4. Kapitel

Prüfungen, Sling-Ringe und ein gewaltiges Missverständnis


Rrrrring! Rrrrring! Rrrrrring!

Rrrrring! Rrrrring! Rrrrrring!

Rrrrring! Rrrrring! Rrrrrring!

„Jaja, ich steh ja schon auf."

Grummelnd streckte Saphira ihre Hand aus und schlug auf ihren Wecker. Dieser rasselte daraufhin empört und sprang wütend auf ihrem Fingern herum. „Au!", kreischte sie und schleuderte den Wecker quer durchs Zimmer. „Mach das nochmal und ich verkaufe dich an den Collector!"

Zitternd sprang der Wecker hinter den Kleiderschrank und tickte leise als Entschuldigung, Saphira jedoch brummte nur etwas Unhöfliches. Müde schälte sie sich aus ihrem viel zu gemütlichem Bett und schlurfte ins Badezimmer, wo ihr die motivierteste Fulvia der Welt im Spiegel begegnete. „Meine Güte, Saphira, wenn das so weitergeht, siehst du bald genau so alt aus wie du wirklich bist", sagte sie zu sich selbst und gähnte, während sie in ihrem Badezimmerschrank nach ihrem Concealer suchte. Ihre Augenringe sahen aber auch wirklich schlimm aus.

Da vibrierte ihr Handy, dass neben dem Waschbecken auf der Kommode lag. Ja, Saphira hatte sich ein Handy gekauft, keinen Laptop – denn wie ein Macbook funktionieren soll hat sie noch viel weniger verstanden als dieses kleine, metallene Ding, dass irgendwelche kleinen Flämmchen hinter dem Glas haben musste. Anders konnte sie sich das verschiedenfarbige Licht nicht erklären.

Sie nahm ihr Handy in die Hand und wischte mit ihrem Finger über den Display. Eine Erinnerung erstreckte sich über die gesamte Leiste:

MAGIERPRÜFUNG!

„Oh, shit", keuchte Saphira und hetzte sofort wie von der Tarantel gestochen in ihrer Miniwohnung hin und her, um alles einzusammeln, was sie für den heutigen Tag brauchte. „Okay. Robe, Gürtel, Haargummi, Sling-Ring...sekunde mal. Wo ist mein Sling-Ring?"

Panisch kramte sie in ihrem Nachttisch herum und verstreute allerlei Krimskrams auf ihrem Teppichboden. Taschentücher, Bänder, Zettel und sogar ein Kamm lagen in Sekunden um sie herum verteilt.

„Ah, da ist er ja", seuftze sie erleichtert und hielt den goldenen, mit Verschnörkelungen verzierten Doppelring hoch. Vorsichtig platzierte sie ihn auf ihrem Bett, wo auch ihre restliche Ausrüstung lag.

„So. Ich gehe jetzt duschen, danach ziehe ich mich an, gehe frühstücken und versammle mich mit den anderen im Übungsraum. Oh, ich kann es kaum erwarten, das Sanctum Sanctorium zu sehen!", jauchzte sie fröhlich und sprang ins Badezimmer. Kaum ein paar Minuten später trat Saphira angekleidet aus ihrer Wohnung, den Kopf voller Vorstellungen und Erwartungen.

Beim Frühstück schenkte ihr keiner Beachtung, alle waren zu sehr in ihre Gespräche und Spekulationen vertieft. Wie würde das Sanctum wohl aussehen? Gab es dort eine Bibliothek mit geheimen Zauberbüchern? Und war es ihnen vielleicht sogar erlaubt, das Gebäude nach der Prüfung gemeinsam zu erkunden?

Auch Saphira tauchte in diese Überlegungen ein und stellte sich eine prachtvolle Kathedrale aus dunklem Holz, mit bunten Schnitzereien und dem berühmten, runden Fenster vor, dessen Form alle aus ihrer eigenen Bibliothek kannten.

Das Sanctum Sanctorium in New York war der Ort, an dem die Magierprüfung statt finden würden. Hoch gestellte Zauberer wie die Älteste würden sich unter den Prüfern befinden, jedoch auch viele andere berühmte Zauberer der Erde, die alle drei Teile der Prüfung erst seperat bewerten und dann den Mittelwert ausrechnen würden. Diese drei Teile wurden uns schon von Anfang an eingetrichtert.

