93 - Epilog Pt. I : Maya
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Epilog Pt. I
»Maya«
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Maya
Ein seltsames Herzflattern begleitete mich, als ich, die Hände fest um den Griff meines großen Koffers geklammert, Julia durch die große Eingangshalle des Seoul Incheon Airports hinterhereilte. Ich war so von unbändiger Euphorie erfüllt, dass ich nur schwache Blicke für die Stellen übrighatte, an denen ich ein paar der schrecklichsten Momente meines Lebens durchlebt hatte. Alles, worauf meine Augen lagen, war der verglaste Ausgang, durch den das grelle Sonnenlicht schien, als handle es sich bei ihm um das Tor zum Himmel höchstpersönlich.
»Wo haben sie gesagt, werden wir abgeholt?«, schallte Julias Stimme zu mir, die mit ihren Absatzschuhen zu meinem großen Verdruss immer noch schneller unterwegs war, als ich mit meinen Sneakers.
»Kurzzeitparkplatz H«, antwortete ich ihr schnaufend. »Sie meinten, es ist nur ein Fahrer, oder?«
»Genau. Aber wenn du jetzt nicht endlich deine kurzen Beine in die Hand nimmst und dich beeilst, wird er sicher auch ohne uns die Fliege machen. Schlimm genug, dass der Flug Verspätung hatte.«
Ich sparte mir eine schnippische Erwiderung. Heute war ich ohnehin nicht in der Stimmung, eine Diskussion mit Julia zu starten. Dafür ging es mir einfach viel zu gut. Etwas mehr als drei Monate hatte ich auf diesen Moment hingefiebert und nun befanden sich meine Füße endlich wieder auf koreanischem Boden. Meine eigenen. Schuhgröße 38. Genauso, wie es sein sollte. Die Zeit war letztendlich bitter nötig gewesen, um alle wichtigen Formalitäten in Deutschland zu klären. Unsere Sachen aus unserer gemeinsamen Wohnung mit Pauli zu räumen und die nun unnützen Möbel an Freunde oder über Online-Flohmärkte zu verscherbeln. Offizielle Visa für Südkorea zu beantragen. Und natürlich endlich wieder Zeit mit unseren Freunden und Familien zu verbringen. Besonders für Julia war dies eine wahre Erlösung gewesen.
Meine Eltern hatten mir – zu meinem großen Glück – weiterhin abgekauft, dass ich mich aufgrund meiner alten Arbeitsstelle in Seoul aufgehalten hatte. Genauso wie die News, dass ich dort eine feste Stelle bei einem neuen Betrieb annehmen und auswandern würde. Zu meiner großen Überraschung war unser Verhältnis über die letzten drei Monate um einiges besser geworden. Irgendwie...bewusster. Ob das nun an mir lag, als diejenige, die ihr Leben endlich wirklich zu schätzen wusste, oder am Fakt, dass wir uns sehr bald gezwungenermaßen nur noch sehr selten sehen würden.
Alles in allem war mir der Abschied trotzdem nicht sonderlich schwergefallen. Seoul hatte sich durch all das, was ich in dieser Stadt über mich selbst gelernt hatte, zu einem wahren heiligen Boden für mich entwickelt. Ich freute mich so sehr auf all die Dinge, die ich nun endlich mit meiner besten Freundin hier tun können würde. Aber allem voran natürlich auf die Menschen, die auf uns warteten.
Tatsächlich war es nicht nur Yoongi gewesen, mit dem ich regelmäßig geschrieben und telefoniert hatte. Auch Hoseok hatte fast täglich von sich hören lassen, sowie auch alle anderen Members zumindest einmal in der Zeit unserer räumlichen Trennung. Dazu existierte nach wie vor unser Gruppenchat, den die Jungs rege dafür nutzen, uns mit dämlichen Memes, TikToks und Snapshots zu bespaßen oder Updates zu ihren Reisen zu geben. Die Vertrauensbasis, die wir zueinander aufgebaut hatten, war unleugbar. Und genauso hütete ich die »Geheimnisse« und »vertraulichen Daten« wie meine eigenen Augäpfel.
