2. Kapitel
Tanzstunden, nächtliches Training und allerlei nette Komplimente
Es war nun schon eine Woche vergangen, und Saphira hatte immernoch keine großen Fortschritte in Kampfkunst gemacht. Die Nachhilfestunden brachten nicht viel, da sie von Mordo noch viel mehr fertiggemacht wurde als von Stephen, den sie eigentlich, seit sie seinen Nachnamen kannte, nur noch Strange nannte. Am Anfang hat sie sich innerlich darüber lustig gemacht, dass der Typ Strange hieß und sich auch noch Strange benahm, doch mitlerweile konnte sie nicht einmal mehr das aufheitern. Das Einzige, was wirklich Spaß machte, war die Zeit mit der Ältesten. Magie anzuwenden war für Saphira nämlich gar kein Problem mehr. Auch konnte sie nun ihr Alter besser kontrollieren und sah durchgehend aus wie eine Einundzwanzigjährige. Doch ihre Roben musste sie trotzdem (dank Mordo und Strange) jeden Tag mindestens dreimal wechseln, was bei vier Garnituren Kleidung jeden Tag Wäsche hieß. „Juhuuu", sagte sie matt, als sie mal wieder im Keller war und ihre Roben in die Waschmaschine schob. Zum Glück hatten die Magier welche, denn wenn sie jetzt auch noch mit der Hand waschen müsste, hätte sie die Krise bekommen.
„Na, musst du mal wieder deine Roben waschen", sagte Strange und trat mit einem Stapel seiner eigenen dreckigen Roben ein. „Neeee, Sherlock", erwiderte Saphira und betätigte einige Knöpfe an dem weißen Kasten. „Wenigstens lerne ich dadurch diese überaus sinnvolle Erfindung der Menschen besser kennen."
„Na, wenn du so eine Spezialistin bist, kannst du meine Roben ja gleich mitwaschen, Watson", sagte Strange nüchtern. „Sorry, schon zu spät", antwortete Saphira zuckersüß und drückte den Startknopf. „Au revoir!"
Mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck wandte sie sich ab und rannte die Treppen hoch. In genau zwei Stunden würden zwei ihrer Roben wieder sauber sein und eine Dritte dreckig werden. Juhu.
Mit leicht missmutigem Gesicht trat sie raus auf den Hof, wo Mordo schon mit verschränkten Armen auf sie wartete. „Saphira, wir müssen reden."
Ich verlagerte mein Gewicht auf ein Bein und legte meinen Kopf schief. „Und?"
„Du machst für eine angehende Magierin schon sehr große Fortschritte, sogar die Größten, die ich jemals gesehen habe. Das reicht aber nicht. Immerhin ist die Prüfung schon in zwei Wochen und du musst noch sehr viel lernen."
„Ja, ich weiß, das tut mir auch Leid, immerhin will ich diese Prüfung schaffen. Aber was soll ich machen? Soll ich etwa noch Extrakurse um ein Uhr nachts besuchen, oder wie?"
„Genau das hatte ich im Sinn", erwiderte Mordo.
„Was?" Entsetzt starrte ich Mordo an. „Aber ich..."
„Saphira, wenn du diese Prüfung schaffen willst, musst du schneller lernen als je ein Magier es vor dir getan hat. Und das geht nunmal nicht ohne sehr, sehr viel Unterricht."
„Aber nicht um ein Uhr nachts", sagte Saphira und hob ihre Brauen.
„Nein, das jetzt nicht", antwortete Mordo. „Sondern um neun bis elf Uhr nach dem Abendessen. Diesen Unterricht wirst du aber nicht bei mir haben, da es wenig Sinn machen würde."
Saphira beugte sich leicht nach vorne. „Hä? Aber du bist doch so ein Kampfkunstgenie!"
Mordo runzelte die Stirn. „Habe ich es etwa vergessen, zu sagen? Das wird kein Unterricht in Kampfkunst sein, sondern Ballett."
Jetzt war Saphira völlig von den Socken. „Wie bitte? Ballett!? Wie in aller Welt soll mir das denn bitte helfen?"
Mordo verzog keine Miene. „Das wirst du noch sehen, glaub mir. Es wirkt wahre Wunder."