Der erste Teil der Prüfung war Kampfkunst. Saphiras absolutes Lieblingsgebiet. Nicht. Wenn sie auch nur daran dachte, wurde ihr schlecht. Mitlerweile konnte sie Mordo und Strange zwar besiegen, aber nur mit einer Quote von 50 Prozent. Was nicht im mindesten reichte, dachte Saphira nervös und kaute auf ihrem Müsli herum.

Der zweite Teil der Prüfung waren Zaubersprüche. Um diesen Teil machte sie sich die geringsten Sorgen. Magische Kräfte waren ihr in die Wiege gelegt worden, und diese Kräfte waren um ein vielfaches ausgeprägter als bei Strange. Er besaß zwar ebenfalls großes magisches Potential, doch nicht in derselben Hinsicht wie Saphira. Immerhin floss Phönixblut durch ihre Adern.

Der dritte Teil der Prüfung war magisches Geschick. Man sollte präsentieren, was seine größten Stärken in jedem erdenklichen Bereich der Magie waren. Saphira konnte sich sehr gut vorstellen, wie Strange einfach seinen Sling-Ring nehmen würde und mal eben einen kurzen Abstecher nach Australien machen würde. Doch was sollte sie selbst vorzeigen? Sollte sie sich erst in eine Vierjährige und dann schließlich in eine alte Schachtel verwandeln? Bei dem Gedanken spuckte sie fast ihr Frühstück aus vor Lachen und ignorierte die Blicke der anderen Schüler, als sich feine Milchtröpfchen über die Tischplatte verteilten und Saphira mit einem amüsierten Grinsen herunterschluckte.

„Also, Leute. Gleich werdet ihr für den ersten Teil der Prüfung der Reihe nach in diesen Raum gerufen und geprüft. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, gegen wen ihr kämpfen werdet, ich weiß nur, dass diese Person verdammt gut sein wird. So gut, dass es nur eine kleine Rolle spielt, ob ihr gewinnt oder nicht. Glaubt mir, nur ein Viertel von euch wird es schaffen, den Prüfer zu besiegen, also nicht sofort die Hoffnung verlieren, wenn ihr es nicht schafft, okay?" Saphira hätte schwören können, dass Mordo ihr nach diesen Sätzen einen fast schon mahnenden Blick zuwarf. „Also, stellt euch in einer Reihe auf und wartet darauf, dass euer Name ausgerufen wird."

Und das war der Moment, in dem es Saphira zum Verhängnis wurde, dass ihr Vorname mit S begann. Okay, Vorname war in diesem Fall nicht das richtige Wort, da sie gar keinen Nachnamen besaß, aber das war egal. Ihr Name begann mit S, so wie der einer anderen gewissen Person. 

Juhu.

„Na, freust du dich schon?" fragte Stephen spöttisch und warf Saphira einen Seitenblick zu.

„Oh ja, total. Ich könnte mir nichts besseres vorstellen, als gleich gegen eine Art Superman zu kämpfen und mir nicht nur eine deftige Blamage, sondern auch noch tausend blaue Flecken zu holen", erwiderte sie ironisch.

„Tja, du vielleicht. Ich werde definitiv zu dem Viertel gehören, dass den Prüfer besiegt."

Saphira verdrehte die Augen. „Bleib am Boden, Strange. Dein Ego macht gleich einen auf Heißluftballon."

Daraufhin wusste der ach so schlagfertige Stephen Strange nicht mehr, was er antworten sollte, und schwieg.

Die restliche Zeit wippte Saphira nervös auf ihren Fußballen hin und her und knabberte an der Innenseite ihrer Wange. Die Wartezeit war quälend langsam und für diejenigen, die etwas weiter hinten im Alphabet standen, pure Folter.

Doch solche Leute wie Dean mussten natürlich mit selbstgefälligem Blick an den armen Schülern wie Saphira vorbeistolzieren. Sie jedoch ließ das nicht auf sich sitzen und funkelte ihn wütend an, als sie plötzlich von der Seite angerempelt wurde und das Gleichgewicht verlor.

"Aah! Mann, Strange, pass doch besser auf!", fauchte sie und sah ihn empört an. 

