Kapitel 18

Selbst als wir die Cocktailbar betraten, ließen Anna und Giulia nicht davon ab, über den Gefallen zu reden, den ich dem Ausstatter hätte machen sollen. Nachdem wir den Laden verlassen hatten, beschlossen wir, den erfolgreichen Shoppingtag zu feiern und das Gespräch war ungewollt auf die letzte Unterredung zwischen mir und dem Ausstatter gefallen. Die Unterhaltung war ihnen also nicht entgangen. Was ich ihnen jedoch nicht erzählt hatte, war sein komisches Grinsen am Ende unserer Unterredung, das mir immer noch sehr unheimlich erschien.

"Wer weiß, vielleicht wirst du ja ein internationales Model", philosophierte Giulia und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie gerne an meiner Stelle wäre. Ich verdrehte daraufhin nur die Augen.

"Ihr wisst so gut wie ich, dass mir dieser 'Job' nur wegen meiner großen zwei Argumente angeboten wurde. Außerdem wird die Fotos außer der Kundin niemand sehen. An einem großem Busen gibt es nichts Besonderes. Außer vielleicht Rückenschmerzen."

Wir wurden an einen kleinen Tisch in der Ecke des angenehm klimatisierten Raumes geleitet, an dem man ungestört über alle möglichen Themen der Welt philosophieren konnte. Mittig auf dem Tisch war bereits ein teuer wirkender Champagner in einen Eiseimer getaucht platziert. Der gepflegt wirkende Kellner sagte ein paar nett wirkende Worte auf Italienisch, bis er schließlich die Gläser für uns alle füllte. Nachdem er wieder verschwunden war, hob Anna das Glas. Giulia und ich taten es ihr nach.

"Auf einen erfolgreichen Shopping-Tag!"

Gläser klirrten, während ich mir einen Schluck der prickelnden Flüssigkeit genehmigte. Der süße Geschmack des Champagners floss sanft von meinem Mund in meine Kehle. Der Preis machte doch einiges am Geschmack aus, als ich an die anfänglichen Alkoholexperimente mit Suz zurück dachte. Mein Blick wanderte wieder zu Anna und Giulia, die zu mir starrten. Doch ganz sicher nicht auf meine Augen.

"Starrt ihr gerade wirklich auf meine Brüste?", fragte ich einerseits belustigt aber auch entsetzt. Ertappt wanderte deren Blick schnell wieder überall hin, nur nicht zu mir. Ich bereute langsam die Entscheidung, dieses viel zu tief ausgeschnittene Top angezogen zu haben. Die Stimmung zwischen uns war etwas unangenehm geworden, weshalb ich nach einem kurzen Räuspern an Giulia gewandt fragte:

"Wie hast du Akos eigentlich kennengelernt?"

Es war schon eigenartig, dass ich vor einigen Augenblicken Giulia bei der Wahl eines geeigneten Brautkleids unterstützt hatte, jedoch nichts über die beiden wusste. Giulias strahlendes Lächeln ließ bereits erahnen, dass gleich eine ziemlich kitschige Geschichte folgen würde.

"Es ist fast fünf Jahre her, als ich Akos begegnete. Ich war gerade am Flughafen in Palermo angekommen und war sehr genervt, da ich so lange auf mein Gepäck hatte warten müssen. Dementsprechend frustriert verließ ich das Gate und wollte nur noch nach Hause. Gabriel hatte mir versprochen, mich abzuholen, doch egal wo ich hinblickte, ich sah ihn nicht. Ich fing an, ihn bereits in meinen Gedanken zu verfluchen, als ich plötzlich von hinten angerempelt wurde. Der Boden war meinem Gesicht schon so nahe, dass ich bereits dachte..."

"... schlimmer kann der Tag ja nicht werden", ergänzte Anna und verdrehte dabei die Augen. Ich musste daraufhin lachen, da Anna diese Geschichte bereits in- und auswendig zu kennen schien. Gespielt empört schlug Giulia Anna auf den Arm und setzte ihre Erzählung fort.

"Wie in so viel romantischer Literatur beschrieben landete ich jedoch nicht auf dem Boden. Starke Arme umfassten mich und verhinderten, dass ich sehr unsanft auf dem Boden landete. Stattdessen wurde ich sanft wieder auf meine Füße gestellt und umgedreht. Ich hatte mir bereits einige wütende Worte zusammengelegt, doch..."

"... ein Blick in seine grauen Augen genügte, dass ich mich unsterblich in ihn verliebte.", ergänzte Anna erneut. Empört schaute Giulia zu Anna. Doch schnell wich die Empörung einer neuen Emotion: Genugtuung.

