62 - Crack Pt. I

────•~❉ ✿ ❉~•────

Kapitel 62
»Crack Pt. I«

────•~❉ ✿ ❉~•────



Maya

»Bist du völlig wahnsinnig geworden, mich bei meinem Namen zu nennen?«

Yoongis Worte schnitten durch meine Haut wie ein frisch geschärftes Messer. Für zwei Sekunden fühlte man gar nichts. Doch dann traf der Schmerz einen wie ein Feuer, das unaufhaltsam zu brennen begann. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass er mit mir das Gespräch über meine Angststörung fortsetzen wollte...doch das schien er in diesem Moment schon wieder völlig vergessen zu haben.

»Es war ein Versehen, es tut mir leid«, versuchte ich mich zu verteidigen, doch merkte schon an seinem Blick, dass es nichts bringen würde.

»Wir können uns keine Versehen leisten!«, gab er kalt zurück und lehnte sich an die Wand des Hausflurs von Jins Wohnung. »Das war absolut verantwortungslos.«

Inzwischen waren es kurz nach zwei Uhr in der Nacht und wir hatten vor fünf Minuten Hannam The Hill erreicht. Yoongi war zum Reden absichtlich mit zu uns nach oben gekommen, doch er hatte es nicht ausgehalten, bis in mein Zimmer mitzukommen. Julia, die bis eben noch bei uns gewesen war, hatte sich nun ganz schnell in Richtung ihres Zimmers geflüchtet. Am liebsten würde ich ihr gerade einfach hinterherrennen. Vor nichts, nicht mal dem Wind, hatte ich mich jemals mehr gefürchtet, als davor, Yoongis Wut auf mich zu ziehen.

»Du hast dich aber auch nicht gerade souverän verhalten«, sagte ich nach einer Weile betreten und sah zu Boden. »Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte.«

Yoongi presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Dann atmete er tief durch, ehe sich seine Gesichtszüge wieder etwas entspannten.

»Ich weiß. Das war genauso dumm von mir. Was mich an der ganzen Sache aber so wütend macht, ist der Umstand, dass du in ein paar Tagen vor tausenden von Menschen auf die Bühne willst. Du wirst nicht nur rappen, sondern auch die Worte sagen müssen, die ich dir aufgeschrieben habe. Es wird kleine Gespräche auf der Bühne geben. Wer garantiert mir, dass dir dabei nicht wieder was rausrutscht?«

Ich konnte in diesem Moment nicht anders, als empört die Augenbrauen zusammenzuziehen.

»Jetzt hör mal, ich schaffe es doch auch seit Wochen, der ganzen Agentur vorzumachen, ich wäre du! Das heute war eine absolute Stresssituation. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet, dass –«

»Was denkst du denn, was das auf den Konzerten sein wird, hm?«, unterbrach mich Yoongi scharf und klang dabei so, als würde etwas aus ihm herausbrechen, was er lange zurückgehalten hatte. »Denkst du, das wird einfacher, wenn du da oben stehst und 13.500 Menschen dich beobachten?! Wenn du nicht nur den Stressfaktor hast, mich gut genug nachzuspielen, sondern auch beim Text und bei den Choreos keine Fehler zu machen? Du bist beim ersten Mal, als wir uns gesehen haben, mit einer Panikattacke zusammengebrochen, Maya! Wie zur Hölle soll ich nun darauf vertrauen, dass du das alles schaffst und das quasi vier Nächte hintereinander?!«

Völlig sprachlos starrte ich ihn an. Seine Worte hatten mich dieses Mal nicht wie ein Messer, sondern wie eine Abrissbirne in den Magen getroffen. Ich hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie negativ Yoongi eigentlich dagegen eingestellt, dass ich für ihn auf die Konzert-Bühne in Hongkong gehen wollte.

»I-ich hab es doch auch auf den Grammys geschafft", startete ich einen kläglichen Versuch, gegen ihn anzukommen. „Im Staples Center waren auch viele Menschen und die Interviews haben auch funktioniert...zählt das denn gar nichts für dich?«

Yoongi seufzte frustriert und strich sich mit der Hand übers Gesicht. »Vergleich doch nicht das kurze Auf-der-Bühne-stehen mit einer der Love-Yourself-Shows. Du müsstest doch nach dem ganzen Training eigentlich selbst merken, dass das Schwachsinn ist.«

Ich wusste ab diesem Punkt wirklich nicht mehr, was ich ihm noch entgegenbringen konnte. Es fühlte sich so an, als würde mir alles, was ich mir in den letzten Wochen erarbeitet hatte, plötzlich wie Sand durch die Finger rinnen. Wofür das alles, wenn die Person, für die ich dies in erster Linie tat, das eigentlich gar nicht wollte?

