Kapitel 8: Gefühle
Saskia rannte und rannte immer tiefer in den Wald hinein.
Erst als sie sich sicher war, dass keine einzige Person in der Nähe war, blieb sie stehen.
Noch immer liefen ihr die Tränen das Gesicht hinunter, frei, ungebändigt und unkontrolliert. Ein Sturm aus Gefühlen tobte in ihr und Saskia verstand selbst nicht, was in ihr vorging.
Sie schien die Kontrolle über ihre Gefühle verloren zu haben.
Und so stand sie da allein auf einer Lichtung mitten im Nirgendwo und konnte sich nicht mehr beruhigen.
„Beruhige dich!", schrie sie sich selbst an, während sie sich verzweifelt den Kopf mit beiden Händen festhielt und auf der Lichtung auf und abging, in der Hoffnung die Worte würden wirken wenn sie sie laut aussprach.
„Beruhige dich! Saskia Ashwood, benimm dich jetzt nicht wie ein kleines Kind!",
schrie sie laut, aber die Situation blieb unverändert.
Saskia fühlte sich so hilflos wie noch nie zuvor und sank auf den Boden, verwandelte sich in ein schluchzendes, hilfloses Wesen und wartete darauf, dass sie aufhörte zu weinen.
Die Arme um die Knie geschlungen heulte sie sich aus und ignorierte den Boden der noch von einem Regenguss letzte Nacht feucht war.
Und irgendwann, nach Sekunden, Minuten, vielleicht auch Stunden, Tagen, Monaten oder auch Jahren schien Saskia sich ganz langsam beruhigt zu haben.
Ihre Augen mochten leer geweint sein, doch innerlich war sie immer noch ein zerbrochener Spiegel und wollte jetzt noch nicht dem strengen Blick ihrer Mutter erneut begegnen.
Sie konnte es einfach nicht.
Aus diesem Grund blieb sie sitzen, still und leise, schloss die Augen und genoss mit allen Sinnen die Wirkung des Waldes.
Der Wald war für sie schon immer ein Ort gewesen, an dem sie sich entspannen, sich erholen und neue Energie schöpfen konnte.
Er war für Saskia einfach so eine Art Pause, bei der sie ihren Kopf ausschalten, all ihre Sorgen verbannen und einfach nur im Hier und Jetzt sein konnte.
So auch in diesem Moment.
Sie lauschte dem sanftem Rauschen des Windes, dem Plätschern eines kleinen Baches in der Nähe und dem Rascheln der Blätter, die vermutlich ein Igel aufgewühlt hatte.
Spürte wie eine übermütige Ameise ihr Bein hinaufkletterte und roch den Wacholder und den Duft des Nassen Grases.
Saskia atmete ein paar Mal ganz tief durch.
Sie spürte, dass sie bereit war.
Sie schlug die Augen auf.
Alles war genau so wie vorher, nur sie selbst hatte einen neuen Energieschub bekommen und nutzte diese Kraft, um sich langsam aufzurichten und aufzustehen.
Ihre Beine zitterten noch immer und sie wollte gar nicht erst wissen, wie verquollen und rot ihre Augen wohl waren, aber sie schaffte es trotzdem irgendwie, zurück zur Schule zu taumeln.
Als sie die Cafeteria betrat, wurde es schlagartig still und keiner gab auch nur einen Laut von sich. Saskia spürte die Blicke ihrer Schulkollegen im Nacken, als sie mit zittrigen Schritten den Raum durchquerte.
Von ihrer Mutter war keine Spur mehr zu sehen.
Wahrscheinlich war ich ihr zu peinlich, dachte Saskia verbittert, als plötzlich ein kleiner Tornado auf sie zuschoss.
Noch bevor sie reagieren konnte, blieb Sina vor ihr stehen und fragte:
„Sag mal wo warst du?!"
Saskia wollte antworten, doch ihre Kehle gab nichts her, aber sie hatte so oder so das Gefühl, gleich wieder losheulen zu müssen wenn sie den Mund aufmachte.
Sina schien zu verstehen, packte sie bloß am Handgelenk und schleifte sie auf ihr Zimmer.
Sobald sie im Zimmer waren knallte Sina die Tür zu und fragte: „Was ist passiert?" Saskia erzählte ihr alles, von Anfang an
Sie erzählte von der Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter, ihren Streitereien und schließlich von ihrem Gespräch heute Mittag. Sina nickte bloß immer wieder verständnisvoll, und als Saskia ihr alles geschildert hatte, meinte sie:
„Du hast es ja echt nicht leicht. Jedenfalls werde ich es deiner Mutter zeigen, falls sie es wagt, noch einmal aufzutauchen! Danach wird sie nicht mehr geradeausgehen können!"
Trotz allem was geschehen war, musste Saskia lächeln, während sich in ihrem Kopf abspielte, wie ein übermütiges Erdhörnchen ihrer Mutter ins Gesicht sprang. Saskia wusste, dass Sina auf ihrer Seite stand und es war ein gutes Gefühl.
„Nun, nach diesem niederschmetterndem Ereignis wird es mal wieder Zeit für ein wenig Action!",
verkündete Sina auf einmal ganz aufgeregt,
„Die Mittagspause ist fast vorbei, wir haben gleich unsere erste Stunde Kampf und Überleben mit Mr. Brighteye!
Bist du bereit, allen zu zeigen, was mit denjenigen passiert, die sich mit einer Gothernatter anlegen?"
Ein kampflustiger Funke blitzte in Sinas Augen auf und Saskia wurde bewusst, wie stark sie dieses Nagetier vermutlich unterschätzt hatte.
Sina wollte scheinbar die Stimmung lockern und auch Saskia konnte eine Ablenkung gut gebrauchen.
Saskia versuchte all ihre Traurigkeit zu verdrängen, auch wenn es ihr noch nicht ganz gelang.
Es fiel ihr schwer, die Geschehnisse vor kurzem einfach so aus ihrem Kopf zu verbannen. Doch sie probierte es so gut wie möglich und fokussierte sich auf ihre Angriffslust, die plötzlich aufgeflammt war und von der sie noch nicht gewusst hatte, dass sie in ihr existierte.
Auf einmal war sie wütend, vor allem auf ihre Mutter und sich selbst.
Wieso hatte Saskia immer geglaubt, von ihrer Mutter geliebt zu werden?
Es war immer offensichtlich, dass es nicht der Fall war.
Und dieser ganzen Wut musste freien Lauf lassen.
Eine Stunde Kampf und Überleben war da doch die perfekte Möglichkeit.
,,Eigentlich heißt es Gophernatter",
korrigierte Saskia sie mit viel selbstsicherer Stimme als vor einigen Minuten,
„Und zu deiner Frage:
Ja, ich bin bereit"
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