Kapitel 22 Extra - Tatjanas Brief an Onegin

Die kommenden, himmlischen Worte stammen nicht von mir. Dieser Brief in Gedichtform soll nur noch einmal den vollen Brief Tatjanas an Onegin festhalten, eine junge Frau, die sich Hals über Kopf in einen eher zurückhaltenden Mann verliebt, und ihren Gefühlen in einem Brief zu Leben verhilft.

Ich empfehle wirklich jedem und jeder, diesen Roman zu lesen! Und diejenigen von euch, die Russisch lesen können, sollten dies unbedingt im Original tun!

Viel Spaß wünscht euch eure federwunsch ❤️

Tatjanas Brief an Onegin aus Alexander Puschkins Meisterwerk
Jewgeni Onegin

Aus dem Russischen von Rolf-Dietrich Keil


Ich schreib an Sie - muß ich's begründen?

Sagt dies nicht mehr, als Worte tun?

Sie dürfen, wenn Sie's richtig finden,

Mich strafen mit Verachtung nun.

Doch wenn Sie etwas mitempfinden

Mit meinem traurigen Geschick,

So stoßen Sie mich nicht zurück.

Erst wollt ich's schweigend auf mich nehmen;

Sie hätten niemals, glauben Sie,

Mich so beschämt gesehen, nie,

Könnt ich nur hoffen, daß Sie kämen,

Nicht oft, nur einmal wöchentlich,

Und schauten rein; es freute mich,

Nur Ihre Stimme mal zu hören,

Ein Wort zu wechseln, und alsdann

Bei Tag und Nacht zu denken dran,

Dran denken, bis Sie wiederkehren.

Doch heißt es, Sie sind menschenscheu;

Hier draußen kann Sie nichts zerstreuen,

Wir ... bieten auch nicht viel; dabei

Würd Ihr Besuch uns ehrlich freuen.


Warum kam Ihr Besuch zustand?

Im Kreis vergeßner Landdomänen

Hätt ich Sie sonst doch nie gekannt,

Hätt nie gekannt dies bittre Sehnen.

Der unerfahrnen Seele Stöhnen

Hätt ich beruhigt und wohl gar

Den Freund, der zu mir paßt, gefunden,

Mich ihm als Gattin treu verbunden

Und Mutter seiner Kinderschar.

Ein Andrer!... Nein! Niemand hiernieden

Wär ich imstand mein Herz zu weihn!

Im höchsten Ratschluß ist's entschieden ...

Der Himmel will es: ich bin Dein;

Mein Leben war dafür verpfändet,

Daß Du mich triffst und löst es ein;

Ich weiß es: Gott hat Dich gesendet,

Mein Hüter bis ans Grab zu sein ...

Du bist mir oft im Traum erschienen,

Ich liebt' Dich, eh ich Dich gesehn,

Dein Zauberblick ließ mich vergehn,

Und Deine Stimme klang tief innen

Mir längst ... das war kein Traum, viel mehr!

Kaum tratst Du ein, und ich erkannte,

Ich fühlte nichts mehr, ich entbrannte

Und sprach im Geiste: das ist Er!

Es stimmt doch, daß ich oft Dich hörte:

Sprachst Du mir nicht im stillen zu,

Wenn ich den Armen Brot bescherte

Und wenn ich im Gebet begehrte,

Daß meine Seele fände Ruh?

Und warst grad eben hier im Zimmer

Nicht Du das liebe Bild, der Schimmer,

Der, aus dem Dunkel aufgetaucht,

Zu meinem Kissen sanft sich neigte?

Warst Du's nicht, der mir Trost erzeigte

Und Lieb' und Hoffnung zugehaucht?

Wer bist du? Engel, der mich hütet?

Versucher, der Verderben brütet?

Mach mich von meinem Zweifel frei.


Vielleicht ist gar nichts dran an allem,

Ist's nur naive Schwärmerei,

Und anders ist das Los gefallen?

Wie dem auch sei! Mein Schicksal will

Ich dir ab heute anvertrauen;

Vor Dir vergieß ich Tränen still,

Laß mich auf Deinen Schutz nur bauen ...

Bedenke: Ich bin hier allein,

Kein Mensch ist da, der mich verstünde,

Und wenn ich keine Lösung finde,

wird es mein stummes Ende sein.

Ich hatte Dein: Mit einem Blicke

Laß Hoffnung neu ins Herz mir ziehn,

Wenn aber Vorwurf ich verdien,

Reiß meinen schweren Traum in Stücke!


Ich schließe! Schrecklich, was ich schrieb ...

Ich sterbe fast vor Scham und Grauen ...

Doch da mir Ihre Ehre blieb,

Will ich mich kühn ihr anvertrauen.

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