»Warum kommst du mir damit erst jetzt?«, fragte ich leise und mit bitterer Stimme. »Warum erst vier Tage vor dem Konzert?«

»Womit?«

»Dass du eigentlich gar nicht willst, dass ich auf die Bühne gehe.«

Yoongi musterte mich, als würde er sich genau zurechtlegen müssen, was er als nächstes sagen wollte. Alleine diese Tatsache machte mir schon mehr als genug Angst. Irgendwie wusste ich schon, was nun kommen würde...

»Um ehrlich zu sein, dachte ich, du würdest mit der Zeit selbst merken, dass es zu viel ist. Ich hätte nicht geglaubt, dass du so viel deiner Freizeit und Ressourcen dafür aufopferst, dass diese Konzerte realisiert werden können.«

Ich spürte, wie mir langsam aber sicher die Tränen in die Augen stiegen. Ich versuchte, sie herunterzuschlucken. Das letzte, was ich gebrauchen konnte, war vor Yoongi zu weinen. In seinem Körper.

»Wieso glauben dann inzwischen auch alle anderen, dass wir es schaffen können?«, presste ich hervor, zwanghaft darauf bedacht, dass mir nicht die Stimme entglitt. »Selbst Namjoon hat mir gerade auf der Rückfahrt gesagt, dass er jetzt nach dem Dreh viel zuversichtlicher bezüglich der Konzerte ist.«

»Maya«, erwiderte Yoongi und trat dabei von der Wand weg einen Schritt auf mich zu. »Ich würde mal vorsichtig behaupten, dass ich dich inzwischen ein bisschen besser kennengelernt habe, als die anderen. Ganz besonders nach heute...«

Er machte eine Kunstpause, in der er mich eindringlich musterte. Und natürlich tat es genau die Wirkung, die er damit bezwecken wollte. Mir wurde mit Schrecken wieder bewusst, dass er nun von meiner Angst wusste. Dass er mich nun als noch schwächer sah, als ohnehin schon, erschien mir plötzlich viel verständlicher.

»Bitte, Maya«, fuhr der Rapper fort, jetzt nur noch gut einen Meter von mir entfernt. »Bitte entscheide dich dagegen. Tu dir das nicht an. Die Psychen der Zuschauer, die vorerst keine Konzerte bekommen, werden das überleben. Deine, wenn du es durchziehst, vielleicht nicht. Du musst auch mal an dich selbst, statt immer nur an die anderen denken. Statt immer nur an...«

Er stockte und presste die Lippen zusammen. Ich hob mit bebendem Körper den Kopf.

»Statt immer nur an was?«, wisperte ich leise.

Yoongi zögerte, atmete dann jedoch langsam durch. »Statt immer nur an mich.«

Ich schwieg und starrte ihn dabei einfach nur an. Seine Augen sagten mir, dass da noch mehr war, was er dazu sagen wollte. Ich hatte keine Kraft, ihn offen danach zu fragen. Ich wusste ja nicht mal, ob ich das, was ihm auf der Zunge lag, verkraften würde.

»Manchmal...manchmal glaub ich einfach, dass ich dir eine Spur zu viel bedeute«, setzte Yoongi schließlich mit dem ersten Messerstich an, den er quälend langsam in meiner Brust versenkte. »Du würdest letztendlich alles für mich tun...aber das will ich nicht. Ich will nicht, dass du dein Leben aufgibst, nur um meins aufrecht zu erhalten. Und allem voran will ich nicht, dass du dich kaputt machst, um den Ansprüchen, die das mit sich bringt, gerecht zu werden. Maya...Du kennst mich fast gar nicht. Zumindest nicht den echten Min Yoongi. Du solltest nicht bereit sein, so weit für mich zu gehen.«

»Ach ja?«, entfuhr es mir mit unkontrolliert zitternder Stimme, während mir der Blick vor den Augen langsam verschwamm. »Und du willst mir erzählen, du würdest mich besser einschätzen können, als die anderen und obendrauf ich selbst?«

»Ja, genau das will ich dir erzählen. Damit will ich nicht sagen, dass ich dich gut kenne.«

»Aber eigentlich willst du mir damit sagen, dass du nie im Leben bereit gewesen wärst, dasselbe auch für mich zu tun.«

Yoongi starrte mich mit seiner typischen, unergründlichen Miene an. Nebenbei versuchte ich immer noch zwanghaft, die Tränen zurückzuhalten. Mein Gesicht musste inzwischen knallrot angelaufen sein.

