Kapitel 28.
Rie POS:
Es war kalt.
Ich wachte auf, weil ich vor Kälte zitterte. Dicke Nebelschwaden krochen über den Boden, wie Geister auf der Suche nach neuen Opfern drang die Kälte, die von ihm aus ging, durch meine Kleidung und hinterließen ein Gefühl von Beklommenheit und Trauer.
Es war zwar morgen, doch durch die dichten Blätter kam kaum ein Sonnenstrahl.
Ich schlang die Arme um meinen Körper, rappelte mich auf und sah mich um.
Lúcca war verschwunden, ich war völlig allein.
Egal, in welche Richtung ich mich wand, das Einzige was ich sah war finsterer, kalter, von Nebel umhüllter Wald.
Das Feuer, das wir gestern entfacht hatten, war längst erloschen und alles was geblieben war, war kalte Asche.
Immer noch fröstelnd, versuchte ich Lúcca zu erspüren, doch nichts, es war als hätte der Nebel seine Existenz verschluckt.
„Lúcca?" rief ich, bekam jedoch keine Antwort. 'Lúcca?' Versuchte ich seine Gedanken zu rufen, doch wieder keine Antwort.
Allmählich setzte ich mich in Bewegung und fing an zu suchen. Stunden lief ich durch den Wald und suchte vergebens nach einer Spur.
Langsam machte ich mir Sorgen und beschloss nach Hause zu gehen, um zu sehen ob er dort war.
Vor dem großen Haupttor angekommen, ging ich hinein und machte mich sofort auf den Weg zu Baba-chi's Haus.
Unterwegs kam ich an einigen Dorfbewohnern vorbei, doch etwas war komisch, ihre Blicke hatten sich verändert.
Normalerweise, wenn ich die Straßen entlang ging sah ich überall fröhliche Gesichter, jeder redete mit jedem, es wurde gelacht und gescherzt, doch heute war nichts davon zu sehen. Alle wirkten in sich gekehrt, kein Gelächter, keine Fröhlichkeit, nur Stille und finstere Blicke.
Ich kam an dem Haus von Tantchen Ru vorbei und wie immer saß sie auf der Bank direkt davor.
Erleichtert, wenigstens ein freundliches Gesicht zu sehen ging ich auf sie zu, doch meine Hoffnung wurde schnell zunichte gemacht.
Tantchen Ru sah von ihrem Strickzeug auf. „Was willst du hier?" sagte sie kalt.
Ich zuckte zurück, so hatte ich Ru noch nie gesehen, aller Glanz und Wärme war aus ihren Augen gewichen.
„Tantchen Ru, was ist hier los? Was hast du?" sagte ich, ging auf sie zu und streckte die Hand nach ihr aus, doch diese sprang auf und schlug meine Hand weg.
„Fass mich nicht an!" zischte sie und funkelte mich an, ihre Stricknadeln angriffslustig in der Hand.
„Was soll das? Was ist nur mit dir los, Tantchen Ru? Ich bin's, Rie. Erkennst du mich den nnicht?" fragte ich sie verzweifelt.
„Natürlich erkenne ich dich. Du dreckiger, kleiner Mensch!" fauchte sie.
Ich stutzte und wich etwas zurück, aus dem Augenwinkel sah ich wie sich einige der Dorfbewohner auf uns zu bewegten und anfingen uns zu umzingeln, alle funkelten mich aus kalten Augen an.
„Was hast du gesagt?" fragte ich sie verwirrt, verdoppelte jedoch meine Aufmerksamkeit, um schnell reagieren oder agieren zu können.
Der Kreis um uns zog sich immer enger und ich spannte sämtliche Muskeln an.
Ein leises Murmeln war zu hören und Ru kam langsam auf mich zu.
„Du hast hier nichts verloren! Du bist nur ein wertloser, kleiner, erbärmlicher Mensch! Du gehörst nicht zu uns! Verschwinde!" Während sie sprach wurde ihre Stimme immer lauter, den letzten Teil schrie sie und die Menge stimmte mit ein.
„Verschwinde! Verschwinde! Verschwinde! ..." wiederholten sie ihren monotonen Sprechgesang und kamen mir immer näher.
Ich wich einigen Händen und Klauen aus, die nach mir greifen und mich packen wollten.
'Verdammt! Was ist hier los? Was mach ich nur? Wie komm ich hier weg, ohne sie zu verletzten?'
Eine weitere Hand griff nach mir, ich duckte mich unter ihr durch und nutzte eine Lücke zwischen den Leuten, um aus dieser unheilvollen Enge zu entkommen und weiter den Berg hinauf zu rennen.
Ich rannte immer weiter, ohne mich umzusehen, bis ich am Haus ankam und die Tür aufriss.
