Kapitel 6

Schatten lag neben seiner kleinen Familie und leckte seiner Gefährtin liebevoll über den Kopf. Das, was Rauch ihm erzählt hatte, die Sache mit seinem Traum, machte ihm Sorgen. Der kleine graue Kater schien Angst davor gehabt zu haben. Was war es nur? Wieso kam ihm dieses Gefühl so bekannt vor? Seufzend legte er den Kopf auf die Pfoten und beobachtete das gleichmäßige Heben und Senken der Flanken von Quelle. Qualm zuckte mit den kleinen Pfoten und trat Wolke am Kopf. Rauch schlief seelenruhig. Lächelnd und doch ein klein wenig in Sorge schloss er die Augen. Er würde sich morgen Gedanken darüber machen.

"Schatten", hallte eine Stimme durch den Kopf des schwarzen Katers. Sofort schnellte er mit dem Kopf nach oben. Quelle und seine Jungen waren verschwunden. Schatten bekam einen Schreck. Wo waren sie? "Schatten, komm raus", hallte die Stimme wieder, sie klang unnatürlich verzerrt und trotzdem kannte Schatten sie irgendwo her.  Er spitzte die Ohren, mit einem Schlag war er hellwach. Vorsichtig stand er auf, noch immer war Nacht und seine Umgebung dunkel. "Hier bin ich." Es verwirrte den Kater, dass sich die Stimme in seinem Kopf befand. Langsam und wachsam glitt er nach draußen in das helle Mondlicht. Kein Stern war zu sehen, es gab nur den schwarzen Himmel. Die einzige Lichtquelle war der Krallenmond, der seinen Pelz beschien, sodass er wie ein Geist seiner Selbst aussah. Die grünen Augen funkelten, als er versuchte, etwas im Dunkel zu erkennen.

Mit einem Mal blitzten zwei gelbe Augen auf und vor ihm erschien eine langhaarige, weiß schwarz gefleckte Kätzin. Schatten erkannte sie sofort. "F-Flieder?" Mehr brachte der große Kater nicht heraus. "Hallo, mein Sohn. Ich habe dich lange nicht gesehen. Gut siehst du aus." Sie nickte und umrundete den Schwarzen, um sich dann wieder vor ihm hinzusetzen. Er blinzelte sie einige Momente lang an, ehe er seinen Kopf schüttelte und fragte: "Wie ist das möglich? Du bist doch -" Die Gefleckte unterbrach ihn mit einem Schwanzschnippen. "Das ist jetzt nicht wichtig, Schatten. Ich habe Wichtiges mitzuteilen." Flieder sah ihn einen Moment an, ehe sie fortfuhr. "Rot - rot ist die Farbe, vor der du dich fürchten solltest. Sie hält nichts Gutes für euch bereit. Der Feind nähert sich. Rot ist seine Farbe." Sie senkte den Blick. Schatten legte den Kopf schief. "Was meinst du damit? Sprich mit mir!" Doch die gefleckte Kätzin verblasste schon und Schatten blieb verwirrt zurück. Eine ganze Weile saß er noch da, über die Worte Flieders nachdenkend. Rot ist die Farbe, vor der du dich fürchten solltest. Was hatte seine Mutter damit gemeint? Er kannte vieles, was rot war - Eichhörnchen, Blut, der Himmel, wenn die Sonne auf- und untergeht, das Laub in der Zeit, in der das viele Wasser fällt. Schatten schwirrte der Kopf.

Der schwarze Kater wusste nicht, wie lange er nun schon am Eingang der Ruine saß. Er starrte schon eine ganze Weile auf den Horizont und beobachtete die Sonne beim Aufgehen. Rot ist seine Farbe.  Plötzlich vernahm er den Geruch von Quelle hinter ihm. Die silbern getigerte Kätzin legte ihren Schweif um den ihres Gefährten. "Guten Morgen, Liebling", schnurrte sie. "Alles okay mit dir?" Schatten sah die Kätzin an und nickte. Er würde ihr keine Sorgen machen wollen. "Ich bin nur früh wach geworden", erklärte er ihr, was in gewisser Weise nicht einmal gelogen war. "Komm doch wieder herein, es ist frisch hier draußen." Quelle schnurrte und leckte ihm über die Schulter. Wieder nickte Schatten. Er war noch völlig in Gedanken versunken, und so folgte er seiner Gefährtin wortlos zurück in ihr Zuhause.

Rauch, Qualm und Wolke spielten gerade miteinander. Es war ein einziger kontrastreicher Fellhaufen. Sie quietschen und quiekten, schnappten mit den Zähnen nach dem Schwanz des anderen. Schatten musste lächeln und schob seine Gedanken beiseite. Er beobachtete sie noch eine Weile, ehe er sich neben Quelle setzte und anfing, ihr das Fell zu waschen. Die hübsche Kätzin fing an zu schnurren und als er fertig war, lehnte sie sich an ihn.
So saßen sie eine Weile da und spürten die Wärme des anderen, während ihre Jungen vor ihnen umher rollten, sich fingen und überschlugen und voreinander wegliefen. Schatten hatte das Gefühl, die Kleinen würden vor Energie strotzen und so stand er auf. "Hier kommt der Bär!", knurrte er spielhaft und trampelte auf die drei zu. Rauch, Qualm und Wolke liefen lachend auseinander. "Uns kriegst du nicht! Uns kriegst du nicht!" Schatten knurrte auf. "Na wartet! Wenn ich euch erwische!", rumpelte er mit seiner tiefen Stimme und lief auf die drei zu. Rauch, Qualm und Wolke versteckten sich hinter ihrer Mutter. Diese spielte mit. "Erst musst du an mir vorbei!", brummte sie mit verstellt tieferer und doch noch helleren Stimme. Sie stellte sich breitbeinig hin, sodass ihre Jungen unter sie kriechen konnten, und senkte den Kopf, behielt Schatten dabei aber im Auge. Dieser schwankte hin und her, eben wie ein Bär, und schaukelte seinen Kopf nach links und rechts.

"Auf ihn!", rief Wolke auf einmal und stürmte nach vorn. Schatten hielt seinen Kopf unten und der schwarzweiße Kater landete darauf. Rauch folgte seinem Bruder und wollte gerade mit seinen kleinen Pfoten die Schnauze des schwarzen Katers angreifen, da zog Qualm am Schwanz des grauen Katers. "He!", quiekte Rauch und drehte sich zu seiner frechen Schwester um. "Schluss! Wir gehen jetzt raus", beendete Quelle das Spiel, bevor es in einem Streit endete. Wolke war bereits auf den Rücken von Schatten geklettert und lachte, als dieser schaukelte. Qualm lief sofort lachend nach draußen. "Na komm, mein Kleiner", miaute Quelle sanft und Rauch tappte Qualm hinterher. Schatten leckte seiner Gefährtin über das Ohr und ging mit Wolke auf dem Rücken voran. Quelle folgte ihnen lächelnd. Dass dies der letzte Tag einer glücklichen Familie wurde, war ihnen nicht bewusst.

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