"Du bist doch nur neidisch, dass wir beide so eine schöne Geschichte haben."

Neugierig blickte ich von Giulia zu Anna, die sehr genervt aussah. Tatsächlich brannte auch mir die Frage auf der Zunge, was die Geschichte von Anna und Miguel war. Von meinem ersten Treffen mit ihnen wusste ich bereits, dass beide als Pflegekinder zu den Delanottes gekommen waren, was schon alleine kurios genug war. Doch dass sie nun ein Paar waren, war umso erstaunlicher.

"Ich frage mich tatsächlich, wie ihr beide ein Paar werden konntet", entfuhr es mir. Der Blick, den mir Anna zuwarf, war fast schon wütend, weshalb ich schnell ergänzte.

"Ich meine, es ist schwer vorstellbar, mit jemandem zusammen zu kommen, der quasi dein Bruder war. Ihr wart doch beide Pflegekinder von Giulias Eltern oder nicht?"

Anna konnte mir nicht mehr in die Augen sehen. Ich dachte bereits, dass sie nichts mehr sagen würde, bis sie schließlich in gedämpfter Stimme erzählte:

"Miguel und ich waren nie wie Geschwister gewesen. Vielmehr waren wir dazu geboren, uns zu hassen. Das hatte mir jedenfalls mein Vater erzählt."

Der Schluck Champagner, den ich mir nahm, blieb in meiner Kehle stecken. Anna fuhr unbeirrt und mit emotionsloser Stimme fort.

"Ich war noch jung gewesen, gerade einmal fünf Jahre alt, als mein Vater Miguel nach Hause brachte. Du musst wissen, mein Vater war in irgendwelche Mafia-Geschäfte verstrickt gewesen, und aus irgendeinem Grund, der mir bis heute nicht klar ist, landete Miguel bei uns. Mein Vater verabscheute ihn und meine Mutter wusste nichts mit ihm anzufangen. Ich war damals noch zu jung, um zu verstehen, was da vor sich ging. Irgendwann sah ich Miguel nicht mehr. Täglich fragte ich meine Eltern, wo er war, doch ich erhielt nie Antworten. Irgendwann belauschte ich ein Gespräch zwischen meinen Eltern, in dem oftmals das Wort Keller fiel. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht, doch eines Nachts erwachte ich und hörte etwas Eigenartiges. Tatsächlich kam dieses Geräusch aus dem Keller. Ich folgte dem Geräusch und ging in den Keller. Bis heute weiß ich nicht, warum mein Vater diesen Raum nicht abgeschlossen hatte. Wahrscheinlich war er einfach zu betrunken gewesen und hatte es vergessen. Jedenfalls habe ich Miguel gefunden. Näheres dazu will und kann ich nicht mehr sagen. Das Nächste, woran ich wieder eine klare Erinnerung habe, ist eine sternenklare Nacht und meine Hand in Miguels, wie wir gemeinsam aus diesem Albtraum fliehen."

"Wow", war das Einige, das meinen Lippen entfuhr. Ich würde mich nie wieder über meine Probleme beschweren, so viel war klar.

"Ja", ergänzte Anna. Ihr Blick war immer noch fest auf die Tischplatte gerichtet. Es wurde wieder still um uns. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Da war es ganz passend, dass der Kellner um die Ecke kam und uns nach weiteren Wünschen fragte.

"Zwei Mojitos und ein Wasser bitte", waren Annas Worte, wenn ich sie richtig übersetzt hatte. Da Anna unsere Fahrerin war, mussten die zwei Mojitos wohl für Giulia und mich sein. 

"So, liebe Cassie, jetzt bist du an der Reihe. Gibt es einen Mann in deinem Leben?", fragte Giulia. Auch Annas Miene wirkte wieder weniger emotionslos.

"Wie kommst du denn darauf, dass es ein Mann sein muss?", fragte ich mit einem Schmunzeln. Überrascht blickte Giulia von mir zu Anna, die nicht weniger überrascht schien. Als sie sich wieder mir zuwandte, musste ich mich sehr zusammenreißen, um nicht in Gelächter auszubrechen.

"Oh, ich dachte nur... also... weil du... du weißt schon."

Ich konnte das Lachen nicht länger zurückhalten. Die Miene der beiden war einfach unbezahlbar. Erst, als ich meinen Bauch vor Lachen halten musste, wurde den beiden klar, dass ich sie auf den Arm genommen hatte. Es war Giulia, die schließlich mit einem schiefen Grinsen erwiderte:

"Netter Versuch, aber so schnell kommst du nicht um die Geschichte herum. Erzähl schon, wer ist er?"