"Das war keine Absicht", verteidigte dieser sich und streckte seine Hand aus. "Komm, ich zieh dich hoch."

"Danke, ich kann alleine aufstehen", entgegnete Saphira spitz und rappelte sich auf. Stephen verdrehte die Augen und verschränkte seine Hände erneut hinter dem Rücken. "Ich wollte nur nett sein, Miss Perfect."

Saphira schnaubte bloß und klopfte ihre staubige Schülerrobe ab. Es hätte sowieso keinen Sinn gemacht, das noch zu kommentieren.

Endlich, nach gefühlt tausend Jahren, wurde ihr Name ausgerufen und mit einem seltsamen Knoten im Bauch ging sie durch die offene Tür in den Prüfungsraum.

Als sie eintrat, wurde sie sofort von der gewaltigen Größe des Raumes überwältigt. Ehrfürchtig blickte sie an die Decke und bewunderte die Gemälde und Schnitzereien, die fremde Wesen und andere Dimensionen in ihrer vollen Pracht darstellten.

Am anderen Ende des Raumes stand ein langer Tisch, an dem genau sieben Männer und Frauen verschiedenen Alters saßen, auch die Älteste. Die schenkte Saphira ein kleines, aufmusterndes Lächeln und diese nickte ihr ebenfalls lächelnd zu.

"Du bist also Saphira, die Phönixtochter", sagte der mittlere Prüfer mit tiefer, angenehmer Stimme und betrachtete sie mit einem klugen, und auch etwas neugierigen Blick aus seinen erschreckend hellgrauen Augen. Seine schneeweißen Haare bildeten einen starken Kontrast zu seiner dunkelbraunen Haut.

Sie lächelte schüchtern. "Ja, Meister."

"Ich bin gespannt, wie du dich schlagen wirst. Vor allem im letzten Teil der Prüfung. Die Feuermagie der Fulvia ist ein beeindruckender Zweig der Magie, in dem es noch viel zu erforschen gibt. Vielleicht wirst du uns ja diese Türen öffnen?"

"Vielleicht", antwortete sie verlegen und trat in die Mitte des Raumes. "Und, gegen wen werde ich kämpfen?"

"Gegen unser Kampfkunstgenie Adrianne", antwortete der Prüfer und zeigte hinter Saphira, und genau in dem Moment, als sie sich umdrehte, griff Adrianne sie bereits an.

Reflexarig riss Saphira ihre Arme hoch und bildete zwei gewaltige Schilde, um ihren Angriff abzublocken. Adrianne wollte ihr ihre Beine unter dem Körper wegziehen, doch Saphira sprang hoch und rollte sich mit einem Handstand vom Boden ab. Der Tanz auf Leben und Tod begann.

Vorerst blockte Saphira Adriannes Angriffe nur ab, doch dann sah sie ihre Chance und attakierte sie mit Feuerseilen. Adrianne schlug sie weg und Saphira sprang hoch, einen Fuß auf Adriannes Gesicht gerichtet, doch diese tauchte elegant unter ihr weg. Ihre langen, schwarzen Haare wehten hoch, als sie sich aufrichtete und Saphira mit einem magischen Stab angriff.

So ging das noch zehn Minuten lang. Eine Zeit lang schienen sie auf gleicher Wellenlänge, doch dann passte Saphira einen winzigen Moment nicht auf und Adrianne überwältigte sie. Saphira wandte sich unter ihr und versuchte, sie wegzutreten, doch sie war zu stark und sie hatte schließlich keine andere Wahl, als aufzugeben. Etwas niedergeschlagen richtete Saphira sich auf und klopfte sich missmutig den Dreck von der Robe.

"Hey, Saphira", sagte Adrianne und legte ihr lächelnd eine Hand auf die Schulter. "Guter Kampf. Du warst eine tolle Gegnerin."

Ihr Gesicht hellte sich etwas auf. "Danke. Du aber auch. So ziemlich."

Adrianne lachte. "Viel Glück beim zweiten Teil, Saphira. Du kannst jetzt gehen. Holst du Stephen Strange rein?"

Saphira nickte. "Aber Vorsicht, stoß nicht an deinen Ego."

Adrianne grinste. "Netter Typ, was?"

"Mhm", sagte isie mit zusammengekniffenen Lippen und verließ den Raum unter den neugierigen Blicken der Prüfer.

