Kapitel 26

Das Gefühl, das ich daraufhin empfand, war überwältigend. Es ging über Ekel und Übelkeit bis hin zu Unglaube und Verwirrung. Mein gesamter Körper zitterte. Das Buch war schon lange aus meinen Händen entglitten, während der Buchumschlag einen starken Kontrast zum hellen Parkettboden bildete. Als hätte mir das Buch einen Gefallen tun wollen musste ich nicht länger die Worte ansehen, die ich niemals wieder aus meinem Kopf bekommen konnte. Wie ein Tattoo hatten sie sich in meinen Kopf eingebrannt.

Mein Prinz trägt den Namen Gabriel Delanotte.

Panisch fuhr ich mir durch die Haare.

"Bitte lass es nur einen meiner abgefahrenen Träume sein."

Auf dem Sofa hielt ich es nicht länger aus und begann, auf und ab zu laufen. Ständig murmelte ich beruhigende Worte, die jedoch vollständig ihre Wirkung verfehlten. So viele Gedanken stürmten in meinen Kopf und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Kopfschmerzen vollständig von mir Besitz ergreifen würden. Schnellen Schrittes eilte ich in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzulassen, nur um dieses in einem Schluck zu leeren. 

Selbst einem Blinden wäre in diesem Moment klar gewesen, dass ich mich vor meinen entsetzlichen Gedanken verstecken wollte, obwohl dies keinen Sinn machte. Irgendwann musste ich mich dem stellen, was unausweichlich auf mich zukommen würde. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein und aus. Dies wiederholte ich einige Male, bis mein Herzschlag sich wider Erwarten etwas regulierte.

Der Skizzenblock auf der Kochinsel erregte meine Aufmerksamkeit. Ich nahm diesen und schlug die nächste leere Seite auf, während ich besonders darauf achtete, nicht aus Versehen das schwarz-weiße Portrait einer bestimmten Person aufzuschlagen. Erneut gönnte ich mir einen tiefen Atemzug, bevor ich den Bleistift in die Hand nahm und begann zu notieren:

1. Gabe ist seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gealtert.

Diese Worte schwarz auf weiß zu sehen ließ meinen Magen erneut eine gefährliche Rotation vornehmen. Obwohl mein Verstand mir versuchte einzubläuen, dass dies unmöglich wahr sein konnte, so war sich mein Herz in diesem Fall nicht so sicher. Es bestand jedoch immer noch die Möglichkeit, dass Gabe einfach den gleichen Namen wie, beispielsweise, sein Vater trug. Plausibel war es. Und logisch. Außerdem konnte ich dies durch die nächsten Tagebucheinträge meiner Mutter schnell herausfinden. Doch damit war die Liste leider noch nicht zu Ende.

2. Angenommen, Gabe ist kein normaler Mensch, dann ergibt es möglicherweise Sinn, dass ich ständig Bilder aufflackern sehe, wenn ich ihn berühre.

Dass etwas mit mir nicht stimmte, konnte ich nach der gestrigen Feuershow meinerseits nicht mehr leugnen. Wieso sollte es dann nicht möglich sein, dass auch mit Gabe etwas nicht stimmte? Die Bilder, die ich während dieser Berührungen gesehen hatte, kamen mir erneut in den Sinn. Das Lächeln einer schönen Frau, die ich zu dem Zeitpunkt noch nicht hatte zuordnen können. Ein ebenso lachender Gabe. Ein Händchen haltendes Paar am Strand.

In diesem Moment verstörte mich dieser Gedanke noch mehr als der vorherige Punkt, da nach aktuellem Stand unbestreitbar klar war, wem das Lächeln aus den Bildern zuzuordnen war. 

Meiner Mutter.

Dies brachte mich geradewegs zum nächsten Punkt.

3. Gabe spricht von meiner Mutter, als wäre sie der Engel höchstpersönlich. 

Insbesondere erinnerte ich mich an unser Gespräch am Pool, wo er von ihr in höchsten Tönen gesprochen hatte. Er hatte sie als das sanfteste und schönste Wesen, sowohl innerlich als auch äußerlich, beschrieben. Damals kam es mir ein wenig eigenartig vor, dass er solch eine Meinung gegenüber einer Frau hatte, die er im Kindesalter für kurze Zeit hatte zu seiner Familie zählen dürfen. Jetzt jedoch ergab alles einen Sinn. Vorausgesetzt, Gabe hatte meine Mutter geliebt.