Mein Lächeln verstummte. In diesem Moment war ich froh, dass der Kellner wieder mit unseren Getränken erschien. Vor mir platzierte er tatsächlich einen Mojito. Obwohl ich selbst gerne Cocktails mixte, war ich kein sonderlich großer Fan von Mojito. Aus irgendeinem Grund vertrug ich sie nicht sonderlich gut. Doch in diesem Moment begrüßte ich die kalte, minzige Flüssigkeit, die Erlösung versprach. Die beiden gegenüber von mir blickten mich immer noch erwartend an und ich wusste, dass ich nicht drum herum kommen würde.

"Wir sind beste Freunde seit dem Kindergarten", begann ich. 

Von Anna und Giulia waren bereits leichte Seufzer zu hören.

"Doch leider musste er bei unserem ersten... ihr wisst schon feststellen, dass er für das andere Geschlecht spielt."

Anna und Giulia verstummten und Mitleid lag plötzlich in ihrem Blick. Diesen Blick kannte ich nur zu gut. Sogar meine beste Freundin hatte mich so angesehen, als sie es erfahren hatte.

"Ihr braucht nicht so mitleidig zu schauen. Ich bin mittlerweile darüber hinweg. Jedenfalls sind wir ab jetzt auch wieder Freunde. Trotzdem würde ich nicht so gerne darüber reden."

Daraufhin folgte eine ebenso klassische Reaktion, die von den meisten Frauen nach solch einer Offenbarung kam.

"Wir müssen dich verkuppeln!"

Ich hatte nie verstanden, was es mit dieser Reaktion auf sich hatte. Warum sollte man sich nach einer gescheiterten Beziehung direkt in die nächste stürzen? Wem nutzte das etwas? Ich war jedenfalls davon überzeugt, dass es das Schlimmste war, was man nach so einer Situation tun konnte. Entweder man genoss das Leben als Single oder man ließ sich auf kurze Geschichten ein. Aber doch nicht auf eine Beziehung!

Ich blendete das Geplapper von Anna und Giulia vollständig aus, als ich mir einen tiefen Schluck meines Cocktails genehmigte. Plötzlich kam mir eine Idee, die so brillant war, dass ich es selbst kaum fassen konnte. Mit einem Schlag würde ich sowohl das Gesprächsthema von mir weglenken als auch endlich mehr über eine ganz gewisse Person erfahren. Innerlich klopfte ich mir selbst dafür auf die Schulter.

"Sagt mal, was hat es eigentlich mit Gabe auf sich?"

Wie ich prophezeit hatte, verstummten die beiden von einen auf den anderen Moment. Ich nutzte die Gelegenheit, um mehr dazu zu sagen.

"Also ich weiß ja nicht, ob es euch aufgefallen ist, aber er flirtet so ziemlich mit jeder unseres Geschlechts, hat aber gleichzeitig eine Freundin, die nicht wirklich seine Freundin ist. Ich frage mich, wie er mit zwei so glücklichen Paaren zusammenleben kann, ohne selbst Beziehungsmaterial zu sein."

Sowohl Anna als auch Giulia blickten auf die Tischplatte, als wäre sie das Interessanteste auf diesem Planeten. Wie gerufen kam der Kellner und brachte uns ungefragt eine neue Ladung Getränke. Das nannte ich mal Service. Ich reichte ihm mein bereits leeres Glas und genehmigte mir einen Schluck aus dem kalten, frisch zubereiteten Cocktails. Ich merkte bereits, wie der Alkohol mir zu Kopf stieg und genoss diese Leichtigkeit, die davon ausging. Es war schließlich Anna, die sich zu meiner Aussage äußerte.

"Vor langer Zeit hatte Gabriel sich unsterblich in eine Frau verliebt. Er hätte wirklich alles für sie getan. Doch seine Herzensdame hatte nie die Gefühle erwidern können. Es war von Anfang an aussichtslos gewesen."

"Das hört sich so an, als hättet ihr das aus einem dieser kitschigen Romane kopiert. Als ob es nur eine wahre Liebe für jeden gibt! Nur weil eine Frau seine Liebe nicht erwidert hat, heißt das doch noch lange nicht, dass er jetzt vollständig auf die Liebe verzichten muss und sich gegenüber all den Frauen wie ein Casanova aufführen muss. Versteh mal einer die Männer."

Ich genehmigte mir einen weiteren Schluck aus dem Getränk. Anna ging auf meine Aussage gar nicht erst ein, als die Sprache das erste Mal seit unserem Treffen auf Elise fiel.

"Elise ist nur so ein Spiel nebenbei. Es war nie etwas Ernstes gewesen. Seitdem hatte er eigentlich nie etwas Festes gehabt. Wir hatten erst gehofft, dass es mit Elise anders werden könnte, doch dem scheint nicht so."