„Baba-chi!" schrie ich außer Atem, erhielt jedoch keine Antwort.
„Baba-chi, wo bist du? Tsuki? Koga?" rief ich und suchte das Haus nach ihnen ab.
Als ich in die Küche kam, sah ich sie am Küchentisch sitzen, zusammen mit Tsuki, Koga und den Zwillingen.
„Leute! Den Göttern sei Dank, ich hab euch gefunden! Wisst ihr was mit den Leuten aus dem Dorf los ist? Und habt ihr Lúcca gesehen?" Sie sagten kein Wort und sahen mich nicht an.
Langsam ging ich auf sie zu Leute, was habt ihr?"
„Keinen Schritt weiter!" fauchte Baba-chi, ich blieb wie angewurzelt stehen und sah sie entsetzt an.
Bis zu diesem Zeitpunkt, hatten sie mich nicht angesehen, doch jetzt hoben sie die Köpfe und wandten mir ihre Blicke zu. Sie waren genauso kalt und leer, wie die Augen der Dorfbewohner.
„Wie kannst du es wagen hier her zu kommen?" sagte Baba-chi.
„W-was?" stammelte ich nur und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.
„Hätte ich dich damals doch einfach da gelassen wo du warst! Ich hätte dich niemals mitnehmen sollen, dann wäre das alles niemals passiert! Du bist keine von uns und wirst auch nie eine von uns sein!"
„Baba-chi, wovon sprichst du? Was ist den passiert? Wo ist Lúcca?" fragte ich und sah sie einfach nur fassungslos an.
„Lúcca ist tot! Und du bist Schuld!" brüllte Tsuki und ihre roten Augen leuchteten gefährlich.
„Was redest du da? Das kann nicht sein! Wir waren zusammen auf diesem Auftrag und dann..." Weiter kam ich nicht, Baba-chi fiel mir ins Wort.
„Ist Lúcca deinet wegengestorben! Er ist tot und du lebst!" Ihre Augen waren so kalt wie das Eis, dessen Farbe sie hatten.
Ich fasste mir an die Brust und versuchte Lúcca über meinen Drachenherzkristall zu spüren, doch es war als wäre dort ein Loch, das sich unaufhörlich ausbreitete.
Koga und die Jungs standen auf und kamen auf mich zu.
„Wir wollen jemanden wie dich hier nicht haben!" sagte Koga und ballte die Fäuste.
„Jemanden wie mich? Was meinst du?" fragte ich irritiert.
„Einen Menschen!" spuckte er mir regelrecht entgegen und sah mich hasserfüllt an.
Nun mischten sich die Zwillinge ein. „Du bist nicht mehr unsere große Schwester, wir mögen dich nicht mehr. Du gehörst nicht zu uns." sagten sie im Chor.
„Verschwinde von hier und lass dich nie wieder blicken! Oder wir werden dich töten!" zischte Baba-chi.
Sie und Tsuki waren nun auch aufgestanden und kamen, so wie Koga auf mich zu.
„Tötet sie! Tötet sie! Tötet siiiiie!" brüllten sie nun im Chor.
Ich spürte wie mein Herz in tausend Splitter zersprang.
Sie kamen immer weiter auf mich zu und drängten mich zurück, aus der Küche und aus dem Haus. Draußen kamen noch die anderen Dorfbewohner hinzu und stimmten in den Chor mit ein.
„Tötet sie! Tötet sie!..."
Verzweifelt sah ich in die vor Hass verzerrten Fratzen um mich herum, nichts von den liebevollen Gesichtern, die mich einst aufgenommen hatten war noch übrig.
Das kalte Grauen packte mich, ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte davon, immer die keifenden Stimmen meiner Familie im Ohr.
Im Laufen öffnete ich ein Tor, ich wollt nur noch weg von hier.
Einen Augenblick später stand ich vor dem Gildentor. Immer noch den Schreck im Nacken und um Fassung ringend griff ich nach dem schweren Eisengriff des Tores und öffnete es.
Drinnen empfing mich eine ungewöhnliche Stille. Kein Geschrei, kein Lachen, alle saßen an den Tischen und tuschelten miteinander.
Als ich eintrat verstummten sie und sahen mich an, es jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
„Hey, Leute!" grüßte ich vorsichtig lächelnd in die Runde.
Ani stand auf und schritt langsam auf mich zu. „Ani-chan, wie geht es dir?" sagte ich und wollte auf sie zu gehen, blieb aber sofort, wie vom Donner gerührt stehen.
Ani stand plötzlich in Flammen und auch die Anderen erhoben sich und kamen hinzu.
„Was habt ihr?" fragte ich, mit einer bösen Vorahnung.