»Ich glaube, ich seh' ihn schon«, riss mich Julia aus meinen Gedanken. »Kann es sein, dass das der gleiche Typ ist, der uns damals schon zusammen mit Sejin abgeholt hat? Sungho, oder wie der hieß?«
»Ja, sieht ganz so aus«, stimmte ich ihr zu, nachdem ich den an seinem Wagen lehnenden Koreaner mit zusammengekniffenen Augen in der Ferne ausgemacht hatte. Warum auch immer mich sein Anblick glücklich machte...eigentlich hatten wir mit ihm nie ein Wort gewechselt.
Unser Fahrer stellte sich tatsächlich als Kim Sungho heraus, der uns sogar mit einer Andeutung von Wir-kennen-uns-ja-bereits begrüßte und uns darauf half, das Gepäck im Auto zu verstauen. Seine Kommunikationsbereitschaft endete dennoch, nachdem wir alle eingestiegen und kurz die Route durchgesprochen hatten. Dann konzentrierte er sich nur darauf, den Wagen vom Flughafengelände zu lenken.
Ich nahm mir einen Moment und genoss die kühle Luft, die uns von der modernen Klimaanlage des Hyundais entgegengepustet wurde. Tatsächlich hatte ich Seoul noch nie in seiner voll vom Sommer aufgeheizten Pracht erlebt. Die Hitze, die mir beim Verlassen der Eingangshalle ins Gesicht geknallt war, hatte mich kurz schlucken lassen. Dann jedoch hatte ich mich daran erinnert, dass es eben immer gewisse Opfer gab, die man bringen musste. Oh ja...und wie ich das inzwischen wusste!
»Ich kann's echt kaum glauben, dass wir jetzt endlich wieder hier sind«, seufzte Julia neben mir, die ganz offensichtlich ebenfalls den frischen Windhauch mehr als wertschätze. »Jede Fahrt von den Flughäfen zurück in die Stadt, die wir gemacht haben...sie waren alle so...«
»...scheiße?«, ergänzte ich grinsend, woraufhin sie beschwichtigend nickte.
»Gerade deswegen genieße ich das hier heute umso mehr«, fuhr sie fort und ließ sich dabei mit einem Ausdruck tiefster Zufriedenheit in ihren Sitz sinken. »Auch, wenn ich ein bisschen Angst hab, wenn hier die Uni losgeht.«
»Das wird schon, ich glaub' ganz fest dran«, versuchte ich sie, wie immer, zu ermuntern. Und ich musste dabei gar nicht erst so tun als ob.
Es dauerte, wie jedes Mal, eine ganze Weile, bis Sungho mit uns endlich das eigentliche Stadtgebiet von Seoul erreichte. Noch einmal eine gute halbe Stunde, bis er sich durch den regen Verkehr bis in den Yongsan-gu ins UN Village durchgekämpft hatte. Meinem neuen Zuhause, das sich absolut nicht weit entfernt von meinem quasi-alten auf Hannam The Hill befand. Letztendlich kam der Wagen vor dem gut abgesicherten Eingang der verschachtelten, cremefarbenen Wohnanlage zum Stehen und der Chauffeur stieg mit mir aus, um mir das Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven. Erst, als ich alles beisammen hatte, drehte ich mich zu Julia um, die ihre Scheibe heruntergelassen hatte.
»Also wir sehen uns dann später«, verabschiedete sie sich mit einem fetten Grinsen auf dem sommersprossigen Gesicht. »Wehe ihr seid nicht pünktlich. Euren Spaß könnt ihr auch nach der Party noch haben.«
»Fick dich, Weasley«, erwiderte ich kopfschüttelnd, ehe ich ihr eine ironische Kusshand zuwarf.
»Alles klärchen, Mayonnaise!«
Sie winkte unberührt und nach wie vor grinsend, ehe sie unter einem Summen die Scheibe wieder hochfuhr und der Wagen unter dem leisen Knirschen der Reifen davonrollte.
