68 - Hold Me Tight

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Kapitel 68
»Hold Me Tight«

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Maya

Meine Finger bebten, während sie sich um die kleine braune Plüschfigur schlossen. Es half nichts. Ich zitterte nach wie vor am ganzen Körper wie Espenlaub. Dabei war das Konzert vorbei. Das zweite von insgesamt vieren. Und ich war hier, endlich alleine, in meinem Hotelzimmer.

Ich hatte keine Ahnung, warum ich mich gerade fühlte, als stände ich kurz vor einem Zusammenbruch. Obwohl...eigentlich wusste ich es genau. Ich wusste es eigentlich schon, seit ich die Videos der ersten Show mit den anderen durchanalysiert hatte und es mir nicht gelungen war, Yoongi in dem zu sehen, was ich da auf der Bühne veranstaltet hatte. Mir waren so gut wie keine Fehler beim Text oder bei den Choreografien passiert...aber ich hatte einfach nicht dieses gewisse Etwas versprüht, das Suga einfach ausmachte. Und diese Tatsache machte mich einfach nur fertig.

Doch nicht nur das sorgte dafür, dass mich gerade ein Beben nach dem anderen durchschüttelte. Ich hatte es schon beim Soundcheck gestern geahnt, dass es vor den Fans schwierig werden würde...aber dass es so heftig sein sollte, darauf wäre ich nie gekommen. Wenn alles, was man da drinnen sehen konnte, einfach nur ein Meer aus Lichtern und Menschen war. Alle starrten einen an. Alle riefen einem zu. Alle dachten, man wäre diese völlig andere Person...

Es hatte mehrere Momente gegeben, in denen ich unter der Last meiner Gefühle fast zusammengebrochen wäre. Besonders, wenn es gerade nicht darum gegangen war, einen Song zu performen. Yoongis Rede, die ich auswendig gelernt hatte, war mir beide Male mehr schlecht als recht über die Lippen gekommen, was ein Glück gut von dem Außer-Puste-Effekt getarnt worden war. Beim Encore, wo es hauptsächlich darum gegangen war, herumzulaufen und die Fans anzuschauen, waren meine Knie erneut butterweich geworden. Sie hatten geweint, gestrahlt, mitgesungen...und ich hatte ihnen nicht ein einziges Mal in die Augen sehen können. Warum? Weil ich zu feige gewesen war. Weil ich gedacht hatte, sie könnten es so bemerken. Dass nicht Min Yoongi sondern Maya Rostad dort oben auf der Bühne stand.

Die Jungs hatten sich in jeder freien Minute rührend um Julia und mich gekümmert. Jeder hatte sich ständig nach unserem Wohlbefinden erkundigt, uns Wasser angeboten und nach der Show waren sie – trotz der eigenen Überanstrengung – nicht einmal von unseren Seiten gewichen. Naja...alle bis auf Yoongi, der zwar da gewesen war, aber doch nie so richtig. Trotz der Tatsache, dass ich ihm nun eigentlich bewiesen hatte, dass ich es schaffen konnte. Obwohl...hatte ich das wirklich?

In diesem Moment, in dem ich hier auf meinem Bett saß, fragte ich mich plötzlich, wie ich die letzten beiden Konzerte überleben sollte. Egal, wie sehr ich es mir vorstellte...ich schaffte es einfach nicht. Dafür fühlte es sich noch zu real an, wie ich heute ein letztes Mal von der Bühne gegangen war. Die Hand auf den Mund gepresst, um die Tränen und alles andere zurückzuhalten. Hoseok hatte mich ohne zu Zögern auf die nächste Toilette geschleift und uns beide eingeschlossen, ehe ich mich in die Schüssel erbrochen hatte. Immer und immer wieder. Bis nichts mehr von mir und meinem Verstand übriggeblieben war.

Nun wusste ich wirklich nicht mehr, was ich machen sollte. Der Tag Pause, der uns morgen bevorstand, fühlte sich nur an wie eine Verlängerung des Folter-Vorspiels. Er würde nichts daran ändern, dass mich übermorgen die gleiche Menge an Leuten anstarren würde. Dass ich wieder nicht den Anforderungen gerecht werden konnte. Dass sich irgendwann alle fragen würden, was denn zur Hölle mit Suga los war.

