Kapitel 5

Ella

June.

Mir wollte sein Name einfach verdammt nochmal nicht aus dem Kopf gehen! Dabei kannte ich ihn doch überhaupt nicht. Irgendetwas hatte mich an ihm fasziniert. Vermutlich hatte ich eine gewisse Chemie in etwas hineininterpretiert, wo überhaupt keine gewesen war. Das tat ich übrigens viel zu oft. Tja. Willkommen im Leben der Ella-Sophie Hayes.

Als ich gestern (oder besser gesagt heute früh) nach Hause gekommen war, hatte ich Amy nicht angetroffen. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte.

Ich hatte kaum ein Auge zu getan. Die Erlebnisse der letzten Nacht hatten mich einfach viel zu sehr aufgekratzt.

Ich erwachte letztendlich aus meinem äußerst unerholsamen Halbschlaf, als ich hörte wie jemand geräuschvoll die Wohnung betrat. Amy. Natürlich. Wer auch sonst.

Ich hörte, wie sie bemüht leise den Flur entlang lief und dann fluchte, als sie über etwas stolperte. Kurz darauf hörte ich Molly winseln. Die Arme!

Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft Amy unsere Hündin schon über den Haufen gerannt hatte. Wobei ich eingestehen musste, dass Molly tatsächlich manchmal leicht übersehbar war.

Meine Kopfschmerzen waren kein Stück besser geworden. Außerdem war mir kotzübel. Das hatte ich mir wohl selbst zuzuschreiben. Kein Wunder, dass ich den Kater meines Lebens hatte, nach meiner Eskapade letzte Nacht.

Ich warf einen Blick auf mein Handy. 6:56. Viel zu früh. Immerhin war es Samstag!

Da von Müdigkeit allerdings überhaupt keine Spur war, befreite ich mich aus meiner Bettdecke, in der ich mich derart verheddert hatte, dass ich fast hinfiel als ich aufstehen wollte.

Zu allem Übel stieß ich mir dann auch noch den kleinen Zeh am Bettpfosten. Super! Perfekt! Guten Morgen, du wunderschöne Welt! Ich schnaubte. Man konnte sich doch keinen besseren Start ins Wochenende vorstellen.

Fluchend humpelte ich aus meinem Zimmer. Ich machte einen kleinen Bogen um Molly, die es sich auf dem Fußboden bequem gemacht hatte. Als ich bemerkte, wie mir plötzlich noch schlechter wurde als ohnehin schon, beeilte ich mich, schleunigst ins Bad zu kommen.

Gerade noch rechtzeitig, denn einen Moment später fand ich mich über der Kloschüssel hängend wieder und übergab mich, was das Zeug hielt. Auch das noch! Innerlich schwor ich mir, es niemals wieder mit dem Alkohol zu übertreiben. Dafür hatte ich einfach nicht die nötige Trinkfestigkeit.

„Ich wusste doch, dass ich jemanden gehört habe, der sich hier die Seele aus dem Leib kotzt!"

Amy hüllte mich mit ihrem blumigen Duft ein und hielt mir meine Haare aus dem Gesicht.

„Immer raus damit, Ellie!"

Danke. Sehr aufmunternde Worte. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Sie sah unheimlich fit aus, dafür, dass sie vermutlich genauso wenig Schlaf bekommen hatte wie ich.

„Und wie war deine Nacht so?", wollte ich wissen.

„Sehr... intensiv", sagte sie mit einem zweideutigen Grinsen.

Ich antwortete mit einem Schwall übel riechender Brühe, die schwungvoll im Toilettenwasser landete. Appetitlich.

„Baaah! Elliiiie!", beschwerte sich Amy lautstark bei mir. Ich war nicht in der Lage dazu, sie daran zu erinnern, wie oft ich das schon mit ihr durchgemacht hatte.

Nachdem ich meinen gesamten Mageninhalt in die Toilette befördert hatte, putzten Amy und ich alles fein säuberlich und ich nahm erst mal eine Dusche. Danach ging es mir gleich schon ein kleines Stück besser. Auf einer Skala von eins bis zehn, bei der zehn das Beste war, war ich nun also endlich bei der Eins angelangt. Hallelujah!

Amy wartete schon in der Küche auf mich, mit einer Tasse, aus der heißer Dampf aufstieg. Kaffee. Sehr gut. Ich näherte mich so langsam einer Zwei an.

Ich schnappte mir die Packung Tabletten, die ich noch vor wenigen Tagen Amy angedreht hatte und betete, dass diese verdammten Kopfschmerzen so schnell wie möglich verschwinden würden. Dann machte ich mich über meinen Kaffee her.

Nach dem Frühstück, das bei mir sehr mager ausfallen musste, da ich meinem Magen noch kein Stück über den Weg traute, wurde ich nun mit dem konfrontiert, worauf ich die ganze Zeit gewartet hatte.

„Alsooo", Amy zog das Wort extra in die Länge. Ich schob ganz unbeteiligt die Krümel von meinem Knäckebrot auf dem Teller hin und her.

„Jetzt erzähl mal!"

„Was denn? Es gibt nichts zu erzählen", erwiderte ich trocken. Ich wollte im Moment echt nicht darüber reden. Nicht über June und erst Recht nicht über Tyler. Den wollte ich einfach nur so schnell es ging vergessen.

„Hey", sagte Amy entrüstet. „Das ist jetzt aber nicht fair! Irgendwas muss doch mit diesem Tyler gelaufen sein. So wie der dich angeschaut hat..." Ich bemerkte die mir altbekannte Übelkeit und begann entschlossen, die Krümel fein säuberlich in einem Kreis anzuordnen. Amy betrachtete mich argwöhnisch.