Ich atmete tief durch, während ich mich dem Eingang der Anlage zuwandte, die ich bisher nur von Bildern gekannt hatte. Meine Finger schlossen sich in der Tasche meiner viel zu warmen Weste um den Anwohnerausweis, der mir von Yoongi vorsorglich zugeschickt worden war. Erst nach einigen Sekunden konnte ich mich endlich dazu durchringen, mein neues Heim zu betreten. Immerhin wartete darin bereits jemand auf mich, bei dem ich es kaum erwarten konnte, ihn wieder in die Arme zu schließen.
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Yoongis hellbraun gefärbte Haare rochen nach dem gleichen Shampoo, das er vor drei Monaten noch benutzt hatte, als ich mein Gesicht darin vergrub. Mein Herz raste, als würde ich ihn gerade zum ersten Mal treffen – trotz der Tatsache, dass sich seine Umarmung anfühlte wie Nachhausekommen. Das leise Brummen, das er während unserer innigen Umarmung von sich gab, war das Knistern des Feuers im Kamin an einem kalten Wintertag. Seine Wärme die einer kuschligen Decke, in die man sich wickelte, wenn es draußen in Strömen regnete. Ich hatte Yoongi so sehr vermisst, dass sich dieses Wiedersehen fast schon schmerzvoll in meiner Brust anfühlte – einfach nur deswegen, weil mein Herz wirklich drohte, meine Rippen zu sprengen.
»Du hättest mich ruhig vorwarnen können wegen deiner Frisur«, brummte er mir ins Ohr, wobei man hörte, dass er lächelte. »Bist du jetzt auf den Geschmack von Kurzhaarfrisuren gekommen?«
Etwas verlegen löste ich mich von ihm und fuhr mir mit der Hand durch meine nun knapp über den Schultern endenden blonden Haare. »Ich dachte, etwas Solidarität mit Julia wäre angebracht. Und ja...vielleicht bin ich tatsächlich ein wenig auf den Geschmack gekommen.«
»Es steht dir«, sagte er nickend und mit einem forschenden Blick, während seine Finger mit einer Strähne zu spielen begannen.
Ich hob die Brauen angesichts seiner ausbaufähigen Miene. Doch nicht wegen der Haare. Als er mir in die Augen sah, schien er sofort zu verstehen, auf was ich hinauswollte.
»Und jaaaa, ich hab dich so vermisst, blah blah blah. Das weißt du doch, Mayo.«
»Hör auf meiner besten Freundin ihre Spitznamen für mich zu klauen«, erwiderte ich gespielt erzürnt. »Schlimm genug, wenn mich eine Person nach dieser ekligen Pampe tauft.«
»Ich muss zugeben, für diese Kreativität bekommt sie nach wie vor meine Anerkennung.« Yoongi ließ ungerührt die Strähne fallen und nutzte die freie Hand stattdessen dazu, mich wieder näher zu sich heranzuziehen. »Willst du jetzt vielleicht endlich mal sehen, wo du ab sofort wohnst?«
Ich verzog die Mundwinkel. Er verdrehte die Augen, nur um gleich darauf seine Hände auf meine Wangen zu legen und mich mit einer Intensität zu küssen, die mir fast den Boden unter den Füßen wegriss. Manchmal war es wirklich zum Schreien, wie sich seine wörtlichen oder mimischen Gefühlsausdrücke so von seinem eigentlichen Innenleben unterschieden. Aber nicht auf eine unangenehme Weise. Er wusste es stets so zu verpacken, dass ich das Gefühl bekam, mir nicht plötzlich Sorgen machen zu müssen.
Ich ließ zu, dass er mich nach dem langen und doch viel zu kurzen ersten Kuss nach drei Monaten an der Hand nahm und durch den Eingangsbereich des hellen Apartments mitten in den riesigen Wohnbereich führte...und mir blieb nichts anderes übrig, als mit weit aufgerissenen Augen zu staunen.
Yoongi war kein unordentlicher Mensch und ganz sicher auch keiner, der viel Wert auf modische Einrichtung legte. Doch irgendwie hatte er es hier tatsächlich fertiggebracht, eine gewisse Gemütlichkeit in die von sündhaft teuren Möbelstücken ausgefüllte Wohnlandschaft zu bringen. Gitarren hingen an der Wand, ein Klavier stand in der Ecke und sogar ein paar Pflanzen hatten einen Platz bekommen. Ein wenig paranoid machte mich die riesige Fensterfront, die so wirkte, als säßen wir quasi direkt auf dem Präsentierteller.