In diesem Augenblick sprang ich wie von der Tarantel gestochen von meinem Bett auf. Ich war so durch den Wind, dass ich nicht einmal darauf achtete, eine Zimmerkarte einzustecken. Einzig und alleine mein Handy befand sich in der Tasche meiner Jogginghose, als ich aus dem Raum auf den ausgestorbenen Flur stürmte. Die Nummer, zu der ich wollte, kannte ich bereits auswendig. Nachdem Namjoon alle in die Gruppe gepostet hatte, waren meine Augen immer wieder an der 309 hängengeblieben.

Erst, als ich an der Tür ankam, konnte ich mich wieder etwas zügeln. Es gab nur den Weg nach vorne – keinen zurück. Meine Finger zitterten immer noch, als ich sie zu einer Faust ballte und zögerlich an das Holz klopfte. Bitte mach auf, wimmerte eine Stimme in meinem Kopf. Bitte lass mich jetzt nicht alleine.

Und meine Gebete sollten nicht unerhört bleiben. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich Geräusche vernahm und gleich darauf mit einem mechanischen Geräusch des Schlosses die Tür geöffnet wurde. Yoongi starrte mir mit meinem eigenen Gesicht entgegen, als stände nicht ich, sondern ein Geist vor ihm.

»Maya? Was ist –«

Weiter kam er nicht. Er brach augenblicklich ab, als ich mir die Hand auf den Mund presste und stumm zu schluchzen begann. Ich konnte es in diesem Moment einfach nicht mehr zurückhalten. All der Druck und der Schmerz, der auf mir lastete, brach in einer großen Welle aus mir heraus.

»E-es tut mir so leid«, wimmerte ich durch die Hand hindurch. »Es...es t-tut mir so...s-so leid.«

Yoongi reagierte blitzartig, indem er mich packte und in sein Zimmer zog. Kurz darauf fiel seine Tür ins Schloss und ich spürte zwei Arme um mich herum. Er drückte mich so fest, dass es mir augenblicklich nur noch mehr Tränen in die Augen trieb.

»I-ich hätte...a-auf dich h-hören sollen...«, schluchzte ich weiter, während er mich hin- und herwiegte. »I-ich kann...das einfach nicht...Ich p-pack das nicht...«

»Schhhh«, versuchte Yoongi, mich zum Schweigen zu bringen. »Ganz ruhig...Versuch erst mal zu atmen.«

Noch halb in der Umarmung gelang es ihm irgendwie, mich hinüber zu seinem Bett zu bugsieren und mich darauf abzusetzen. Kurz darauf befand sich sein Gesicht direkt vor mir, während er vorsichtig versuchte, meine Augen mit einem Taschentuch zu trocknen.

»Du hast es mir von...von Anfang an gesagt«, presste ich hervor, nachdem es mir tatsächlich gelungen war, mein Geheule in den Griff zu bekommen. »Ich hätte wirklich auf dich hören sollen...Diese beiden Shows, sie...«

Mir fehlten einfach die richtigen Worte, um es zu beschreiben. Besonders angesichts der Tatsache, dass dies das erste Mal seit Tagen war, dass ich so richtig mit Yoongi sprach. Dabei sah er mich gerade an, als hätte es diese Zeit nicht gegeben. Als wäre er insgeheim mehr als erleichtert, dass ich heute Abend vor seiner Tür aufgetaucht war.

»Sag sowas nicht«, murmelte er leise und strich mir dabei mit einer Hand über den Rücken. »Du hast das wirklich gut gemacht.«

»Hättest du nicht gedacht, dass ich noch vor dem ersten Konzert einen Rückzieher machen würde?«, erwiderte ich etwas trocken mit einem darauffolgenden Schniefen.

Yoongi lachte ganz leise und glucksend auf, während er sich schwerfällig neben mich auf die Matratze fallen ließ.