"Du bist am Zug, Strange", sagte sie fast spöttisch und stellte sich zurück auf ihren Platz, nicht ohne ihm einen verächtlichen Blick zuzuwerfen, bevor er in den Prüfungsraum trat.

Hoffentlich machte Adrianne ihn so richtig fertig.

"Okay, Leute. Jetzt kommt der zweite Teil. Sie werden euch darum bitten, verschiedene Zaubersprüche auszuführen, die wir gelernt haben. Ihr müsst nur an eins denken: Öffnet eure Seele. Dann bekommt ihr alles hin. Okay, diesmal die ganz hinten im Alphabet zuerst."

Saphira war extrem erleichtert über diese Tatsache, denn ich könnte jetzt wirklich nicht noch länger warten. 

"Okay. Zacharias, ab in die Halle."

Als sie dann schließlich dran war, schritt sie mit lockeren Gang erneut in den Saal. Dort saß immernoch der schwarzweiße Mann in der Mitte des Tisches. Saphira verbeugte sich kurz vor den Prüfern, bevor sie die ersten Aufforderungen entgegennahm und begann, ihre Arme im Kreis zu bewegen. Jeden einzelnen Zauber führe Saphira reibungslos durch und es gab keine Turbulenzen, bis es zu den Dimensionstoren kam.

"Nun, Saphira, du hast dich bisher sehr gut geschlagen. Mal sehen, wie du mit Dimensionstoren klarkommst", sagte ein braunhaariger, schleimiger junger Mann, der sie schon die ganze Zeit argwönisch musterte. Saphira tastete nach ihrem Sling-Ring, den sie heute morgen an ihrem Gürtel gebunden hatte. Ihr wurde heiß und kalt zugleich.

"Er ist weg", hauchte Saphira ungläubig. Die Prüfer runzelten die Stirn, während der Schleimer schadenfroh grinste. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.

"Wie, er ist weg?", fragte der mittlere Prüfer und sah Saphira mit erhobenen Augenbrauen an.

"Ich hatte ihn heute morgen hier an meinem Gürtel befestigt, da bin ich mir ganz sicher!", sagte sie nervös und tastete panisch ihre Robe ab. "Vielleicht ist er in eine Falte gerutscht..."

"Entschuldigen sie, dass ich sie bei ihrer Suchaktion unterbreche, Miss Saphira", sagte der Prüfer mit dem schleimigen Grinsen und sah Saphira mahnend an, "aber eine gute Zauberin hat ihren Sling-Ring immer bei sich."

"Ich hatte ihn ja auch bei mir!", antwortete sie verzweifelt. "Ich muss ihn verloren haben. Vielleicht im Gang, als ich gestolpert bin, oder beim Kampf..."

"Selbst wenn sie ihn überhaupt dabei hatten, was ich stark bezweifele, ist er nun weg, oder nicht? Und das ist alles, was gerade wichtig ist. Sie sind hier zwar bloß noch bei einer Prüfung, aber was machen sie dann in einer Gefahrensituation, wenn sie dringend eine Fluchtmöglichkeit brauchen?"

"Aber Meister, das ist mir vorher noch nie passiert!"

"Können sie das beweisen?", erwiderte der Mann kühl. "Nein? Dann lassen sie die Widersprüche sein und verlassen sie diesen Raum."

"Aber..."

"Ich sagte, verlassen sie diesen Raum!", rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Saphiras Augen brannten vor lauter Wut und Enttäuschung, dass sie anstatt zu antworten, sich einfach nur kurz verbeugte und den Raum gerade verlassen wollte, als die Älteste ihre Stimme erhob. 

"Nein, warte, Saphira. Komm wieder her."

Mit glänzenden Augen drehte Saphira sich zu ihr um und sah sie erstaunt an. Die Älteste hatte ihren Sling-Ring gezückt und hielt ihn ihr hin. "Du kannst für diese Übung meinen nehmen."

Der Schleimer sah total empört aus. "Aber Älteste, wenn sie ihren eigenen nicht dabei hat, warum sollten wir ihr dann einen leihen?"

Der mittlere Meister hob seine Arme und der Mann verstummte, durchbohrte Saphira jedoch weiterhin mit zornigen Blicken.

