6. Kapitel
Umständliche Roben, Bänder und zitternde Hände
Am Abend war Saphira völlig fertig auf den Weg zurück in ihre Wohnung. Ihre Waden brannten und ihre Gelenke knackten unangenehm, als sie ins Bad stolperte und sich zum duschen fertig machte. Als sie das Wasser aufdrehte, schoss eine Eiseskälte durch ihren gesamten Körper und weckte ihre Lebensgeister. Es war bestimmt nicht gerade angebracht, so spät abends noch laut aufzuschreien, aber es war nunmal extrem kaltes Wasser.
Doch trotz ihrer Schmerzen und ihrer Müdigkeit war Saphira sehr zufrieden mit sich. Sie war stolz darauf, die Prüfung bestanden zu haben, wenn auch mit Ach und Krack. Das erste Mal konnte sie wirklich sagen, dass sie glücklich war. Und jetzt mal ganz im Ernst: selbst wenn der Vorfall nicht gewesen wäre, Prüfungsbeste wäre sie nicht geworden.
Als Saphira endlich fertig war, zog sie ihr Schlafkleid an und gähnte ausgiebig. Völlig am Ende fiel sie ins Bett und schlief beinahe sofort ein, mit einem zarten, süßen Lächeln auf den Lippen.
Es war früh am Morgen, als jemand lautstark an die Tür klopfte. Wow, dachte Saphira. Das ist das erste Mal, dass mich nicht mein nervtötender Wecker aus dem Schlaf reißt.
Grummelnd drehte sie sich auf die Seite, als das Klopfen zu einem Trommeln wurde. „Komm schon, ich weiß, dass du da drin bist!", rief jemand von draußen. Saphira vergrub nur ihren Kopf unter dem Kissen, gab sich jedoch nach ein paar Minuten geschlagen und öffnete verschlafen die Tür.
„Wer auch immer du bist, geh in die Wüste saugen", gähnte Saphira, während sie gegen das helle Licht blinzelte. „Dir auch einen schönen guten Morgen", entgegnete Stephen. Saphira stöhnte nur. „Von allen hier weckst ausgerechtet du mich auf? Womit habe ich das denn bitte verdient?", jammerte sie und lehnte sich müde an den Türrahmen, Stephen jedoch seufzte nur. „Zieh dich an und komm raus, die Älteste will mit uns allen reden."
Mit glasigen Augen blies Saphira sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Dann sag ihr, dass sie vor acht Uhr nicht mit mir rechnen sollte", entgegnete sie und wollte gerade die Tür zumachen, als Stephen seinen Fuß dazwischen stellte. „Du bist in zehn Minuten draußen, oder ich trage dich höchstpersönlich auf den Hof", zischte Stephen, Saphira verdrehte jedoch nur gelangweilt die Augen. „Als ob du das wirklich tun würdest", erwiderte sie, kickte seinen Fuß weg und schloss die Tür ab. Müde ließ sie sich wieder auf ihr Bett fallen. Saphira war schon wieder eingeschlafen, als sie doch tatsächlich von Stephen wachgerüttelt wurde. „Sag mal, geht's noch?", keifte sie, sprang auf und verpasste ihm eine saftige Ohrfeige. Stephen packte ihre Handgelenke, bevor sie noch ein weiteres Mal zuschlagen konnte. „Ich sagte doch, ich würde dich auf den Hof tragen, wenn du nicht in zehn Minuten vor der Tür stehst", zischte er und warf sie über die Schulter. „Lass mich runter!", kreischte Saphira und trommelte auf Stephens Rücken, was jedoch nicht viel brachte. Auf einmal hatte sie eine Idee. Gekonnt stemmte sie ihre Beine hoch, rutschte von seiner Schulter und rollte sich mit einem Handstand ab. Stephen drehte sich um und wollte sie wieder packen, doch Saphira bildete eine riesige Scheibe zwischen ihnen. „Lass mich wenigstens meine Robe anziehen, bevor du mich auf den Hof begleitest, nicht schleppst."
Ihre Stimme klang leicht zornig, doch Stephen überhörte das und entspannte sich. „Schön. Aber beeil dich gefälligst."
„Nänänä", äffte Saphira und verzog sich ins Badezimmer.