»Nein, das dachte ich nicht. Ich wusste, dass du es durchziehen würdest. Und ich wusste auch, dass du es gut machst. Mir ging es von vorneherein nur um dich und das, was du dabei fühlst.«

Ich schloss ergeben die Augen und senkte den Kopf. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Yoongi hatte es nur gut gemeint...die ganze Zeit über. Und ich war einfach zu blind gewesen, das zu erkennen. Vielleicht wäre alles anders gewesen, hätte ich nicht mit ihm gestritten. Vielleicht hätten wir es geschafft, zu einer Übereinkunft zu kommen und ich wäre mit seiner Rückendeckung in Hongkong gelandet. Szenen erschienen vor meinem inneren Auge, wie nicht nur Hoseok, sondern auch er mir vor den Shows gut zuredete. Wie er mich, so wie er es immer tat, zur inneren Ruhe brachte.

»Es tut mir so leid, was ich zu dir gesagt habe«, flüsterte ich ihm wieder den Tränen nahe zu. »Wirklich...Es ist genauso gekommen, wie du es insgeheim vorausgesehen hast. Ich weiß nicht, wie ich die letzten beiden Konzerte noch schaffen soll. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, nochmal da hoch auf die Bühne zu gehen.«

Yoongi musterte mich mit einem Blick, den ich bei ihm noch nie zuvor gesehen hatte. War das etwa Mitgefühl, das darin lag? Oder bildete ich mir das nur ein?

»Ich nehme dir das nicht übel, Maya«, sagte er mit sanfter Stimme. »Ich war wirklich stolz auf dich für das, was du gestern und heute geleistet hast und ich bin es auch immer noch. Für das, was du für die Band getan hast und immer noch tust. Hab ich dir je gesagt, wie viel mir das bedeutet?«

Die Worte kamen ihm so einfach über die Lippen, dass ich mich für einen kurzen Moment echt fragte, ob da wirklich Min Yoongi neben mir auf dem Bett saß. Seit wann sprach er so etwas so offen und frei an?

»Du...du hast es mir gezeigt...«, murmelte ich betreten und senkte wieder den Kopf. »Und das hat auch gereicht...Du musst dich nicht dazu durchringen, es mir extra zu sagen...«

»Ich will es aber. Ich will, dass du es von mir hörst, so wie ich es denke. Genauso hätte ich dir schon viel früher sagen sollen, was meine Bedenken bezüglich der Konzerte sind. Nicht erst, wenn du schon total im Training versunken bist und dich absolut darauf eingestellt hast.«

Ich erwiderte darauf nichts, sondern ließ nur zu, dass sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht schlich. Es fühlte sich so unheimlich gut an, wenn man ein Kriegsbeil begrub, indem beide Seiten gleichermaßen ihre Fehler eingestanden. So etwas war nicht selbstverständlich nach einem Streit...

Die Stille, die sich nach Yoongis Worten im Raum breitmachte, war eine angenehme. Er strich nach wie vor mit der Hand über meinen Rücken und ich spürte seinen Blick auf mir, obwohl ich ihn nicht erwiderte. Gerade konnte ich einfach nur den kurzen Moment genießen, in dem mich nicht die vergangenen und noch bevorstehenden Shows überforderten. Gerade war alles gut. Ich wollte den Augenblick so lange wie möglich festhalten.

Ein wenig stutzig wurde ich, als Yoongi sich nach einer Weile vom Bett erhob und sein Handy vom Nachttisch nahm. Kurz darauf zog er einen weiteren Gegenstand aus seinem Koffer in der Ecke, was sich als kleine Bluetooth-Box herausstellte. Mit geübten Handgriffen hatte er beides miteinander verbunden und einen Song gestartet.

»Komm«, sagte er, nachdem er sich wieder mir zugewandt hatte und streckte mir die Hand entgegen. »Ich will dich auf andere Gedanken bringen.«

Etwas zögerlich ließ ich zu, dass er mir aufhalf. Währenddessen klangen schon die ersten Töne einer mir irgendwie bekannt vorkommenden Ballade durch das Zimmer.

»So wie Harry Hermine damals«, fügte er grinsend hinzu, als er meinen Blick bemerkte und damit fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich, es war das Lied*, das gespielt hatte, als Harry und Hermine im siebten Teil durch das Zelt getanzt waren, um sich von ihren Leiden abzulenken. Aber Yoongi wollte doch nicht etwa...?