"Warum nicht?", stellte die Älteste als Gegenfrage. "Nur weil sie ihn nicht dabei hat, bedeutet das nicht, dass sie nicht dazu in der Lage ist, Dimensionstore zu bilden. Wir sollten ihre Fähigkeiten trotz allem überprüfen."

Der mittlere Master sah sie zustimmend an. "Das ist vollkommen richtig, Älteste. Saphira, nimm den Ring entgegen. Für heute wollen wir von so einem kleinen Fehler mal absehen."

"Aber...", wandte der Schleimer empört an, doch der mittlere Master sah ihn bloß mahnend an. "Schweig still, Arthur. Selbst die größten Magier verlieren mal ihre Sling-Ringe. Wir können eine Schülerin nicht wegen so einer Kleinigkeit disqualifizieren." Er wandte sich wieder mir zu und machte eine Handbewegung.

Saphira ging mit zögernden Schritten zur Ältesten und nahm mit hochrotem Kopf den Sling-Ring entgegen. "Danke", flüsterte sie, trat einen Schritt zurück und zog den Sling-Ring auf. Als sie den Blick von Arthur auf sich spürte, wurde Saphira unglaublich wütend. Wofür hielt er sich eigentlich? Prüfer wie er mussten neutral sein, doch es war ihr selten jemand so Parteiisches untergekommen, und das ist bei zwölf Millionen Jahren bisheriger Lebenszeit schon ein starkes Stück. Sie wollte es ihm unbedingt heimzahlen, und sie wusste auch schon ganz genau, wie.

Voll konzentriert hob sie beide Hände und bewegte eine Hand langsam im Kreis. Das, was sie jetzt vorhatte, hatte sie noch nie vorher ausprobiert und würde einiges an Kraft erfordern. Doch wofür war sie bitte eine Fulvia? Doch trotz der Kraft des Feuers in ihrem Blut traten Schweißperlen auf ihre Stirn, als sie acht Dimensionstore in einer Reihe bildete und fixierte. Einige Prüfer stießen überraschte Laute aus, als Saphira durch das erste lief, verschwand und hinter dem zweiten wieder auftauchte. So lief das noch weitere vier Mal, bis sie am anderen Ende des Raumes angekommen war. Und als sie Arthurs Blick sah, wusste sie sofort, dass sie gewonnen hatte. 

Der letzte Teil der Prüfung stand an. Dieser Teil war der Einzige, bei dem die anderen Schüler zugucken durften. Es diente offensichtlich dazu, Druck aufzubauen, damit man das letzte bisschen Kraft aus sich selbst herauspresste und sich an seine eigenen Grenzen trieb. Noch dazu gaben die Prüfer ihr Feedback ab, auch über die ersten beiden Teile, und zwar vor allen anderen. Das hätte unfair sein können, doch Magier hatten anscheinend andere Ansichten von fair und unfair.

Zu Anfang war es noch ganz locker. Strange redete nicht mit Saphira, und sie nicht mit ihm, weshalb auch keine Streitereien anstanden. Doch je länger sie zusah, desto nervöser wurde sie. Die Gebilde wurden immer beeindruckender, die Sprüche immer gewagter. Und als sie schließlich an der Reihe war, kroch sie fast in die Mitte des Raumes. Es fühlte sich an, als wären alle Augen auf sie gerichtet. Denn Saphira hatte einen gewaltigen Nachteil: da sie eine Fulvia war, erwarteten die Prüfer und generell alle viel mehr von ihr, als sie sich selbst zutraute. Sie begann zu schwitzen, als sie etwas verloren in der Mitte des Raumes stand und so Recht nichts mit sich anzufangen wusste.

"Also, Saphira. Was wirst du uns zeigen, junge Phönixtochter?"

Bei dem Wort jung musste sie prusten. Sie konnte einfach nicht anders. "Jung. Sie sind witzig. Ich bin zwölf Jahrmillionen alt."

Der Prüfer hob seine Augenbrauen. "Zwölf Jahrmillionen? So sehen sie aber nicht aus."

