter mir zu haben. Mir war eine große Last von den Schultern gefallen.
»Dann wollen wir mal unsere Vorsätze fürs kommende Jahr aufschreiben.«, Mom löste sich von mir und reichte mir lächelnd Zettel und Stift.
Ich wollte gerade ansetzten, da wanderten meine Gedanken zu Sean. Wie er wohl sein Silvester verbrachte? In mir stieg der Wunsch auf, bei ihm zu sein und ich versuchte mir auszumalen, wie das nächste Jahr ohne ihn verlaufen würde. Wenn ich mein Studium abbrach, würde ich wahrscheinlich auch nicht mehr in Manibell sein. Wir würden uns also nicht einmal mehr zufällig über den Weg laufen. Stellte ich mir so wirklich das nächste Jahr vor? Die nächsten Jahre?
Mir kamen wieder einmal die Tränen und ich ließ meinen Stift auf das Blatt sinken. Ich konnte meine Vorsätze nicht aufschreiben. Nicht, bevor ich das mit Sean geklärt hatte.
»Mom?«, ich schaute zu ihr rüber. »Wie komme ich am schnellsten nach Hamburg?«
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