Doch, offensichtlich wollte er. Und er machte sich gar nicht erst die Mühe, die Walzer-Griffe der weiblichen Position anzunehmen, nur weil er jetzt eben die weibliche Person war. Er legte die rechte Hand an meine Hüfte und die linke in meine. Und dann begann er ganz langsam zu tanzen. Ohne Rücksicht darauf, dass ich mich erst einmal gar nicht rühren konnte. Was passierte hier gerade??

»Was?«, fragte er stichelnd. »Dachtest du, ich könnte nicht tanzen?«

Ich schnaubte unwillkürlich, als ich aus meiner Trance erwachte und mich vorsichtig in seinen vorgegebenen Takt bewegte.

»Nein...Eigentlich überrascht es mich eher, dass du Harry Potter magst.«

»Es wäre ein Verbrechen an der Natur, würde ich es nicht tun.«

Ich musste lachen und er erwiderte dies mit einem Grinsen. Wie gerne ich das auf seinem echten Gesicht gesehen hätte...

»Dann sag mir doch mal«, fuhr ich fort, während wir weiter in langsamen Bewegungen über den Teppichboden tanzten, »welcher ist dein Lieblingscharakter?«

»Neville«, erwiderte Yoongi wie aus der Pistole geschossen.

»Okay, und wieso?«

»Naja, ist doch ganz klar. Er hat von allen Charakteren die krasseste Entwicklung durchgemacht. Vom absoluten Außenseiter, über den jeder gelacht hat, zum großen, mutigen Kriegshelden. Er hat viel durchgemacht in seinem Leben und hat sich trotzdem nie unterkriegen lassen. Dagegen wird die Entwicklung von Harry selbst wie ein Witz. Findest du nicht?«

Ich dachte kurz darüber nach und erkannte mit jeder Sekunde mehr die Zweideutigkeit in seinen Worten. Irgendwie gab es da klare Parallelen. Vielleicht sah Yoongi ja ein wenig sich selbst in Neville...oder BTS als gesamtes. Es passte auf jeden Fall wie die Faust aufs Auge.

»Er ist wirklich einer der besten Charaktere«, stimmte ich ihm schließlich zu. »Tatsächlich ist mir das vorher noch nie so krass aufgefallen.«

»Welcher ist denn dein Favorit?«

»Hmm...Ich denke Luna Lovegood. Sie hat einfach so was an sich, wofür ich sie bewundere. Sie sieht die Welt...wenn auch auf eine total schräge Weise. Und sie sieht die Menschen um sich herum. Keiner ist so aufmerksam wie sie. Und sie hilft Harry so selbstlos, als wären sie schon jahrelang befreundet. Ich mag obendrauf ihre ehrliche und direkte Art...Sie sagt den Leuten einfach ins Gesicht, was sie denkt...«

Vorsichtig sah ich zu Yoongi, welcher mich unentwegt anstarrte.

»So was ähnliches hast du auch über mich gesagt.«

Mein Herz rutschte mir in die Hose. Tatsächlich hatte ich das...in meiner halben Liebeserklärung, vor wenigen Wochen in diesem Park. Scheiße, war das peinlich. Wieso mussten wir auch immer wieder irgendwie auf diese Themen zu sprechen kommen? Schlimm genug, was ich noch zusätzlich zu dem Ganzen während unseres Streits gesagt hatte...

Yoongi schmunzelte ein wenig. »Du magst es wohl, dir die Favoriten nach deinen eigenen Defiziten auszusuchen...oder?«

»Ja...«, erwiderte ich mit glühenden Wangen. »Ich denke, das habe ich schon immer getan...«

»Find ich gut. Wirklich.«

Ich sah ihm bei der Ehrlichkeit, die in seiner Stimme mitschwang, überrascht in die Augen. Da das Zimmer im Halbdunkel der Nachttischlampe lag, wurde ich nicht einmal so krass damit konfrontiert, dass ich gerade eigentlich in meine eigenen schaute. Yoongi erwiderte meinen Blick mit einer Ruhe, die nur er selbst ausstrahlen konnte.