»Die ist von außen verspiegelt«, sagte mein Freund, der meinen Blick bemerkt zu haben schien. »So wie alle Fenster in diesem Apartment. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Es ist wunderschön«, gestand ich, nachdem ich auch einen Blick in die marmorierte, großräumige Küche und den Essbereich nebenan geworfen hatte. »Ich kann das nur irgendwie noch gar nicht so richtig realisieren...Das ist so...unwirklich.«
»Ich habe es nie sonderlich gemocht, hier zu sein«, sagte Yoongi und schloss meine Hand dabei fester in seine. »Ich bin zwar gerne für mich alleine, aber dieses Apartment...ist für eine Person so verdammt riesig. Ich hab mich immer ziemlich verloren darin gefühlt und war deswegen viel lieber im Dorm, in meinem kleinen Zimmer. Auch wenn man da eigentlich nie komplett seine Ruhe hatte. Aber jetzt...«
Er sah sich demonstrativ um, nur um mir gleich darauf wieder direkt in die Augen zu schauen. Irgendwie wirkten sie in diesem Moment heller als sonst. Als würde er sie von innen zum Leuchten bringen. Plötzlich sah er so viel jünger aus. Unbeschwerter. Glücklicher.
»...jetzt, wo du da bist, fühlt es sich so viel mehr wie ein Zuhause an.«
Die Hitze schoss mir in die Wangen, wie immer, wenn er völlig aus dem Nichts mit seinen seltenen niedlichen Aussagen kam. Ich löste meine Hand aus seiner, nur um meine Arme darauf um seinen Oberkörper zu schlingen und meinen Kopf auf seine Schulter zu betten. Er nahm die Umarmung sofort an und strich mir dabei sanft mit den Fingern durchs Haar und über den Rücken.
»Du bist mein Zuhause, Yoongi«, murmelte ich. »Mir ist egal, wo wir wohnen. Hauptsache ich kann bei dir sein.«
»Aww.« Der Rapper drückte mir einen Kuss auf meinen Scheitel und wiegte mich ein wenig hin und her. »Ich werde mein Bestes geben, jede freie Minute, in der wir nicht unterwegs sind, hier mit dir zu verbringen. Aber wir haben sehr bald unseren freien Monat, komplett ohne Verpflichtungen. Den würde ich sehr gerne Vollzeit mit dir verbringen und dich vielleicht auch meiner Familie vorstellen...wenn es dir nichts ausmacht.«
»Klingt gut«, erwiderte ich lächelnd. »Mehr als das.«
Tatsächlich war ich mir schon sehr lange darüber im Klaren, was für eine besondere, ja wahrscheinlich einmalige Zeit uns da bevorstand. Ich würde zeitgleich mit Yoongi wieder beginnen, zu arbeiten. Bei BigHit, in der Grafik- und Marketingabteilung. Es hatte zu meinem eigenen Erstaunen nicht einmal viel Überzeugungsarbeit gebraucht, um an diesen Job zu gelangen. Bang PD persönlich war nach Yoongis Bekanntgabe seinerseits über meinen Umzug nach Seoul auf mich zugekommen, um ihn mir anzubieten. Ich wusste natürlich, dass hierbei eine Menge Eigennutz mitgeschwungen war. Sie hielten mich unter Verschluss in den eigenen vier Wänden – unter ihrer Kontrolle. Gleichzeitig wollte ich mir aber auch nicht kaputtreden, dass ich diesen Job niemals bekommen hätte, würde BigHit mir nicht vertrauen. Ob sie es nun zugeben würden oder nicht – irgendwie schienen sie Julia und mir ja doch ganz schön dankbar zu sein und ein gewisses Bedürfnis nach einer Revangierung zu besitzen. Immerhin durfte sie – obwohl sie kein offizieller Mitarbeiter war – mit entsprechender Anmeldung im Gebäude ein- und ausgehen, um Taehyung zu besuchen. Ebenfalls eine Win-Win-Situation für das Paar und das Unternehmen, da jenes so vermeiden konnte, dass sich die beiden irgendwo draußen trafen.
