60 - Boy With Luv Pt. II
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Kapitel 60
»Boy With Luv Pt. II«
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Julia
Ich atmete tief durch, als ich an diesem sonnigen Morgen wieder zusammen mit Maya und Jungkook im Wagen auf dem Weg nach Namyangju saß. Der gestrige zweite Drehtag war ziemlich erfolgreich verlaufen...besser als der erste, meiner Meinung nach. Immerhin hatten wir erst am späten Nachmittag angefangen zu filmen, dadurch aber auch entsprechend weniger Schlaf abbekommen. Das kam etwas ungelegen, denn der heutige, letzte Tag des Drehs würde uns nochmal alles abverlangen...immerhin erwartete uns gegen Abend noch ein prominenter Gast, vor dem ich mich mehr als fürchtete. Mit Halsey zu shooten, würde ganz sicher nicht mein Lieblingsteil des Tages werden...
Der Himmel war strahlend blau und völlig wolkenfrei. Die Sonne schien grell auf uns herab, die Hitze wurde jedoch von einigen Windböen gemildert, die von den Bergen zu uns herunterbrachen. Ich schielte besorgt zu Maya. Den heutigen Tag würden wir komplett auf einem Außen-Set verbringen, was bei diesem Wetter wohl ihr ganz persönlicher Albtraum werden würde...Diese Vermutung bestätigte sich mir, als wir die Anlage betraten und ich einen Blick auf die vielen Zelte erhaschte, deren Planen wild flatterten. Nicht gut...wirklich nicht gut.
Einige Crew-Mitglieder, deren Gesichter ich in Erinnerung behalten hatte, kamen auf uns zu, um uns in Empfang zu nehmen. Zu ihnen zählten auch Yoongi und Taehyung, wie ich freudig feststellte. Sie trugen mal wieder ihre Kameras bei sich (so langsam sollten sie ernsthaft eine Umschulung zu professionellen Kameraleuten in Erwägung ziehen) und hielten ihre Haare wegen des Windes mit Haargummis und Bandanas in Zaum.
»Guten Morgen die Herrschaften und willkommen zum letzten Drehtag«, frohlockte Taehyung in einer albernen Werbungsstimme. »Heute erwartet Sie der weltbeste Food-Truck, gleich dort um die Ecke, und ein Set im Freien – ausgesprochen praktisch für dieses fabelhafte Wetter! Wir haben Außentemperaturen von 22°C und –«
»...keine Zeit für sowas«, unterbrach Yoongi ihn sachlich, während sein Blick jedoch an Maya klebte. Er hatte es bemerkt. Ja, er spürte, dass etwas mit ihr nicht stimmte.
»Jep, genau richtig«, hörte man nun Hobi flöten, der gerade aus einem der Zelte gehüpft kam. Normalerweise benahm er sich ja wirklich nicht so klischeehaft wie seine Persona J-Hope, aber heute strahlte er wirklich mit der Sonne um die Wette. »Also, kann's los gehen?«
»Nett, dass du so tust, als hätten wir die Wahl«, grinste Maya gezwungen, worauf Hobi noch ein wenig mehr zu leuchten begann. Ich hatte die Veränderung des Verhältnisses zwischen den beiden schon in den letzten Tagen bemerkt...nun fiel mir aber zum ersten Mal richtig bewusst auf, wie vertraut sie miteinander wirkten. Wie ich mich dabei fühlte, wusste ich nicht so ganz...Es war doch schön für Maya, dass sie auch jemanden zum Reden hatte. Ich verbrachte ja auch mehr Zeit mit Jungkook...
»Ach, das wird. Draußen ist es immer ein bisschen lustiger zu filmen, vor allem bei schönem Wetter. Los, die anderen sind schon drinnen«, fuhr Hobi schließlich unbekümmert fort und bedeutete uns, ihm zu folgen. »Es geht direkt in die Kostüme und danach in die Maske.«
Er redete noch weiter, als wir das Zelt betraten, doch meine Gedanken schweiften schnell wieder ab. Nach all den Jahren mit Maya als bester Freundin hatte ich ein Gespür dafür entwickelt, wann ich die Augen nach ihr offenhalten musste. Und die durch den Wind quietschenden Gerüststangen und die sich aufblähenden Zeltplanen waren mehr als nur alarmierend. Ein Blick zu Maya bestätigte mir sofort all meine Befürchtungen.
