Kapitel 9

Tiefgrüne Augen blickten in meine und in diesem Moment war ich mir sicher, dass er meine Gedanken lesen konnte, so intensiv war sein Blick. Seine vollen braunen Haare waren wieder im Undone-Look gestylt, der von einem lässigen T-Shirt und dunkler Jeans abgerundet wurde. Alles an seinem Auftritt schrie nach Coolness. Diesen Mann hätte ich immer und überall wiedererkannt.

"Ich wusste doch, dass wir uns bald wiedersehen würden, Micina."

Seine tiefe Stimme klang melodisch und die wirklich merkwürdige Frage, wie sie erst klingen mochte, wenn er singen würde, kam mir in den Sinn. Ich spürte die Röte in meine Wangen steigen und blickte ertappt zu Boden. Tatsächlich war es noch nie meine Art gewesen, irgendwelchen Typen hinterher zu schmachten, doch ich ertappte mich dabei, wie ich bei ihm eine Ausnahme machte. Immerhin gab es etwas, das mich nicht im Stich ließ, wofür ich wirklich dankbar war. Mein Sarkasmus!

"Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber du hast mir ja nicht deine Adresse hinterlassen, um mir die Suche nach dir zu erleichtern!"

Das Lächeln seiner vollen Lippen wurde immer breiter, bis er schließlich anfing zu lachen. Ich selbst musste mein Lachen unterdrücken, denn selten war mir so schnell ein so guter Konter eingefallen. Stattdessen verschränkte ich meine Arme vor der Brust und blickte ihn mit gespielt verengten Augen an.

"Lachst du mich etwa aus?", fragte ich gespielt empört.

Sein Lachen wurde wieder zu einem Grinsen und gespielt getroffen symbolisierte er mir, dass ein Pfeil sein Herz getroffen hatte. Italiener schienen wohl wirklich gerne ihre Gefühle mithilfe von Gesten auszudrücken.

"Ein Gentleman wie ich würde es doch niemals wagen, solch eine wunderschöne Frau auszulachen."

Ich lächelte und rollte zeitgleich mit den Augen. Was für ein Charmeur!

"Aber natürlich nicht. Ein Gentleman würde stattdessen eine Frau herein bitten und sie nicht draußen vor der Tür stehen lassen."

Es folgte erneut die Geste mit dem getroffenen Herzen. Mein Wink mit dem Zaunpfahl hatte wohl gefruchtet, da er endlich von der Tür wegtrat und mir mit einer Handbewegung bedeutete, hineinzukommen, nicht aber ohne vorher zu sagen:

"Micina, du machst mich fertig!"

Ich konnte nicht zuordnen, ob diese Aussage an mich gerichtet war, oder eher an ihn selbst. Nichtsdestotrotz quittierte ich dies mit einem Grinsen und in Gedanken klopfte ich mir selbst auf die Schulter. Nichts und niemand konnte mich aus dem Konzept bringen. Auch nicht ein, zugegebenermaßen, wahnsinnig gut aussehender Italiener. Ich musste mir unbedingt merken, was ich zu ihm gesagt hatte, um es später Suz am Telefon erzählen zu können. Sie meinte ja schließlich, dass ich viel zu wenig flirtete. Haha, Suz, da siehst du mal, wie falsch du liegst!

Ich freute mich jedoch zu früh über die Coolness, die ich gerade an den Tag gelegt hatte, denn sobald ich das Innere des Hauses erblickte, blieb ich schlicht und einfach mitten im Eingangsbereich stehen und musste mich zusammenreißen, meinen Mund geschlossen zu lassen. Der Boden bestand aus Marmor im Schachbrettmuster und die Mitte des Raumes wurde von einer enormen Skulptur einer griechischen Göttin, die sehr antik aussah, eingenommen. Zwei mit Gold verzierte Treppen führten in die nächste Etage, von dessen Galerie man sicherlich einen wunderbaren Blick auf den Eingangsbereich hatte. Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass man hier, auf dieser Treppe, einen unvergesslichen Auftritt hinlegen konnte. Plötzlich fühlte es sich falsch an, hier zu sein, und ich schämte mich, mir nicht doch mehr Mühe mit meinem Aussehen gegeben zu haben.