»Dann bin ich beruhigt...«, riss mich Yoongi wieder aus meinen Gedanken. »Bevor du mir allerdings hier an meiner Schulter einschläfst, würde ich dir gerne noch etwas zeigen. Dafür müsstest du dich aber vorerst drüben auf die Couch setzen.«
Ich zögerte einige Sekunden unsicher, ehe ich seiner Aufforderung nachkam. Yoongi schritt unterdessen auf die Wand zu und hob eine der Gitarren aus ihren Halterungen. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, als er damit zu mir zurückkehrte und, das Instrument auf seinem Schoß, neben mir Platz nahm.
»Du hast nicht ernsthaft...«, begann ich, doch stoppte, als er den Finger hob, um mich zum Schweigen zu bringen.
»Hör einfach zu okay?«
Und dann begann er zu spielen. Erst ein wenig vorsichtig und unsicher, dann immer selbstbewusster und zielsicherer. Und ich erkannte den Song schon nach den ersten Tönen, die mir entgegenhallten. Augenblicklich jagte mir ein Kribbeln, gepaart mit schwindelerregenden Flashbacks durch meinen Körper. Es war zu unwirklich, dass er es tatsächlich gerade spielte. Er für mich. Und dann begann er zu allem Überfluss auch noch zu singen – eine ganze Spur besser und entschlossener als ich.
»And I'd give up forever to touch you
'Cause I know that you feel me somehow
You're the closest to heaven that I'll ever be
And I don't want to go home right now«
Yoongi sah mir immer wieder in die Augen, während er spielte – auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel, die Saiten mit den Fingern zu treffen ohne dabei hinzusehen. Er gab sich so viel Mühe dabei, dass mir innerhalb von Sekunden die Tränen in die Augen schossen. Er hatte es für mich gelernt...obwohl er bisher meines Wissens nach nie wirklich Gitarre gespielt hatte.
»And I don't want the world to see me
'Cause I don't think that they'd understand
When everything's made to be broken
I just want you to know who I am«
Inzwischen wusste ich, wer Yoongi war: ein Mann mit einem viel zu großen Herzen, das er nur für die wenigsten Menschen öffnete. Jemand, der seine Gefühle zwar schwer äußern konnte, doch immer darum bemüht war, es zumindest zu versuchen. Ein Mensch voller Ehrlichkeit, Treue und einer Beobachtungsgabe, mit der er so gut wie jeden, den ich kannte, übertraf. Jemand, der das Wohl seiner Liebsten stets über sein eigenes stellte. Ein wahrer Freund, ein Virtuose, ein Genie auf so vielen Ebenen. Und ganz nebenbei die Liebe meines Lebens.
»Ich dachte...ich müsste es dir auch einmal spielen", murmelte er etwas verlegen, nachdem die letzten Töne verklungen waren. „Als du ihn mir damals gezeigt hast...das war einer der Momente, in denen mir zum ersten Mal richtig bewusstwurde, was ich...nun ja...für dich empfinde. Auch wenn ich es da noch nicht so richtig wahrhaben wollte.«
»Du hast dir wirklich nur dafür...das Gitarre-spielen beigebracht?«, fragte ich ihn mit glühenden Wangen.
Yoongi räusperte sich und sah mit einem leicht starren Blick auf das Instrument in seinem Schoß hinab. Es stand ihm so gut. Fast so gut wie ein Klavier oder ein Keyboard. Aber nur fast.