„Wir haben beschlossen, dass wir dich hier in der Gilde nicht mehr haben wollen! Du bist keine von uns mehr! Ich enthebe dich hiermit all deiner Ämter und verbanne dich aus der Gilde PhönixHeart!" rief sie, hob die Hand und augenblicklich fing mein Gildenzeichen an zu leuchten und verschwand.
Entsetzt sah ich erst sie, dann meine Schulter an, auf der eben noch das Zeichen des Phönix zu sehen war.
„Aber was hab ich euch getan?" fragte ich und konnte nur mit Mühe verhindern, dass meine Stimme zitterte.
„Du hast nichts getan." kam es auf einmal von Luana, die neben mich getrennten war. „Du bist einfach nur du." sagte sie und lächelte mich an.
„Wie bitte?" gab ich verwirrt zurück.
„Du bist kein richtiger Mensch mehr, aber auch kein geborener Drache. Du bist nichts. Und ein Nichts, wollen wir hier nicht haben." sagte sie immer noch lächelnd und dieses Lächeln war schmerzhafter als alles andere.
„Ganz genau, du gehörst nicht zu uns und deswegen: Verschwinde!" sagte Ani und loderte noch heller auf. Die Anderen stellten sich hinter ihr auf und stimmten mit ein.
„Verschwinde! Verschwinde!..."
Mein Herz schmerzte entsetzlich und ich wich zurück, drehte mich abermals um und rannte aus der Gilde.
Ich rannte und rannte, immer weiter in Richtung Wald, ohne zu wissen wohin ich eigentlich lief. Es war mir auch egal, ich wollte einfach nur weg, weg von allem und jedem, den ich zu lieben geglaubt hatte.
Es tat so unglaublich weh, als würde mir bei lebendigem Leibe das Herz heraus gerissen.
Ich lief, bis es nicht mehr weiter ging und an der Kante einer gewaltigen Schlucht stehen blieb; ich wusste gar nicht, dass es hier so eine Schlucht gab.
Es war, als blickte ich gerade Wegs in das Maul eines gewaltigen Monsters, das mich bei einem falschen Schritt zu verschlingen drohte. Ein imposanter Wasserfall donnerte tosend hinab in sein finsteres Grab ohne Hoffnung, jemals wieder das Tageslicht zu erblicken.
In meinem Kopf drehte sich alles, nichts ergab einen Sinn. Ich zitterte am ganzen Körper und meine Beine gaben nach, so sackte ich einfach in mich zusammen und starrte in den bodenlosen Abgrund.
Tausend Gedanken und Erinnerungen schossen mir durch den Kopf, Erinnerungen an meine Familie, die Leute aus der Gilde und Lúcca...
Er konnte nicht tot sein, das konnte einfach nicht sein! Ein Leben ohne ihn, konnte und wollte ich mir einfach nicht vorstellen!
'Lúcca... Wo bist du nur? Ich brauche dich dringender denn je...'
Schwache Erinnerungen an die Zeit bevor ich ein Drache wurde kamen in mir hoch.
An viel konnte ich mich nicht mehr erinnern, ich war ja auch noch sehr klein und es ist nun auch schon einige Jahrhunderte her. Aber was ich noch weiß ist, dass man mich davon gejagt hatte, ich war unerwünscht und keiner hat um mich eine Träne geweint.
Dieses Gefühl, nicht gewollt zu sein, nicht dazu zugehören, dieses Gefühl der Einsamkeit, war einfach schrecklich.
Das wollte ich nie wieder erleben, doch genau das, breitete sich gerade in mir aus und vergiftete meinen Geist und mein Herz.
'Wie oft kann ein Herz brechen, bevor es zerspringt?'
Zusammengekauert legte ich mich auf die Seite und fing, zum ersten Mal seit Jahren an zu weinen.
Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, versiegten die Tränen und alle die aufgewühlten Gefühle, die mich quälten verschwanden und wichen einer absoluten Leere.
Ebenso leer, kalt und endlos wie der Abgrund, an dessen Kante ich lag, an dem ich mich nun aufrichtete und mit leerem Blick hinein starrte.
'Wenn ich nun einfach verschwinden würde, würde es keiner bemerken...und auch keinen interessieren...
Es wäre wohl... das Beste...'
Langsam stand ich auf und näherte mich immer mehr der Kante...
'Nur noch ein kleiner Schritt...' Flüsterte eine Stimme, leise in mein Ohr...
Lockend und zugleich bedrohlich spürte ich den Sog des Abgrunds...
Ich lehnte mich immer weiter nach Vorne, bis meine Füße keinen Grund mehr fanden, ich schloss die Augen und fiel...
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