Diese Vorahnung bestätigte sich, als plötzlich eine wunderschöne große blonde Frau um die Ecke kam und die Treppe hinunterstieg. Ihre Haare waren professionell gewellt und reichten ihr bis zu ihrer Hüfte. Das Kleid, das sie trug, bestand aus weißer Seide und es brauchte keinerlei Fantasie, um zu wissen, dass sie perfekte Proportionen aufwies. Ein Teil von mir hasste sie für ihre gottgegebene Schönheit, ein anderer Teil wollte so sein wie sie. Außerdem konnte ich nicht aufhören mich zu fragen, wie sie es bloß schaffte, in diesen monströsen High Heels nicht die durchaus glatt aussehende Treppe hinunterzufallen. Ihr Blick glitt wissend von mir zu der Person hinter mir, auf die sie langsam zuschritt. Als sie schließlich eine Hand auf seine Brust legte und ihm mit ihren vollen Lippen einen durchaus eindeutigen Kuss auf die Wange drückte, wurde mir schlecht. Hatte ich vor nicht weniger als einer Minute mit einem vergebenen Mann geflirtet? Noch schlimmer war jedoch das Gefühl, das sich daraufhin in mir einnistete. Das Gefühl, nicht genug zu sein - nein, sogar niemals genug für so einen Mann wie ihn zu sein.

Bevor ich mich vollkommen blamierte, lächelte ich mein strahlendstes Lächeln und sah der Frau direkt in ihre himmelblauen Augen. Sie lächelte zurück, sah schließlich jedoch zu ihrem Freund, den sie in perfektem Britisch fragte:

"Schatz, wer ist das?"

Ich verspürte den Drang, überaus freundlich zu dieser Frau zu sein, was wahrscheinlich daran lag, dass ich erst vor Kurzem ihren "Schatz" angeflirtet hatte, und übernahm schließlich selbst das Reden. In diesem Moment war ich sehr froh, alle meine Lieblingsserien in ihrer Originalsprache gesehen zu haben und hoffte, mich nicht allzu sehr zu blamieren.

"Hi, ich bin Cassie. Freut mich, dich kennenzulernen."

Ich hielt ihr meine Hand entgegen. Prompt lag eine perfekt manikürte Hand in meiner. Sie war mindestens einen Kopf größer als ich und das trotz meiner nicht gerade geringer 1,70 m. Neben ihr würde sich wahrscheinlich jede Frau wie ein Bauerntrampel vorkommen.

"Ich bin Elise."

Elise schien wirklich eine liebenswerte Person zu sein und ich hasste mich für den anfliegenden Neid deshalb. Irgendwie hatte ich erwartet, dass sie ziemlich oberflächlich sein und mich direkt verurteilen würde, doch dem war nicht so. Sie wand sich von mir ab und sah schließlich wieder zu dem schönen Italiener. Da fiel mir auf, dass ich seinen Namen überhaupt noch gar nicht kannte.

"Schatz, ich muss jetzt los!"

Daraufhin folgte die wahrscheinlich romantischste Kussszene, die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Bevor ich jedoch den Anstand hatte, ihnen ihre Privatsphäre zu geben, war der Kuss auch schon vorbei. Elise schlenderte zu einem Koffer, der vor der Tür stand und den ich vorher nicht bemerkt hatte. Bevor sie das Haus verließ, warf sie ihrem Freund einen Kuss entgegen und sagte schließlich an mich gerichtet: "Es war schön, dich kennenzulernen, Cassie!"

Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, war sie bereits aus der Tür getreten.

Plötzlich wurde mir die drückende Stille bewusst, die zwischen mir und dem Fremden entstanden war. Ich sah überall hin, nur nicht zu ihm. Ich konnte ihm einfach nicht mehr in die Augen sehen. Das Schlimme war jedoch, dass auch er nicht die Stille unterbrechen konnte - oder wollte. Die Stille wurde schließlich so unerträglich, dass ich diejenige war, die sie beendete.

"Sie ist wirklich nett... Und hübsch."

Als ich in sein Gesicht blickte, verlor ich mich direkt in seinen grünen Tiefen. Meine Güte, Cassie, jetzt reiß dich aber mal zusammen!

"Ja, das ist sie", war das Einzige, das er erwiderte. Das Starren ging weiter, bis ich mich schließlich räusperte und versuchte, die Stimmung wieder ins Lustige zu ziehen. Denn das, was auch immer das hier gerade war, fühlte sich einfach nicht richtig an, wenn er eine Freundin hatte.