»Maya«, begann er langsam und vorsichtig. »Bitte...ich sag dir das wirklich ungerne, aber du darfst Fanliebe nicht mit echter Liebe verwechseln.«

Wenn er in den letzten Sätzen nur mit dem Messer um mein Herz herumgestochert hatte, dann traf er es nun mit voller Wucht. Augenblicklich kam ich mir vor wie das letzte Stückchen Dreck. Wie ein lächerlich naives, kleines Kind, das tatsächlich irgendwie tief in sich geglaubt hatte, Min Yoongi könnte das, was ich für ihn empfand, erwidern. Wenn das, was ich empfand, denn überhaupt anerkannt werden konnte. Vielleicht hatte er ja recht...vielleicht war es nur Fanliebe. Aber konnte es nur das sein nach all den Wochen, die ich zusammen mit ihm verbracht hatte? Nach all der Ruhe und Geborgenheit, die seine Gegenwart – egal in welchem Körper – in mir auslöste? Konnte es nur das sein, wenn er mich nach all der Zeit noch völlig verrückt machte und ich am liebsten jede Minute bei ihm sein würde?

»Dafür war der Shooky, oder?«, entfuhr es mir schließlich erstaunlich ruhig, während aber schon vereinzelte Tränen über meine Wangen rollten. »Um mich daran zu erinnern, welchen Platz ich habe.«

Tatsächlich schien ich Yoongi mit dieser Aussage völlig aus dem Nichts zu treffen. Er sah mich irritiert an, ehe er langsam den Kopf schüttelte.

»Den Shooky? Nein...nein, ich habe –«

»Ist okay, ich versteh schon.«

»Maya, ich wollte dir damit nicht sagen, dass du nur ein Fan für mich bist. Ich wollte eigentlich –«

QIst schon gut! Bitte geh jetzt einfach.«

Der Rapper öffnete den Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen. Dennoch bewegte er sich keinen Zentimeter von der Stelle. Es war, als hätte ihn meine Reaktion völlig überrascht und nun überlegte er, wie er am besten darauf reagieren sollte.

»Maya«, begann er schließlich erneut und kam dabei noch einen Schritt auf mich zu, doch ich wich vor ihm zurück. Er atmete darauf tief durch, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte. Nicht aus Trotz...eher, als wollte er sich dadurch irgendwie selbst etwas mehr Halt geben.

»Du darfst mich wirklich nicht falsch verstehen. Ich mag dich, Maya. Ich mag dich wirklich, okay? Ich hab dir vor ein paar Tagen noch viel...intimere Dinge in der Umkleidekabine gesagt. Inzwischen habe ich aber einfach Angst, dass...«

»Dass ich das alles fehlinterpretieren könnte?«, entgegnete ich ihm mit erstickter Stimme. »Gäbe es denn überhaupt einen Grund dazu? Schau uns doch an! Wie sollte ich mir je Hoffnungen machen, dass zwischen uns etwas sein könnte? Wir stecken im Körper des jeweils anderen. Sollte ja eigentlich schon Grund genug sein, dass es absolut wahnsinnig ist, sowas zu glauben.«

Yoongi schwieg und starrte mich einfach nur weiter an. Die Härte, die zuvor noch sein Gesicht geschmückt hatte, war nun endgültig verschwunden. Ich dagegen war nun endgültig in meine Rage abgerutscht. Ich konnte nun, da ich einmal angefangen hatte, nicht mehr aufhören. Und das, obwohl ich nun hemmungslos dabei weinte.

»Ich kann nicht leugnen, dass ich...irgendwas für dich empfinde. Du bedeutest mir was und eigentlich hatte ich gehofft, dass du inzwischen weißt, dass das über...über "Fanliebe" hinausgeht...zumindest, seit wir uns eine Weile persönlich kennen. Ich denke, ich habe genug mit dir erlebt, um das tatsächlich mit Überzeugung behaupten zu können. Wie weit diese Gefühle reichen? Keine Ahnung. Ich kann's dir nicht sagen. Aber immerhin weiß ich jetzt, wie du dazu stehst. Ich werde in deinen Augen für immer den Status »Fan« haben und das ist auch okay. Nur bitte...bitte gib mir dann nie wieder das Gefühl, es wäre nicht so. Also hätten wir eine Freundschaft oder...oder sonst irgendwas aufgebaut. Das ertrag ich einfach nicht.«

»Maya, das ist Schwachsinn, du bist für mich nicht das, was du hier gerade beschreibst! Denkst du wirklich, ich hätte dir gesagt, dass ich noch nie eine Person so nah an mich rangelassen hatte wie dich, wenn ich dich nur als...als Fan sehen würde? Denkst du wirklich, ich hätte dann überhaupt zugelassen, dass es so weit kommt?«

Ich schniefte und wischte mir schnell die Tränen aus dem Gesicht, nur damit gleich die nächste Welle über meine Wangen fließen konnte. Scheiße, was für einen furchtbaren Anblick ich gerade abgeben musste. Im Prinzip sah Yoongi ja nicht einmal mich, sondern nur sich selbst, wie er gerade am Rumflennen war.

