2. Ist es vorbei?
Mit Tränen in den Augen stieg sie in die Kapsel der Zeitmaschine. Ungewissheit tat sich in ihr auf. Nur ein kleines Fenster bot die Sicht nach draußen. Sie platzierte ihren Koffer in der einzigen Ecke, die nicht mit Geräten, den Populationsbehältern, Sitzplätzen, Medizin und Nahrung für die ersten Tage voll gestellt war. Die Türe wurde hinter dem letzten Mitglied verriegelt. Fragend starrten sich die Teilnehmer an. Keiner durchbrach die Stille. Melissa setzte sich als erste auf einen der Flugsessel und schnallte sich mit den Gurten fest. Die anderen taten es ihr gleich. Getriebe schalteten sich ein; der Countdown begann.
Zehn: Ein Druck auf der Brust machte sich bei ihr breit. Neun: Ihre Hände begannen vor Aufregung zu kribbeln. Acht: unruhig huschten ihre Blicke zu den anderen. Sieben: Ihre Hände verkeilten sich in den Lederüberzügen der Armlehen. Sechs: Ängstlich kniff sie die Augen zu, biss die Zähne zusammen. Fünf: Der Herzschlag wurde immer schneller und erschien ihr fast lauter als die nun eingeschalteten Getriebe. Vier: Die Hände begannen zu schwitzen. Drei: Melissas Körper verkrampfte sich. Zwei: Sie atmete ein letztes Mal tief ein. Eins: Ihr Leben zog in rasender Geschwindigkeit an ihr vorbei.
Unsanft wurden sie aus ihren Sitzen gehoben und erneut in sie hinein gepresst. Ruckeln und ohrenbetäubendes Summen machte sich breit und schleuderte sie von einer Lehne zur anderen. Plötzlich begann ein Fallen. Einen der Koffer riss es aus der Ecke. Krachend knallte er gegen eine der Brutstationen und fiel wieder zu Boden.
Dann war es still und ruhig. Mit weit auf gerissenen Augen blickte sich das Team in die Augen.
„Ist es vorbei? Weiß jemand wo wir sind?", fragte Christian ein etwas dicklicher Mann mittleren Alters in die Runde. Sein Haar war zerzaust und sein Gesicht kreidebleich. Kate brachte als erste eine Antwort heraus:
„Ja, ich denke schon. Aber ich glaube keiner von uns weiß wo wir sind.", in ihrer Stimmer erkannte man dennoch die Panik.
Melissa hatte die Zeit über in Todesangst geschwebt, aber nachdem sie wieder Luft in ihre Lunge gepumpt hattet, beruhigte sie sich langsam. Ihr Körper entspannte sich wieder und konnte getrost die Armlehnen loslassen. Lange Zeit sprach keiner, der Schock saß zu tief. Wie angewurzelt saßen sie einfach nur da. Melissa guckte durch das Fenster, aber kein Licht drang zu ihr.
„Warum öffnen wir nicht die Tür und gehen raus?" Das Team betrachtete sie, als hätte sie den Teufel an die Wand gemalt. Keiner traute sich etwas auf ihre berechtigte Frage zu erwidern. Stattdessen versuchte James durch das Erzählen von seinem Doppelleben als Chemiker und Jäger von dem Thema abzulenken. Melissa wandte sich von der Gruppe ab, der Drang wissen zu wollen was hinter der schweren Tür lag war zu groß, um weiter abzuwarten. Alle blickten gespannt zu Melissa.
Ein kurzes „Ich öffne jetzt diese verdammte Tür.", stellte sie mit ernstem Ton klar.
„So eine spontane Aktion entspricht nicht dem Plan.", versuchte Isaac sie abzuhalten. Zoe und die anderen schauten ihr hinterher, als Melissa ihr Gurt öffnete und mit zielsicheren Schritten in Richtung Tür stapfte.
„Bleib gefälligst sitzen.", schrie Isaac.