"Ich kenne deinen Namen immer noch nicht."

Da tauchte es wieder auf, das Lächeln von vorhin und die heitere Stimmung seinerseits.

"Gabriel Delanotte", sagte er in melodischem Italienisch. "Einige nennen mich aber auch Gabe, such es dir also aus, Micina."

"Freut mich, Gabe. Mein Name ist übrigens Cassie, du brauchst dir keinen Fantasienamen für mich auszudenken. Was auch immer dieses Micina bedeutet."

Ich freute mich sehr darüber, dass meine sarkastische Seite langsam wieder wach wurde.

Die einzige Antwort, die ich daraufhin bekam, war ein geheimnisvolles Lächeln, als er schließlich an mir vorbeischritt und in Richtung des Torbogens ging, von dem aus man den Eingangsbereich verlassen konnte. Ich nahm die unausgesprochene Aufforderung, ihm zu folgen, wahr und betrat schließlich den nächsten Raum, der das Wohn- und Esszimmer darstellte. Die hochwertigen Möbel aus Mahagoniholz verliehen dem Raum etwas Dramatisches, wobei die weiße Couch einen erheblichen Kontrast zur dunklen Einrichtung darstellte.

Mein Blick wanderte zu den vier Personen am Esstisch, die ebenfalls alle nicht älter als 35 sein konnten. Mit ihren schicken Hemden und Kleidern passten sie hervorragend in das Bild des hochwertigen Hauses. Eine der zwei Frauen bemerkte mich als Erste und kam schließlich auf mich zugeschwebt.

Sie war das, was man als echte italienische Schönheit bezeichnen konnte, mit langen braunen Haaren und stechend grünen Augen. Das grüne Kleid unter der Schürze brachte ihre weiblichen Kurven noch mehr hervor, auf die einfach jede Frau neidisch und jeder Mann begierig blicken musste. Als sie mit einem breiten Lächeln vor mir stand, erkannte ich zum ersten Mal die Ähnlichkeit zu dem grünäugigen Casanova neben mir. Sie mussten einfach verwandt sein.

"Hallo Cassandra, ich bin Giulia. Wir haben telefoniert. Du bist etwas früh dran, aber du hast Glück, das Essen ist bereits fertig!"

In der Zeit waren auch die anderen Personen auf mich zugekommen. Alle drei Augenpaare starrten mich unverhohlen an, was die Tatsache, dass ich in einem fremden Haus mit ebenso fremden Leuten war noch kurioser machte. Hatte ich etwas im Gesicht kleben? Vielleicht war mir ja die Wimperntusche verwischt. Nervös schritt ich von einem Fuß auf den anderen.

"Das sind übrigens Anna und Miguel."

Der großgewachsene, dunkelhäutige Mann hielt die Hand der rothaarigen, zierlichen Frau. Ich erkannte sie als die anderen Personen aus der Cocktailbar. Ihre Kleidung war farblich aufeinander abgestimmt und sie ergänzten sich perfekt.

"Und das ist mein Verlobter Akos."

Ich blickte zu dem hochgewachsenen Mann mit Kurzhaarschnitt, der mich sofort mit einem strahlenden Lächeln einnahm.

"Hallo zusammen. Wie ich heiße, wisst ihr ja alle anscheinend schon.", sagte ich schließlich, um die Spannung ein wenig zu lösen. Es schien zu funktionieren, da von allen ein Lächeln oder sogar ein Lachen kam.

Kurz darauf kam Giulia auf mich zu und hakte sich bei mir unter. Sie fing an, mich an den Tisch zu führen, woraufhin ich scherzweise sagte: "Ich kann schon alleine laufen, ich brauche keine Gehhilfe!"

Es war Gabe, der schließlich antwortete: "Lektion Nummer Eins: Meine Schwester kriegt immer ihren Willen. Je früher du das einsiehst, desto leichter wird dein Leben sein."

Giulia antwortete partout.

"Leider muss ich meinem Bruder dieses Mal recht geben."

"Geschwisterliebe ist ja so wundervoll", antwortete ich schließlich und entlockte Gabe damit ein Lachen.

Schneller als ich gucken konnte saß ich plötzlich auf einem Stuhl an dem runden Esstisch aus Mahagoni, der für sechs Personen gedeckt war.

