Die Stadt der wandernden Träume

Eine Novelle von Ideenzauber

Allgemeiner Eindruck

Hier habe ich ein Buch gelesen, das ich sofort in meine innerste, geheime Schatzkiste weggeschlossen habe. Ein Buch, welches mich nie wieder loslassen wird; eines der Bücher für die Ewigkeit. Ich bin ein absoluter Teppich-Fan geworden. Zudem verneige ich mich vor dieser unglaublichen Fantasie, die mich hier verzaubert hat.

Diese emotionalen Zeilen, diese subjektiven Worte waren dringend nötig, damit ich in der Folge objektiv sein kann.

Cover & Titel

Vor der Lesung des Textes war das Cover für mich eines der besten, die ich je auf Wattpad gesehen habe. Es wurde erstellt von @tanzende_buchstaben - an dieser Stelle, meine Liebe, gebe ich dir gerne mein höchstes Lob für deine Arbeit. Sie ist schlichtweg perfekt - besser geht nicht.

Auf diesem Cover stimmt alles. Ich verzeihe sogar, dass der obere Rand etwas kleiner ist als der untere; denn es macht Sinn. Der Titel "Stadt" zusammen mit dem Kamel und der wandernden Person nehmen das obere Drittel ein - und das muss genau so sein. Um dem minimen Missstand der Ränder etwas entgegenzuwirken, könnte man unter dem letzten Wort auch noch eine Zeile mit Zeichnungen anfügen - das solltest du allenfalls bedenken, liebe Tanzende_Buchstaben. Mit einer dritten Zeile der Zeichnungen könntest du die unstimmigen Ränder ins Lot bringen. Aber wie gesagt - das ist Jammern auf sehr hohem Niveau! Ich komme später darauf zurück.

Nach der Lektüre habe ich doch einige Fragen zum Cover. Ich sehe die Geier. Ich sehe das Mädchen und ich sehe das Kamel. Ich sehe die fantasievollen Bäume. Was mir fehlt, sind vor allem der Teppich und die durchgeplante, mathematische Welt der Protagonistin. Hier kommt meine oben erwähnte dritte Zeile ins Spiel: Eine dritte Zeile mit Zahlen und geometrischen Formen - das wäre sinnvoll. Den Teppich könnte man ganz einfach mit den Fransen andeuten - über dem Namen der Autorin und unter der dritten Zeile, als feine Zeichnung des fransigen Freundes; immer darauf achtend, dass das Gesamtbild nicht überladen wird.

Mir gefällt es sehr, dass die clevere Designerin ihre Initialen im Bereich, wo man das Logo des Verlages vermuten würde, diskret versteckt. Sehr gut gemacht, liebe Grafikerin.

Bei allem, was ich hier gesagt habe, beziehe ich mich auf das Cover ohne die störenden Sticker. Weg damit - sie zerstören das Gesamtbild wie die Autobahnvignette an der Windschutzscheibe eines Oldtimers.

Der Titel passt gut. Er ist nach meinem Geschmack etwas zu lang, kann jedoch kaum kürzer gefasst werden. Der Titel fasst den Inhalt des Buches in wenige Worte; das ist das Wichtigste. Zudem ist er einprägsam und bleibt im Gedächtnis wie ein Ohrwurm bei einem Konzert. Gut gewählt, hier würde ich nichts ändern.

Der Klappentext ist knackig kurz gehalten. Zwei Abschnitte, welche die seelischen Gegensätze der Protagonistin widerspiegeln. Dann eine Frage, die mich in die Geschichte zieht wie ein Wirbel im Fluss das tänzelnd schwimmende Blatt unter Wasser.

Inhalt

Die Widmung am Anfang ist genial. Das müsste als Widmung auf eine einzelne Seite gesetzt werden. Mit diesen wenigen Worten entführt die Autorin mich als Leserin bereits in die Welt, die mich auf den nächsten Seiten erwartet. Ich werde auf die Abenteuer vorbereitet und bin startklar. Sehr geschickter Schachzug der Autorin. Im Druck würde ich es hier mit Elementen aus dem Cover umrahmen.

Es geht Schlag auf Schlag weiter. Auch die Einleitung des Prologs verdient Gewicht. Unbedingt hervorheben und Raum geben. Das sind wichtige Worte, die mich als Leserin bereits fesseln und neugierig auf die Geschichte machen. Das hat die Autorin sehr gut gelöst; sie versteht den Sinn eines Prologs absolut! Es beginnt so schön und süß; die Traumwelt lullt mich ein, entführt mich mit Himbeerzuckerwattenduft. Dass die Oma nach nur so wenigen Zeilen bereits die Bühne wieder verlassen muss, treibt die Tränen aus den Augen. Doch dieser Schachzug macht Sinn, nur so kann man Handeln und Denken der Protagonistin umfassend verstehen; Jolie erhält ihren festen Platz in meinem Herzen.

