Kapitel 3
Ella
Der Rest der Woche verlief mehr oder weniger normal. Ab Donnerstag ging ich wieder zurück in die Uni, wenn auch nicht wirklich gern. Am Abend räumten Amy und ich das dritte Schlafzimmer leer, sodass es bis Samstag einzugsbereit war.
Jetzt war es Freitagabend. Meine Vorlesung war erst nachmittags gewesen und so hatte ich mich direkt danach mit meinem Laptop in mein Zimmer zurückgezogen und schaute nun meine aktuelle Serie weiter.
Gemütlich in meiner weichen Decke eingekuschelt, lag ich, mit Molly auf dem Schoß, in meinem Bett und schaute bereits die fünfte Folge Gossip Girl an diesem Tag. Diese Freitagabende waren einfach toll. Man musste nichts machen und konnte einfach mal so richtig entspannen.
Auf einmal wurde meine Zimmertür stürmisch aufgerissen und Amy stand mit einem schelmischen Grinsen im Zimmer. Sie hatte ein enges schwarzes Kleid an, welches vermutlich mehr Haut zeigte, als dass es verdeckte. Dazu trug sie glitzernde High-Heels mit gefährlich hohen Absätzen, in denen ich mit Sicherheit nach zwei Metern umgeknickt wäre. Ihre silbergrauen Haare, die sie sich vor etwa einem Jahr gefärbt hatte, ergänzten diesen Look perfekt.
Ich hatte schon eine böse Vorahnung, was sie vorhatte.
„Hopp, hopp, Ellie, komm mal aus den Federn! Es ist Freitagabend, jetzt fängt das erst Leben an!", sprach Amy meinen Gedanken enthusiastisch aus.
Ich stöhnte auf, zog mir die Decke bis über die Nasenspitze und hoffte, dass Amy mich einfach in Ruhe lassen würde.
„Nix da!" Mit einem Schwung riss sie mir die Decke wieder vom Kopf und betrachtete mich mit einem strengen Blick.
„Heute gehen wir feiern!"
Ihr bestimmter Ton ließ keine Widerrede zu.
Eigentlich war ich heute absolut nicht in der Stimmung wegzugehen. Doch auch wenn ich mich den ganzen Tag schon auf meinen gemütlichen Serienmarathon mit einer Menge Chips und Kuschelsessions mit Molly gefreut hatte, musste ich zugeben, dass es schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr mit meinen Freunden feiern war. Da ich irgendwie auch einfach Lust hatte, mal wieder zu tanzen und das ganze Drama mit meinen Eltern einfach für einen Abend zu vergessen, schälte ich mich aus meinen Decken und stand von meinem Bett auf.
„Na gut, meinetwegen", willigte ich ein.
Ich streckte mich einmal ausgiebig, gähnte und fuhr mir durch meine zerzausten Haare. Ich sah nicht gerade ausgehfertig aus. Da musste noch einiges gemacht werden.
„Du hast 20 Minuten und nicht länger! Dann kommt Adam und holt uns ab", meinte Amy und schaute mich zweifelnd an. Adam war ein Kommilitone und Kumpel von Amy. Die beiden studierten zusammen Graphikdesign und hatten sich vor ein paar Wochen kennengelernt. Seit dem ging Amy oft mit ihm und seinen Freunden zum Feiern, wobei sie mich auch schon das ein oder andere Mal mitgeschleppt hatte.
„Meinst du, du schaffst das?" Ihr Blick wanderte über meine Erscheinung. Ich nickte mehr oder weniger zuversichtlich und verließ eilig mein Zimmer in Richtung Bad.
Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich mich sehr ranhalten musste. Meine rote Lockenmähne musste unbedingt gezähmt werden und auch meine Augenringe würden einige Schichten Concealer vertragen.
Ich nahm den Haargummi von meinem Handgelenk und band mir meine langen Haare zurück. Dann wusch ich mein Gesicht und trug anschließend mein Make-Up auf. Ich sah gleich viel lebendiger und frischer aus. Nachdem ich meine Haare auch mehr oder weniger gestylt hatte (was bei meinen Naturlocken fast unmöglich war) ging ich zurück in mein Zimmer und suchte mir ein Outfit für den heutigen Abend. Letztendlich entschied ich mich für einen weiß-schwarz gestreiften Jumpsuit, der weder zu elegant noch zu casual war. An der Taille war er sehr eng geschnitten und fiel mir dann locker über die Beine. Da ich beim Feiern eher ungern Kleider trug, war der Jumpsuit mit dem gerade noch akzeptablen V-Ausschnitt die perfekte Wahl.
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch genau eine Minute übrig hatte. Also zog ich mir schnell meine pastellblauen Lieblingsheels über, die sich trotz Absatz als erstaunlich bequem beim Tanzen herausgestellt hatten, und verließ mein Zimmer.