Giulia und Anna eilten daraufhin in die Küche, um das Essen an den Tisch zu bringen.

Ich hörte, wie ein Stuhl neben mir weggerückt wurde, nur um festzustellen, dass Gabe sich neben mich setzte. Bevor ich einen Kommentar dazu abgeben konnte, kamen die zwei Frauen auch schon mit allerlei Leckereien um die Ecke. An mich gewandt sagte Giulia:

"Ich wusste ja nicht, ob du Vegetarierin bist oder irgendwelche Allergien hast, deshalb habe ich klassische Pasta mit Tomatensoße gemacht - Originalrezept meiner Großmutter. Wenn du jedoch etwas anderes Essen möchtest, kann ich dir schnell..."

Ich unterbrach sie in ihrem Redefluss: "Giulia, ich esse so gut wie alles!"

Bei dem wunderbaren Geruch, der mir in die Nase stieg, fing bereits mein Bauch an zu knurren. Das Knurren war natürlich so laut, dass alle in dem Raum anfingen zu lachen, was mir Schamesröte auf die Wangen zauberte.

"Hey, ich habe heute, außer einem Brötchen, noch nichts zu mir genommen, also bitte!", verteidigte ich mich. Die Hitze, die eben noch in meine Wangen gestiegen war, schien plötzlich durch meinen gesamten Körper zu fließen. Oh bitte, nicht schon wieder..., dachte ich, während ich hoffte, dass es so schnell zu Ende gehen würde, wie es begonnen hatte.

Leider hatte das Schicksal keinerlei Mitleid mit mir und die Hitze wurde schließlich unerträglich. Panisch sah ich mich nach einem Fluchtweg um, schließlich konnte ich keinen meiner besonderen Anfälle vor diesen fremden Personen bekommen. Die einzige Rettung in Form einer geöffneten Terrassentür winkte mir entgegen. Schneller als beabsichtigt sprang ich von meinem Platz auf, murmelte ein kurzes "Entschuldigt mich kurz" und hastete zur Terrasse. Leider schien auch hier draußen kein einziges Lüftchen zu wehen und half somit keineswegs, mein Gemüt zu kühlen. Alles war so unerträglich heiß. Ich umklammerte das Geländer, als sich schließlich stechende Kopfschmerzen dazu mischten. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass alles um mich herum zu verschwimmen drohte und ich überlegte kurz, ob ich mich setzen sollte, bevor ich, wie in der Diskothek, umkippte.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner erhitzten Haut. Von einem auf den anderen Moment verflog sowohl der Schmerz als auch die Hitze. Verwirrt blickte ich zu dem Verursacher des plötzlichen Umschwungs. Ich war nicht überrascht, Gabe zu sehen. In seinem Blick lag tiefste Besorgnis und ich schämte mich direkt für meinen Ausbruch, obwohl ich selbst noch nicht einmal etwas dafür konnte. Was mich in diesem Moment jedoch noch mehr bestürzte war die Tatsache, dass die Symptome meines Anfalls plötzlich verschwunden waren.

"Wie hast du das gemacht?", fragte ich mit heiserer Stimme. Der Durst bestätigte mir, dass ich in diesem Moment sogar einen ganzen Bach hätte leer trinken könnte.

Verwirrung mischte sich zu der Besorgnis in seinem Gesicht.

"Was meinst du?"

Ich hielt seinem Blick nicht länger stand und schaute schließlich zu Boden.

"Passiert dir das öfter?", fragte er, immer noch mit Besorgnis in der Stimme. Viel zu bewusst war mir seine Hand, die von meiner Hand zu meinem unteren Rücken gerutscht war. Plötzlich hatte ich es sehr eilig, diese Situation zu verharmlosen, um schnell von meinen eigenartigen Anfällen abzulenken.

"Es geht mir wieder gut."

Ich schenkte ihm das überzeugendste Lächeln, das ich zustande bringen konnte, und fügte schließlich hinzu:

"Lass uns wieder zu den Anderen gehen. Wir wollen schließlich nicht, dass das Essen kalt wird, oder?"

Ciao ihr Hübschen,

Yeeeaah, der grünäugige Italiener ist wieder da. Wer freut sich darüber genauso wie ich? 😍

Ich bin jedenfalls gespannt auf eure Reaktionen und Vermutungen.

Eure federwunsch ❤️

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