Die Ausbilder hatten Wetten abgeschlossen. Wetten darüber, welche Schüler sich selbst am besten anziehen konnten. Denn wie Saphira auch bemerken musste, ohne Lucas' Hilfe war es eine einzige Plackerei, die neuen Umhänge anzulegen. Diese ganzen Gürtel, Bänder und Stofftücher waren ein einziges Rätsel. Sie brauchte eine halbe Stunde, allein für die Unterkleidung, und dann noch die oberen Stoffe aufzuziehen nahm ihr auch noch dreißig Minuten. Doch das größte Problem waren die Bänder. Mindestens eine Viertelstunde nahmen allein diese blöden Stoffstreifen ein.
Am Ende sah sie ganz passabel aus in ihrer gelb-roten Robe. Es war das Ensemble, dass Lucas designt hatte, das mit den orangenen Stickereien. Saphira drehte sich vor dem Spiegel und lächelte. Hoffentlich hatte Mordo für sie hoch gewettet. Sie hatte zwar lange gebraucht, aber war perfekt gekleidet.
Als sie heraustrat, verschränkte sie ihre Arme. „Zufrieden?", fragte sie schroff. „Wie bist du überhaupt in mein Zimmer gekommen?"
Stephen antwortete nicht, sondern bildete bloß ein Portal. Saphira verdrehte genervt die Augen. „Das war klar. Hätte ich mir eigentlich denken können."
Stephen deutete auf das Portal, dass den überfüllten Gang zeigte. „Ladys first", sagte er trocken. Saphira stolzierte an ihm vorbei. „Da ist völlig überflüssig, wir hätten auch einfach laufen können."
Stephen schnaubte. „Gerngeschehen, Miss Perfect."
Pikiert stolzierte Saphira durch das Portal auf den Gang hinaus. Etliche Schüler sahen furchtbar aus in ihren grob zusammengeschnürten und gefalteten Roben. Dafür stach Stephen umso mehr aus der Menge heraus. Seine blaue Robe war ordentlich angelegt, seine Ärmel jedoch sahen furchtbar aus. Saphira verzog leicht das Gesicht, als sie die Ärmel musterte. "Ou, deine Hände haben dir beim Anlegen der Bänder auch nicht gerade geholfen, oder?"
Stephen sah sie genervt an und seufzte. "Kann ich irgendetwas dafür?"
"Nein, kannst du nicht", sagte Saphira nachdenklich. "Aber ich."
Verwirrt sah Stephen sie an. "Wie bitte?"
"Komm mit", sagte Saphira eifrig, zog ihn in eine Besenkammer und schloss die Tür. Kleine Flammen schwebten um sie herum, als Saphira ohne Vorwarnung nach Stephens Hand griff und die seltsamen Knoten in den Bändern löste. Jetzt war er völlig von der Rolle.
"Was machst du da?", fragte er extrem irritiert.
"Wonach sieht es denn aus?", entgegnete Saphira, setzte das graublaue Band an seinem Arm an und wickelte es ordentlich um den Ärmel herum. Die andere Hand umfasste Stephens, damit diese nicht zu stark zitterte und Saphira in aller Ruhe arbeiten konnte.
Stephen war geschockt. Etwa zehn Minuten standen beide so da, Stephen völlig erstarrt, während Saphira langsam und ordentlich die Bänder um Stephens Arme wickelte. Als sie fertig war, ließ sie seine andere Hand los und sah zu ihm hoch. "Siehst du? Schon viel besser", sagte sie und lächelte Stephen freundlich an. Die Flammen warfen einen warmen Schein auf ihre dunklen, aschblonden Haare und ließen diese glänzen.
Stephen blinzelte, ganz offensichtlich von Saphiras plötzlichen Freundlichkeit irritiert. Ein kleiner Teil in ihm jedoch freute sich darüber. Er erwiderte das Lächeln.
"Komm, Mordo wartet." Saphira nickte zur Tür und öffnete sie. Die Flammen erloschen hinter den beiden, als sie aus der Tür hinaustraten und wie alte Freunde nebeneinander den Gang entlang liefen. Mordo hatte wirklich allen Grund, stolz zu sein.
"Wow, Mordo, schau mal. Deine beiden Schützlinge kommen angetanzt."
Als Mordo sich umdrehte und sah, wie Saphira und Stephen perfekt gekleidet auf den Übungsplatz traten, grinste er breit.
"Aber hallo, Leute. Ihr streitet euch ja gar nicht. Ist heute Weihnachten?"
"Nein, heute ist ein ganz normaler Tag wie jeder andere", begrüßte Saphira ihn und lächelte. "Außer vielleicht dein großes Glück, dass wir beide normal angezogen sind. Und, was steht heute an?"