Ich wusste inzwischen zu gut, dass es eine Sache war, die zu tief in ihr saß, um sie jemals ganz abstellen zu können. So wie andere automatisch Panik beim Anblick von Spinnen bekamen, brannten bei ihr eben bei sich im Wind bewegenden Dingen alle Sicherungen durch. Sie wusste, dass ihr nichts passierte. Die Panik kam trotzdem, ohne dass sie wirklich etwas dagegen tun konnte. Da half kein gutes Zureden der Welt etwas. Und ich hatte sehr lange gebraucht, um das selbst zu verstehen und mit dieser Angststörung umzugehen. Es gab nur sehr wenige Menschen, denen ich zutrauen würde, dass sie damit spontan fertigwerden könnten.
»Yoongi«, sagte ich eindringlich und dankte den guten Geistern innerlich, dass Maya, trotz ihres an den Zeltwänden klebenden Blicks, darauf reagierte. Als sie sich umwandte, sah sie mich jedoch nicht wirklich an. Ihre Gedanken waren natürlich ganz woanders...ihre Augen leer.
»Nachher wird es besser, versprochen«, murmelte ich ihr zu. »Du musst nur ein bisschen durchhalten.«
Es war schwachsinnig, ihr das zu sagen, denn gegen die Panik halfen ihr meistens nur Augen schließen und Kopfhörer auf voller Lautstärke. Das brachte ihr in diesem Moment aber gar nichts, denn hier durfte sie sich nichts anmerken lassen. Dass sie nicht wusste, ob sie das wirklich schaffte, wurde mehr als deutlich, als sie mir einen letzten hilflosen Blick zuwarf, als sie von einer Stylistin zu den Kostümen mitgenommen wurde. Ich verlor sie aus den Augen, als es mir ebenso erging.
Es dauerte eine elendige halbe Stunde, bis ich Maya endlich wieder sah. Man hatte mich in der Zwischenzeit in ein weißes Hemd, ein blaue Jeansjacke mit passender Hose und weiße Chucks gesteckt. Mayas Outfit bestand aus ähnlichen Teilen, bis auf den feinen Unterschied, dass alles etwas enger geschnitten war und sie ein weißes T-Shirt unter der Jacke trug. Was sich allerdings seit unserer Trennung nicht verändert hatte, war ihr Gesichtsausdruck. Und wenn ich mich nicht irrte, schien dieser auch schon der Visagistin aufgefallen zu sein, die bereits angefangen hatte, ihre Haare zu frisieren.
Es war der Moment, in dem ich einen folgenschweren Entschluss fasste. Ich konnte mir das nicht länger mitansehen und darauf warten, dass ihre Angst in wahre Panik umschwenkte. Jede verdammte Böe, die am Zelt rüttelte, konnte letztendlich der Auslöser sein. Ein Glück war für mich in der Maske wegen Jimin und Namjoon gerade ohnehin noch kein Platz, so dass ich ungehindert zu Yoongi schleichen konnte und ihm bedeutete, dass er mir nach draußen folgen sollte.
Wir stellten uns ein wenig fernab der Zelte, an eine Stelle, an der uns keiner belauschen konnte. Der Rapper richtete sofort alibimäßig die Kamera auf mich, um von Weitem keinen Verdacht zu erregen.
»Was ist denn?«, fragte er mich verwirrt und zog dabei unmerklich die Augenbrauen zusammen.
»Maya«, zischte ich zurück. »Ich...ich glaube, wir haben da ein kleines Problem...«
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Yoongi
Yoongi musterte Julia von oben bis unten. Sie trug Taehyungs Kostüm für die ersten Szenen bereits, auch wenn die Haare noch nicht gemacht waren und das Make-Up noch fehlte. Was jedoch alles zunichte machte, war ihr Gesichtsausdruck. Und den Rapper nervte die Tatsache, dass sie ihn hier, mitten auf dem Set so offensichtlich zeigte, obwohl sie gerade eigentlich ein Fake-Lächeln für die Kamera vor sich aufsetzen sollte.
»Was ist das für ein Problem?«, hakte er nach, wobei er das Gerät in seinen Händen ruckartig vor sein Gesicht bewegte, um sie zu ein wenig mehr Kooperation zu ermuntern. Julia jedoch ließ das kalt. Sie sah genauso aufgeregt aus wie zuvor auch schon.
»Es gibt da was, das du nicht über sie weißt...und eigentlich...ist es nicht mein Recht, dir das zu erzählen...aber es geht gerade nicht anders. Ich hab Angst, dass etwas Schlimmes passiert.«
Nun ließ Yoongi die Kamera doch wieder sinken. Er verstand sofort, dass es sich hier um etwas Ernstes handeln musste und damit verpuffte auch ein großer Teil seiner eigenen Vorsicht.
