Kapitel 10
Am nächsten Morgen wachte Rauch durch ein Stupsen in seine Flanke auf. Er hatte wesentlich besser geschlafen, diese Nacht keine Alpträume gehabt und fühlte sich allgemein erholter als sonst. "Rauch, wir wollen weiter!", piepste Qualm an seinem Ohr. Der kleine, graue Kater stand auf, machte einen Buckel, um seine Muskeln zu strecken, und suchte Schatten. Qualm schien das zu bemerken, denn sie erklärte ihm: "Papa ist jagen. Er ist schon los und wir sollen seiner Geruchsspur folgen, hat er gesagt." Rauch gähnte noch einmal und legte dann den Kopf schief. "Das haben wir doch noch nie gemacht!", gab er zu bedenken. "Und wir sind alleine -" Qualm unterbrach ihn. "Ach komm schon, Rauch. Sei kein Spielverderber! Es ist wie Beutejagd - .. nur, dass Papa unsere Beute ist."
Widerwillig stand Rauch nun gänzlich auf und folgte seiner Schwester, die ihre Nase schon in die Luft hob und schnupperte. "Sicher, dass das -" - "Da!", rief Qualm und sprang plötzlich ohne Vorwarnung in den Wald. "He! Qualm, warte auf mich!" So schnell er konnte, lief Rauch seiner Schwester hinterher. Waldgerüche strömten in seine Nase - er erkannte Gras, Moos, Wasser in der Nähe, vor allem aber Holz und den Geruch von frischen Blättern, und für einen kurzen Moment genoss er diesen Geruch. "Rauch?", rief die helle Stimme von Qualm einige Schwanzlängen entfernt. Zügig folgte der kleine graue Kater seiner Schwester, während er leise maunzte: "Pscht! Wenn Papa jagt, verscheuchst du ja die ganze Beute!" Da fiel ihm etwas ein. "Wir könnten ihn ja überraschen, indem wir eigene Beute fangen und ihn dann finden!", schlug Rauch vor und sah sich im nächsten Moment auch schon um. "Prima Idee", hauchte Qualm. "Das machen wir!" Beide Kätzchen sahen sich im Wald um, während sie nebeneinander herliefen. Über ihren Köpfen zwitscherte eine Amsel und von irgendwoher konnte man das Klopfen eines Spechtes hören. Vor ihnen raschelte das Laub und plötzlich huschte ein Kaninchen vor ihren Pfoten entlang. "Das schnappe ich mir", flüsterte Rauch und sprintete seiner Beute hinterher. Doch das Tier war flinker und Rauch war noch zu tollpatschig, weshalb er es schnell im Unterholz verlor. Ständig musste er aufpassen, nicht über irgendwelche Wurzeln zu stolpern, die zwischen ihm und dem Kaninchen lagen. "Käferdreck", murmelte er vor sich hin und blieb stehen. Qualm holte ihn innerhalb ein paar Herzschlägen ein und miaute: "Wo ist es hin?" Rauch schnaubte. "In seinem Bau wahrscheinlich. Meine Beine sind zu kurz. Ich hab es nicht eingeholt." Qualm drückte sich an ihn. "Keine Beute ist leicht zu fangen. Nächstes Mal klappt es besser!", maunzte sie und stupste ihn an. Aber ein Kaninchen wäre ein Festmahl gewesen, wollte Rauch sagen, ließ es aber, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte. Die Bäume wurden lichter und das Rauschen eines Flusses machte sich bemerkbar. "Vielleicht gibt es da Beute", überlegte er kurz und schon war Qualm mit zuckendem Schwänzchen am letzten Baum verschwunden und hatte sich hingekauert. Rauch folgte ihr, seine Pfoten begannen zu kribbeln. Mit vor Freude glänzenden Augen tippte Qualm ihn mit der buschigen Schwanzspitze an. "Und dieser Frosch da gehört mir!" Rauch nickte nur, während er zusah, wie Qualm in Jagdkauern verfiel und sich an das grünbraune Tier anschlich. Als sie nah genug dran war, sprang sie ab und landete mit einem beinahe perfekten Sprung auf dem Frosch. Doch dieser zappelte und glitschte zwischen ihren Pfoten heraus. "Los Qualm", quietschte Rauch und sprang nach vorne, um seiner Schwester zu helfen, falls sie es nicht schaffen sollte.
In diesem Moment kam ihr Vater aus dem Schatten der Bäume und er ließ das Eichhörnchen, welches er eben noch im Maul trug, fallen. Mit großen, angstgeweiteten Augen rief er: "Qualm, Rauch, kommt sofort -" Doch die Jungen hörten ihn nicht. Sie waren viel zu sehr in ihr Spielen vertieft, sodass sie gar nicht bemerkten, wie nahe am Wasser sie wirklich standen. Schatten preschte so schnell er nur konnte zu den beiden, doch zu spät - Rauch, der auf den Frosch gesprungen war, landete und rutschte sofort am Ufer ab. Mit einem hohen Quietschen fiel er in das kalte Wasser und spürte, wie er mit der Strömung mitgerissen wurde. Qualm schrie auf. "Rauch!" Schatten lief am Ufer entlang, versuchte, seinen Sohn einzuholen, doch er schaffte es nicht. Ohne Erbarmen trug der Fluss Rauch von seiner Familie fort, immer weiter entfernte sich das graue Junge und Schatten musste zusehen, wie sein Sohn durch die Wellen untergetaucht wurde.
Rauch schrie und rang nach Luft und rief nach Hilfe, doch es schien, als wolle das Wasser ihn zum Schweigen bringen. Er versuchte, Gleichgewicht zu finden, schlug mit allen Pfoten wild um sich, doch sie wurden taub und kalt und Rauch verlor schnell an Kraft. "Mama! Papa! Qualm!" Immer wieder schwappte Wasser in sein Maul, immer wieder hustete Rauch und er spürte, wie er schwächer wurde. Er schloss die Augen und das letzte Bild, welches er sah, waren die scheckgeweiteten Augen von Schatten und Qualm, die hilflos am Ufer standen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top