»Du hattest ja keine andere Wahl, oder?«, erwiderte ich bitter. »Durch das, was alles passiert ist, blieb dir nichts anderes übrig, als mich näher an dich ranzulassen. Ob du das nun wolltest, oder nicht.«

Daraufhin tat der Rapper wieder nichts, als zu schweigen. Und mir wurde schmerzlich bewusst, wie sich der Spieß seit dem Anfang unseres Gesprächs umgedreht hatte. Nun war er derjenige, der nicht mehr wusste, was er dazu sagen sollte. Vielleicht ganz einfach deswegen, weil es nicht mehr zu sagen gab.

»Bitte geh jetzt einfach«, würgte ich schlussendlich hervor und trat einen weiteren Schritt zurück. »Ich will jetzt einfach nur noch schlafen.«

„Maya...«

Wieso zur Hölle klang er plötzlich so wehleidig? Hatte er nun doch Mitleid mit mir, wie ich hier völlig verheult vor ihm stand und am ganzen Körper zitterte? Ja, wahrscheinlich war es nur das, was ihn nun so handzahm machte. Er hatte wieder Angst, dass meine Psyche am Ende völlig den Bach runtergehen würde. Klar.

»Ich sag dir eines«, stieß ich mit dem letzten bisschen Kraft hervor, das mir geblieben war. »Ich werde dir beweisen, dass ich diese Konzerte schaffe! Trotz der Tatsache, dass du mir da in der Umkleidekabine ins Gesicht gelogen hast, als du sagtest, du würdest mir voll und ganz vertrauen. Trotz der Tatsache, dass du, obwohl ich dir genügend Gründe dazu gegeben habe, nicht an mich glaubst. Ich werde einen Teufel tun und alles hinschmeißen. Und weißt du was? Ich tu es nicht für dich, sondern für mich! Dafür, dass ich jahrelang eure Musik gehört und mich dadurch besser gefühlt habe. Dafür, dass ich genau weiß, dass es anderen genauso geht und ich nicht dafür verantwortlich sein möchte, warum BTS plötzlich der Grund für tausende Menschen ist, dass es ihnen schlecht geht.«

»Und ich sage es dir nochmal...Du solltest in erster Linie an dich selbst denken. Das machst du aber damit nicht! Du tust es nicht für dich selbst, sondern für andere!«

»Wie auch immer! Es ist mir egal! Und wenn ich es letztendlich nur tue, um dir zu beweisen, dass ich es schaffe...Kannst du jetzt bitte einfach gehen?!«

Yoongi presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Kurz sah es so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch er starrte mich für ganze fünf Sekunden einfach nur an, bis sich schließlich wie in Zeitlupe sein Blick senkte und er nickte. Dann drehte er sich um und verschwand wortlos durch die Haustür. Ich konnte mich dennoch erst wieder rühren, als seine Silhouette aus dem kleinen Garten verschwunden war.

»Maya...«

Es war Julias Stimme, die da leise zu mir aus der Dunkelheit des Wohnzimmers sprach. So, wie sie klang, hatte sie alles mitangehört. Und ich? Ich konnte nichts dagegen unternehmen, dass ich schon wieder vom nächsten Heulkrampf durchgeschüttelt wurde. Das Herz in meiner Brust fühlte sich an, als hätte man es komplett zerfetzt. Mit nichts weiter als Yoongis Worten, die er wie ein Messer gegen mich benutzt hatte.

Also Julia bei mir ankam, nahm sie mich ohne weitere Worte und ohne zu zögern in die Arme, drückte mich fest an sich und wiegte mich wie ein Baby hin und her. Ich klammerte mich unterdessen an dem Pullover fest, den sie in der Zwischenzeit angezogen hatte, während ich ihre Schulter völlig durchnässte.

»Ich glaub an dich. Ich will nur, dass du das weißt«, murmelte meine beste Freundin mir ins Ohr. »Ich denke, Yoongi hat einfach nur Angst um dich. Er wollte dich nicht absichtlich verletzen.«

»Ist mir egal«, schluchzte ich und vergrub das Gesicht in dem bereits nassen Stoff. »Es tut so weh...Wieso tut es so weh, Julia?«

Sie antwortete mir darauf nicht, sondern zog mich einfach nur fester in ihre Arme. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top