In diesem Moment fiel mir das Gespräch mit Giulia ein, woraufhin ich den nächsten Punkt notierte.

4. Giulia hat erwähnt, dass Gabe nur eine einzige Frau geliebt hatte und eben diese Frau ihm das Herz gebrochen hat.

Auch dies deutete unmittelbar auf meine Mutter. Da mein Vater nicht Gabriel Delanotte hieß, sondern Marco Rosso, wusste ich, dass meine Mutter nie hatte die Liebe dermaßen erwidern können, die Gabe anscheinend meiner Mutter gegenüber aufgebaut hatte. Es war natürlich nach aktuellem Wissenstand möglich, dass sie nicht diejenige Welche gewesen war, doch das bezweifelte ich stark. Denn mit diesem Umstand machte auch der Umgang Gabes mit mir Sinn.

Spätestens jetzt war eindeutig klar, warum Gabe immer so besorgt um mich war. Schließlich war ich niemand Geringeres als das Kind seiner unerwiderten Liebe.

Und ich habe mich in eben diesen Mann verliebt.

Auch wenn ich sein Verhalten mir gegenüber nicht beschönigen wollte, so wurde mir in diesem Moment genau eine Sache bewusst:

Ich habe nie eine Chance gehabt.

Die Gefühle gegenüber meiner Mutter waren eindeutig zu stark gewesen. Außerdem wäre es auch reichlich komisch, wenn er sich in die Tochter seiner großen Liebe verlieben würde. Bei dem Gedanken wurde mir erneut schlecht.

Selber Schuld! Mama hat dich gewarnt.

Das war leider wahr. Der gelbe Zettel hatte ausdrücklich gesagt, dass es meine eigene Entscheidung war, ob ich wirklich in das Buch schauen wollte. Die Frage, was noch schlimmer sein konnte, als meine mystischen Fähigkeiten, hatten bereits die ersten drei Einträge beantwortet. Obwohl ich mir sicher war, dass dies nicht das war, was meine Mutter gemeint hatte, so hatte ich spätestens jetzt eine Heiden Angst, weiterzulesen.

Aber du kannst ja immer noch zur Normalität zurückkehren. Niemand zwingt dich, weiterzulesen.

Dieser Gedanke beruhigte mich etwas. Ich ließ meinen Blick die gesamte Liste überfliegen.

Obwohl alle Punkte, die ich aufgezählt hatte, in sich schlüssig klangen, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, dass es wirklich so stimmte, wie ich es mir gerade zusammengereimt hatte. Wenigstens ob dies stimmte, musste ich herausfinden. Anderenfalls würde ich keinen Seelenfrieden finden.

Ich füllte das Glas neben mir mit Leitungswasser, nahm den Skizzenblock mitsamt Stift mit ins Wohnzimmer und breitete alles auf dem Couchtisch neben dem an mich adressierten gelben Zettel aus.

Das Tagebuch, das immer noch wie nicht gewollt auf dem Boden lag, hob ich auf und platzierte es in meinem Schoß. So schnell ich konnte blätterte ich zum nächsten Eintrag, da ich die verheerenden Worte nicht mehr sehen wollte.


Essen bei den Nachbarn

In den letzten Tagen ist so vieles geschehen, dass ich nicht dazu gekommen bin, die Ereignisse hier niederzuschreiben. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, Gabriel begegnet zu sein. Er ist so charmant, gutaussehend und hilfsbereit. Gestern hat er mich zum Frühstück in ein Café ausgeführt, das direkt über den Klippen platziert ist und somit einen atemberaubenden Blick über das Meer spendet. 

Ich hätte darauf wetten können, dass ich ganz genau wusste, von welchem Café meine Mutter sprach. Ich verdrehte die Augen, während sich mein Herz schmerzlich zusammenzog.