»Um ehrlich zu sein...war das nur die Aufwärmübung«, brummte er, ohne dabei den Kopf zu heben. »Ich hatte mir schon lange vorgenommen, Gitarre spielen zu lernen. Ich hatte das, was ich dir eigentlich zeigen will, erst auf dem Keyboard geschrieben und dann auf die Gitarre übertragen, weil es damit irgendwie...glücklicher klang. Zwischendrin war ich zwar immer mal wieder kurz davor, das verdammte Ding aus den Fenstern in sechs verschiedenen Ländern zu schmeißen, aber irgendwie hab ich es dann doch hinbekommen. Ganz passabel, hoffe ich.«
»Warte, warte, stopp«, unterbrach ich ihn verwirrt. »Von was sprichst du jetzt?«
»Gleiches Spiel wie gerade«, schmunzelte Yoongi. »Sei einfach still und hör es dir an.«
Er konzentrierte sich erneut auf die Saiten und begann damit, eine mir unbekannte Melodie zu spielen. Eine, die im Gegensatz zu Iris nicht dahinfloss wie ein plätschernder Bach, sondern einen gewissen sprunghaften Beat in sich trug. Etwas Lockeres, Unbeschwertes...und als Yoongi zu singen begann, waren die Lyrics auf Koreanisch. In dem Moment wurde es mir mit voller Tragweite bewusst...und die Tatsache traf mich wie ein Komet mitten in mein Herz.
»Inmitten all meiner monotonen Tage
bin ich am glücklichsten, wenn ich dich sehe
Von all meinen täglichen Routinen
bist du die besonderste für mich«
Wenn Iris mich schon zutiefst berührt hatte, was stellte dieser Song nun bitte mit mir an? All meine Gefühle fuhren Achterbahn. Yoongi hatte das allem Anschein nach für mich geschrieben. Für mich. Konnte das wirklich wahr sein?
»Lass uns zum blauen Meer reisen,
das blaue Meer, an dem wir beide Freunde haben
Für einen Moment, deine nutzlosen Sorgen –
hör auf mit ihnen, für einen Moment
Lass uns sie zusammen genießen,
die kleine Insel im blauen Meer, an die wir uns erinnern
Selbst wenn wir uns auseinanderleben
sind unsere Herzen immer noch die Gleichen
Selbst wenn du nicht an meiner Seite bist
Selbst wenn ich nicht an deiner Seite bin
Wir wissen, dass wir zusammen sind«
Als Yoongi endete, liefen mir die Tränen bereits in stetigen Bächen die Wangen hinab. Scheiße, warum war ich nur so nah am Wasser gebaut? Aber es fühlte sich einfach so...überwältigend an. Als hätte mir Yoongi dieses eine letzte Stück gegeben, das er mir noch von sich vorenthalten hatte. Nie zuvor war ich ihm näher und verbundener gewesen. Nie zuvor hatte ich mich so geliebt von ihm gefühlt.
»Du sagst ja schon wieder gar nichts«, murmelte Yoongi nüchtern und kratzte sich am Kopf. »Der Song heißt Telepathy...Irgendwie spukt er mir schon eine Weile im Kopf rum und ich hab's gerade noch rechtzeitig geschafft, ihn fertigzuschreiben, bevor du –«
Weiter kam er nicht. Ohne Rücksicht auf die Gitarre, die zwischen uns lag, hatte ich mich zu Yoongi gebeugt und seine Lippen mit meinen vereinnahmt. Anders konnte ich gerade nicht ausdrücken, wie es mir ging.
»Heißt das...er gefällt dir?«, fragte er vorsichtig, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst hatte.
»Ist das ein Witz?«, erwiderte ich stirnrunzelnd. »Ich kann nicht fassen, dass du das...ernsthaft gemacht hast?«
»Dir einen Song schreiben? War es echt so abwegig?«
»Unerwartet.«
Yoongi lächelte warm und legte die Gitarre neben sich auf die Couch, um endlich die Distanz zu mir überwinden zu können. »Nun...Ich werde den Song fürs Erste auch nicht beim Label einreichen...Vielleicht irgendwann mal, wenn der Zeitpunkt passt...immerhin könnte man ihn auch gut auf das Verhältnis von uns als Band mit ARMYs übertragen. Ich möchte aber trotzdem, dass dieser Song an erster Stelle immer dir gehören wird. Ohne dich würde es ihn nicht einmal geben.«
»Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll...Das ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.«
»Für mich«, murmelte er, »bist und bleibst das für immer du.«
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