Von der Neugier gepackt begannen Kate und James sich auch von den Sitzen zu erheben und Mel zu folgen.
„Was macht ihr, denn verdammt noch mal?", verlor Isaac die Fassung.
Nachdenklich überlegten Christian, Zoe und Mark dasselbe zu tun, aber die Angst ließ sie nicht los.
Ruckartig und mit angespanntem Arm riss Melissa an dem schweren Hebel der Tür. Langsam ließ er sich nach unten drücken und mit einem harten Tritt gegen die eiserne Tür, schwang diese auf. Die Augenpaare, die in die Freiheit spähten, erwartete nur Finsternis. Einzig und allein ein paar Sterne, die noch nicht von einer großen Wolkenwand verschlungen waren, leuchteten am Himmelszelt. Ein salziger Geruch machte sich in den Nasen der Reisenden breit und ein Wind blies ihnen frische Luft ins Gesicht. Brausende Wellen konnten sie hören und obwohl sie nichts sahen waren sie erleichtert.
„Schließt die Tür wieder.", befahl Isaac mit angespannter Stimme.
Mit ihren festen Stiefeln machten Kate, James und Mel einige Schritte aus der Kapsel, die gesamte Arbeitsgemeinschaft folgte, auch Isaac. Doch er blieb innen am Türrahmen stehen und verfolgte das muntere Geschehen. Das Knirschen des Sandes unter ihnen und das sanfte Einsinken lösten in dem Team mehr als nur ein paar Glücksgefühle aus.
„Ich fasse es nicht", staunte James, „Wir haben es wirklich geschafft! 500 Millionen Jahre Zeitsprung waren eingestellt und das innerhalb von ein paar Minuten. Das ist..."
„Wahnsinn", vollendete Melissa erleichtert und mit einem Lächeln im Gesicht seinen Satz.
Nur Isaac war am Boden geblieben und holte den Rest aus deren Euphorie zurück.
„Wir sollten wieder in die Kapsel gehen.", überlegte er mit angespannter Stimme. Fragende Blicke wurden ihm zu geworfen.
„Isaac hat Recht. Es ist Nacht und wir wissen nicht wirklich was sich hier in den 500 Millionen Jahren entwickelt hat. Ich weiß ja nicht wie es um euch steht", begann Christian, „Aber ich will nach diesem Fortschritt nicht auf der Speisekarte irgendeines Raubtiers landen." Nickend stimmten sie ihm zu.
Während die anderen sich über den Plan unterhielten, hatte sich Melissa von der Gruppe abgewandt und kramte in ihrem Koffer. Zwischen Ausrüstung und Erinnerungsstücken zog sie einen Bilderrahmen hervor. Glücklich strahlte ihr früheres Ich in den Armen ihres Verlobten entgegen. Die vor weniger als einer halben Stunde ausgeschütteten Glückshormone waren verschwunden. Stattdessen breitete sich bei dem Anblick Unbehagen und Trauer aus. Sie hatte nicht bemerkt, dass sich jemand hinter sie gestellt hatte. Die weiche Hand von Mark legte sich auf ihre Schulter. Aus den Gedanken gerissen schreckte sie hoch und wischte sich ihre Tränen von der Wange. Mark nahm neben ihr Platz und las Melissas Gefühlslage aus ihrem Gesicht ab.
„ Sie sind alle tot. Er ist tot.", schluchzte Melissa leise und betrachtete das Bild weiterhin. Jetzt sah auch Mark traurig aus.
Er erkundigte sich: „Wie war er denn so?"
„Mmh, Er war ziemlich clever. Und wahnsinnig lustig. Aber auch irgendwie taff.", ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.
„Ihr wart verlobt?", erkannte er an dem Ring ihrer Hand. Mit einem leichten Kopfnicken stimmte sie zu.
„Wie hieß er?," fragte er nachdenklich.
Philipp, sagte sie.
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