Gabriel hat sogar angeboten, mir ein wenig Nachhilfe in Italienisch zu geben. Er ist so ein zuvorkommender Gentleman.

Ich konnte nicht anders, als zu lachen. In diesem Punkt waren wir uns eindeutig uneinig.

Wir verstehen uns unheimlich gut und ich spüre, wie mein Herz sich beschleunigt, wenn ich ihn ansehe. Sein undefinierbarer, männlicher Duft lässt mich alles um uns herum vergessen. Ich schweife mal wieder ab.

Ich wünschte, diesen Absatz hätte ich nicht gelesen, da mir wieder speiübel wurde. Natürlich war mir bewusst, dass ich jeden Moment das Buch zuklappen konnte, doch ich musste wenigstens in den Punkten, die ich vorher notiert hatte, Gewissheit haben, bevor ich dieser Welt vollständig den Rücken kehren konnte. Jedenfalls redete ich mir das ein.

Gestern Abend wurde ich von den Nachbarn zum Essen eingeladen. Solch eine himmlische Lasagne habe ich noch nie in meinem Leben gegessen! Gabriel ist ein wunderbarer Koch. 

Was für ein Zufall! Der Gabriel, den ich kenne, ist auch Koch!

Außerdem habe ich endlich die Möglichkeit gehabt, auch die anderen zwei Bewohner der Villa kennenzulernen. Anna ist eine reizende Person, die aus Russland stammt. Miguel ist ihr Freund. Die beiden sind einfach unzertrennlich und ein wundervolles Paar. Giulia hat mir die tragische Geschichte der Beiden erzählt. Wie herzlos die Menschheit doch manchmal sein kann! Jedenfalls wohnen sie jetzt zu viert in der Villa.

Spätestens jetzt gab es keinen Zweifel daran, dass der Gabriel aus diesen Einträgen dem Gabe entsprach, den ich kennengelernt hatte. Jeder einzelne Bewohner aus der Villa nebenan, Akos ausgenommen, hatte mich von Anfang an belogen. Jede einzelne Person von ihnen war seit mindestens zwanzig Jahren kein Stück gealtert. Die Gewissheit, die damit einherging, ließ mein Herz schneller schlagen und Fassungslosigkeit in mir aufsteigen.

Es war alles nur Show!

Ich bin wirklich froh, solch wunderbare Menschen kennengelernt zu haben und ich spüre, dass sie noch sehr lange meine Freunde bleiben werden.

Auch wenn ich genau das Gleiche nach dem ersten Abendessen mit den Nachbarn gedacht hatte, so wusste ich, dass sich dies von nun an geändert hatte. Niemanden von ihnen wollte ich jemals wiedersehen. 

Ein Blick auf die Liste verriet mir, dass noch zwei Punkte ausstanden, von denen mich persönlich nur noch der Letzte interessierte. Ich wollte wissen, ob meine Mutter die große Liebe von Gabe gewesen war. Ich überflog die Titel der nächsten Einträge.

Shopping in Palermo

Tauchkurs

Der erste Kuss

Ich hätte schwören können, dass mein Herz bei diesen Worten einen Herzschlag aussetzte. Ich wollte mich nicht weiter quälen und überflog nur einige Passagen, in denen sich meine Mutter und Gabe zum ersten Mal küssten. Sofort nahmen meine Gedanken einen bizarren Verlauf an, in denen ich mir vorstellte, wie sie weitergingen. Nicht nur ihre Lippen waren aufeinander gepresst, auch einige andere Teile ihrer Körper verschmolzen miteinander.

Mein gesamter Körper schüttelte sich bei dem Gedanken. Beim Umblättern riss ich beinahe die gesamte Seite heraus. Als hätte der liebe Gott endlich Mitleid mit mir gehabt, schenkte er mir den nächsten Eintrag, der meine vorherigen Gedanken gänzlich zum Verstummen brachte.


Marco Rosso

Ich bin verwirrt. Anders kann ich meinen Gefühlszustand nicht beschreiben. Der Eigentümer des Hauses, Marco Rosso, ist heute ohne Ankündigung aufgetaucht und hat mir, ich kann es nicht anders beschreiben, das Herz geraubt. 

