1

Alea

Wahrscheinlich sehe ich gerade aus wie der letzte Volltrottel, dachte ich als ich durch Manibell hetzte.

In meiner linken Hand mein riesiger Koffer, natürlich in blau, meiner Lieblingsfarbe. In der Rechten mein Handy, auf dem der Weg zur Uni abgebildet war.

Außerdem versuchte ich noch meinen Kaffee irgendwie zu balancieren, den ich mir nach meiner Ankunft sofort geholt habe. Für mich gab es nichts besseres als einen Cappuccino, am besten noch von Dunkin' Donuts, aber darauf musste ich vermutlich erst einmal verzichten. Ich glaubte nicht, dass es Dunkin' Donuts in Manibell gab.

Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ich das Schild mit der richtigen Bahn sah.

Schnell schlängelte ich mich durch die Menschenmasse, die sich in den schmalen Gängen des Bahnhofs gestaut hatte und stand schließlich am Bahnsteig der U-Bahn.

Man, war das eine schwierige Geburt.
Man könnte ja meinen, in einer Kleinstadt mit etwa 14 000 Einwohnern, kennt man den Begriff Menschenmasse nicht, aber wenn haufenweise Studenten gleichzeitig anreisen, sieht das anscheinend anders aus.

Aber was wunderte mich das? Immerhin hatte diese Kleinstadt sogar eine eigene U-Bahnstrecke. Genau genommen bestand diese zwar aus nur drei Stationen. Manibell Hauptbahnhof, Manibell Zentrum und Manibell Campus. Dennoch, welche Kleinstadt hat das schon?

Der elektronischen Anzeigetafel entnahm ich, dass die Bahn in zwei Minuten kam. An meinem Kaffee schlürfend kam ich das erste mal so richtig dazu, mir Manibell genauer anzusehen.

Naja besser gesagt, den U-Bahn Tunnel von Manibell. Dennoch ließ ich meinen Blick langsam über alles schweifen, guckte mir jede Person genau an – eine Angewohnheit von mir – und blieb schließlich an einem eisblauen Augenpaar, direkt vor mir hängen.

Meine Fotografie-Augen sahen natürlich schon die ganzen wunderschönen Fotos, die man von diesen Augen machen könnte. Oder eher von der Person, der diese Augen gehören, stellte ich fest, als ich den gutaussehenden jungen Mann sah, der vor mir stand.

Er könnte praktisch direkt aus einem Modemagazin entsprungen sein. Seine graue Anzugshose, die paar Strähnen, die aus seinem sonst perfekt gestyltem dunkelbraunem Haar heraus fielen und das hochgekrempelte Hemd ließen ihn ordentlich, sexy und verdammt attraktiv gleichzeitig aussehen. Wow. Mehr fiel mir dazu nicht mehr ein.

Glücklicherweise fuhr gerade der Zug ein, was mich zurück in die Realität holte. Du bist hier, um zu studieren und dich nicht von dem erstbesten Typen hypnotisieren zu lassen, Alea Seidel, dachte ich, unwissentlich, wie schwer mein Vorhaben noch werden würde.

Sean

Beeil dich

Ich wollte am liebsten die Augen verdrehen, als ich Henrys Nachricht auf meinem Handy sah. Diese Nachricht schickte er mir bereits seit einer halben Stunde immer und immer wieder, als könnte ich die Züge irgendwie beschleunigen.

Die U-Bahn Türen gingen auf und ich steckte schnell mein Handy weg. Ich musste schmunzeln, als ich die junge Frau vor mir sah, welches gerade in die Bahn stieg und dabei versuchte, ihren Kaffee aufrecht zu behalten und trotzdem noch ihren Koffer in die Bahn zu bekommen. Gerade wollte ich sie fragen, ob ich helfen kann, aber da war sie schon im Zug verschwunden.

Auch ich quetschte mich hinterher. Eine Sache, die ich während meiner Zeit zuhause definitiv nicht an Manibell vermisst habe, waren die ganzen Studenten, die alle gleichzeitig aus ihren Ferien zurück kamen. Wieder vibrierte mein Handy. Genervt zückte ich es.

Henry: Seaaaannnnnnnnn

Ich: Es ist ja lieb, dass du mich so vermisst, aber ich kann die Bahn auch nicht beschleunigen.

Henry: Manno, das Zimmer ist so leer ohne dich.

Ich: Dann lade dir doch einen Kerl ein.

Henry: Was hat der Sommer mit dir gemacht? Sonst hast du mich immer angeschrien, wenn ich einen Typen in unser Zimmer gebracht habe.

Ich: Das war einmal! Und nur, weil ihr es in meinem Bett getrieben habt ...

Henry: Das stimmt garnicht.

Henry: Wir haben uns nur geküsst.

Ich: IHR HABT EUCH BEREITS AUSGEZOGEN!

Henry: Nein ...

Ich: DOCH!

Henry: NEIN!

Ich: Henry!

Henry: Schon gut, du hast ja recht. Aber jetzt beeil dich.

♡ ♡ ♡

Gefühlte hundert Stunden später stand ich endlich endlich vor meinem Wohnheimzimmer. Gerade kramte ich meine Schlüsselkarte aus meiner Tasche, da wurde die Tür auch schon aufgerissen. Ein rothaariger Lockenkopf strahlte mir entgegen.

»SEANY BABY«, rief Henry und umarmte mich stürmisch. Augenrollend erwiderte ich die Umarmung.

»Ich habe dich ja so vermisst!«, sagte ich ironisch und schob ihn beiseite, um meine Sachen zu meiner Zimmerhälfte zu stellen.

»Tu nicht so, als hättest du mich nicht lieb. Ich weiß, dass du mich gern hast.«, schmollte Henry.

»Ach ja?«, fragte ich. Ich zog meine Wasserflasche aus meiner Tasche und trank einen Schluck, um mich von der vollen und stickigen Bahn zu erholen.

»Ja.«, sagte Henry und ließ sich auf den Boden fallen. Er umschlang seine Beine mit den Armen. Dann wanderte sein Blick an mir auf und ab.

»Hast du eigentlich noch etwas anderes, als diese dämlichen Schnöselklamotten?«, er rümpfte die Nase.

»Ja.«

»Ja schwarze T-Shirts...«, er verdreht die Augen.

»Und?«

»Ach stimmt, das ist ja dein "Style"«, wieder rümpfte er die Nase. »Sowas kannst auch nur du Style nennen. Das hier nennt man Style.«, er deutete auf sein T-Shirt, auf dem unzählige Alligatoren abgebildet waren. Wahrscheinlich ist es neu, denn die meisten von Henrys Klamotten sind mit Farbe bekleckert, aus seinen Kunstkursen.
»Das ist etwas eigenes. Dein Outfit hingegen ist absolut langweilig und viel zu ordentlich.«, er rümpfte die Nase und ließ sich auf den Rücken fallen. Nun lag er da wie ein Seestern.

»Du kannst mir ja eines von deinen Alligatoren Oberteilen geben, oder noch besser, das eine mit Winnie Pooh.«, erwidere ich.

»Oh ja! Kleinen Moment.«, er setzte sich abrupt auf.

»Das war ein Scherz, Henry«, lachte ich.

Henry warf mir einen bösen Blick zu und ließ sich wieder auf den Rücken fallen.

»Manno«, murmelte er. »Hätte bestimmt gut an dir ausgesehen«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top