Amy wartete schon ganz ungeduldig im Flur und hob überrascht die Augenbrauen als sie mich sah.
„Na sieh mal einer an, unsere Leiche ist wieder von den Toten auferstanden! Halleluja! Schickes Outfit, Ellie!" Sie grinste mich erwartungsvoll an. „Wollen wir?"
Stickige, warme Luft und das laute Dröhnen der Musik drangen mir entgegen als wir den Club betraten. Wie lange ich schon nicht mehr hier gewesen war. Amy nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Wir gingen zu einem der Tische am Rand, an dem ein paar unserer Freunde saßen. Nach einer kurzen Begrüßung überließen wir Adam, der uns gefolgt war, unsere Taschen und machten uns auf zur Tanzfläche. Kaum vorstellbar, dass ich vor einer knappen halben Stunde im kompletten Gammellook gewesen war und mich jetzt hier wie ein neuer Mensch fröhlich im Takt der Musik bewegte. Das hatte ich wirklich gebraucht! Einfach mal wieder ausgelassen zu sein und meine Eltern, mein Studium und alles andere zu vergessen, das mich derzeit beschäftigte. Ich schob alle lästigen Gedanken beiseite, drehte mich zu Amy und gemeinsam tanzten wir, bis wir völlig ausgepowert waren. Atemlos und leicht verschwitzt machten wir uns auf den Weg zur Bar, um uns eine kleine Erfrischung zu besorgen. Als wir uns fast zur Theke durchgekämpft hatten fuhr sich Amy durch die Haare, um diese etwas zu richten und zog ihren Ausschnitt noch tiefer, als er ohnehin schon war.
„Amy, was machst du denn da!", zischte ich fassungslos, als ich sah, wie einige Typen ihr etwas zu anzügliche Blicke zuwarfen.
„Ellilein, wir haben doch kein Portemonnaie!", lachte sie. Stimmt, ich hatte total vergessen, dass wir unsere Taschen mitsamt unserem Geld bei unseren Freunden gelassen hatten.
„Irgendwie müssen wir unsere Getränke doch bekommen, oder hast du etwa eine bessere Idee?"
„Ähm ja?! Wir könnten einfach schnell zurückgehen und unser Geld holen?", meinte ich.
„Ach Ellie, wo wäre denn da der Spaß!", lachte Amy. „Sei mal nicht immer so verkrampft! Außerdem habe ich schon lange nicht mehr geflirtet... und du im Übrigen auch nicht!"
Ich wusste, dass sie Recht hatte. Ich war einfach viel zu schüchtern, um mit Männern zu flirten und sobald mich ein Kerl ansprach, war es mir so unangenehm, dass ich total rot anlief und keinen ordentlichen Satz mehr zustande brachte. Seitdem Amy mich einmal bei einem meiner unbeholfenen Flirtversuchen erwischt hatte, zwang sie mich hin und wieder zu ein wenig „Übung". Und wenn ich ehrlich war, konnte ich diese schon etwas gebrauchen. Ansonsten würde ich als jungfräuliche Katzenoma von dieser Welt gehen und das war ja wohl auf jeden Fall zu verhindern!
Amy lief schnurstracks zur Bar und ließ sich dann lasziv auf einen der ledernen Barhocker sinken. Ich wusste, dass sie keine Widerrede dulden würde. Seufzend tat ich es ihr also gleich, allerdings nicht so anzüglich wie sie es getan hatte.
Es dauerte keine fünf Minuten, da unterhielt sich Amy auch schon mit dem ersten Typen. Die Augen des Kerls wanderten während ihres Gesprächs verdächtig oft zu dem Ausschnitt meiner besten Freundin. Kurz überlegte ich mir, mich einfach ganz unauffällig aus dem Staub zu machen und zurück zu unserem Tisch zu gehen. Doch als sich ein großgebauter Kerl neben mich an die Bar setzte, entschied ich mich kurzerhand um. Er hatte dunkelbraunes Haar das leicht rot schimmerte im Licht des Clubs. Er war komplett in schwarz gekleidet und man konnte mehrere Tattoos erkennen, die sich über seine Arme zogen und unter seinem Shirt verschwanden.
Ich atmete einmal tief durch und sprach mir etwas Mut zu. Dann drehte ich mich langsam zu meinem Sitznachbarn um und schenkte ihm das beste Lächeln, das ich zustande bringen konnte. Er erwiderte es und sagte etwas. Dank der ohrenbetäubenden Musik konnte ich allerdings keines seiner Worte verstehen. Mein fragender Gesichtsausdruck musste ihn darauf hingewiesen haben, denn in der nächsten Sekunde kam er mir gefährlich nahe und beugte seinen Kopf zu meinem Ohr. Er roch nach Schweiß und sein Atem war eine unangenehme Mischung aus Alkohol und Zigarettenrauch.