Saphira schnaubte. „Na klar. Und ich werde Prüfungsbeste", entgegnete sie spöttisch. Mordo seufzte nur. „Geh einfach hin und lass es dir beibringen. Wenn ich morgen höre, dass du geschwänzt hast, rede ich mit der Ältesten nochmal über deine Prüfungsteilnahme. Der Unterricht ist übrigens in der Übungshalle. So, und jetzt zeig mir deine Krallen, Mädchen in Flammen. Ich möchte Energie sehen, klar?"
Mordo hatte gut Reden. Er war ja auch schon seit Ewigkeiten Magier und hatte viel mehr Zeit gehabt, um für die Prüfung zu lernen. In der heutigen Stunde war Saphira wegen des künftigen Ballettunterrichts so frustriert, dass sie ihn sogar einmal zu Boden warf, den Kampf aber leider doch verlor. „Schon viel besser", lobte Mordo sie und klopfte ihr auf die Schulter, Saphira sah ihn jedoch nur wütend an. „Ach komm schon, du kannst doch jetzt nicht die ganze Zeit sauer sein."
„Kann ich wohl", erwiderte Saphira mit herhobenem Kinn und stemmte die Hände in die Hüfte wie ein kleines Kind. Mordo lachte. „Na los, Mädchen in Flammen. Geh essen und mach dich dann fertig für deine Tanzstunde."
„Ich eile", säuselte sie und schwebte auf Zehenspitzen wieder ins Gebäude. Mordo lachte wieder und folgte ihr kopfschüttelnd.
Beim Essen saß Saphira, wie eigentlich jeden Tag, alleine an einem Tisch und stocherte lustlos in ihrem Kartoffelauflauf herum. Da ließ sich auf einmal die Älteste ihr gegenüber nieder.
„Älteste!", entfuhr es Saphira überrascht. „Wieso...wieso haben sie sich zu mir gesetzt?"
Die Älteste lächelte Saphira an. „Ich dachte mir, dass du ein bisschen Gesellschaft gut gebrauchen könntest."
Saphira starrte auf ihren Teller. „Naja."
„Saphira, ich bitte dich", sagte die Älteste und blickte sie tadelnd an. „Die ganze Woche über hast du dich kein einziges Mal nett mit jemand anderes unterhalten außer Mordo und mir. Der einzige Magier, mit dem du überhaupt redest, ist Stephen Strange, und wenn, dann streitet ihr nur. Wieso distanzierst du dich so von den anderen Leuten in Kamar Taj?"
Saphira ließ ihre Gabel auf den Teller fallen. „Weil sie alle gleich sind", murmelte sie.
Die Älteste legte ihren Kopf schief. „Inwiefern?"
„Sie sind alle so sehr von sich selbst überzeugt, dass man nicht normal mit ihnen reden kann. Und wenn sie es nicht sind, hängen sie alle an diesem Dean."
„Derjenige, der an deinem ersten Tag hier deine Fähigkeiten bezweifelt hat?"
„Genau der", antwortete Saphira.
Die Älteste seufzte. „Hör mal. Wenn du so weitermachst, bringt das nichts. Jetzt vor der Prüfung ist es vielleicht noch positiv, da du dich voll und ganz dem Üben widmen kannst. Aber später wirst du nicht alleine durchkommen, egal, wie mächtig du sein wirst. Jeder Magier braucht seinen Partner, glaub mir."
Saphira schob sich bloß eine Gabel voll Auflauf in den Mund und kaute darauf herum, anstatt zu antworten. „Wenn sie es sagen", entgegnete sie matt. Die Älteste hörte sofort, dass Saphira nicht gerade daran dachte, ihren Rat zu befolgen. Seufzend stand sie auf. „Ich wünsche dir noch einen schönen Abend, Saphira. Und viel Spaß beim Tanzen."
Saphira schnaubte bloß, als die Älteste schließlich gegangen war. „Na, vielen Dank auch."
Als Saphira die Tür zur Übungshalle öffnete, saß gerade eine Frau Mitte dreißig auf dem Boden und dehnte ihre Beine. Als Saphira eintrat und sich räusperte hob sie den Kopf. „Ah, meinen neue Schülerin. Du musst Saphira sein, nicht wahr?"
Saphira nickte. „Ja, die bin ich. Und sie sind?"
„Luna", sagte die Frau mit freundlicher, ruhiger Stimme. „Setz dich doch."
Etwas irritiert setzte sich Saphira im Schneidersitz vor Luna hin. „Weißt du, warum du hier bist?", fragte Luna. Saphira zögerte. „Weil ich nicht gut genug in Kampfkunst bin?"
