1. September 1995
„Seltsam... das ist gar nicht Sturgis' Art”, gab Kingsley zu bedenken. Der dunkelhäutige Zauberer hatte die Stirn in Falten gelegt. „Er kam mir immer recht zuverlässig vor.”
„Was weißt du schon...”, knurrte Mad-Eye. Er tippte ungeduldig mit seinen Fingern auf den Tisch, seinen Whisky ließ er völlig außer Acht.
„Ich kenne Sturgis, Alastor”, erwiderte Kinsgley ruhig.
Mad-Eye schnaubte. „Na und? Tu ich auch”, blaffte er, „der Typ hat meinen Tarnumhang gestern nicht zurückgebracht. Vielleicht hat er sich unter den Finger gerissen. Tarnumhänge sind selten und mittlerweile schwierig zu kriegen.”
„Warum sollte er den Orden jetzt hintergehen? Im ersten Krieg war er doch loyal zu Dumbledore.”
„Menschen ändern sich. Außerdem warst du im ersten Krieg nicht dabei, Shacklebolt.” Mad-Eyes magisches Auge beäugte Kingsley misstrauisch.
Remus beobachtete die beiden Männer über den Rand seiner Teetasse. Es war etwas neues, dass Kinsgley und Mad-Eye diskutierten. Sonst schienen sie immer einer Meinung zu sein. Ob in dieser Angelegenheit Kingsley zu gutgläubig oder Mad-Eye zu paranoid war, wusste Remus nicht.
Doch es war sicherlich höchst ungewöhnlich...
Sturgis Podmore, ein blonder Zauberer mittleren Alters, der schon seit dem ersten Krieg dem Orden angehörte, war am gestrigen Morgen zu einer Mission für den Orden aufgebrochen. Er hatte die Prophezeiung bewachen sollen und dafür Mad-Eyes Tarnumhang dabei gehabt.
Doch keiner hatte Sturgis mehr zu Gesicht bekommen. Remus zweifelte langsam daran, ob er überhaupt von seiner Wache zurückgekehrt war. Denn heute, als Harry und der Rest der Kinder zurück nach Hogwarts eskortiert worden waren, war Sturgis nicht aufgetaucht.
Mad-Eye hatte ihm mittags eine Eule zukommen lassen, aber keine Antwort erhalten. Am frühen Abend war er mit Kingsley nach Clapham aufgebrochen, um Sturgis' Haus aufzusuchen - aber Sturgis war nicht da gewesen.
Gerade als die Uhr Viertel nach acht schlug, kam Tonks in die Küche gestürmt. Ihre Haare waren zerzaust und von einer wilden Mischung aus verschiedenen Rottönen. Rücksichtslos warf sie ihren Aurorenumhang zur Seite.
„Ich komm gerade aus dem Ministerium und hab was interessantes erfahren. Haltet euch fest”, kündigte sie an und knallte die Titelseite der Abendausgabe des Tagespropheten auf den Tisch.
„Sturgis wurde festgenommen!”
„Was?!”, donnerte Mad-Eye und beugte sich tiefer über die Titelseite. Remus tat es ihm gleich.
Tatsächlich - in dicken Lettern prangerte es schwarz auf weiß auf der Titelseite der Abendausgabe: Sturgis Podmore festgenommen.
Remus überflog den Artikel hastig. Laut dem Tagespropheten war Sturgis gestern festgenommen worden, weil er versucht hatte, in den Hochsicherheitstrakt einzubrechen und die Prophezeiung zu stehlen. Er hatte bereits ein Straftribunal erhalten und wurde, weil er nicht aussagen wollte, zu sechs Monaten Askaban verurteilt.
„Das ist doch Wahnsinn”, murmelte Kingsley, „die können ihn doch nicht wegen versuchten Einbruchs auf ein halbes Jahr in Askaban verurteilen!”
„Siehst du ja, dass sie's können. Fudge und seinen Leuten trau ich alles zu. Du weißt doch, was sie über Dumbledore und Potter sagen”, sagte Mad-Eye grimmig. Sein magisches Auge rotierte und blieb dann auf Tonks hängen. „Hast du sonst was mitbekommen?”
„Nein”, erwiderte sie, „wobei ein paar Leute meinen, dass Dumbledore ihn darauf angesetzt hat.”