»Die Sache ist...«, fuhr Julia nervös fort, während sie zum Zelt zurück schielte. »Maya hat panische Angst...vorm Wind.«
»...vorm was?!«
Yoongi konnte in diesem Moment nicht anders, als perplex zu blinzeln. Er musste sich verhört haben. Als ob Julia das gerade wirklich ernst gemeint hatte. Zwar hatte er vorhin schon gespürt, dass Maya irgendwie anders drauf gewesen war, aber damit hatte er nun doch nicht gerechnet.
»Ja...vorm Wind«, erwiderte Julia dennoch mit einer deutlichen Verzweiflung in der Stimme. »Yoongi, ich kenne sie seit dem Kindergarten und es ist 'ne chronische Angststörung. Das klingt vielleicht total absurd, aber es ist wirklich ernst. So wie andere Höhenangst haben oder Panik bekommen, wenn sie bestimmte Tiere sehen, dreht sie durch, wenn der Wind stark weht...wobei man es auch nicht direkt so nennen kann. Du könntest sie problemlos auf irgendein Feld oder an den Strand stellen, während ein Orkan weht und es würde sie nicht stören. Problematisch wird es, wenn sich Dinge im Wind bewegen wie zum Beispiel Türen, Fenster, Tore...oder Zelte.«
»Oh...«, war alles, was Yoongi dazu hervorbrachte.
»Bitte halt sie nicht für verrückt«, flehte Julia, während ihre Augen zum ersten Mal wieder vorsichtig umherhuschten, um zu checken, ob auch wirklich niemand sie beobachtete oder belauschte.
Yoongi atmete tief durch, während er seine Gedanken zu diesen neuen Informationen ordnete.
»Ich...ich halte sie nicht für verrückt.«
Julia sah ihn wieder an. Einen Moment lang sagte sie nichts, sondern musterte ihn nur für einige Sekunden forschend, ja, fast schon sorgenvoll.
»Du kannst es...irgendwie nachvollziehen...hab ich recht?«
»Ja, kann ich.«
Es war das erste Mal, dass sowas wie ein stilles Einverständnis zwischen ihm und Julia herrschte. Sie wusste von seinen eigenen Ängsten. Seiner Abneigung vor Menschenmassen. Viele ARMYs wussten davon. Aber die Art, wie sie ihm gerade Mayas ganz persönliche Angst näherbringen hatte wollen, zeigte ihm auch, dass sie in dieser Hinsicht auch ihn verstand. Sie wusste, wie tiefsitzend und psychisch verankert solche Störungen sein konnten. Und sie war zu Yoongi gekommen, weil sie gleich davon ausgegangen war, dass er sich von allen hier am besten damit auskannte. Nicht, weil er eben die Person war, die Maya neben ihr am nächsten stand.
»Du musst mir helfen, sie irgendwie auf andere Gedanken zu bringen«, hauchte Julia und fuhr sich durch die ungemachten blauen Haare. »Sie muss abgelenkt werden, sonst springt sie noch irgendwann auf und rennt einfach aus dem Zelt. Sie erträgt das nicht, dass die Stangen im Wind quietschen und die Zeltwände sich nach innen bewegen.«
Yoongi nickte und deutete Julia schnell an, wieder für die Kamera mitzuspielen. Dieses Mal sprang sie darauf an und sie taten so, als würde „V" eine kleine Führung über das Set bis in die Zelte geben. Dort konnte der Rapper einen Blick auf Maya erhaschen, die nach wie vor in der Maske saß.
Eigentlich hatte er es vermeiden wollen, in ihrer Gegenwart zu sein. Seit seinem Geburtstag war es komisch zwischen ihnen. Yoongi fühlte sich, als hätte jemand einen Schwarm Bienen in ihm freigelassen und das Summen und wirre Herumgeschwirre machte ihn seit Tagen wahnsinnig...zusammen mit dem Song, der ihm nach wie vor in den Ohren festsaß... Hier am Set sollte er ohnehin nicht zu viel Zeit in Mayas Nähe verbringen, was ihm vorgestern und gestern wirklich zugute gekommen war...auch, wenn er natürlich immer im Auge behalten hatte, wie sie sich als „er selbst" anstellte. Nun jedoch musste er sich wirklich zusammenreißen. Gerade war irrelevant, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war. Für den Moment zählte nur, dass er ihr irgendwie helfen konnte, das alles durchzustehen.
Ungeachtet der Blicke von Mayas Visagistin ließ sich Yoongi auf den Stuhl neben ihr nieder, die Kamera nach wie vor im Anschlag. Es dauerte eine Weile, bis sie ihn bemerkte, doch als sie es dann tat, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Yoongi sah ihr für einen Moment in die Augen, ehe er das Gerät in seiner Hand weiter anhob.