„Nein, sondern weil du nicht vertieft genug in Kampfkunst bist. Du kannst das alles, da bin ich mir ganz sicher. Nur willst du es nicht können."
„Natürlich will ich das!", antwortete Saphira empört. „Ich will schließlich die Prüfung bestehen!"
„Genau", sagte Luna. „Aber es geht dir nicht um die Kampfkunst selbst, oder?"
„Naja...nur teilweise. Nein. Nein, eigentlich nicht."
„Siehst du."
Luna streckte ihren Arm aus und berührte mühelos ihre Fußspitze. „Du musst die Bewegungen spüren, die Technik reibungslos ausführen, mit jeder Faser deines Körpers in der Magie stecken, um Kampfkunst zu beherrschen. Es ist nur ein Ballett, Saphira, ein Ballett auf Leben und Tod. Und ich weiß, dass du es tanzen kannst."
Saphira legte den Kopf schief. „Und wie lautet die Choreographie?"
Luna lächelte. „Genau das zeige ich dir jetzt. Ich sehe, du hast verstanden. Fangen wir an."
Den Rest der Stunde dehnten sie sich und Luna zeigte Saphira ein paar Grundschritte, die so gar nicht nach Kampfkunst aussahen und generell auch nicht viel damit zu tun hatten. Aber sie solllte ja erst klein anfangen, sagte Luna zu ihr.
Nach der Tanzstunde wankte Saphira müde aus dem Raum und durch die Gänge, bis hin zu ihrer Wohnung. Dort genemigte sie sich eine kurze Dusche, obwohl es schon verdammt spät war. Doch sie hatte es wirklich nötig. Als sie in den Spiegel blickte, sah sie überall Kratzer und Erdflecken in ihrem verbittertem Gesicht. Dieser Tag war eine reine Katastrophe gewesen.
Als Saphira fertig war, ließ sie sich erschöpft auf ihr Bett fallen und machte sich nicht einmal mehr die Mühe, sich zuzudecken. Ein paar Minuten später war sie bereits eingeschlafen.
„Ah!"
Frustriert kickte Saphira einen Moosball von den Steinplatten des Trainingsplatzes. „Warum kann ich das alles nicht? Es ist zum Haareausraufen!"
Schon seit fünf Tagen nahm sie Ballettunterricht bei Luna und gab sich so viel Mühe wie noch nie. Den einzigen Vorteil, den sie dadurch erzielt hatte, war, dass sie Mordo ungefähr zehn Mal ins Gesicht getreten und ihn sogar einige Male von den Füßen geholt hatte, was ihr im Endeffekt leider auch nichts brachte.
„Ich werde diese Prüfung nie bestehen, Mordo!", jammerte sie und ließ sich bäuchlings zu Boden fallen, sodass sie wie eine krebskranke Katze auf den Steinen lag. „Ich bin so grottenschlecht!"
Mordo musste über ihre lächerliche Haltung prusten. „Komm, steh auf. Wenn du weiter so liegen bleibst, wirst du auch nicht besser."
„Macht doch sowieso keinen Unterschied", brummte sie, stand aber doch auf und griff Mordo erneut an, um wieder Mal haushoch besiegt zu werden. Immer und immer wieder griffen sie nacheinander an, doch das machte wirklich keinen Unterschied: Saphira wurde nicht besser.
Auch am Abend mit Luna lief es nicht anders ab. Jedes Mal, wenn Saphira eine Piourette drehen oder sich auf den Zehenspitzen drehen wollte, fiel sie hin wie ein tollpatschiges Entenküken. „Saphira, so geht das nicht weiter!", sagte Luna. „Du hast die Grazie einer Nacktschnecke, du musst dringend besser werden!"
„Soll ich vierundzwanzig Stunden am Tag üben, oder was?", fauchte sie als Antwort.
In beiden Unterrichtsstunden war sie einfach nur wütend, frustriert und enttäuscht von sich selbst. Ihr ewiger, pessimistischer Blick blieb nicht unbemerkt bei den anderen Schülern, die nur den regulären Unterricht hatten. Dass man dann auch noch anfing, hinter ihrem Rücken über sie zu tuscheln, besserte ihre Laune ganz und garnicht. Keiner sah Saphira in dieser Woche lächeln, nicht einmal ihr Spiegel bekam sie glücklich zu Gesicht.