„Also, wenn du mir nicht erzählen willst, was passiert ist, dann muss ich dir wohl oder übel von meiner Nacht erzählen." Sie seufzte gespielt.

Ja genau. Das war doch Erpressung vom Allerfeinsten. Unerhört! Ich blickte von meinem Teller auf und sah in Amys herausforderndes Gesicht.

„Na gut", willigte ich schließlich ein, da ich definitiv darauf verzichten konnte, mir eine weitere ihrer Bettgeschichten anhören zu müssen.

„Siehst du, geht doch! Also, schieß los. Du und Tyler?" Ihre perfekt gezupften Augenbrauen hoben und senkten sich. Die beiden Ringe, die in ihrer rechten Augenbraue steckten, wackelten auffordernd mit.

„Es gab nie ein „Ich und Tyler"!", schnaubte ich verächtlich. „Dieser Scheißkerl wollte mir nur an die Wäsche und hat mich abgefüllt bis zum Geht-nicht-mehr. Als ich dann besoffen genug war, hat er mich...bedrängt. Ich konnte ihn nicht wegdrücken, er war einfach zu stark." Amy sah mich ganz bestürzt an. Ihr Mund stand offen.

„Ich...Ella, es tut mir so unglaublich leid, dass ich einfach gegangen bin. Ich dachte wirklich, er wäre ein korrekter Typ. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich doch niemals alleine mit ihm gelassen!"

„Du kannst doch nichts dafür, dass er so ein Macho-Arschloch ist. Daran ist allein er schuld!", sagte ich abfällig.

„Ja und dann? Ich meine, irgendwie musst du dich ja von diesem Widerling befreit haben, sonst wärst du jetzt nicht hier."

Ich musste unwillkürlich an June denken. An seine tiefblauen Augen. Die süßen Grübchen, wenn er lächelte...

„Erde an Ella." Amy schnippte wild vor meinem Gesicht und holte mich damit in die Gegenwart zurück. In ihrem Blick lag etwas Neugieriges.

„Keine Ahnung," antwortete ich schnell und zuckte mit den Schultern.

„Wie, keine Ahnung!?", kam es fassungslos von Amy.

„Na, ich bin wohl bewusstlos geworden. Als ich aufgewacht bin war Tyler weg und ich saß in irgendeiner Umkleide hinten im Club. Vielleicht kannst du dich noch an den Barkeeper erinnern?" Ich warf Amy einen fragenden Blick zu.

„Aber sicher doch! Ich mein hallo, der war zum Anbeißen." Sie sah aus wie der Herzchenaugen-Emoji. Ich konnte nur (mal wieder) die Augen verdrehen.

„Wie auch immer, ich glaube er war derjenige, der mich in die Umkleide gebracht hat. Zumindest war er da, als ich aufgewacht bin."

„Aw, dein Prinz und Retter in der Not, Dornröschen!", strahlte Amy.

„Amyy! Vielleicht wurde er auch nur verdonnert mir eine Flasche Wasser vorbeizubringen."

„Ja genau, das glaubst du doch selber nicht! Ich meine, er stand hinter der Bar, da hat er mit Sicherheit alles bestens mit ansehen können und hat dann eingegriffen. Hach, ist das süß!", seufzte Amy.

Ich wusste nicht, was genau passiert war und wer genau mich jetzt wirklich gerettet hatte. Dank meiner Ohnmacht würde ich das auch nie herausfinden. Und June würde ich bestimmt nie wieder sehen, da ich nicht vorhatte, in allzu naher Zukunft wieder feiern zu gehen, nach all dem, was passiert war.

Am späteren Vormittag schaffte ich es tatsächlich, noch ein paar wenige Stunden zu schlafen. Meine Kopfschmerzen waren, nicht zuletzt dank der Tabletten, deutlich besser geworden und auch die Übelkeit verabschiedete sich so langsam.

So war ich also gegen Mittag tatsächlich einigermaßen in der Verfassung dazu, die Unisachen aufzuarbeiten, denen ich gestern Gossip Girl vorgezogen hatte. Zu Recht, wie ich fand. Die Entscheidung zwischen Jura und Netflix war für mich stets schnell getroffen. Vielleicht ein kleines bisschen zu schnell, wenn man bedachte, dass bald die Prüfungen anstanden. Daher kratzte ich das letzte bisschen Motivation zusammen, das ich aufbringen konnte und setzte mich an meinen Schreibtisch.

Ich wachte auf, als jemand an der Wohnungstür klingelte. Wer wagte es, meinen Schönheitsschlaf zu stören?! Moment. Warum zur Hölle lag ich halb auf meinem Schreibtisch? Ich war doch nicht allen Ernstes über meinen Juraaufgaben eingeschlafen. Ich gähnte einmal ausgiebig.

Die Word-Datei auf meinem Laptop war bis auf eine lange Kette von ‚t's noch komplett leer und das Jura-Buch, auf dem ich es mir bequem gemacht hatte, war nun mit einigen Knicken versehen. Das war doch mal wieder der ultimative Beweis, das Jura einfach nur langweilig und einschläfernd war, oder nicht?

Ich fuhr mir durch meine Haare, stand auf und lief in den Flur. Es klingelte erneut. Amy schien es nicht gehört zu haben, denn aus ihrem Zimmer drang ein Queen-Song auf voller Lautstärke. Wie hatte ich bei diesem Lärm nur schlafen können?

Ich ging also zur Tür und öffnete diese mit einem Schwung. Vor mir erblickte ich einen riesigen, knallroten Koffer. Daneben standen zwei weitere, kleinere Exemplare in derselben schrillen Farbe.

Was zum Teufel?

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