»Erzähl mir, wie die letzten Tage für dich waren. Wie hat sich der Dreh bisher angefühlt?«
Maya starrte ihn an, als wollte sie ihn still und heimlich anflehen, sofort aufzuhören, doch er dachte nicht einmal daran. Seine Augen blieben weiterhin an ihren kleben, ohne dass er durch die Kamera schaute.
»Erzähl irgendwas, was dir einfällt«, hakte er nach. »Egal was.«
Maya schluckte, ihre Hände hatten sich um die Sitzfläche des Stuhls verkrampft.
»Das...das Einzelshooting gestern...das war echt...echt krass«, begann sie langsam.
Es war offensichtlich, dass sie gerade nichts von sich gab, was man für eine Bangtan-Bomb verwenden könnte. Doch Yoongi würde sie nicht wissen lassen, dass er nicht einmal auf »Aufnahme« gedrückt hatte. Sein Ziel war immerhin ein völlig anderes.
»Wie lief es ab? Erzähl mir alles, was dir dazu einfällt.«
Und das tat Maya auch...irgendwie. Sie redete von dem Klavier, auf dem sie herumspringen hatte müssen für den kleinen Suga-Rap-Part in Boy With Luv. Sie erzählte, dass sie dafür ein wenig früher ans Set gekommen war, was Yoongi natürlich schon wusste, denn er war ebenfalls dabei gewesen...auch, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt noch von Maya ferngehalten hatte.
Letztendlich erfüllte das Reden genau das, was es sollte. Maya war abgelenkt, während die Visagistin das letzte bisschen Puder auf ihrer Stirn verteilte. Yoongi quetschte sie immer weiter über den Dreh aus, bis sie endlich aus der Maske freigegeben wurde. Daraufhin bedeutete er ihr, ihm aus dem Zelt zu folgen, was sie auch mehr als dankbar tat. Als sie aber an die frische Luft traten und ihnen eine gehörige Windböe um die Ohren schlug, konnte der Rapper genau sehen, wie sie in sich zusammensank, als hätte man ihr stattdessen ein Brett auf den Kopf geschlagen.
»Schau mich an«, sagte er bestimmt und zwang sie damit förmlich dazu, den Kopf wieder zu heben.
Sie sahen sich in die Augen und Yoongi tat letztendlich das Einzige, was gerade in seiner Macht stand. Er versuchte Maya mit aller Kraft zu vermitteln, dass er da war und dass er es wusste. Und – am allerwichtigsten – dass er sie verstehen konnte. Trotz all der Dinge, die gerade zwischen ihnen beiden standen, hätte er sie nur zu gerne in den Arm genommen, um seine Aussage zu verdeutlichen...doch hier ging das nicht. Selbst dieser intensive Blickkontakt war eigentlich schon viel zu viel des Guten.
Yoongi konnte dennoch sehen, dass seine Message – zumindest in Teilen – bei Maya angekommen war. Zu seinem großen Verdruss schien das allerdings eine völlig andere Reaktion heraufzubeschwören, als er sich erhofft hatte. Augenblicklich lief sie rot an und sah mit zusammengepressten Lippen zu Boden.
»Wir reden, sobald sich die Gelegenheit ergibt«, zischte Yoongi. »Aber behalt eines bitte immer im Kopf...«
Schnell sah er sich auf eine unauffällige Weise um, ob ihnen auch wirklich niemand zuhören konnte.
»...wenn du denkst, du hältst es nicht mehr aus, dann schau zu mir, okay?«
Yoongi wusste selbst nur durch ein unterbewusstes Gefühl, dass das, was er da gerade sagte, das Richtige war. Er konnte sich nicht erklären, warum.
»O-okay«, gab Maya erstickt zurück, ehe sie sich die Arme um den Oberkörper schlang.
»Locker bleiben«, murmelte der Rapper mit ruhiger Stimme. »Ruhig atmen und ganz locker bleiben. So hab ich es bisher auch durch jede Menschenmenge geschafft.«
Bei seinen letzten Worten weiteten sich Mayas Augen etwas. Offensichtlich schien ihr jetzt erst richtig klar zu werden, was Yoongi ihr eigentlich wirklich die ganze Zeit über sagen wollte. Und dann durfte er erleichtert feststellen, wie der Griff ihrer Arme um sich selbst wieder etwas lockerer wurde...
»Jetzt auf«, sagte er daraufhin und nickte mit einem leichten Grinsen in Richtung der restlichen BTS-Members, die sich fast alle bereits bei der Filmcrew eingefunden hatten. »Zeig ihm, wer hier der Boss ist.«
Und mit ihm meinte er natürlich niemanden, der Hände und Füße besaß...
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