Eines Nachts, Stephen konnte wieder einmal nicht schlafen und wanderte durch die Gänge von Kamar Taj, vernahm er plötzlich ein Geräusch aus der Übungshalle, das so klang, als wäre etwas umgestürzt. Flüche ertönten und eine kurze Stille setzte ein, bis es erneut rumpelte. Neugierig folgte Stephen dem Geräusch. Wer außer ihm war denn um drei Uhr nachts noch wach?
Vorsichtig und darauf bedacht kein Geräusch zu machen, blickte er in die Übungshalle. Dort, im schwachen Lichtschein des Mondes, tanzte eine schwarze, grazile Silhouette und bewegte sich mit einer Anmut, die ihn in den Bann zu ziehen schien. Wie verzaubert stand er da und beobachtete die Tänzerin, bis sie plötzlich stolperte und dasselbe Geräusch dabei verursachte, dass er schon im Flur gehört hatte. Stumm lag die Tänzerin auf dem Boden und bewegte sich nicht mehr. Leise, ganz leise, vernahm Stephen ein Schluchzen, das von der Silhouette ausging. Ihr Körper zitterte und schien kleiner zu werden, bis er die Größe einer Zwölfjährigen erreicht hatte. Verwirrt blinzelte Stephen in die Dunkelheit hinein. Wie zur Hölle...
Da schien die Tänzerin wieder zu wachsen und normale Größe anzunehmen. Die Schluchzer erstarben, als die Silhouette sich langsam aufsetzte, sich schniefend über die Augen wischte und schließlich mit entschlossener Haltung aufstand. „Noch ein letzter Versuch", flüsterte sie zu sich selbst. „Dann ist für heute Feierabend."
Erneut begann sie zu tanzen. Erst langsam, dann immer schneller, bis Stephen wieder nicht anders konnte, als ihr wie gebannt zuzusehen und jede einzelne ihrer Bewegungen mit Staunen zu verfolgen. Die Tänzerin schien ihren Willen wieder völlig unter Kontrolle zu haben. Ihre Schritte wurden immer komplizierter und ihre Sprünge gewagter. Am Ende streckte sie ihr rechtes Bein so hoch in die Luft, dass es ihre Schulter berührte, und hielt ihr Gesicht ins Mondlicht, sodass man jedes einzelne Detail erkennen konnte.
Stephen erschrak, als er ihr Gesicht erkannte. Die Tänzerin war Saphira. Doch das war nicht der Grund, weshalb er, wie zur Salzsäule erstarrt, sich nicht mehr vom Fleck bewegen konnte.
Es war das zarte, selige Lächeln auf ihren Lippen, dass ihn so verblüffte und ihn völlig aus der Fassung brachte.
Am nächsten Morgen war es schwer für ihn, Saphira nicht mit einem bewunderndem Blick zu betrachten. Beim Frühstück saß sie alleine an einem Tisch, düster auf ihren Teller blickend. Das Lächeln von letzter Nacht schien nie existiert zu haben, als sie aufstand, ihren Teller wegbrachte und noch lange vor allen anderen den Raum verließ, um ihre Stunde bei der Ältesten zu absolvieren.
Magie war wahrscheinlich das einzige, womit sie keine Probleme hatte. Sie lernte die kompliziertesten Sprüche auf verblüffend raffinierte Art und kam selbst mit den kaum auszusprechenden Wörtern sehr gut klar. „Ich bin stolz auf dein magisches Talent, Saphira", lobte die Älteste sie heute. „Hast du dich in Kamfpkunst auch so sehr gebessert?"
„Leider nicht", antwortete Saphira missmutig. „Mordo sagt, ich sei genauso gefährlich wie ein Schwamm, während Luna meine Tanzkünste mit der Eleganz einer Nacktschnecke vergleicht."
Die Älteste musste lachen. „Keine Sorge, das wird schon. Bis zur Prüfung kannst du bestimmt schon alles."
Saphira schnaubte. „Schön wärs. Den Magieteil bestehe ich vielleicht. Aber den Zweikampf und den simulierten Angriff? Nie im Leben."
Ein sanftes, aufmunterndes Lächeln umspielte die Lippen der Ältesten. „Keine Sorge, du bekommst das schon noch hin. Ich glaube an dich."
Saphira konnte daraufhin einfach nur traurig gucken. „Danke. Ich habe das Gefühl, dass sie die Einzige sind, die das tut."
Und damit hatte sie leider nicht Unrecht.
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