„Darf ich dir einen Drink ausgeben?", schrie er in meine Ohrmuschel. Das war einer der Gründe, warum ich ungern feiern ging. Unterhaltungen waren schlichtweg nicht möglich. Wie sollte ich da nur einen Mann fürs Leben kennenlernen?
„Ja gerne!", erwiderte ich mit einem scheuen Lächeln. Ich war stolz auf mich, dass ich einigermaßen gefasst an die Sache heranging. Zugegeben, mein „Gesprächspartner" war jetzt nicht unbedingt mein Typ mit seinem Bad-Boy-Look. Aber was soll's. Ich war schließlich hier, um etwas Übung in Sachen flirten zu bekommen, ich musste den Kerl ja schließlich nicht gleich heiraten!
Erstaunlicherweise taute ich immer mehr auf. Schon mit dem dritten Getränk war ich in der Lage belanglosen Smalltalk zu führen ohne rot zu werden und nach dem vierten Drink war ich sogar so selbstbewusst, dass ich meinen Saufkumpanen, der sich als Tyler vorgestellt hatte, mit auf die Tanzfläche ziehen wollte. Allerdings hatte ich ziemliche Schwierigkeiten überhaupt erst aufzustehen, dass ich mich enttäuscht wieder auf den Hocker fallen ließ. Ich machte eine Geste in Richtung des Barkeepers, die wohl ein Winken darstellen sollte. Er kam in meine Richtung und streifte mich mit einem kritischen Blick.
„Ich...ich brauche nochmal...", ich zählte an meinen Fingern bis drei, „genau drei Bacardi Cola!", strahlte ich den ziemlich süßen Barkeeper freudig an. Ein Seitenblick zu Amy, den ich sofort wieder bereute, zeigte mir, dass sie und der schmandige Kerl, den sie aufgerissen hatte, soeben dabei waren sich gegenseitig aufzuessen.
„Na gut, ich brauche doch nur zwei", lallte ich. „Ich kann nicht verstehen, wie man lieber so einen schmandigen Typen nimmt als Alkohol!", entrüstete ich mich und schaute Amy böse an. Tyler lachte auf und der heiße Barkeeper verdrehte nur die Augen.
„Ich glaube du hattest genug!", warf er ein.
„Sie entscheidet, wann sie genug hatte!", verteidigte mich Tyler, der so nett gewesen war, mir bereits ein paar Drinks auszugeben.
„Genau!", sagte ich trotzig. Der Barkeeper hob die Hände, sah Tyler kurz mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte und machte sich dann endlich daran mir mein Getränk zu mixen. Währenddessen legte Tyler sanft seine linke Hand auf meinen Oberschenkel und schien immer näher an mich heranzurücken. Trotz meines hohen Alkoholpegels, merkte ich unterbewusst, dass er hier eine meiner Grenzen überschritt. Flirten - okay. Aber nicht mehr. Ich war nicht so wie Amy, ich konnte das nicht. Also schob ich seine Hand bestimmt wieder von meinem Bein und nahm einen Schluck von meinem Bacardi-Cola, den der Barkeeper soeben vor mir abgestellt hatte. Ich bemerkte, wie neben mir Amy aufstand und Arm in Arm mit diesem schmandigen Kerl in Richtung Ausgang torkelte. Ich musste kichern. Schmandig. Das Wort war echt witzig! Ich schüttelte meinen Kopf über meine Gedanken. Ich nahm nur verschwommen wahr, wie Tyler von seinem Barhocker aufstand und langsam auf mich zutrat. Dann stand er auf einmal zwischen meinen Beinen. Ich spürte zwei kräftige Hände an meiner Taille und heißer Atem traf mich im Gesicht. Ich verzog das Gesicht.
„Geh...", ich versuchte ihn von mir zu stoßen, „...weg!", sagte ich nuschelnd. „Ich will das nicht", die Worte kamen nur schleppend über meine Lippen.
In meinem Rücken spürte ich schmerzhaft etwas Hartes. War es die Theke, gegen die dieser Typ mit den Tattoos mich drückte? Ich wusste es nicht. Um mich herum drehte sich alles und ich war wie benebelt von dem ganzen Alkohol und der stickigen Luft. Ich versuchte tief durchzuatmen, doch es schien nicht genug Sauerstoff in meiner Lunge anzukommen. Er kam mir immer noch näher und es war, als würde er mir die Luft zum Atmen nehmen. Langsam wurde ich panisch. Ich hämmerte verzweifelt mit meinen Fäusten gegen seinen harten Brustkorb und versuchte ihn wegzudrängen. Ich sah nur noch sein anzügliches Grinsen.
Dann wurde mir schwarz vor Augen.
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