Mordo grinste noch breiter, falls das überhaupt möglich war. "Eigentlich wollte ich euch mit Zweikampf quälen, als eine Art Strafe für euer fürchterliches Aussehen und meine verlorene Wette, aber angesichts der Tatsachen können wir meinetwegen gerne etwas bequemeres machen."
"Also, eigentlich hätten wir nichts gegen einen kleinen Zweikampf", erwähnte Stephen und Saphira nickte. "Kein Problem."
Jetzt war Mordo völlig von den Socken. "Was ist mit euch los? Habt ihr Fieber?", fragte er verblüfft. "Genau, wer seid ihr und was habt ihr mit den beiden unerträglichen Streithähnen gemacht?", rief einer der anderen Ausbilder herüber. Großer Lacher, auch bei Stephen und Saphira.
"Eigentlich nichts. Außer vielleicht eine winzige Veränderung."
Saphira ging in Kampfposition und sah Stephen angriffslustig an. "Na los, Vollidiot. Greif mich an."
Stephen verdrehte die Augen. "Wenn du mich so nett darum bittest, Miss Perfect."
Und als Saphira ihn mit Feuerseilen angriff und er diese abblockte, starrten die anderen Ausbilder einschließlich Mordo die beiden einfach nur an. Saphira jedoch lächelte nur innerlich.
Diese Typen waren aber auch leicht zu beeindrucken.
Von diesem Augenblick an, in dem Saphira und Stephen sich gegenseitig angelächelt hatten, waren sie beste Freunde. Und niemand stellte das mehr in Frage. Auch nicht die Älteste, die insgeheim gewusst hatte, dass das passieren würde.
Eines Tages, Saphira und Stephen standen auf dem Übungsplatz und sie versuchte, ihm die Feuermagie beizubringen, standen Mordo und die Älteste an einem der Fenster, die den Hof zeigten, und schauten ihnen dabei zu, wie Stephen vergeblich versuchte, Flammen zu bilden und Saphira dabei einfach nur neben ihm stand, sich an seiner Schulter abstützte und sich schlapplachte.
"Was auch immer zwischen den Beiden vorgefallen ist, das Benehmen aus der Übungszeit ist wie ausradiert", sagte Mordo. "Ich meine, sehen sie sich das an! Erst gehen sie dem gesamten Kamar Taj mit ihren sinnlosen Streitereien auf die Nerven, und jetzt necken sie sich nur noch gegenseitig und lachen generell viel zusammen. Was zur Hölle war da los?"
"Sie haben sich kennengelernt", sagte die Älteste ruhig.
"Was? Aber sie kannten sich doch schon viel länger."
Die Älteste warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. "Ich meine, dass sie sich jetzt erst richtig kennengelernt hätten. Vorher haben sie einander nur an der Oberfläche gekratzt. Und jetzt kennen sie sich wirklich. Doch das wichtigste ist, dass sie einander vertrauen."
"Und wieso hoffen sie, dass ausgerechnet die Beiden sich vertrauen?", fragte Mordo.
"Weil Strange sowie Saphira vorher Einzelgänger waren, die nichts mit den anderen Schülern am Hut haben wollten. Sie brauchen einander, weil für sie der jeweils andere der Einzige ist, mit dem sie überhaupt reden. Zauberer wie Strange brauchen einen Partner, der ihnen Rückendeckung gibt, und umgekehrt."
"Aber Saphira? Ich weiß nicht", gab Mordo zu Bedenken. "Sie könnte ihn übertrumpfen und ihn somit agressiv machen."
"Oh, so engstirnig ist nicht einmal Stephen Strange, das können sie mir glauben. Ich meine, schauen sie hin."
Mitlerweile lag Saphira vor lauter Lachen schon fast auf dem Boden und klammerte sich so gerade noch an Stephen fest. Dieser hatte die Arme vor der Brust verschränkt und machte ein beleidigtes Gesicht, als seine Augen jedoch zu Saphira hinunterwanderten, musste er lächeln.
„Sehen sie?", sagte die Älteste an Mordo gewandt und sah ihn lächelnd von der Seite an. „Ich glaube, ich muss es ihnen nicht weiter erklären."
Und als die Älteste sich zum Gehen wandte, blieb Mordo am Fenster stehen und betrachtete das Bild noch ein letztes Mal, bevor auch er sich kopfschüttelnd umdrehte und nachdenklich den Gang entlang schritt.
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