Vielleicht wäre mir in diesem Moment noch irgendwas eingefallen, das ich hätte sagen können, doch der neue, plötzlich einsetzende Song hielt mich davon ab. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, nicht sofort zur Salzsäule zu erstarren. Wieso hatte Yoongi Iris von den Goo Goo Dolls in seiner Playlist??

Er schien es nun selbst zu realisieren. Langsam öffnete er den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Als er mich kurz darauf wieder anschaute, lag etwas anderes in seinem Blick. Als fühlte er sich ein wenig ertappt. Trotzdem wiegte er mich weiter...denn auch zu diesem Song konnte man tanzen.

»Maya«, sagte er nach einer Weile und ich erschrak, als ich das kaum merkliche Zittern in seiner Stimme bemerkte. »Eigentlich...wollte ich dir noch was Wichtiges sagen...Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht...über all das, was zwischen uns passiert ist...«

Er musterte mich kurz, blinzelte dann heftig und schüttelte schließlich abwehrend den Kopf. Gleich darauf hatte er sich aus unserer Tanzposition gewunden und war auf den Nachttisch zugestürmt. Dort schaltete er ohne Vorwarnung das Licht komplett aus, so dass wir keine Sekunde später in völlige Dunkelheit gehüllt wurden.

»Sorry...«, murmelte er und ich spürte, wie er sich blind zu mir zu tasten versuchte. Ich griff nach seiner Hand und führte ihn wieder in unsere Position. Allerdings rutschten seine Finger dieses Mal einfach nur in die meinen und zwar bei beiden Händen. Dazu konnte ich seinen Atem spüren...nicht allzu weit von meinem Hals entfernt.

»Ich...ich will mir vorstellen, dass das wirklich du bist, die vor mir steht. Das...geht nicht, wenn das Licht an ist«, sagte er leise und jagte mir damit eine Gänsehaut über den ganzen Körper. »Es geht darum...Es ist wirklich schwer zu erklären...«

Er stockte und ich hielt den Atem an, während weiter Iris aus seiner Bluetooth-Box tönte.

»And I don't want the world to see me...'cause I don't think that they'd understand...When everything's made to be broken...I just want you to know who I am...«

»Maya, ich...ich weiß echt nicht, wie ich es sagen soll...«

Etwas Niedergeschlagenes lag in seiner Stimme. Dennoch war er mir dieses Mal wieder nähergekommen. Ich konnte spüren, wie unsere Pullover sich vorne berührten...und Yoongi langsam seine Hände aus meinen löste. Ich spürte, wie er sich wieder von mir entfernte...und hörte kurz darauf die Geräusche von etwas, das über den Boden geschleift wurde. Was zur Hölle...?

Wenige Sekunden später realisierte ich, was er getan hatte. Genau dann, als sich plötzlich zwei Arme um mich schlangen – auf einer Höhe, die es meinem Körper bei dem von Yoongi nie möglich gewesen wäre. Er versuchte die Vorstellung noch realer zu machen, indem er nicht zu mir hochsprechen musste.

»Du...du musst nichts sagen«, presste ich hervor, während ich ebenfalls versuchte, mich der Illusion hinzugeben. Leider trieb mir das aus unerklärlichen Gründen schon wieder die Tränen in die Augen.

Yoongi knurrte, als wäre er von sich selbst einfach nur noch genervt, wobei sich seine Finger an meinem Rücken in den Pullover krallten, der ohnehin einer von seinen eigenen war. Nur ganz langsam entspannte er sich wieder...und ließ die Hände wandern. Erst nur wie in Zeitlupe auf und ab, bis sie schließlich innehielten und er sie langsam wieder zu sich nach vorne zog.

Ich konnte in der Dunkelheit nur seine Silhouette erkennen. Wir waren durch den Koffer eigentlich genau auf einer Höhe. Kurz versuchte ich Yoongis Gesicht aus den Schemen zu formen. Mir vorzustellen, dass seine Züge da vor mir wären. Seine Augen, seine Nase, sein Mund...seine Hände, die sich plötzlich...an meinen Wangen befanden?

Und da war. Der Atem auf meinen Lippen, der nicht mein eigener war. Er ging flach und unregelmäßig, genau wie mein eigener. Und ich hätte wetten können, dass mein Herz in Yoongis Brust gerade genauso schnell raste, wie seins in meiner.