Zu Beginn hatte ich Mühe mit der erwachsenen Protagonistin. Zu viel Mathe zerstört meiner Meinung nach das Leben; aber die Autorin schafft es, selbst diese trockene, kühle, berechnende Wissenschaft sympathisch darzustellen. Jolie muss sich bereits im ersten Kapitel damit auseinandersetzen, dass im Leben nicht immer alles nach Plan verlaufen kann. Diese Tatsache wird sehr feinfühlig angetupft, damit das Gesamtbild seine Wirkung nicht verliert. Malen mit Worten, was die Autorin hier macht; sehr gelungen.

Jolie, die berechnende Mathematikerin, besteigt ein Taxi, das sie auf eigenartige Art verfolgt, ein Eigenleben hat. Dabei erhält das Taxi Unterstützung von einem sprechenden Teppich. Der Teppich ein Nebencharakter mit Protagonisten-Potenzial. Sofort habe ich ihn als Freund haben wollen. Er ist ein sympathischer Kerl, der ausspricht, was gesagt werden muss. Der Teppich wird zur wichtigsten Bezugsperson der Protagonistin. Dass die Autorin diese Funktion einem an sich toten Gegenstand zugesteht, zeigt ihre unendliche Fantasie und das Talent, mit dem sie gesegnet ist.

In den ersten Kapiteln lernt Jolie den Teppich kennen, das Taxi verstehen und sie muss begreifen, in welchem Abenteuer sie steckt. Der sprechende Teppich hilft ihr dabei. Das ist wunderbar genial gewoben und wird ohne langweilige Schnörkel berichtet. Die Geschichte schreitet flott voran, ohne Lücken zu hinterlassen. Auf jeder Seite spürt man die Freude, welche die Autorin wohl beim Schreiben verspürt haben muss. Das fantastische Traumland wird detailliert gezeichnet und erklärt. Es ist, als ob ich als Leserin mittendrin stehen könnte. Alle Sinne werden geschärft und angesprochen. Ich liebe es, wie sie erzählt, beschreibt und dabei ihre eigene Fantasie zeigst. Viele Bücher und Filme erscheinen wie Farbtupfer, glitzern und schimmern. Dadurch komponiert die Autorin das zu ihrem Eigenen; sehr zur Freude der Leserin.

Dass zu jedem Kapitelanfang ein Zitat der verstorbenen Großmutter steht, gibt der eigentlichen Geschichte eine kleine Nebengeschichte. Liest man die Zitate ohne den Text, entsteht ein eigenes Bild, das sich vom Buch etwas abhebt. Mir gefallt das, denn gleichzeitig haben die Zitate ihren Bezug zu ihren Kapiteln, wie die feinen Wurzeln von Wandergewächsen, die sich links und rechts der Hauptwurzel ihren eigenen Weg suchen. Die Großmutter erzählt. So ist sie immer in der Geschichte mit drin, sie hat Jolie nie verlassen. Das ist ein sehr schönes Detail.

An vielen Stellen erklärt mir die Autorin die alltäglichsten Dinge unseres Lebens auf fantasievolle Weise. Das lässt mich immer wieder schmunzeln; es öffnet den Blick auf andere Betrachtungsmöglichkeiten unserer Art zu handeln. Beispiel: Niemand denkt normalerweise darüber nach, weshalb man sich an längst vergessen geglaubte Erlebnisse plötzlich erinnert; nie würde man das mit einem Herbarium vergleichen, in welchem die Erinnerungen gespeichert sind. Wir sprechen von Gedächtnis, ohne zu wissen, wie es funktioniert. Die Autorin erklärt es uns. Das ist für mich der entscheidende Unterschied zwischen dieser Geschichte und anderen Fatasy-Büchern. Es ist nicht eine neue, fantastische Welt, die hier gezeichnet wird, sondern es ist eine Variante der Wirklichkeit, auf herrliche Art dargestellt und ausgedacht; von der ersten bis zur letzten Zeile.

Der Epilog schließt die Geschichte ab. Mit einem gewaltigen Gänsehautmoment! Es ist der große Knaller eines jeden Feuerwerks; die Funken rieseln zu mir herab, hüllen mich in bunte Leuchtkäferchen, die mich für einen kurzen Moment schweben lassen, bevor ich sanft im weichen Gras lande und über mein ganzes Gesicht strahle, als hätte ich nicht das letzte Wort gelesen, sondern den letzten Schluck einer herrlich süßen Schokolade getrunken. Anstelle des zufriedenen Rülpsers folgt ein wohliges Schnaufen - die Geschichte ist ausgelesen und ich schließe das Buch.

Rechtschreibung, Grammatik, Satz

Hier gibt es nichts zu bemängeln. Als Lektorin wünscht man sich solche Vorlagen. Keine störenden Wortwiederholungen, keine repetitiven Satzstrukturen, nichts dergleichen. Die Sprache ist ähnlich fantasievoll wie der Inhalt. Rechtschreibung, Grammatik scheinen der Autorin so geläufig zu sein, wie das Schuhe Binden für einen geübten Wanderer. Kein einziges Komma, das ich vermisste oder wegradieren möchte.