"Natürlich nicht. Immerhin verfügen die Fulvia über die sogenannte Alterskontrolle. Hat nichts mit ewigen Leben zu tun, eher mit hübsch aussehen und so. Sehen sie?", sagte sie, drehte sich um die eigene Achse und schrumpfte immer mehr zu einem kleinen Mädchen von etwa zehn Jahren und kurzen Haaren. Saphira grinste die Prüfer mit einem süßen Zahnlückenlächeln an. "Ich kann aber auch anders", sagte sie stolz und drehte sich erneut. Doch diesmal wuchs sie, immer weiter, bis dort in der Mitte des Raumes eine wunderschöne, junge Frau mit perfekter Figur und hüftlangen, glänzenden Haaren stand. Ihre Augen funkelten jedoch noch genauso kindlich und ausdrucksvoll wie vorher. "Ich könnte mich auch in eine alte Schachtel verwandeln", sagte Saphira mit einer wunderschönen, melodischen Stimme. "Jedoch ist es anstrengend, sich zu oft zu verwandeln. Nur diese beiden Gestalten haben mich schon die Hälfte meiner Energie gekostet."

Saphira ließ den Zauber wieder los. Ihre Figur veränderte sich, ihre Haare wurden wieder kinnlang und ihre Stimme bekam ihren normalen Ton. 

"Natürlich ist das noch längst nicht alles. Feuer kontrollieren gehört auf Ignis, meinem Heimatplaneten, zum Alltag", erklärte sie und ließ Flammen auf ihren Händen und in der Luft tanzen. Der Schein des Feuers reflektierte sich in ihren Augen. "Wir arbeiten mit Feuer. Es ist unser Schild", Saphira bildete eine Feuerwand, "unser Werkzeug", ein weißer Feuerstrahl schoss fauchend aus ihrer Fingerspitze, erlosch aber sofort wieder, "und unsere Waffe." Für diese Demonstation ließ sie einen Feuerball über ihrer Handfläche entstehen und schleuderte ihn quer durch den Raum, wo er zu einem Funkenregen explodierte. Einige Schüler kreischten auf.

"Kombiniert man die Magie des Feuers mit dieser Magie, entstehen faszinierende neue Schilde und Waffen." Saphira ließ ihre Hände kreisen und bildete einen klassischen Schild, nur brannte er lichterloh.

"Doch das beste, die größte und die beeindruckenste Gabe einer Fulvia befindet sich jenseits ihrer Vorstellungen. Was sehen sie, wenn sie mich jetzt so ansehen?", fragte sie die Prüfer. "Sie sehen ein Mädchen, eine Frau, eine Schülerin. Doch das ist nicht alles, was sie heute noch sehen werden. Bitte erschrecken sie sich nicht."

Etwas verwirrt saßen die Prüfer an ihren Tischen, und die anderen Schüler tuschelten, als Saphira kurze Zeit einfach nur dastand, mit geschlossenen Augen, und sich heftig konzentrierte. Stephen schwieg jedoch nur beobachtete sie mit forschendem Blick.

Als Saphira ihre Augen öffnete, loderten sie in einem intensiven Orange. Und als sie die Arme hob, schien sie in eine gewaltige Wolke aus Rauch und Feuer zu explodieren und alle hielten überrascht die Luft an oder schrien angstvoll auf.

Dort, in der Mitte des Saals, stand kein Mädchen mehr, dass ein bisschen mit den Armen herumfuchtelte und sich im Kreis drehte. Mitten in der Luft schwebte ein brennender, riesiger, herrlicher Vogel, seine gewaltigen Flammenschwingen schlugen sanft und gleichmäßig. 

Ein Phönix. 

Der Vogel stieß einen Schrei aus und flog in einem unglaublichen Tempo durch den Saal, über die Prüfer und die anderen Schüler hinweg, bis an die Decke und immer weiter. Er drehte Spiralen, schlug Saltos und steckte sogar den Boden für eine kurze Zeit in Brand und hinterließ eine Spur aus Feuer, die jedoch beinahe sofort wieder erlosch. 

Nach einer Minute flatterte der Vogel über dem Boden und setzte sanft zur Landung an. Und genau in dem Moment, als er die Steine berührte, löste sich das Feuer auf und wirbelte als Asche ein letztes Mal herum, bevor die Flocken Saphiras Körper wieder freigaben. Ihre Arme waren erhoben und ihre Augen geschlossen, wie nach einem Tanz. Langsam ließ sie ihre Arme sinken und richtete ihren zögernden Blick auf die Prüfer. "Und, wie war ich?", fragte sie nervös.