Diese Vorstellung...Sie wurde abgelöst, als ich die Augen schloss. Genau wie beim letzten Mal. Es war sein Gesicht, das da direkt vor mir schwebte. Seine Hände an meinen Wangen...Seine Lippen, die in diesem Moment wirklich auf meine trafen und eine Welle der Elektrizität durch meinen Körper jagten.

Es war ein Kuss. Ein realer, tatsächlich stattfindender Kuss. Einer, der nicht in den Tagträumen eines in Deutschland lebenden Fangirls stattfand, sondern tatsächlich passierte. Und in meiner Vorstellung waren es wirklich Yoongis Lippen, die sich ganz vorsichtig und sanft auf meinen bewegten. Seine Hände ruhten nach wie vor an meinen Wangen. Und das Herz in meiner Brust drohte jede Sekunde zu explodieren.

Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich konnte nicht fassen, dass ich gerade wirklich Min Yoongi küsste. Dass er mich küsste. War das hier vielleicht doch ein Traum, den ich gerade in meinem eigenen Bett drüben in meinem eigenen Hotelzimmer träumte? Wenn ja, dann war er unfassbar schön. Ja, zu schön, um wahr zu sein.

Dennoch...ein Traum würde mich nicht so gegen eine eiserne Wand laufen lassen, kaum hatten wir uns wieder voneinander gelöst. Ein Traum würde mir nicht aufzeigen, warum dieser Kuss zu nichts führte. Denn eigentlich hatten mich gerade meine eigenen Lippen geküsst und nicht die von Min Yoongi. Eigentlich waren es meine Hände, die da an meinen Wangen verweilten. Und es waren meine Augen, die sich ganz leicht aus der Dunkelheit abzeichneten, als ich die Lider öffnete.

Ich konnte nur erahnen, wie der Rapper mich gerade anschaute. Doch das Zittern, das in seinen Fingern lag, als er die Hände von mir nahm, sagte eine Menge aus. Er sah sich den Tatsachen genauso konfrontiert wie ich.

Vielleicht hatte ein kleiner Teil von uns beiden gehofft, dieser Kuss würde alles rückgängig machen. So, wie im Märchen von Dornröschen. Doch hier standen wir immer noch im falschen Körper. Und rein gar nichts hatte sich verändert.

Yoongi kletterte einfach stumm vom Koffer und schob ihn wieder auf seine alte Position in der Ecke. Kurz darauf verstummte die Musik. Ich verschränkte unterdessen die Arme vor der Brust, als könnte das verhindern, dass ich einfach auseinanderfiel. Mir war schon wieder zum Weinen zumute. Wie oft eigentlich noch heute?

»Komm«, murmelte er schließlich doch nach einigen Sekunden und zog mich in Richtung des Bettes. „Du kannst hier schlafen."

Es war kein »Oh, der Kuss war so schön, bitte bleib bei mir!«...viel eher ein »Fuck, scheiße gelaufen. Wenn es dir genauso scheiße geht, musst du jetzt nicht alleine sein.« Ich verkniff mir in diesem Moment, ihm zu sagen, dass mir nicht einmal möglich wäre, zu meinem Zimmer zurückzukehren. Immerhin war ich Hals über Kopf von einer Sekunde auf die andere zu ihm gegangen. Meine Schlüsselkarte lag demnach immer noch auf meinem Nachttisch.

Yoongi und ich krochen ins Bett und irgendwie ergab es sich, trotz aller Widersprüche und der gedrückten Stimmung, dass wir uns unter der Decke aneinanderkuschelten. Er schob dafür den Arm unter mein Kissen und zog mich in eine Umarmung, bei der ich ganz deutlich den Herzschlag in seiner Brust wahrnehmen konnte. Erst so stellte ich fest, wie verdammt kaputt ich eigentlich war. Das bisschen Tanzen von eben schien mir nun noch einmal den Rest gegeben zu haben. Ich schloss also die Augen und versuchte an gar nichts mehr zu denken. Immerhin gelang mir das in Yoongis Gegenwart nach wie vor besser, als sonst irgendwo...


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author's note:

*O Children – Nick Cave & The Bad Seeds

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