Es gibt Geschichten, bei welchen die Sprache holperig oder unbeholfen wirkt. Auch das ist hier absolut nicht der Fall. Die Geschichte ist aus einem Guss. Großes Kompliment an die Autorin. Das ist hohe Sprachkunst, die sie uns hier liefert.

Antworten zu den konkreten Fragen

Du hat mich gebeten, dir ein Feedback zum Spannungsbogen zu geben. Aus meiner Sicht passt alles zusammen. Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Rückblick und folgt danach ihrem logischen Weg. Die zwei Handlungsstränge - innerer Kampf zwischen berechenbarer Realität und lebendiger Fantasie sowie die traumhafte Reise - quirlen sich wie eine Nabelschnur und führen zum Ziel.

An keiner Stelle hatte ich das Gefühl, alleingelassen zu werden oder über eine unnötige Ebene wandern zu müssen. Die einzelnen Höhepunkte werden gut verteilt und die Spannung steigt kontinuierlich an.

Einzig dei Stelle, wo die Insel langsam versinkt, zieht sich etwas in die Länge. Die Spannung bleibt zwar hoch, aber die Gefahr, dass empfindliche oder ungeduldige Leserinnen hier abbrechen, besteht. Diese Stelle könntest du allenfalls etwas straffen.

Mir war auch nicht von Beginn an klar, ob diese Herbarianer nun gut oder böse seien, das ist aber wahrscheinlich Absicht. Der Moment, wo Jolie die leeren Herbarien in ihr Buch einsagt und damit droht, das Buch in den Ozean des Vergessens zu werfen, ist aus meiner Sicht noch etwas ungenau. Hier stolperte ich beim Lesen und musste die Stelle zweimal durchgehen, damit ich begreifen konnte, was hier geschieht. Es sind vielleicht auch einfach etwas viele Dinge aufs Mal, die man hier erklärt bekommt. Beim zweiten und dritten Lesen verstand ich es - aber als Leserin sollte diese wichtige Stelle klarer verständlich sein. In einer Überarbeitung würde ich genau hier ansetzen.

Bei Verlagen kommt es nicht auf die Länge an. Ich habe vor kurzem einen gefeierten und hochgelobten Roman gelesen, der es gerade mal auf 170 Seiten bringt - was deine Novelle auch knapp bringen wird. Es ist der Spannungsbogen, der zählt. Es sind die Ausdrucksweise und die Sprache, welche für einen möglichen Erfolg herhalten müssen. Und die hast du! Hätte ich einen eigenen Verlag, ich würde dein Buch machen wollen. Also ja, reiche es ein.

Ich empfehle dir, dich gut umzusehen. Schaue dabei nicht auf die Größe eines Verlags, sondern auf das Verlagsprogramm. Für dein Buch solltest du einen Verlag wählen, der bereits Fantasy im Programm hat. Zudem würde ich die ganz großen weglassen - sie werden dich zwar eventuell aufnehmen, aber sich nicht um dich kümmern. Sie haben ihre Zugpferde, welche ihnen die Einnahmen bringen. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, mit ihren Goldeseln das Tischlein zu decken, als dass sie Zeit dafür hätten, eine kleine Perle zu sehen. Doch deine Geschichte ist eine Perle. Sie verdient es, gesehen und promotet zu werden - nicht als "ferner hätten wir da noch", sondern als Star der Sammlung; das erreichst du nur mit einem mittelgroßen oder einem kleinen Verlag.

Wenn du weitere Fragen hast, darfst du dich gerne bei mir melden.

Schlussworte an die Autorin

Meine liebe Viktoria, ich danke dir für diese Geschichte. Sie ist herrlich bezaubernd, liest sich locker und unterhaltend; aus dem Blütenstaub der Träume hast du Honig für die Augen gemacht. Deine Geschichte sollte in allen Häusern stehen, überall, wo Kinder herumrennen und abends mit großen Augen und aufgestütztem Kopf auf dem Teppich liegend den warmen Worten ihres Vaters horchen, der ihnen die Geschichte vorliest. Oder die Kinder kuscheln sich in die warme Kaschmirdecke, nah an ihre Mutter, die sie immer wieder schelmisch anblickt, wenn sie eine kurze Lesepause einlegt. Dein Buch sollte aber auch in den Regalen der Erwachsenen stehen, damit sie es immer dann hervornehmen und darin lesen können, wenn das Leben mal wieder schonungslos zuschlägt. An alle anderen Fans dieser Geschichte: Lasst uns einen Teppich-Fanclub gründen. Es lebe die Fantasie! Dein Name ist Programm - mit deinen Ideen verzauberst du mich.

Deine Chris


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