Sofort dachte ich an das Telefonat gestern.

"Vielleicht ist eure Hoffnung ja gar nicht so aussichtslos gewesen. Er hat gestern am Telefon sogar ziemlich traurig geklungen, als er von Elise gesprochen hat. Möglicherweise ist da..."

Bevor ich meinen Satz beenden konnte, meldete sich Giulia wieder zu Wort.

"Wie bitte? Ihr habt telefoniert?"

Überrascht blickte ich in ihr neugieriges Gesicht.

"Ja, ich hielt es für einfacher, als uns gegenseitig über die Balkone zuzuschreien."

Daraufhin wechselte Giulia einen vielsagenden Blick mit Anna. Verwirrt musterte ich die beiden.

"Was ist?", fragte ich, als mich keiner aufklären wollte. Giulia schaute mich wieder an. Sorge lag in ihrem Gesicht.

"Ich habe ja so etwas Ähnliches schon befürchtet, aber ich hatte gehofft, dass es nur bei einer Befürchtung bleiben würde."

Stirnrunzelnd folgte ich jedem ihrer einzelnen Worte. Ein Seufzen entfuhr Giulia, als sie fortsetzte.

"Obwohl er mein Bruder ist und ich ihn über alles auf dieser Welt liebe, gebe ich dir einen Rat. Und ich wünsche mir so sehr, Cassie, dass du dich daran hältst. Bitte lass dich nicht von ihm verletzen!"

Sprachlos schaute ich in Giulias Gesicht. Ich konnte einfach kaum glauben, was ich da gerade gehört hatte. Bevor ich auch nur etwas darauf erwidern konnte, ergänzte sie.

"Ich weiß, dass er dich niemals willentlich verletzen würde, aber er weiß einfach nicht, was er manchmal anrichtet."

Wut stieg in mir auf. Wut auf Giulia wegen ihrer Worte. Wut auf Gabe, der der Grund für dieses Gespräch war. Und Wut auf mich selbst, da mich diese Worte so berührten. Ich fing an, mich zu rechtfertigen.

"Das zwischen Gabe und mir... ach, was sage ich hier eigentlich. Es gibt kein 'zwischen uns'. Gabe und ich sind noch nicht einmal Freunde! Da ist nichts!"

Selbst ich wusste, dass mein Ausbruch eher verstärkte, dass da doch etwas zwischen uns war. Dabei hatte ich doch das Gegenteil erreichen wollen. Mein Blick wanderte ertappt auf die Tischplatte. Das Nächste, das ich spürte, war eine warme Hand, die sich auf meine legte und zudrückte. Es war Giulia, die mich ermutigend anlächelte.

"Das wissen wir. Und das meinte ich auch nicht. Pass einfach auf, ja?"

Bevor ich auf diese noch kuriosere Aussage eingehen konnte, meldete sich Anna zu Wort.

"Ich will ja wirklich keine Spielverderberin sein, aber ich bin müde. Und Giulia, du weißt, dass ich sehr ungern bei Dunkelheit fahre. Wir haben noch eine lange Autofahrt vor uns."

Nickend erhob sich Giulia, während Anna es ihr gleich tat. Etwas erstaunt über den plötzlichen Aufbruch genehmigte ich mir noch den letzten Schluck des Cocktails und erhob mich ebenfalls. Dabei musste ich mich kurz an der Tischplatte festhalten, um mein Gleichgewicht zu finden. Die Kombination von kargem Essen und Champagner zusammen mit Cocktails war keine sonderlich gesunde Mischung. Wir winkten noch dem Kellner zu, bevor wir gingen.

"Müssen wir denn nicht noch bezahlen?", fragte ich verwirrt. Das Gefühl, eine Kriminelle zu sein, gefiel mir ganz und gar nicht. 

"Das ist bereits erledigt", sagte Giulia schmunzelnd, während sie mir noch zustimmend zuzwinkerte. In der Dunkelheit kam ich nicht umhin zu bemerken, wie grün ihre Augen waren. Diese Augen erinnerten mich sehr an andere grüne Augen, an die ich wirklich nicht denken sollte. Der Alkohol brachte Gedanken zu Tage, die nicht sonderlich gut waren.

Die Autofahrt zurück verlief schweigend. Obwohl ich noch so viele Fragen hatte, fielen mir einige Male während der Autofahrt die Augen zu. Erst als mich Anna mit den Worten "Cassie, wir sind da" aus dem Land der Träume riss, stolperte ich auf die Tür zu und schmiss mich direkt aufs Sofa im Wohnzimmer, um wieder ins besagte Land der Träume zu schweben.

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