„Na schöne Scheiße...” Mad-Eye stand auf, packte das Titelblatt und humpelte zur Tür. „Ich werd mich mit Dumbledore in Verbindung setzten.”
„Glaubst du, er kann Sturgis da rausholen?”, fragte Tonks.
„Wohl kaum. Das Ministerium hasst Dumbledore. Aber einen Versuch ist's wert... zumindest wissen wir jetzt, dass Sturgis loyal dem Orden gegenüber war.” Mit diesen Worten verschwand er.
„Tun wir das?”, fragte Tonks verwundert.
Kingsley nickte. „Er hat nicht aussagen wollen. So weiß Fudge zumindest nicht, dass der Orden die Prophezeiung bewachen lässt. Aber das wird trotzdem Ärger geben...” Mit einem untypisch grimmigen Nicken verließ auch Kingsley den Raum.
Tonks sah ihrem Kollegen stirnrunzelnd nach. „Ich frage mich nur, wieso Sturgis sowas getan hat. Ich meine, um in den Hochsicherheitstrakt des Britischen Zaubereiministeriums einzubrechen... da ist man doch nicht mehr ganz bei Sinnen. Sturgis kam mir immer recht normal vor.” Sie hielt inne und zog ihre Augenbrauen zusammen.
Dann sprach sie aus, was Remus sich ebenfalls bereits gedacht hatte: „Es sei denn, dass jemand ihn mit dem Imperius Fluch belegt hat... Aber wer in Merlins Namen kommt da ungesehen hin außer vielleicht einem Ministeriumsangestellten? Hat Sturgis Feinde im Ministerium, die ihm was in die Schuhe schieben wollen?”
Remus schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Sturgis mag vielleicht ein Schönling sein, aber ich bezweifle, dass es jemanden gibt, der ihn so sehr hasst, dass er ihn in Askaban sehen will.”
„Es sei denn...”, murmelte Tonks nachdenklich, „hey, Remus, denkst du, dass Sturgis nur zufällig Opfer wurde? Was wäre, wenn ein Feind des Ordens von unseren Wachdiensten Wind bekommen hätte und dem Orden eins auswischen wollte?”
„Das hört sich irgendwie schlüssig an. Aber wer sollte davon erfahren haben?”
Tonks wiegte ihren Kopf hin und her, kaute gedankenverloren an ihren Fingernägeln und zog ihre Brauen zusammen.
„Lucius Malfoy," sagte sie plötzlich mit einer Sicherheit in ihrer Stimme, dass Remus beinahe seine Teetasse entglitt.
„Malfoy? Aber warum das denn?”
„Er war immerhin schon im letzten Krieg auf der gegnerischen Seite und würde Sturgis auf jeden Fall erkennen. Außerdem weiß er von der Existenz des Ordens und vermutet vielleicht sogar, dass wir rekrutieren und so weiter. Dumbledore hasst er ebenfalls. Das ist doch Grund genug.”
„Grund genug schon”, warf Remus ein, ”aber das könnte auch ein Grund für so manchen anderen Todesser sein. Nimm Pettigrew, er hat damals Lily und James verraten und somit den Orden und Dumbledore betrogen. Außerdem dient er Voldemort treuer als je zuvor, wenn Harrys Worte stimmen. Warum also Mr Malfoy?”
Tonks' Augen leuchteten stolz, ganz so als hätte sie darauf schon eine Antwort. „Erinnerst du dich noch daran, dass Arthur nach Harrys Anhörung erzählt hat, dass Malfoy im Ministerium herumgeschnüfflet hat? Das wäre die perfekte Gelegenheit für Malfoy gewesen! Er sieht Sturgis und setzt ihn unter den Imperius.”
„Aber das würde ja heißen, dass Sturgis schon seit dem 12. August Malfoys Marionette ist!”
„Ich trau's Malfoy zu, du nicht? Passt genau zu dem alten Narzissten”, meinte sie mit düsterer Miene.
„Deine Theorie ist brillant, Tonks, einfach brillant. Schick Dumbledore eine Eule, vielleicht können wir Sturgis doch rausholen... oder zumindest seine Strafe mildern.”
„Oder Malfoy endlich hinter Gitter bringen”, knurrte Tonks und griff nach einem Stück Pergament und einer Feder. „Merlin weiß wie lange ich und Mad-Eye den Typ schon in Askaban sehen wollen...”
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