Der mittlere Prüfer sah sie mit einem unergründlichen Blick an. Eine lange Stille machte sich breit.

"Saphira. Am Anfang, als du gegen Adrianne gekämpft hast, war ich noch etwas skeptisch dir gegenüber. Und als dann auch noch die Turbulenzen im zweiten Teil kamen..."

Saphira hielt den Atem an und ihr wurde leicht schlecht. Was würde jetzt kommen? 

"Doch jetzt hast du mich überrascht, zugegeben. Ob du wirklich gut genug bist, um zur vollwertigen Magierin erklärt zu werden, wird sich noch herausstellen. Aber lass dir gesagt sein: Du hast deine Sache sehr gut gemacht."

Mit gemischten Gefühlen stellte sie sich wieder neben Strange. Angst und Freude trafen in ihr aufeinander, und langsam gewann die Angst die Oberhand. Falls sie es nicht schaffte, falls sie nicht als tauglich erklärt wurde, hätte das nur einen einzigen Grund: Ihr Sling-Ring. 

Nach den Präsentationen der anderen Schüler, die nicht weniger beeindruckend waren, hatten alle eine gewisse Auszeit und durften sich etwas im Sanctum umsehen. Saphira suchte noch einmal im Flur des Sanctums nach ihrem Sling-Ring, fand jedoch nichts. Panik stieg in ihr auf. Wo war er?

Da ging ihr auf einmal ein Licht auf. Sie war doch im Vorraum von Strange angerempelt worden. Was, wenn der Sling-Ring dort aus ihrem Gürtel und in eine Ritze gerutscht war? Sofort rauschte Saphira mit wehender Robe durch die Gänge. Im Vorraum durchsuchte sie jeden Winkel, fand jedoch immernoch nichts. Okay, jetzt bekam sie es wirklich mit der Angst zu tun. Sie konnte nicht ewig ihren Sling-Ring von anderen Leuten ausleihen, und nach einem neuen zu fragen war verboten. Jeder durfte nur einen Sling-Ring besitzen, und wenn man ihn verlor, dann war er weg. Schluss, aus, Ende.

"Was machst du denn noch hier?"

Saphira rauschte herum und erkannte Strange am anderen Ende des Raumes. "Meine Güte, hör auf, mich immer so zu erschrecken!"

"Was suchst du denn da?", fragte er neugierig und trat näher zu ihr. Saphira musterte ihn skeptisch. Da wanderte ihr Blick zu seinem Gürtel und ihre Augen weiteten sich vor Empörung und Wut. "Du hast meinen Sling-Ring genommen!", rief sie zornig. 

"Was?", entfuhr es Stephen. "Nein, habe ich nicht!"

"Ach. Und was ist das?", keifte Saphira und deutete auf seine Gürtel. Stephen blickte an sich herab und entdeckte die zwei Sling-Ringe. Völlig verwirrt hob er seinen Blick und sah Saphira hilflos an. "Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, wie der da hingekommen ist!", beteuerte er.

"Ja, natürlich nicht", erwiderte Saphira und streckte ihre Hand aus. "Her damit."

Stephen löste den zweiten Sling-Ring von seinem Gürtel und hielt ihn ihr hin. Saphira riss ihm den Doppelring aus der Hand. "Wenn du willst, dass ich durchfalle, hättest du dir etwas Besseres einfallen lassen sollen", zischte sie und stolzierte mit hoch erhobenem Kinn an ihm vorbei.

"Zum letzten Mal, ich war das nicht!", rief Stephen und blickte ihr wütend nach.

"Ja, genau, Strange. Und der Sling-Ring ist von selbst an deiner Robe hoch geklettert und hat sich an deinem Gürtel befestigt", erwiderte sie und knallte lautstark die Tür zu. Stephen zuckte zusammen.

"Ich war das nicht, und das werde ich dir auch beweisen", murmelte er und verließ den Raum in die entgegengesetzte Richtung. Denn im Gegensatz zu Saphira wusste er wirklich, wer den Sling-Ring geklaut und ihn an Stephens Gürtel festgemacht hatte. Und genau diesen Jemand würde er jetzt zur Rede stellen.

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