Damit hatte ich jetzt ehrlich gesagt nicht gerechnet. Im Abschnitt davor küsste sie Gabe und jetzt verliebte sie sich Hals über Kopf in einen Anderen? Ich verdrehte die Augen. Fast schon kam ich mir vor, als wäre ich in einem dieser Liebesromane gefangen, in denen eine Dreiecksbeziehung die Frau um den Verstand brachte.

Ein Blick in seine warmen Augen hat vollends ausgereicht, um mich in den Mann vor mir zu verlieben. In meinen Gedanken hatte ich ihn mir viel älter ausgemalt, doch überraschenderweise stand vor mir ein 25-jähriger Mann, der das einnehmendste Lächeln auf diesem Planeten hat.

Das ist wohl das, was gemeinhin als Liebe auf den ersten Blick beschrieben wird. Die Anziehung, die ich ihm gegenüber verspürt habe, ist so stark, dass ich, wenn ich nicht in seiner Nähe bin das Gefühl habe, nicht mehr vollständig zu sein.

Obwohl dieses Gefühl wunderschön ist, schmerzt mir auch gleichzeitig das Herz. Wie soll ich Gabriel diesen Umstand bewusst machen? Er wird mich verabscheuen und für ein Monster halten. Was soll ich bloß tun?

Auch ohne weiterzulesen wusste ich, wie es geendet hatte. Giulia hatte zwar nur einen Satz dazu gesagt doch ich wusste, dass Gabe es nicht so gut aufgenommen hatte. Schließlich hatte er nach über zwanzig Jahren immer noch ein vollkommen gestörtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. 

Als ich das Reisetagebuch meiner Mutter zuklappte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich hatte genug erfahren, um meine vorher aufgestellten Theorien bestätigt zu sehen und wusste, dass ich nun bereit war, zurückzukehren. Auch wenn meine Mutter möglicherweise eine andere Botschaft für mich in diesem Buch versteckt hatte, so hatte ich für mich beschlossen, dass ich keine weiteren Überraschungen mehr ertragen konnte. Ehrlich gesagt wartete ich immer noch auf einen Gefühlsausbruch erster Klasse, der einfach nicht kommen wollte. Mein Blick fiel auf den gelben Zettel.

Noch kannst du in dein altes Leben zurückkehren.

Und genau das würde ich auch tun.

Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, die To-do-Liste vor der Abreise abzuarbeiten, die ich nach dem Telefonat mit Suz erstellt hatte. Ich buchte einen Flug, der bereits morgen früh gehen würde und mich wieder in meine Heimat zurückbringen würde. Ich telefonierte mit meinen Großeltern, die außer sich vor Freude waren, dass ich wieder zurückkommen würde. Außerdem reinigte ich das gesamte Haus, bevor ich auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde.

Einige Punkte auf der Liste wollte ich erst dann abarbeiten, wenn ich mich wieder etwas akklimatisiert hatte. Dazu gehörte unter anderem der Verkauf der Villa, in die ich nie wieder ein Fuß setzen wollte.

Es stand noch eine letzte Sache aus, die nicht auf der Liste stand, die ich jedoch zu erledigen hatte, bevor ich Sizilien den Rücken kehrte. Ich hatte nicht lange überlegen müssen um festzustellen, dass ich dies für meinen eigenen Seelenfrieden tun musste. Mit zitternden Händen und stockendem Atem holte ich das Smartphone aus meiner Hosentasche hervor und entsperrte es. Wie von selbst wanderte mein Daumen auf das Nachrichtenmenü und öffnete den letzten Chatverlauf zwischen Gabe und mir. Mit einem Rauschen in den Ohren tippte ich vier Worte in das Textfeld. Über Floskeln waren wir eindeutig hinaus und mir war jegliche Lust auf Späße mit ihm vergangen.

Um acht am Strand.

Hallo ihr Lieben,

ich habe mich auch endlich dazu entschlossen, einen Instagram-Account zu eröffnen:

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Dort werde ich euch hauptsächlich über Neuigkeiten und Spoilern bezüglich dieser Story auf dem Laufenden halten. Ich freue mich jedenfalls sehr auf euch 😍

Eure federwunsch ❤️

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